Landgericht Aurich
Beschl. v. 16.12.2021, Az.: 7 T 305/21
Bibliographie
- Gericht
- LG Aurich
- Datum
- 16.12.2021
- Aktenzeichen
- 7 T 305/21
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2021, 70783
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG - 11.11.2021 - AZ: 6 M 4137/21
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde vom 17.11.2021 wird der Beschluss des Amtsgerichts Norden vom 11.11.2021 aufgehoben.
Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts N. vom 16.09.2021 (Az.: 6 M 4137/21) wird wie folgt ergänzt:
Gemäß § 850c Abs. 6 ZPO wird angeordnet, dass das Kind M. J. S., geb. 2015, bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens nur zu 56% zu berücksichtigen ist.
Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde vom 17.11.2021 zurückgewiesen.
Die Beschwerdegegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer betreibt die Zwangsvollstreckung gegen die Beschwerdegegnerin aufgrund eines Vollstreckungsbescheides des AG Uelzen vom 20.03.2020.
Am 14.09.2021 beantragte der Beschwerdeführer über seine Verfahrensbevollmächtigte einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, den das Amtsgerichts am 16.09.2021 antragsgemäß erließ. Die Beschwerdegegnerin bezieht einen Monatsnettoverdienst von 1.658,35 Euro.
Am 27.09.2021 beantragte der Beschwerdeführer, die Drittschuldnerin anzuweisen, bei der Berechnung des pfändbaren Betrages den Sohn der Beschwerdegegnerin, M.J. S., geb. 2015, nur zu 50% zu berücksichtigen.
Die Beschwerdegegnerin befinde sich in Steuerklasse I und haben einen Kinderfreibetrag von 0,5. Aufgrund des Unterhaltsanspruches gegen den Vater sei das Kind nur zur Hälfte als unterhaltsberechtigte Person zu berücksichtigen. Kenntnis hinsichtlich der Höhe des Einkommens des Kindsvaters bestehe nicht, dieser erhalte jedoch mindestens den Regelsatz nach SGB II nebst Kosten für Unterkunft und Heizung.
Die Beschwerdegegnerin erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme, äußerte sich jedoch nicht.
Mit Beschluss vom 11.11.2021 wies das Amtsgericht den Antrag des Beschwerdeführers zurück. Auf die Begründung des Beschlusses wird insofern Bezug genommen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde vom 17.11.2021, auf deren Begründung ebenfalls Bezug genommen wird.
Das Amtsgericht half der Beschwerde nicht ab und legte die Akten mit Verfügung vom 18.11.2021 dem Landgericht vor.
Eine Stellungnahme der Beschwerdegegnerin erfolgte auch im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nicht.
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde hat auch in der Sache überwiegend Erfolg.
Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts, ermöglichen die Ausführungen des Beschwerdegegners die Ausübung der Ermessensentscheidung im Sinne von § 850c Abs. 6 ZPO.
Gemäß § 850c Abs. 6 ZPO – ehemals Abs. 4 - kann das Vollstreckungsgericht nach billigem Ermessen anordnen, dass eine nach dem Gesetz unterhaltsberechtigte Person, die eigene Einkünfte hat, bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt (BGH Beschl. v. 9.7.2020 – IX ZB 38/19, BeckRS 2020, 17794 Rn. 5, beck-online). Im Rahmen seiner Ermessensentscheidung hat das Vollstreckungsgericht zu erwägen, ob die eigenen Einkünfte des Unterhaltsberechtigten, die ihm für seinen Lebensunterhalt zur Verfügung stehen, dergestalt zu berücksichtigen sind, dass dem Schuldner für den damit bereits gedeckten Bedarf des Unterhaltsberechtigten ein Einkommensbetrag nicht verbleiben muss. An die Überprüfung dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden, um das Vollstreckungsverfahren nicht unpraktikabel zu machen (BGH, Beschluss vom 5. April 2005 - VII ZB 28/05, WM 2005, 1186, 1187). Von maßgebender Bedeutung ist zunächst die Höhe der Eigeneinkünfte des Unterhaltsberechtigten, sodann aber dessen Lebensbedarf, der aus diesen Einkünften zu bestreiten ist (BeckOK-ZPO/ Riedel, 2020, § 850c Rn. 24). Die im einzelnen Fall nach billigem Ermessen zu treffende Entscheidung obliegt dabei dem Tatrichter (BGH, Beschluss vom 5. November 2009 - IX ZB 101/09, NZI 2010, 578 Rn. 7; BGH Beschl. v. 9.7.2020 – IX ZB 38/19, BeckRS 2020, 17794 Rn. 6, beck-online).
Dabei sind Unterhaltszahlungen, die der Unterhaltsberechtigte vom anderen Elternteil oder Dritten bezieht, als eigene Einkünfte im Sinne des § 850c Abs. 6 ZPO zu berücksichtigen (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2019 - IX ZB 83/18, WM 2020, 288 Rn. 11). Auch Zuwendungen, die in Natur geleistet werden sind hier zu berücksichtigen.
Wie das Amtsgericht zutreffend festgestellt hat, obliegt es zunächst dem Gläubiger, schlüssig vorzutragen, wobei zu dem Vortrag auch die ungefähre Höhe der Eigeneinkünfte des Unterhaltsberechtigten gehört. Der Beschwerdeführer hat hier erklärt, dass er keine Kenntnis über das Einkommen des Kindesvaters habe, allerdings davon auszugehen sei, dass dieser zumindest den SGB II Regelsatz nebst Leistungen für Unterkunft und Heizung erhalte.
Dieser Vortrag ist seitens der Schuldnerin weder bestritten noch widerlegt worden und kann insofern als zugestanden gelten. Im Antragsverfahren nach Abs. 1, Abs. 6 sind die Angaben des Gläubigers bezüglich der Höhe des Einkommens des getrenntlebenden Ehegatten des Schuldners als zutreffend zu unterstellen, wenn der Schuldner den Vortrag des Gläubigers nicht bestreitet (MüKoZPO/Smid, 6. Aufl. 2020, ZPO § 850c Rn. 25).
Insofern ist davon auszugehen, dass der Vater jedenfalls den SGB II Regelsatz i.H.v. 446,- Euro nebst Leistungen für Unterkunft und Heizung bezieht, welche sich im angemessenen Rahmen auf 500 Euro beziffern lassen (AG Straubing, Beschluss vom 06. August 2020 – 1 M 733/20 –, Rn. 4, juris). Wie sich aus der Lohnabrechnung der Beschwerdegegnerin ergibt, ist diese in Steuerklasse I eingetragen und verzeichnet den hälftigen Kinderfreibetrag, sodass davon auszugehen ist, dass der Vater des Kindes die andere Hälfte verzeichnet und das Kind auch bei ihm lebt.
Es ist vorliegend mithin davon auszugehen, dass das Kind der Beschwerdegegnerin über eigene Einkünfte in Gestalt von Unterhaltsansprüchen gegen den Kindesvater verfügt, welche als eigenes Einkommen anzusehen sind und welche zu einer entsprechenden Berücksichtigung bei der Bemessung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens führen bzw. dass der Vater seiner Unterhaltsverpflichtung im Rahmen der Gewährung von Naturalunterhalt nachkommt. Bei der Berechnung des unpfändbaren Arbeitseinkommens sind Kindesunterhaltsleistungen nur anteilig zu berücksichtigen, da Unterhaltsansprüche gegen den anderen Elternteil als Einkommen anzusehen sind. Unentgeltliches Wohnen und freie Kost als Naturalunterhalt sind mit geleistetem Barunterhalt gleichwertig (AG Straubing, Beschluss vom 06. August 2020 – 1 M 733/20 –, juris).
Im Grundsatz ist gem. § 1606 Abs. 3 BGB davon auszugehen, dass beide Elternteile dem Kind in gleichem Maße unterhaltspflichtig sind. Vorliegend rechtfertigen die zu unterstellenden Einkommensverhältnisse des Vaters zwar keine hälftige, jedoch aber eine anteilige Berücksichtigung.
Danach ergibt sich unter Berücksichtigung des Regelsatzes für das Kind sowie eines Zuschlages von 50 Euro ein Vergleichswert auf Seiten des Vaters von 1305,- Euro (446 + 500 + 309 + 50 Euro) (vgl. hierzu auch AG Straubing, Beschluss vom 06. August 2020 – 1 M 733/20 –, Rn. 6, juris).
Die jeweiligen Einkommen stehen damit im Verhältnis 1305 Euro zu 1658,35 Euro, mithin im Verhältnis 44% zu 56 %.
Insofern rechtfertigt dies eine Berücksichtigung des Kindes der Beschwerdegegnerin lediglich zu 56%, nachdem davon auszugehen ist, dass der Kindesunterhalt zu 44% durch den Vater sichergestellt wird.
Eine Gefährdung des Kindesunterhaltes im Rahmen der Anordnung nach § 850c Abs. 6 ZPO ist vorliegend nicht ersichtlich. Insbesondere hat die Beschwerdegegnerin keine Aspekte vorgetragen, die zu ihren Gunsten zu berücksichtigen wären.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.