Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 21.06.2006, Az.: 8 LA 54/06

Anspruch auf Erlass eines IHK-Mitgliedsbeitrags wegen unbilliger Härte; Beachtlichkeit einer zwischenzeitlich eingetretenen Gesetzesänderung; Voraussetzungen für einen Erlass wegen sachlicher Unbilligkeit bzw. besonderer Härte

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
21.06.2006
Aktenzeichen
8 LA 54/06
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 32087
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2006:0621.8LA54.06.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 10.03.2006 - AZ: 11 A 1336/05

Fundstellen

  • GewArch 2007, 39
  • ZAP 2007, 512
  • ZAP EN-Nr. 326/2007

Amtlicher Leitsatz

Eine geltend gemachte Vermögenslosigkeit rechtfertigt nicht den Erlass eines IHK-Mitgliedsbeitrags wegen "besonderer Härte.

Gründe

1

Der Zulassungsantrag der Klägerin bleibt ohne Erfolg.

2

Die Klägerin benennt in der Begründung ihres Zulassungsantrags keinen der abschließend in § 124 Abs. 2 VwGO aufgezählten Gründe. Es mag dahinstehen, ob der Antrag deshalb schon nicht mehr dem Darlegungserfordernis des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO entspricht und bereits aus diesem Grund erfolglos bleibt. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin annimmt, sie habe vorliegend sinngemäß ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung geltend gemacht, ergibt sich kein anderes Ergebnis. Solche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen nämlich nicht.

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Die Beklagte zog die Klägerin durch inzwischen bestandskräftigen Bescheid vom 25. Februar 2005 zu Mitgliedsbeiträgen für die Jahre 2001 bis 2005 in Höhe von insgesamt 560,11 EUR heran. Die Klägerin begehrt den Erlass dieser Beitragsschuld wegen einer geltend gemachten "unbilligen Härte" und stützt sich zur Begründung auf § 19 Abs. 2 der Beitragsordnung der Beklagten in der am 7. Dezember 1998 beschlossenen Fassung (Beitragsordnung 1998). Ein solcher Anspruch steht der Klägerin jedoch nicht zu.

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Auf § 19 Abs. 2 der Beitragsordnung 1998 kann die Klägerin ihr Begehren schon deshalb nicht erfolgreich gründen, weil diese Fassung der Beitragsordnung zeitlich nicht mehr anwendbar ist. Die Beklagte hat nämlich am 3. Mai 2004 eine neue Fassung der Beitragsordnung beschlossen, die gemäß § 22 Satz 1 am 1. Januar 2004 in Kraft getreten ist und gemäß § 22 Satz 3 die Beitragsordnung 1998 außer Kraft gesetzt hat. Ausgenommen hiervon ist gemäß § 22 Satz 4 lediglich die Festsetzung von Beiträgen aus Haushaltsjahren vor dem 1. Januar 2004. Um eine entsprechende Festsetzung geht es vorliegend jedoch nicht. Vielmehr begehrt die Klägerin den Erlass einer bestandskräftig festgesetzten Beitragsschuld wegen unbilliger Härte. Da es sich bei dem geltend gemachten Erlass um eine Ermessensentscheidung (vgl. Frentzel/Jäkel, IHK-Gesetz, Kommentar, 6. Aufl., § 3, Rn. 143, m. w. N.) handelt, ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.8.1990 - 8 C 42/88 -, DVBl. 1990, 1405 ff.). Maßgeblich ist somit die Beitragsordnung der Beklagten in der am 3. Mai 2004 beschlossenen und im Zeitpunkt der letzten Entscheidung der Beklagten über den Erlassantrag im Juni 2005 geltenden Fassung (Beitragsordnung n. F.).

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Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Beitragsordnung n. F. in Verbindung mit § 18 Abs. 1 c ihres sog. Finanzstatuts darf die Beklagte Ansprüche nur erlassen, wenn die Einziehung nach Lage des einzelnen Falles für den Anspruchsgegner eine "besondere Härte" darstellen würde. Eine nähere Konkretisierung des Begriffs "besondere Härte" enthalten die Beitragsordnung n. F. und das von ihr in Bezug genommene Finanzstatut nicht. In den genannten Bestimmungen werden jedoch ebenso wie in der zu Grunde liegenden gesetzlichen Ermächtigung des § 3 Abs. 7 Satz 2 IHK-G die gängigen abgabenrechtlichen Begriffe des "Erlasses", der "Niederschlagung" und der "Stundung" verwandt. Deshalb ist davon auszugehen, dass diese Begriffe auch in den genannten Normen der Beklagten so wie im allgemeinen Abgabenrecht zu verstehen sind (vgl. Frentzel/Jäkel, a.a.O., Rn. 110 f.; 143). Demnach kann sich die zum Erlass notwendige Unbilligkeit (i. S. v. § 227 AO) bzw. besondere Härte (i. S.d. § 19 Abs. 1 Satz 1 Beitragsordnung n. F. in Verbindung mit § 18 Abs. 1 c des sog. Finanzstatuts) aus sachlichen oder persönlichen (Billigkeits-)Gründen ergeben (vgl. nur Tipke/Kruse, AO, Kommentar, § 227 AO, Rn. 40, 86, m. w. N.).

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Eine sachliche Härte ist demnach anzunehmen, wenn ein Anspruch aus dem Abgabenverhältnis zwar nach dem Wortlaut des Abgabentatbestandes gegeben ist, seine Geltendmachung im Einzelfall aber mit dem Zweck der Norm nicht zu rechtfertigen ist und dessen Wertung zuwiderläuft (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.11.1999 - 11 C 7/99 -, DVBl. 2000, 1218 f.). Demgegenüber können Umstände, die der Normgeber bei der Ausgestaltung des Abgabentatbestands bewusst in Kauf genommen hat, einen solchen Erlass nicht rechtfertigen. Hiernach kommt ein Erlass wegen sachlicher Unbilligkeit bzw. besonderer Härte für die Klägerin nicht in Betracht. Die Klägerin beruft sich insoweit auf ihre "völlige Vermögenslosigkeit". Dieser Gesichtspunkt ist jedoch, worauf zutreffend bereits das Verwaltungsgericht hingewiesen hat, von der Vollversammlung der Beklagten als Normgeberin bedacht und in § 3 Abs. 3 Satz 2 ihrer Beitragsordnung für unerheblich erklärt worden. Danach berührt die - bei Vermögenslosigkeit in der Regel gebotene - Eröffnung eines Liquidations- oder Insolvenzverfahrens die Beitragspflicht nicht.

7

Ebenso wenig ergibt sich aus der behaupteten Vermögenslosigkeit für die Klägerin eine persönliche Härte. Die dazu erforderliche Erlassbedürftigkeit ist nur bei dem Abgabenpflichtigen zu bejahen, dessen wirtschaftliche oder persönliche Existenz im Falle der Versagung des Billigkeitserlasses gefährdet ist. Demnach muss ein Ursachenzusammenhang zwischen der Geltendmachung der Abgabenforderung und einer dadurch eintretenden Gefahr für die wirtschaftliche Existenz des Abgabenpflichtigen gegeben sein. Ein Erlass wegen persönlicher Härte kommt daher nicht in Betracht, wenn der Schuldner unabhängig von einer Stundung oder einem Erlass in wirtschaftlichen Verhältnissen lebt, die eine Durchsetzung des Anspruchs ausschließen. Ein Erlass oder eine Stundung würde hieran nichts ändern, also mit keinem wirtschaftlichen Vorteil für den Schuldner verbunden sein (vgl. Tipke/Kruse, a. a. O., Rn. 91; Rosenzweig/Freese, NKAG, Kommentar, § 11, Rn. 91, jeweils m. w. N.). Da die Klägerin nach eigenem Vorbringen nicht erst durch die geltend gemachte Forderung in ihrer Existenz gefährdet wird, sondern bereits unabhängig davon "völlig vermögenslos" ist, scheidet auch ein Beitragserlass wegen persönlicher Härte aus.

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Schließlich hat die Klägerin bis zum maßgeblichen Zeitpunkt im Juni 2005, als die Beklagte den Erlassantrag abgelehnt hat, die von ihr behauptete "völlige Vermögenslosigkeit" trotz Aufforderung der Beklagten ohnehin weder hinreichend dargelegt noch nachgewiesen. Schon deshalb scheidet im Übrigen auch ein "Anspruch" der Klägerin auf Niederschlagung gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Beitragsordnung n. F. in Verbindung mit § 18 Abs. 1 b des sog. Finanzstatuts aus.