Landgericht Aurich
Urt. v. 08.03.2021, Az.: 3 O 677/20
Bibliographie
- Gericht
- LG Aurich
- Datum
- 08.03.2021
- Aktenzeichen
- 3 O 677/20
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2021, 71238
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 18.666 € festgesetzt.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Leistungen aus einer Betriebsschließungsversicherung.
Unter der Bezeichnung „R.“ betreibt er in E. ein Restaurant, für welches er bei der Beklagten eine Betriebsschließungsversicherung wegen Infektionsgefahr unterhält.
Der Versicherungsschein vom 18.04.2017 (Bl. 7 ff. d.A.) sieht eine Versicherungssumme von 210.000 € vor.
Dem Versicherungsvertrag liegen die Bedingungen für die Betriebsschließungs-Pauschalversicherung Gewerbe (BBSG 12) zugrunde.
In Ziffer 3.1 der Bedingungen ist in Bezug auf den Versicherungsumfang unter anderem Folgendes geregelt:
"Der Versicherer leistet bis zu den in Ziffer 9 genannten Entschädigungsgrenzen Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Infektionsschutzgesetzes beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Ziffer 3.4)
3.1.1.) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen nach Ziffer 3.4. ganz oder teilweise schließt; […]"
Eine Definition der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger enthält Ziff. 3.4. der Bedingungen:
"Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger, ausgenommen sind jedoch humane spongiforme Enzephalopathien nach § 6 (1) 1. d) IfSG."
Am Ende der Bedingungen findet sich folgender Text: „Anhang: Auszug aus dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) § 6 Meldepflichtige Krankheiten“
Es schließt sich eine Auflistung einzelner Krankheiten und einzelner Krankheitserreger an. Die Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) und das neuartige Coronavirus (SARS-CoV-2) werden nicht aufgeführt.
Gem. Ziff. 8.1 der Versicherungsbedingungen wird im Fall einer Schließung eine Entschädigung maximal für die Dauer von 30 Schließungstagen gewährt.
Das Bundesministerium für Gesundheit verkündete am 01.02.2020 die Verordnung über die Ausdehnung der Meldepflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 7 Abs. 1 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes auf Infektionen mit dem erstmals im Dezember 2019 in Wuhan/Volksrepublik China aufgetretenen neuartigen Coronavirus ("2019-nCoV"). Nach § 1 dieser Verordnung wurde die Pflicht zur namentlichen Meldung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG auf den Verdacht einer Erkrankung, die Erkrankung sowie den Tod in Bezug auf eine Infektion ausgedehnt, die durch das neuartige Coronavirus hervorgerufen wird. Das Infektionsschutzgesetz wurde mit Wirkung ab dem 23.05.2020 geändert. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG wurde um den Buchstaben t "Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19)" und § 7 Abs. 1 Satz 1 IfSG um die Nr. 44a "Severe-Acute-Respiratory-Syndrome-Coronavirus (SARS-CoV) und Severe-Acute-Respiratory-Syndrome-Coronavirus-2 (SARS-CoV-2)" erweitert.
Das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung erließ am 20.03.2020 "vor dem Hintergrund der äußerst dynamischen Verbreitung von Infektionen mit dem SARS-CoV-2 Virus und Erkrankungen an COVID-19" eine fachaufsichtliche Weisung an die niedersächsischen Landkreise, kreisfreien Städte und die Region Hannover und ordnete gestützt auf § 28 Abs. 1 IfSG an, durch Allgemeinverfügung die Schließung von Hotels, Restaurants, Speisegaststätten, Systemgastronomie, Imbissen, Mensen und dergleichen für den Publikumsverkehr zu verfügen. Der Außerhausverkauf und gastronomische Lieferdienste sollten davon ausgenommen sein. Die Landkreise, kreisfreien Städte und die Region Hannover setzten diese Weisung um und erließen entsprechende Regelungen. Gleiches gilt für den Landkreis Wittmund, in dessen Gebiet sich das Restaurant des Klägers befindet.
In der Folge schloss der Kläger sein Restaurant für den Publikumsverkehr.
Mit seiner Klage macht der Kläger für seinen Betrieb eine Entschädigung für 30 Tage in Höhe von insgesamt 18.666,00 € geltend.
Er ist der Ansicht, dass eine Auslegung der vereinbarten Versicherungsbedingungen ergebe, dass auch die Betriebsschließung wegen der Krankheit COVID-19 bzw. des Krankheitserregers SARS-CoV-2 vom Versicherungsschutz umfasst sei. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer müsse die Bedingungen der Beklagten so verstehen, dass es maßgeblich allein darauf ankomme, ob die Betriebsschließung aufgrund des Infektionsschutzgesetzes verfügt werde. Die in den Bedingungen genannten Krankheiten und Krankheitserreger seien nicht im Sinne eines abschließenden Katalogs, sondern nur beispielhaft aufgeführt. Dass die COVID-19-Krankheit und der Krankheitserreger SARS-CoV-2 von den Bedingungen umfasst seien, ergebe sich schon daraus, dass auf die §§ 6 und 7 IfSG insgesamt, mithin auch auf die Generalklauseln in § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG und § 7 Abs. 2 IfSG Bezug genommen werde.
Ein anderes Verständnis der Zusatzbedingungen gehe nach der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten der Beklagten. Jedenfalls liege ein Verstoß gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB vor, der zur Unwirksamkeit von Einschränkungen in den Bedingungen führe, da der Versicherungsnehmer nicht erkennen könne, dass der Versicherungsschutz gegenüber dem Infektionsschutzgesetz lückenhaft sei.
Der Kläger beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 18.666,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
2. die Beklagte weiter zu verurteilten, an ihn 442,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, dass Betriebsschließungen wegen COVID-19 und SARS-CoV-2 nicht vom Versicherungsschutz umfasst seien, weil die gedeckten Krankheiten und Krankheitserreger in den Versicherungsbedingungen abschließend aufgelistet seien, was sich unschwer an der Formulierung „Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden“ erkennen lasse. Ohnehin seien COVID-19 und SARS-CoV-2 erst später in die §§ 6 und 7 IfSG aufgenommen worden. Kein Versicherungsnehmer könne bei Vertragsschluss im Jahr 2017 auf die Idee kommen, dass andere als die im Jahr 2017 namentlich im IfSG genannten Krankheiten vom Versicherungsschutz umfasst seien. Der Versicherungsschutz beziehe sich ausschließlich auf die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im IfSG im einzelnen aufgezählten Krankheiten. Dass keine dynamische Verweisung erfolgt sei, lasse sich auch daran erkennen, dass die Bedingungen sogar eine Krankheit explizit vom Versicherungsschutz ausnehmen würden, nämlich die spongiforme Enzephalopathie.
Auch sei die Jahresprämie in Höhe von netto 83,33 €, also monatlich knapp 7 €, außerordentlich niedrig. Bei diesem Preis könne ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer keine dynamische Verweisung erwarten, da das Risiko für den Versicherer sonst unkalkulierbar würde.
Darüber hinaus bestehe auch deshalb kein Versicherungsschutz, weil nur betriebsinterne Gefahren versichert seien, während die Behörde hier eine abstrakt-generelle präventive Gesundheitsmaßnahme im Sinne eines "shutdowns" zur Verringerung der Kontakte in der Bevölkerung erlassen habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird auf bei der Akte befindlichen Schriftsätze Bezug genommen.
Die Klage ist der Beklagten am 18.08.2020 zugestellt worden.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Leistungen aus der zwischen den Parteien bestehenden Betriebsschließungsversicherung. Die Leistungsvoraussetzungen für die Tagesentschädigung liegen nicht vor, weil die Betriebsschließung nicht wegen des Auftretens einer meldepflichtigen Krankheit oder eines meldepflichtigen Krankheitserregers im Sinne der Versicherungsbedingungen angeordnet wurde.
Ob die COVID-19-Erkrankung oder das Corona-Virus (Sars-CoV-2) eine Krankheit oder einen Erreger im Sinne der Versicherungsbedingungen darstellen, ist anhand der maßgeblichen Regelung in Ziff. 3.4. der Bedingungen zu beurteilen. Versicherungsbedingungen sind dabei objektiv auszulegen, nämlich so, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen an. Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut der Klausel. Das Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers orientiert sich nämlich in erster Linie am Wortlaut der Klausel und ihrem Sinn und Zweck (LG Oldenburg (Oldenburg), Urteil vom 21. Oktober 2020 – 13 O 1637/20; vgl. Reiff, in: Langheid/Wandt, Münchner Kommentar zum VVG, 2. Aufl. 2017, Bd. III, Ziffer 50 Rn. 79 m.w.N.).
Nach Ziff. 3.4. sind "meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen […] die im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger, ausgenommen sind jedoch humane spongiforme Enzephalopathien“. Um zu verdeutlichen, welche Erreger genau umfasst sind, findet sich am Ende der Bedingungen der „Anhang: Auszug aus dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) § 6 Meldepflichtige Krankheiten“ in welchem die einzelnen Krankheiten und Krankheitserreger enumerativ aufgezählt sind.
Für eine abschließende Auflistung spricht, dass in den Bedingungen keine Öffnungsklausel etwa in Form der Verwendung der Ausdrücke "insbesondere", "u.a." oder "beispielsweise" enthalten ist (vgl. Günther, Anmerkung zum Beschluss des OLG Hamm vom 15.07.2020 - I-20 W 21/20 -, FD-VersR2020, 431078). Eine solche öffnende Wirkung kommt hier dem Wort "namentlich" gerade nicht zu. Aufgrund seiner Position im Satzgefüge kann "namentlich" nicht im Sinne von "insbesondere", "hauptsächlich" oder "vor allem" verstanden werden, sondern erkennbar nur im Sinne von "dem Namen nach" (OLG Oldenburg, Hinweisbeschluss vom 11. Februar 2021 – 1 U 261/20; LG Oldenburg (Oldenburg), Urteil vom 21. Oktober 2020 – 13 O 1637/20; vgl. Rixecker, in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Coronakrise, 2. Aufl. 2020, § 11 Rn. 61 f.).
Auch der Umstand, dass die §§ 6 und 7 IfSG in Ziffer 3.4. der Bedingungen ohne weitere Eingrenzung etwa durch die Nennung von Absätzen, Sätzen und Nummern in Bezug genommen werden, spricht nicht dafür, dass sämtliche unter die §§ 6 und 7 IfSG fallende Krankheiten und Erreger als versicherte Ursache der Betriebsschließung in Betracht kommen sollen. Denn durch die Verwendung des Wortes "namentlich" im unmittelbaren Anschluss an die §§ 6 und 7 IfSG wird deutlich, dass gerade nur die in §§ 6 und 7 IfSG dem Namen nach genannten Krankheiten und Erreger gemeint sein sollen. Auf die Generalklauseln in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 IfSG und § 7 Abs. 2 IfSG soll somit von vornherein nicht verwiesen werden (OLG Oldenburg, Hinweisbeschluss vom 11. Februar 2021 – 1 U 261/20; LG Oldenburg (Oldenburg), Urteil vom 21. Oktober 2020 – 13 O 1637/20; vgl. auch Lüttringhaus, r+s 2020, 250 <253>).
Durch den Ausschluss der humanen spongiformen Enzephalopathien erfolgt sodann eine weitere Eingrenzung. Der Wortlaut der Klausel ist damit eindeutig abschließend. Der Versicherungsschutz beschränkt sich auf die namentlich aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger, zu denen COVID-19 und Sars-CoV-2 nicht gehören. Eine Mehrdeutigkeit im Sinne von § 305c Abs. 2 BGB besteht nicht.
Unter den Gesichtspunkten der Verständlichkeit und Bestimmtheit wird bei einem durchschnittlichen und verständigen Versicherungsnehmer durch die gewählte Formulierung nicht die Erwartung geweckt, dass noch andere als die im Infektionsschutzgesetz genannten Krankheiten oder Erreger oder sogar andere, im Infektionsschutzgesetz nicht genannte Krankheiten oder Erreger erfasst sein sollen. Ein verständiger Versicherungsnehmer wird auch nicht davon ausgehen, dass spätere Änderungen der §§ 6 und 7 IfSG auf den Vertrag Anwendung finden. Dagegen spricht der klare Wortlaut von Ziff. 3.4. der Bedingungen sowie die am Ende vorgenommene ausführliche Auflistung einer Vielzahl von Krankheiten und Erregern. Beides zusammen macht dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer deutlich, dass der Versicherer, um das Risiko im erträglichen Rahmen zu halten, nur für die in den Bedingungen benannten Erreger und Krankheiten einstehen will, nicht jedoch für bei Vertragsschluss unbekannte Erreger (OLG Oldenburg, Hinweisbeschluss vom 11. Februar 2021 – 1 U 261/20; LG Oldenburg (Oldenburg), Urteil vom 21. Oktober 2020 – 13 O 1637/20; vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 15.07.2020 - I-20 W 21/20 -, juris, Rn. 4).
Mangels Hauptforderung stehen dem Kläger auch keine Nebenforderungen zu.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO.