Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 17.08.2005, Az.: 2 K 437/03
Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und Rückforderung des bereits gezahlten Kindergeldes; Voraussetzungen des Anspruchs auf Kindergeld; Anforderungen an die Aufrechterhaltung des Inlandswohnsitzes des Kindes im Sinne eines Innehabens desselben im Falle des Schulbesuchs in der Türkei; Wesen eines Wohnsitzes im steuerrechtlichen Sinne; Relevanz eines Willens zur Rückkehr nach Deutschland
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 17.08.2005
- Aktenzeichen
- 2 K 437/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 29700
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2005:0817.2K437.03.0A
Rechtsgrundlagen
- § 63 Abs. 1 S. 3 EStG
- § 70 Abs. 2 EStG
- § 8 AO 1977
- § 37 Abs. 2 AO
Fundstelle
- NWB direkt 2006, 6
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Der Anspruch auf Kindergeld setzt voraus, dass das Kind, für das der Anspruch geltend gemacht wird, über einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland verfügt.
- 2.
Aufenthalte in der elterlichen Wohnung in den Schulferien von insgesamt nicht einmal drei Monaten im Jahr reichen nicht aus, die Aufrechterhaltung des Inlandswohnsitzes zu bejahen.
- 3.
Die Bescheinigung des türkischen Generalkonsulats über Grenzübertritte in der Türkei liefert keinen Beweis für Inlandsaufenthalte.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger trotz des Schulbesuchs seiner Kinder in der Türkei Anspruch auf Kindergeld hat.
Der Kläger ist türkischer Herkunft und bezieht eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Daneben zahlte der Beklagte ihm für seine drei Kinder jeweils bis Februar 2001 Kindergeld. Die Ehefrau des Klägers war nicht berufstätig.
Die Tochter A (geb. 1985) besuchte bis zum Abschluss des ersten Halbjahres der 5. Klasse der Orientierungsstufe im Januar 1997 eine Schule in Deutschland. Der Sohn B (geb. 1986) besuchte eine deutsche Grundschule bis zum Abschluss der 4. Klasse im Juli 1997. Der Sohn C (geb. 1994) besuchte zu keinem Zeitpunkt eine Schule in Deutschland. Am 16. August 1997 reiste die Familie zusammen in die Türkei. Die Familie unterhält dort eine Wohnung. Die älteren beiden Kinder setzten seither am Wohnort der Familie in der Türkei ihre Schulausbildung fort. Der jüngste Sohn begann dort später seine Schulausbildung. Im Dezember 1997 wurde die Familie in die deutsche Staatsbürgerschaft eingebürgert.
Die Familienmitglieder waren im streitigen Zeitraum (Februar 1997 bis Januar 2001) unter verschiedenen Anschriften in Deutschland gemeldet. Dem Kläger gehörte seit 1996 eine Eigentumswohnung in B. (X Str. 32), die er nach eigenen Angaben anfänglich mit seiner Familie bewohnte. Im gleichen Haus verfügte auch der Bruder des Klägers über eine eigene Wohnung. Ab April 1998 vermietete der Kläger seine Wohnung an einen fremden Dritten und verkaufte die Wohnung später im Jahre 2002. Zwischenzeitlich will er mit seiner Familie eine Wohnung im ersten Obergeschoss des Gebäudes eines Moscheevereins bewohnt haben.
Nachdem der Beklagte erfahren hatte, dass die Kinder des Klägers seit geraumer Zeit eine deutsche Schule nicht besuchten, hob der Beklagte die Kindergeldfestsetzung für die entsprechenden Zeiträume auf und forderte die Rückzahlung des überzahlten Kindergeldes.
Die Aufhebung und Rückforderung setzte sich - nachdem zwischenzeitlich ein Änderungsbescheid bzgl. des Kindes B aufgrund einer weiteren Schulbescheinigung ergangen war - zuletzt wie folgt zusammen:
von | bis | Betrag | |
---|---|---|---|
A | 01.02.1997 | 28.02.2001 | 11.840 DM |
B | 01.10.1997 | 28.02.2001 | 12.300 DM |
C | 01.05.2000 | 28.02.2001 | 2.700 DM |
Dagegen richtet sich nach erfolglosem Einspruch die Klage.
Der Kläger ist der Ansicht, er und seine Familie habe in Deutschland einen Wohnsitz beibehalten. Dies werde durch Meldebescheinigungen der zuständigen Behörde bestätigt. Die Familie habe sich insbesondere regelmäßig in den Schulferien in ihrer jeweiligen deutschen Wohnung aufgehalten. Durch eine schriftliche Bestätigung des türkischen Generalkonsulates seien die Ein- und Ausreisen hinreichend nachgewiesen. Das Kindergeld habe ihm daher zugestanden.
Der Kläger beantragt,
den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 3. Mai 2002 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 3. Juli 2003 und des Einspruchsbescheides aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
hält daran fest, dass die Voraussetzungen für den Bezug von Kindergeld nicht bestanden und die Aufhebung und Rückforderung berechtigt gewesen sei.
Gründe
Die Klage ist unbegründet.
Der Beklagte durfte die Kindergeldfestsetzung aufheben und das bereits gezahlte Kindergeld vom Kläger zurückfordern (§§ 70 Abs. 2 EStG, § 37 Abs. 2 AO), da der Kläger einen im jeweiligen Streitzeitraum fortbestehenden Wohnsitz der Kinder im Inland nicht nachgewiesen hat. Der Kindergeldanspruch des Klägers setzt u.a. voraus, dass die drei Kinder im Streitzeitraum über einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland verfügt haben. Dafür trägt somit der Kläger die Feststellungslast (BFH-Urteil vom 23. November 2000, VI R 107/99, BStBl II 2001, 294). Den Nachweis hat der indes nicht erbracht.
Die Kinder können jeweils seit dem Beginn ihres Schulbesuchs in der Türkei nicht mehr nach § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG berücksichtigt werden, da sie keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik, in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder in einem Staat hatten, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet. Die Türkei zählt nicht zu den in § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG genannten Staaten.
§ 8 AO 1977 bestimmt, ob eine natürliche Person im Inland einen Wohnsitz hat. Danach kommt es darauf an, ob die betreffende Person im Inland eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass sie die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Er setzt neben zum dauerhaften Wohnen geeigneten Räumlichkeiten das Innehaben der Wohnung in dem Sinne voraus, dass der Steuerpflichtige tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit - wenn auch in größeren Zeitabständen - aufsucht. Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken reicht nicht aus (BFH-Urteile vom 23. November 1988, II R 139/87, BFHE 155, 29 , BStBl II 1989, 182, m.w.N.; in BFHE 174, 523 , BStBl II 1994, 887 ). Außer dem Innehaben einer Wohnung setzt der Wohnsitzbegriff Umstände voraus, die darauf schließen lassen, dass die Wohnung durch den Inhaber beibehalten und als solche genutzt werden soll. Das Wesen eines Wohnsitzes im steuerrechtlichen Sinne besteht somit darin, dass objektiv die Wohnung ihrem Inhaber jederzeit (wann immer er es wünscht) als Bleibe zur Verfügung steht und von ihm subjektiv zur entsprechenden Nutzung auch bestimmt ist. In dieser zur objektiven Nutzung hinzutretenden subjektiven Bestimmung liegt der Unterschied zwischen dem bloßen Aufenthaltnehmen in einer Wohnung und dem Wohnsitz (BFH-Urteile vom 26. Februar 1986, II R 200/82 , BFH/NV 1987, 301, sowie vom 23. November 2000, VI R 165/99, BStBl II 2001, 279).
Jedenfalls die drei Kinder des Klägers verfügten im Streitzeitraum nicht mehr über einen solchen Wohnsitz im Inland, da der Kläger nicht nachgewiesen hat, dass sie ihren Wohnsitz in der Wohnung ihrer Eltern in der Bundesrepublik beibehalten haben.
Zwar sollen die Kinder - nach den Angaben des Klägers - nach der jeweiligen Schulausbildung in der Türkei wieder in die Bundesrepublik zurückkehren. Das reicht aber nicht dazu aus, um die Beibehaltung des Inlandswohnsitzes zu bejahen. Der Wille zur Rückkehr besagt auch bei einem deutschen Kind nichts darüber, ob der Wohnsitz im Inland während der Dauer des Auslandsaufenthaltes beibehalten oder aber aufgegeben und nachfolgend neu begründet wird#. Nach der Rechtsprechung reichen Aufenthalte in der elterlichen Wohnung in den Schulferien von insgesamt nicht einmal drei Monaten im Jahr nicht aus, um die Aufrechterhaltung des Inlandswohnsitzes anzunehmen (BFH-Urteil vom 23. November 2000, VI R 165/99, aaO.). Solche Aufenthalte während der Schulferien kommen nicht einem Aufenthalt mit Wohncharakter gleich und bedeuten deshalb kein "zwischenzeitliches Wohnen" in der bisherigen Wohnung. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die vorgesehene Dauer des Auslandsaufenthalts von vielen Jahren bis zum Abschluss der Schulausbildung. Im Einzelnen:
a.)
Der Kläger hat nicht nachgewiesen, dass die Tochter A im Streitzeitraum (1. Februar 1997 bis 28. Februar 2001) einen Wohnsitz im Inland beibehalten hat. Sie ist bereits unstreitig im Januar oder Februar 1997 zum weiteren Schulbesuch in die Türkei gereist. Die deutsche (5. Klasse der Orientierungsstufe) besuchte sie seither nicht mehr. Der Kläger hat nicht einmal Besuchs- oder Ferienaufenthalte im Inland substantiiert dargelegt oder nachgewiesen. Nach den Angaben des Klägers ist die Tochter im August 1997 in die Türkei eingereist. Der Aufenthaltsort vor dieser Einreise ist nicht nachgewiesen. Danach ist sie einmal im Januar 1999 aus der Türkei mit unbekanntem Ziel ausgereist. Ferner hat der Kläger eine weitere Einreise in die Türkei nach dem Streitzeitraum im September 2001 dargetan. Die Bescheinigung des türkischen Generalkonsulats über Grenzübertritte in der Türkei liefert keinen Beweis für Inlandsaufenthalte. Die Tochter mag im Zusammenhang mit einer Ausreise aus der Türkei nicht nach Deutschland, sondern in ein Drittland zum Urlaub oder zu Verwandten gereist sein.
Selbst wenn man annehmen wollte, dass es sich um Reisen nach oder aus Deutschland gehandelt habe, würde dies für einen fortbestehenden Inlandswohnsitz nicht ausreichen, da innerhalb des 4-jährigen Streitzeitraums allenfalls zwei Inlandsaufenthalte unbekannter Dauer bestanden hätten. Zudem hat der Kläger auch nicht einmal geltend gemacht, dass und ggf. wann seine inzwischen 20-jährige Tochter dauerhaft ins Inland zurück gekehrt sei. Sie kann seit dem 1. Dezember 2003 auch gar nicht in eine Wohnung des Klägers im Inland zurückkehren, da der Kläger jedenfalls ab diesem Zeitpunkt über keine eigene Wohnung im Inland mehr verfügte. Vielmehr durften der Kläger und seine Familie lediglich Räume in der Wohnung der Schwester des Klägers mitbenutzen und zusätzlich "Kellerräume" bewohnen. Das reicht steuerrechtlich nicht aus.
b.)
Auch für den Sohn B hat der Kläger eine fortbestehenden Wohnsitz im Inland im Zeitraum vom 1. Oktober 1997 bis zum 28. Februar 2001 nicht nachgewiesen. Auch dieser Sohn besuchte seither die deutsche Regelschule nicht mehr. Inlandsaufenthalte sind - ebenso wie bei der Schwester A - nicht konkret dargetan. Auch hat der Kläger nur die Ein- und Ausreisen in und aus der Türkei wie bei seiner Tochter A geltend gemacht. Das reicht ebenso wie bei der Tochter nicht aus. Auch der inzwischen 19-jährige Sohn lebt nicht wieder dauerhaft im Inland. In eine Wohnung seiner Eltern im Inland kann er seit Ende 2003 auch gar nicht zurückkehren.
c.)
Schließlich bestand auch kein inländischer Wohnsitz des Sohnes C im Zeitraum vom 1. Mai 2000 bis zum 28. Februar 2001. Auch dieser Sohn soll seine ganze Schulausbildung in der Türkei absolvieren. Er hielt sich ausweislich der vorgelegten Ein- und Ausreisebestätigungen ebenfalls nur zeitweise und in Begleitung der Mutter außerhalb der Türkei auf. Dies belegen Grenzübertritte im April 1998, Februar 2000, Juli 2001 (evtl. bis September 2001) und im August 2003. Für Aufenthalte in Deutschland hat der Kläger bisher keine Nachweise erbracht. Auch dürfte C als jüngstes Kind kaum einen von seinen Eltern getrennten Wohnsitz unterhalten haben. Auch ihm ist zurzeit eine Rückkehr in eine inländische Wohnung seiner Eltern aus den bereits dargestellten Gründen gar nicht möglich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.