Landgericht Aurich
Urt. v. 04.05.2021, Az.: 3 O 971/20

Klage auf Entschädigung aus Versicherung wg schutdown Corona

Bibliographie

Gericht
LG Aurich
Datum
04.05.2021
Aktenzeichen
3 O 971/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 70769
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
OLG - 15.11.2021 - AZ: 1 U 118/21

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der Klägerin begehrt Leistungen aus einer Betriebsschließungsversicherung.

Unter dem Namen „Restaurant S.“ betreibt die Klägerin ein Restaurant auf der Insel L., für welches sie bei der Beklagten eine Betriebsschließungsversicherung wegen Infektionsgefahr unterhält.

Der Versicherungsschein vom 16.06.2009 sieht eine Tagesentschädigung von 2.342,00 Euro vor (Bl. 15 d.A.).

Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden infolge Infektionsgefahr (Betriebsschließung) AVB-BS – Stand 01.01.1997, (Bl. 31 d.A.) zugrunde.

In § 1 Ziffer 1 der Bedingungen ist in Bezug auf den Versicherungsumfang unter anderem Folgendes geregelt:

"Der Versicherer gewährt Versicherungsschutz für den Fall, dass von der zuständigen Behörde

a) den versicherten Betrieb zur Verhinderung der Verbreitung von Seuchen geschlossen wird. […]"

Eine Definition der Seuchen enthält § 1 Ziffer 2 der Bedingungen:

"Seuchen sind die im folgenden aufgeführten – nach dem Bundesseuchengesetz meldepflichtigen - Krankheiten: […]"

Es schließt sich eine Auflistung einzelner Krankheiten an. Die Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) und das neuartige Coronavirus (SARS-CoV-2) werden nicht aufgeführt.

Das Bundesministerium für Gesundheit verkündete am 01.02.2020 die Verordnung über die Ausdehnung der Meldepflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 7 Abs. 1 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes auf Infektionen mit dem erstmals im Dezember 2019 in Wuhan/Volksrepublik China aufgetretenen neuartigen Coronavirus ("2019-nCoV"). Nach § 1 dieser Verordnung wurde die Pflicht zur namentlichen Meldung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG auf den Verdacht einer Erkrankung, die Erkrankung sowie den Tod in Bezug auf eine Infektion ausgedehnt, die durch das neuartige Coronavirus hervorgerufen wird. Das Infektionsschutzgesetz wurde mit Wirkung ab dem 23.05.2020 geändert. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG wurde um den Buchstaben t "Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19)" und § 7 Abs. 1 Satz 1 IfSG um die Nr. 44a "Severe-Acute-Respiratory-Syndrome-Coronavirus (SARS-CoV) und Severe-Acute-Respiratory-Syndrome-Coronavirus-2 (SARS-CoV-2)" erweitert.

Das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung erließ am 20.03.2020 "vor dem Hintergrund der äußerst dynamischen Verbreitung von Infektionen mit dem SARS-CoV-2 Virus und Erkrankungen an COVID-19" eine fachaufsichtliche Weisung an die niedersächsischen Landkreise, kreisfreien Städte und die Region Hannover und ordnete gestützt auf § 28 Abs. 1 IfSG an, durch Allgemeinverfügung die Schließung von Hotels, Restaurants, Speisegaststätten, Systemgastronomie, Imbissen, Mensen und dergleichen für den Publikumsverkehr zu verfügen. Der Außerhausverkauf und gastronomische Lieferdienste sollten davon ausgenommen sein. Die Landkreise, kreisfreien Städte und die Region Hannover setzten diese Weisung um und erließen entsprechende Regelungen.

Der Landkreis W. ordnete dementsprechend mit sofort vollziehbarer Allgemeinverfügung vom 20.03.2020 die Schließung von Restaurants, Speisegaststätten und Mensen für den Publikumsverkehr an. (Bl. 17ff d.A.)

In der Folge schloss die Klägerin ihren Betrieb für den Publikumsverkehr.

Mit ihrer Klage macht die Klägerin eine Gesamtsumme von 70.260,00 Euro für 30 Schließungstage geltend.

Sie ist der Ansicht, dass eine Auslegung der vereinbarten Versicherungsbedingungen ergebe, dass auch die Betriebsschließung wegen der Krankheit COVID-19 bzw. des Krankheitserregers SARS-CoV-2 vom Versicherungsschutz umfasst sei. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer müsse die Bedingungen der Beklagten so verstehen, dass es maßgeblich allein darauf ankomme, ob die Betriebsschließung aufgrund des Infektionsschutzgesetzes verfügt werde. Die in § 1 Ziffer 2 der Bedingungen genannten Seuchen seien nicht als statische Klausel, sondern eine dynamische Verweisung zu verstehen.

Ein anderes Verständnis der Bedingungen gehe nach der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten der Beklagten. Jedenfalls liege ein Verstoß gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB vor, der zur Unwirksamkeit von § 1 Ziffer 2 Bedingungen führe, da der Versicherungsnehmer nicht erkennen könne, dass der Versicherungsschutz gegenüber dem Infektionsschutzgesetz lückenhaft sei.

Auch ist sie der Auffassung, dass die Beklagte deshalb haften müsse, weil sie bei Auftreten der Corona-Pandemie im Internet Werbeaussagen getätigt habe, wonach Beeinträchtigungen durch Corona mitversichert seien. Eine Haftung ergebe sich auch daraus, dass die Beklagte im E-Mail-Verkehr mit anderen Versicherungsnehmern teilweise Deckungszusagen erteilt habe.

Die Klägerin beantragt,

Die Beklagte wird verurteilt, an sie 70.260,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. April 2020 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass Betriebsschließungen wegen COVID-19 und SARS-CoV-2 nicht vom Versicherungsschutz umfasst seien, weil die gedeckten Krankheiten und Krankheitserreger in § 1 Ziffer 2 der Versicherungsbedingungen abschließend aufgelistet seien, was sich unschwer an der Formulierung „die folgenden“ erkennen lasse. Ohnehin seien COVID-19 und SARS-CoV-2 erst später in die §§ 6 und 7 IfSG aufgenommen worden. Wäre eine dynamische Verweisung gewünscht gewesen, wäre es gänzlich unnötig, in die Zusatzbedingungen einen Katalog mit Krankheiten aufzunehmen.

Darüber hinaus bestehe auch deshalb kein Versicherungsschutz, weil nur betriebsinterne Gefahren versichert seien, was sich unmittelbar aus § 1 Ziffer 1 Buchstabe a der Bedingungen ergebe, während die Behörde hier eine abstrakt-generelle präventive Gesundheitsmaßnahme im Sinne eines "shutdowns" zur Verringerung der Kontakte in der Bevölkerung erlassen habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Leistungen aus der zwischen den Parteien bestehenden Betriebsschließungsversicherung. Die Leistungsvoraussetzungen für die Tagesentschädigung nach dem Versicherungsvertrag liegen nicht vor, weil die Betriebsschließung nicht wegen des Auftretens einer meldepflichtigen Krankheit oder eines meldepflichtigen Krankheitserregers im Sinne der Versicherungsbedingungen angeordnet wurde.

Ob Corona (Sars-CoV-2) eine Krankheit oder einen Erreger im Sinne der Versicherungsbedingungen darstellt, ist anhand der maßgeblichen Regelung in § 1 Ziffer 2 der Bedingungen zu beurteilen. Versicherungsbedingungen sind dabei objektiv auszulegen und so zu interpretieren, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen würde. Entscheidend sind hierbei die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - seine Interessen. Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut der Klausel. Das Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers orientiert sich nämlich in erster Linie am Wortlaut der Klausel und ihrem Sinn und Zweck (LG Oldenburg (Oldenburg), Urteil vom 21. Oktober 2020 – 13 O 1637/20; vgl. Reiff, in: Langheid/Wandt, Münchner Kommentar zum VVG, 2. Aufl. 2017, Bd. III, Ziffer 50 Rn. 79 m.w.N.).

Nach § 1 Ziffer 2 sind Seuchen im Sinne der Bedingungen "die im folgenden aufgeführten – nach dem Bundesseuchengesetz meldepflichtigen - Krankheiten: […]" Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer wird bei verständiger Würdigung schon angesichts der Wendung "die im folgenden" nur davon ausgehen, dass ausschließlich die in den Bedingungen im Einzelnen namentlich aufgezählten Krankheiten und Erreger vom Versicherungsschutz erfasst sein sollen (so auch Lüttringhaus, r+s 2020, 250). Für eine abschließende Auflistung spricht darüber hinaus, dass in § 1 Ziffer 2 der Bedingungen keine Öffnungsklausel etwa in Form der Verwendung der Ausdrücke "insbesondere", "u.a." oder "beispielsweise" enthalten ist (vgl. Günther, Anmerkung zum Beschluss des OLG Hamm vom 15.07.2020 - I-20 W 21/20 -, FD-VersR2020, 431078). Durch die Wendung "die folgenden" erfolgt darüber hinaus eine weitere Eingrenzung dergestalt, dass nur die folgenden, d.h. die in den Bedingungen genannten Krankheiten zu den bedingungsgemäßen Krankheiten zählen. Der Wortlaut der Klausel ist damit eindeutig abschließend. Der Versicherungsschutz beschränkt sich auf die im folgenden aufgeführten – nach dem Bundesseuchengesetz meldepflichtigen - Krankheiten, zu denen COVID-19 und Sars-CoV-2 nicht gehören. Eine Mehrdeutigkeit im Sinne von § 305c Abs. 2 BGB besteht nicht (LG Oldenburg (Oldenburg), Urteil vom 21. Oktober 2020 – 13 O 1637/20).

Die Klausel in § 1 Ziffer 2 der Bedingungen ist auch nicht deshalb intransparent gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und somit auch nicht gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, weil sie einerseits auf "die folgenden" Krankheiten verweist, andererseits aber das Bundesseuchengesetz in Bezug nimmt. Unter den Gesichtspunkten der Verständlichkeit und Bestimmtheit wird bei einem durchschnittlichen und verständigen Versicherungsnehmer durch die gewählte Formulierung nicht die Erwartung geweckt, dass noch andere als die im Bundesseuchengesetz genannten Krankheiten oder sogar andere, im Bundesseuchengesetz – bzw. dem Infektionsschutzgesetz - nicht genannte Krankheiten oder Erreger erfasst sein sollen (LG Oldenburg (Oldenburg), Urteil vom 21. Oktober 2020 – 13 O 1637/20; vgl. Lüttringhaus, r+s 2020, 250). Ein verständiger Versicherungsnehmer wird auch nicht davon ausgehen, dass spätere Änderungen der §§ 6 und 7 IfSG auf den Vertrag Anwendung finden. Dagegen spricht der klare Wortlaut von § 1 Ziffer 2 der Zusatzbedingungen ("die im folgenden aufgeführten … Krankheiten:") sowie die sich daran anschließende ausführliche Auflistung einer Vielzahl von Krankheiten. Betrachtet man diese beiden Aspekte zusammen, wird dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer deutlich, dass der Versicherer, um das Risiko im erträglichen Rahmen zu halten, nur für die in den Bedingungen Krankheiten einstehen möchte. Im Umkehrschluss folgt hieraus, dass der Versicherer für bei Vertragsschluss unbekannte Erreger nicht haftet (LG Oldenburg (Oldenburg), Urteil vom 21. Oktober 2020 – 13 O 1637/20; vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 15.07.2020 - I-20 W 21/20 -, juris, Rn. 4).

Auf die Äußerungen der Beklagten anlässlich der Corona-Pandemie zum Umfang des Versicherungsschutzes kommt es vorliegend nicht an. Sofern bei der Auslegung außerhalb der Vertragsurkunde liegende Umstände heranzuziehen wären, dann nur solche, die bereits bei Begründung des Versicherungsverhältnisses im Jahr 2009 vorlagen. Nach Vertragsschluss getätigte werbliche Aussagen der Beklagten bzw. Aussagen zu anderen Versicherungsvertragsverhältnissen haben für den vorliegenden Fall keine Bedeutung, da die Parteien sich vorliegend gerade nicht auf eine Änderung der Vertragsbedingungen des streitgegenständlichen Versicherungsvertrages geeinigt haben.

Da der Klägerin die begehrte Hauptforderung nicht zusteht, hat sie auch keinen Anspruch auf Nebenforderungen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 Satz 2 ZPO.