Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 11.04.2011, Az.: 10 WF 91/11
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 11.04.2011
- Aktenzeichen
- 10 WF 91/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 14460
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2011:0411.10WF91.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Hannover - 08.03.2011 - AZ: 625 F 147/11
Rechtsgrundlagen
- FamFG § 78 Abs. 2
Fundstellen
- FamRZ 2011, 1240
- NJW-RR 2011, 942-944
Amtlicher Leitsatz
1. Dem verfahrenskostenhilfeberechtigten Elternteil, dessen elterliche (Mit) Sorge Gegenstand eines gerichtlichen Prüfungsverfahrens ist, in dem eine Trennung des Kindes von seiner Familie in Betracht gezogen wird, ist regelmäßig auch ein Rechtsanwalt beizuordnen.
2. Eine Anwaltsbeiordnung ist allerdings dann nicht geboten, wenn etwa aufgrund eindeutiger Hinweise des Gerichtes oder aufgrund bereits abschließender Stellungnahmen des Verfahrensbeistandes oder des Jugendamtes - bereits bei Entscheidungsreife über das Gesuch um VKH bzw. die Anwaltsbeiordnung mit einem Eingriff in die elterliche Sorge nicht (mehr) ernstlich zu rechnen ist.
Tenor:
Auf die Beschwerde der Kindesmutter wird der Beschluß des Amtsgerichts Familiengericht - Hannover vom 8. März 2011 unter Zurückweisung der weitergehenden Beschwerde teilweise geändert:
Der Kindesmutter wird für das erstinstanzliche Verfahren ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt.
Die Beschwerdegebühr wird auf die Hälfte ermäßigt.
Gründe
I. Am 7. Januar 2011 machte das Jugendamt der Stadt L. dem Amtsgericht - Familiengericht - hinsichtlich des betroffenen Kindes und seiner beiden Geschwister eine Mitteilung nach § 8a SGB VIII. der ausführliche Bericht zur aktuellen Situation endete mit der Feststellung, daß aus Sicht des Jugendamtes ein Verbleib der Kinder in der Familie unter den aktuellen Gegebenheiten nicht mehr verantwortet werden könne. einen förmlichen Antrag stellte das Jugendamt dagegen nicht. Daraufhin leitete das Amtsgericht hinsichtlich des betroffenen Kindes das vorliegende Verfahren ein.
Mit Beschluß vom 14. Januar 2011 bestellte das Amtsgericht - insofern auch der ausdrücklichen Anregung des Jugendamtes folgend - dem Betroffenen als berufsmäßigen Verfahrensbeistand eine - in der Vergangenheit als Verfahrenspflegerin bereits tätig gewesene - Rechtsanwältin. in dem verwendeten Formulartext heißt es u.a. ´weil es sich um ein Verfahren nach den §§ 1666 und 1666a BGB handelt und eine teilweise oder vollständige Entziehung der Personensorge in Betracht kommt (§ 158 Abs. 2 Nr. 2 FamFG)´. Auf Anregung des Verfahrensbeistandes wurde dieser Beschluß noch dahin erweitert, daß dem Verfahrensbeistand auch die Aufgabe übertragen wurde, Gespräche mit den Bezugspersonen zu führen. Die Beschlüsse über die Beistandsbestellung sowie die Aufgabenerweiterung wurden auch den Kindeseltern übermittelt.
Am 27. Januar 2011 legitimierte sich für die Kindesmutter Rechtsanwalt S. aus L., der um die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe (VKH) unter seiner Beiordnung nachsuchte und zunächst um Akteneinsicht bat. dem Gesuch war eine weitestgehend ausgefüllte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie der aktuelle - teilweise mit den Angaben in der Erklärung allerdings in Widerspruch stehende - Bewilligungsbescheid des örtlichen JobCenters beigefügt. Unmittelbar nach der alsbald erfolgten Akteneinsicht bat RA S. am 10. Februar 2011 darum, von einer Beiordnung abzusehen, da er die Kindesmutter nicht mehr vertrete.
Ebenfalls am 10. Februar 2011 ging die ausführliche Stellungnahme des Verfahrensbeistandes ein. darin wird von umfangreichen Gesprächen mit den Kindeseltern unter Einbeziehung weiterer Familienangehöriger sowie insbesondere auch der aktuellen Familienhelferin berichtet, in denen sämtliche in der Jugendamts-Mitteilung enthaltenen Problembeschreibungen eingehend angesprochen werden konnten. Den Kindeseltern wird danach - bestätigt auch durch entsprechende Angaben der Familienhelfer - angemessenes Problembewußtsein, Offenheit für die Annahme entsprechender Hilfeangebote, Einsicht in notwendige Veränderungen sowie insbesondere deren rasche Umsetzung bestätigt. Insgesamt kommt der Verfahrensbeistand zu dem eindeutigen Ergebnis, daß familiengerichtliche Maßnahmen nicht erforderlich sind. Das Amtsgericht hat den Bericht den Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis übersandt und - insbesondere gegenüber dem Jugendamt - darauf hingewiesen, daß es danach keine Veranlassung für weitere Maßnahmen oder einen Anhörungstermin sehe.
Am 18. Februar 2011 zeigte die nunmehrige Verfahrensbevollmächtigte der Kindesmutter eine Vertretung der Kindeseltern an, suchte unter Bezugnahme auf die bereits (für die Kindesmutter) überreichten Unterlagen erneut um VKH - diesmal unter ihrer Beiordnung - nach und nahm - erstmals - für die Kindeseltern in der Sache Stellung. Eine - vom Amtsgericht zugleich mit dem erneuten Hinweis darauf, daß weitere Maßnahmen in diesem Verfahren nicht beabsichtigt seien, angeforderte - Vollmacht für die Verfahrensbevollmächtigte ist erst am 7. März 2011 und allein von der Kindesmutter vorgelegt worden.
Mit Beschluß vom 8. März 2011 versagte das Amtsgericht die von der Kindesmutter nachgesuchte VKH unter Berufung auf verfahrenskostenhilferechtliche Mutwilligkeit. nach Vorliegen des Berichtes des Verfahrensbeistandes seien aus Sicht des Amtsgerichtes familiengerichtliche Maßnahmen nicht mehr in Betracht gekommen - dies sei auch sogleich der Verfahrensbevollmächtigten der Kindesmutter ausdrücklich mitgeteilt worden. Danach komme eine Bewilligung von VKH nicht mehr in Betracht, da das Verfahren abgeschlossen sei.
Dagegen richtet sich die form und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Kindesmutter, der das Amtsgericht mit Beschluß vom 18. März 2011 nicht abgeholfen hat.
Der Einzelrichter hat das Verfahren wegen der grundsätzlichen Bedeutung dem Senat zur Entscheidung übertragen.
II. Die zulässige Beschwerde der Kindesmutter hat in der Sache teilweisen Erfolg.
1. Auf ihr Gesuch vom 27. Januar 2011 hin ist der Kindesmutter für das vorliegende Verfahren VKH zu bewilligen.
a. Mit Schriftsatz ihres damaligen Verfahrensbevollmächtigten, dem eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie der aktuelle und vollständige Bescheid über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes beigefügt waren, hat die Kindesmutter ein bescheidungsfähiges VKH Gesuch vorgelegt. Da das örtliche Jugendamt weder einen Sach noch einen Verfahrensantrag gestellt hatte und damit nicht nach § 162 Abs. 2 FamFG förmlich Verfahrensbeteiligter geworden ist, bestand auch nicht die Notwendigkeit, vorab - hier gar nicht vorhandenen - anderen Verfahrensbeteiligten rechtliches Gehör zu dem VKH Gesuch zu gewähren und bis zu deren Stellungnahme (oder eine entsprechend angemessene Frist) mit der Entscheidung abzuwarten.
Für die Prüfung der VKH-Bewilligung ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife abzustellen. zu diesem maßgeblichen Zeitpunkt Ende Januar / Anfang Februar 2011 kam - wie sich schon aus dem ausdrücklichen Wortlaut des Beschlusses über die Bestellung des Verfahrensbeistandes ergibt - ´die teilweise oder vollständige Entziehung der Personensorge in Betracht´, so daß eine Verfahrensbeteiligung der von dieser möglichen Entziehung direkt betroffenen Kindesmutter sachlich geboten und in keinem Falle verfahrenskostenhilferechtlich mutwillig war.
b. Die Kindesmutter hat auch hinreichend das Vorliegen der wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine (ratenfreie) VKH-Bewilligung dargetan und glaubhaft gemacht. auch hat das Amtsgericht insofern keine Beanstandungen erhoben. In der von ihr vorgelegten Erklärung sind vollständig ausgefüllt jedenfalls die Fragekomplexe A, B, C, E, G und H. unschädlich ist dabei die unterbliebene Ausfüllung des Komplexes D, da sich die benötigten Daten aus dem vorgelegten aktuellen SGB-Bescheid entnehmen lassen und dies mit dem unter E angegebenen Kindergeld in Übereinstimmung steht. Soweit die Angaben zu den Wohnkosten unter H nicht gesondert belegt sind, ist dies angesichts der Vorgaben des Formulars, nach dem (sogar) Angaben zu E bis J bei Vorlage eines aktuellen SGB-Bescheides entbehrlich sind, nicht zu beanstanden. Soweit sich schließlich aus den Berechnungen des SGBBescheides für den Ehemann der Kindermutter ein ´sonstiges Einkommen´ in Höhe von 375 € entnehmen läßt, führt auch dessen Berücksichtigung (sowie die Absetzung lediglich der im SGB-Bescheid anerkannten Wohnkosten) nicht zu einem einsetzbaren Einkommen der Bedarfsgemeinschaft.
c. Die Kindesmutter hat auch nach wie vor ein Rechtsschutzinteresse hinsichtlich der Bewilligung von VKH für das vorliegende Verfahren. Zwar geht das Amtsgericht offenkundig davon aus, daß das vorliegende Verfahren in der Sache abgeschlossen sei. es hat jedoch bislang noch nicht über die Kosten des Verfahrens entschieden, was allerdings gemäß § 81 Abs. 1 Satz 3 FamGKG für - wie vorliegend gegeben - Familiensachen zwingend vorgeschrieben ist. Zwar liegt es nahe, daß gemäß § 81 Abs. 1 Satz 2 FamGKG für das vorliegende Verfahren von der Erhebung von Kosten abgesehen werden wird, dies steht allerdings bislang noch nicht fest. Insofern hat die Kindesmutter nach wie vor ein berechtigtes Interesse daran, daß die ihr zustehende Bewilligung von VKH auch jetzt noch ausdrücklich ausgesprochen wird, da nur dadurch eine (unmittelbare) Belastung durch auf sie nach der zukünftigen Kostenentscheidung möglicherweise entfallende Kosten ausgeschlossen wird.
2. Die Bewilligung von VKH kann im Streitfall allerdings nicht auch mit der erstrebten Beiordnung der erst im weiteren Verfahrensablauf tätig gewordenen zweiten Verfahrensbevollmächtigten der Kindesmutter verbunden werden.
Nach der seit September 2009 - also auch für das vorliegende Verfahren - maßgeblichen Regelung in § 78 Abs. 2 FamFG erfolgt für Verfahren, in denen - wie vorliegend die Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht vorgeschrieben ist, im Rahmen der VKH die Beiordnung eines Anwaltes nur (noch) dann, wenn dies wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage erforderlich erscheint, also in qualifizierten Fällen.
a. Ein derartiger Fall liegt in der Regel vor, wenn es sich um ein durch das Jugendamt angeregtes Verfahren nach den §§ 1666 und 1666a BGB handelt und eine Entziehung der Personensorge sowie insbesondere eine Trennung der Kinder von ihrer Familie in Rede steht. Ein Eingriff in dieses durch Art. 6 Abs. 3 GG besonders geschützte Elternrecht darf allein dann erfolgen, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen und kommt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes insbesondere ohne sachverständige Beratung des Gerichtes nicht in Betracht (vgl. BVerfG, Beschluß vom 10. September 2009 - 1 BvR 1248/09 - FamRZ 2009, 1897 = NdsRpfl 2010, 54 [Tz 30]). Dies hat insgesamt zugleich zur Folge, daß die Schwierigkeit der Sach und Rechtslage in der Regel die Beiordnung eines Rechtsanwaltes erfordert (vgl. insofern etwa auch OLG Frankfurt - Beschluß vom 11. Februar 2010 - 1 WF 11/10 - FamRZ 2010, 1094 f.), zumal sich nach der Erfahrung des Senates begüterte Elternteile in vergleichbarer Ausgangslage anwaltlich vertreten zu lassen pflegen.
b. Eine Anwaltsbeiordnung ist allerdings auch in Ansehung des vorstehenden Grundsatzes dann nicht geboten, wenn - etwa aufgrund eindeutiger Hinweise des Gerichtes oder aufgrund bereits abschließender Stellungnahmen des Verfahrensbeistandes oder des Jugendamtes - bereits bei Entscheidungsreife über das Gesuch um VKH bzw. die Anwaltsbeiordnung mit einem Eingriff in die elterliche Sorge nicht (mehr) ernstlich zu rechnen ist, weil die eine besondere Schwierigkeit der Sach und Rechtslage begründenden Gesichtspunkte dann nicht mehr gegeben sind.
c. Nach diesen Grundsätzen lagen vorliegend im Zeitpunkt des ersten VKH-Gesuches der Kindesmutter zwar die Voraussetzungen auch einer Anwaltsbeiordnung vor, zumal das Jugendamt gerade eine Herausnahme des betroffenen Kindes aus seiner Familie für angezeigt hielt. Eine Beiordnung des damaligen Verfahrensbevollmächtigten kam aber aufgrund der alsbaldigen Anzeige der Beendigung seines Mandates nicht mehr in Betracht und wurde und wird von der Kindesmutter selbst nicht weiterverfolgt.
d. Als sich dagegen die spätere Verfahrensbevollmächtigte zum Verfahren meldete und unter Wiederholung des VKH-Gesuchs nunmehr um ihre Beiordnung nachsuchte und dieses Beiordnungsgesuch seinerseits bescheidungsreif war (also nach Vorlage der vom Amtsgericht angeforderten Vollmacht), lagen zwischenzeitlich die Voraussetzungen für eine Anwaltsbeiordnung nicht mehr vor: inzwischen hatte zum einen der Verfahrensbeistand seine - abschließende - Stellungnahme, nach der ein Eingriff in die elterliche Sorge nicht erforderlich war, vorgelegt und zum anderen das Amtsgericht den Verfahrensbeteiligten den eindeutigen Hinweis erteilt, daß es selbst diese Sichtweise des Verfahrensbeistandes teilte, also im vorliegenden Verfahren ein Eingriff in die elterliche Sorge der Kindesmutter nicht mehr in Rede stand.