Landgericht Aurich
Beschl. v. 27.08.2021, Az.: 7 T 89/20

Bibliographie

Gericht
LG Aurich
Datum
27.08.2021
Aktenzeichen
7 T 89/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 70780
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG - AZ: 16a XVII 368/19

Tenor:

Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Amtsgerichts Aurich aufgehoben. Das Amtsgericht wird angewiesen, nach Maßgabe der nachfolgenden Gründe für die Betroffene einen Betreuer für die Bereiche Aufenthalt und Wohnung zu bestellen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe

I.

Die 82-jährige Betroffene leidet an einer fortgeschrittenen Parkinson- und Demenzerkrankung, wegen der sie ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst erledigen kann. Sie hat die Pflegestufe 5. Im Jahr 2014 hatte sie ihren beiden Kindern, den Beteiligten zu 1) und 2) notarielle Vorsorgevollmacht jeweils zur Alleinvertretung erteilt. Die Betroffene wurde zunächst überwiegend im Haus der Familie in G. durch ihren ein Jahr älteren Ehemann, den Beschwerdeführer, und ihren Sohn F. versorgt und gepflegt. Anlässlich einer Erkrankung des Ehemanns veranlasste der nunmehr in W. wohnende Sohn im April 2018 die Aufnahme der Betroffenen in eine dortige Pflegeeinrichtung. Der Ehemann verlagerte dorthin vorübergehend seinen Aufenthalt und kehrte nach gesundheitlicher Wiederherstellung nach G. zurück. Zunächst besuchte er die Betroffene mehrmals wöchentlich unter Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Da er im Jahr 2020 bei einer solchen Reise stürzte, erfolgen seine Besuche nunmehr nur noch einmal wöchentlich, wobei er sich durch einen Dritten mit dem Pkw fahren lässt. In die Oberwohnung des Hauses in G. ist mittlerweile die weitere Tochter des Beschwerdeführers M. mit ihrem Ehemann eingezogen.

Die Beteiligten zu 1) und 2) befürworten den Verbleib der Betroffenen in der Pflegeeinrichtung in W. Sie halten die gesundheitliche Belastung einer Verlegung nach G. für unzumutbar, da Lebensgefahr bestünde. Der Beschwerdeführer hingegen verfolgt das Ziel, die Betroffene wieder bei sich zu Haus in G. aufzunehmen oder, sollte dies nicht möglich sein, sie in einer Pflegeeinrichtung in G. unterzubringen, da er dann täglich für sie da sein könne. Zur Durchsetzung dieses Ziels regt er die Bestellung eines Betreuers an.

Durch den angefochtenen Beschluss, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, hat das Amtsgericht Aurich die Einrichtung einer Betreuung für die Betroffene abgelehnt. Dagegen richtet sich die fristgerecht eingelegte und nach § 58 Abs. 1 FamFG statthafte Beschwerde, mit der die Einrichtung einer Betreuung für die Betroffene erstrebt wird. Das Landgericht hat die Beschwerde zunächst mit Beschluss vom 27.03.2020 zurückgewiesen. Auf die Rechtsbeschwerde des Beschwerdeführers hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 21.04.2021 (XII ZB 164/20) den Beschluss des Landgerichts Aurich aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Das Landgericht habe sich mit der Frage der Eignung der Vorsorgebevollmächtigten nicht hinreichend auseinandergesetzt. Die Ausführungen des Landgerichts seien fehlerhaft, soweit dem grundrechtlichen Schutz der Ehe kein ausreichendes Gewicht beigemessen worden sei.

II.

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat in der Sache nunmehr Erfolg.

Die amtsgerichtliche Entscheidung ist unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens, des anzulegenden Maßstabs und der Ergebnisse des eingeholten Sachverständigengutachtens zu beanstanden und daher aufzuheben. Die Voraussetzungen für die Einrichtung einer Betreuung gemäß § 1896 BGB liegen vor. Die Auswahl eines geeigneten Betreuers obliegt dem Amtsgericht.

Gemäß § 1896 Abs. 1 BGB bestellt das Betreuungsgericht einen Betreuer, wenn ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann. Nach § 1896 Abs. 2 S. 1 BGB darf ein Betreuer darüber hinaus nur bestellt werden, soweit die Betreuerbestellung erforderlich ist. Dies ist gemäß § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB nicht der Fall, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können.

Die vorliegend von der Betroffenen erteilte Vorsorgevollmacht steht der Bestellung eines Betreuers aber dann nicht entgegen, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, insbesondere, weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch den Bevollmächtigten eine konkrete Gefahr für das Wohl der Betroffenen begründet (vgl. BGH, Beschluss vom 21.04.2021 – XII ZB 164/20). Letzteres ist der Fall, wenn der Bevollmächtigte wegen erheblicher Bedenken an seiner Geeignetheit oder Redlichkeit ungeeignet erscheint (vgl. BGH, a.a.O.). Hierbei ist ein Missbrauch der Vollmacht bzw. ein entsprechender Verdacht nicht erforderlich. Vielmehr sind konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Bevollmächtigte nicht mehr entsprechend der Vereinbarung und dem Interesse des Vollmachtgebers handelt, ausreichend (vgl. BGH, NJW-RR 2012, 834 [BGH 21.03.2012 - XII ZB 666/11]).

Vorliegend ist die Bestellung eines Betreuers für die Aufgabenbereiche Aufenthalt und Wohnung erforderlich, da diese Angelegenheiten der Betroffenen durch die bevollmächtigten Kinder der Betroffenen nicht in einer Weise geregelt werden, wie sie dem Interesse der Betroffenen als Vollmachgeberin entsprechen.

Dabei sind die verschiedenen Interessen der Betroffenen zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen. Die gerichtliche Bestellung eines Betreuers bedeutet für den Betroffenen einen gewichtigen Grundrechtseingriff, weil sie dessen Entscheidungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG ganz oder teilweise in den vom Gericht bestimmten Angelegenheiten einschränkt (vgl. BVerfG FamRZ 2008, 2260, 2261). Im Gegenzug kann sich unter dem Gesichtspunkt der dem Staat obliegenden grundrechtlichen Schutzpflichten im Einzelfall die Notwendigkeit einer Betreuungsanordnung ergeben. So enthält Art. 6 Abs. 1 GG eine „wertentscheidende Grundsatznorm“, die für den Staat die Pflicht begründet, Ehe und Familie zu schützen und zu fördern (BVerfG FamRZ 1992, 1038, 1039). Die Ehe ist hiernach als umfassende, grundgesetzlich geschützte und auflösbare Lebensgemeinschaft gewährleistet (vgl. BGH, Urteil vom 07.11.2001 – XII ZR 247/00. Allerdings steht auch die Gemeinschaft zwischen Eltern und ihren volljährigen Kindern unter dem Schutz von Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (BVerfG NJW 1981, 1943 [BVerfG 05.02.1981 - 2 BvR 646/80]).

Dieses zugrunde gelegt, hätten die Bevollmächtigten eine Verlegung der Betroffenen in eine Pflegeeinrichtung in G. anstreben müssen. Das Unterlassen begründet deren Ungeeignetheit für die Aufgabenbereiche Aufenthalt und Wohnung.

Zunächst ist die grundsätzliche Entscheidung der Bevollmächtigten im Jahr 2018 für die Pflegeeinrichtung in W. nicht zu beanstanden. Die Erforderlichkeit ergab sich aufgrund eines Krankenhausaufenthalts der Betroffenen und des Umstandes, dass eine Rückkehr in das Haus in G. wegen der gesundheitlichen Probleme des Beschwerdeführers nicht möglich war. Soweit der Beschwerdeführer in dem Zusammenhang seinen Lebensmittelpunkt auch in die Pflegeeinrichtung in W. verlegt hatte, war die eheliche Lebensgemeinschaft hergestellt. Nach der Genesung des Beschwerdeführers und seiner Rückkehr nach G. änderte sich aber die Sachlage. Zwar ist eine Rückkehr der Betroffenen in das gemeinsame Haus aufgrund ihres umfangreichen Pflegebedarfs ausgeschlossen. Da ausweislich des Sachverständigengutachtens eine für die Betroffene geeignete Pflegeeinrichtung auch in G. zu finden sein wird und eine finanzielle Sicherung der Kosten nach den Angaben des Beschwerdeführers unter ggfs. weiterer Beleihung des gemeinsamen Hausgrundstücks in G. möglich wäre, ist die gute Pflege der Betroffenen in W. nicht hinreichend, einem Pflegeplatzwechsel nach G. entgegenzustehen.

Wesentlicher Abwägungspunkt ist damit die Frage, ob eine Verlegung der Betroffenen nach G. in ein Pflegeheim in räumlicher Nähe zu ihrem Ehemann zur Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit unvertretbaren gesundheitlichen Risiken für die Betroffene verbunden wäre. Dabei ist die Wiederherstellung der Ehe ausweislich des grundgesetzlichen Schutzes ein so hohes Gut, dass vorübergehende gesundheitliche Einschränkungen hinzunehmen sein werden.

So liegt es hier, denn ausweislich des Gutachtens der Frau Dr. B. ist bei einer räumlichen Verlegung lediglich „mit großer Wahrscheinlichkeit zumindest mit einer temporären Verschlechterung des Allgemeinzustandes der Betroffenen“ zu rechnen. Zu berücksichtigen, aber nicht konkret vorhersagbar sei, dass es zu depressiver Niedergestimmtheit mit Inappetenz und Verweigerung der Flüssigkeit bis hin zu konsekutiven aggressiven Impulsdurchbrüchen und einer deliranten Symptomatik kommen könne. Abgesehen davon, dass eine bloß temporäre gesundheitliche Verschlechterung nicht hinreichend ist, einer Verlegung entgegenzustehen, können negativen Folgen des Wechsels nach G. durch die Zuwendung seitens des Ehemannes zumindest teilweise kompensiert werden. In dem Zusammenhang ist auf die Bekundung der Verfahrenspflegerin hinzuweisen, dass bei Besuchen in W. ein grundsätzlich liebevoller Umgang des Beschwerdeführers mit seiner Ehefrau festzustellen war.

Die Berücksichtigung der Kontakte der Betroffenen zu ihren drei Kindern steht dieser Abwägung zugunsten einer Verlegung nicht entgegen. Zwar ist es für den Beteiligten zu 2) grundsätzlich aufwändiger, die Betroffene zu besuchen und bei den Arztbesuchen zu begleiten. Demgegenüber ist es für die beiden in G. und V. wohnhaften Kinder hingegen einfacher, die Betroffene zu besuchen und die Begleitung durch nahestehende Personen zu Arztbesuchen sicherzustellen, so dass es in der Gesamtschau weiterhin zu einer hinreichenden Kontaktpflege der Kinder zu ihrer Mutter kommen kann. Angesichts des Lebensalters ist es für den in W. lebenden Sohn auch weniger belastend, nach G. zu reisen, als für den Beschwerdeführer, nach W. zu reisen.

Da die Bevollmächtigten sich bei ihrer Entscheidung allein davon leiten lassen, dass die Unterbringung in W. keine gesundheitlichen Nachteile für die Betroffene hat, während sie eine Verlegung nach G. für sehr riskant für die Gesundheit der Betroffenen halten, und die Nähe zum Sohn dessen Handlungen im Zusammenhang mit Besuchen und Sicherstellung bestmöglicher ärztlicher Betreuung erleichtert, und demgegenüber die Realisierung der Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft allein in den Verantwortungsbereich des Beschwerdeführers verschieben, ist die Außerachtlassung der zu berücksichtigenden Interessen der Betroffenen hinreichend belegt. Damit sind sie für die Regelung der Aufgabenbereiche Aufenthalt und Wohnung für die Betroffene ungeeignet.

Die Kammer hat die Verfahrenspflegerin, den Beschwerdeführer und die Beteiligte zu 1) angehört. Die Kammer hat von einer Anhörung der Betroffenen abgesehen, da keine weitergehenden Erkenntnisse zu erwarten sind, § 68 Abs. 2 Satz 2 FamFG. Die Betroffene wurde vom Amtsgericht angehört. Ihre leisen Antworten deuteten zwar auf einen Rückkehrwunsch nach G. hin, wurden von der Amtsrichterin jedoch nicht für maßgebend erachtet, da sie nicht herausfinden konnte, ob die Betroffene die Fragen tatsächlich verstanden hat. Ausweislich der Mitteilung der Verfahrenspflegerin und der Sachverständigen ist eine Kommunikation mittlerweile nicht mehr zielführend möglich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 FamFG.