Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 19.04.2011, Az.: 10 WF 109/11
Keine Erforderlichkeit einer rechtsanwaltlichen Vertretung in Unterhaltsverfahren bei fehlender Gegebenheit einer Familienstreitsache nach § 112 Nr. 1 Familienverfahrensgesetz (FamFG); Keine Erforderlichkeit einer Anwaltsbeiordnung in Unterhaltsverfahren nach § 231 Abs. 2 FamFG trotz widersprüchlicher Angaben der Eltern zur überwiegenden Betreuung der Kinder
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 19.04.2011
- Aktenzeichen
- 10 WF 109/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 14556
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2011:0419.10WF109.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Hannover - 22.02.2011 - AZ: 620 F 772/11
Rechtsgrundlagen
- § 78 Abs. 2 FamFG
- § 112 Nr. 1 FamFG
- § 231 Abs. 2 FamFG
- § 64 Abs. 2 S. 3 EStG
Fundstellen
- AGS 2011, 292-294
- FamFR 2011, 255
- FamRZ 2011, 1240
- JurBüro 2011, 376
- NJW-RR 2011, 1231
- RVGreport 2011, 240
- Rpfleger 2011, 502-503
Amtlicher Leitsatz
- 1.
In Unterhaltsverfahren nach § 231 Abs. 2 FamFG (hier: Bestimmung des Kindergeldberechtigten nach § 64 Abs. 2 Satz 3 EStG), die gemäß § 112 Nr. 1 FamFG keine Familienstreitsachen sind, ist die Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht vorgeschrieben.
- 2.
In Unterhaltsverfahren nach § 231 Abs. 2 FamFG ist eine Anwaltsbeiordnung gemäß § 78 Abs. 2 FamFG nicht bereits deswegen erforderlich, weil die Familienkasse aufgrund widersprüchlicher Angaben der Eltern zu einer überwiegenden Betreuung der Kinder durch einen von ihnen den Kindergeldberechtigten nicht feststellen kann; die - ggf. durch Beweisaufnahme - zu treffende Feststellung der tatsächlichen Betreuungsanteile gebietet regelmäßig keine Anwaltsbeiordnung.
In der Familiensache
...
hat der 10. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle
auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin
gegen den im Rahmen der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe die Beiordnung einer Rechtsanwältin versagenden Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 22. Februar 2011
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht W.,
den Richter am Oberlandesgericht H. und
die Richterin am Amtsgericht C.
am 19. April 2011
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die weiteren Beteiligten zu 1. und 2. sind getrennt lebende Eheleute und Eltern der beiden betroffenen Kinder; zwischen ihnen sind bereits verschiedene Verfahren vor dem Amtsgericht - Familiengericht - Hannover anhängig - eines betreffend den Trennungs- und Kindesunterhalt (620 F 773/11), eines betreffend die elterliche Sorge (620 F 5821/10), eines betreffend den Umgang (620 F 4102/10) sowie ein Scheidungsverfahren (620 F 3778/10) - bzw. vor kurzem abgeschlossen worden - ein einstweiliges Anordnungsverfahren betreffend den Umgang (620 F 6147/10) sowie ein einstweiliges Anordnungsverfahren betreffend die elterliche Sorge (620 F 5221/10).
Im vorliegenden, am 15. Februar 2011 eingeleiteten Verfahren erstrebt die Kindesmutter (Antragstellerin), sie gemäߧ 64 Abs. 3 EStG als Kindergeldberechtigte zu bestimmen, und hat um Verfahrenskostenhilfe (VKH) sowie Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten nachgesucht. Hintergrund ist, daß sich die Kinder abwechselnd jeweils mehrere Tage im Haushalt eines der beiden Elternteile aufhalten, wobei die genaue Aufteilung zwischen den Eltern streitig ist. Die Oberfinanzdirektion Niedersachsen - Landesfamilienkasse - sieht sich aufgrund der widersprüchlichen Angaben der Eltern nicht in der Lage festzustellen, wer von ihnen vorrangig kindergeldberechtigt ist.
Die für das vorliegende Verfahren zuständige Rechtspflegerin hat - ohne allerdings aus der Akte ersichtlich dem Antragsgegner zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben - mit Beschluß vom 22. Februar 2011, auf den ergänzend Bezug genommen wird, VKH bewilligt, die Beiordnung der Verfahrensbevollmächtigten dagegen versagt.
Gegen diesen, ihr am 25. Februar 2011 zugestellten Beschluß richtet sich die am 24. März 2011 eingelegte sofortige Beschwerde der Antragstellerin, die das Ziel der Anwaltsbeiordnung weiter verfolgt und vorträgt, im vorliegenden Fall stritten sich die Kindeseltern um die Kindergeldberechtigung, insbesondere darum, wo der Schwerpunkt der Betreuung liege; diese Frage sei "so hoch zerstrittten und unklar", daß die Familienkasse den Antrag der Antragstellerin abgelehnt habe, obwohl diese den Schwerpunkt der Betreuung in ihrem Haushalt dargelegt habe. Die Sach- und Rechtslage sei mithin so schwer, daß die Beiordnung eines Rechtsanwaltes erforderlich sei.
Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Der Einzelrichter hat die Sache dem Senat zur Entscheidung übertragen.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin kann in der Sache keinen Erfolg haben. Zutreffend geht das Amtsgericht davon aus, daß im Streitfall die Voraussetzungen für eine Anwaltsbeiordnung weder ersichtlich noch von der Antragstellerin dargetan sind.
1.
Anders als vom Amtsgericht angenommen sind für die Frage einer etwaigen Anwaltsbeiordnung vorliegend allerdings nicht§§ 113 FamFG, 121 Abs. 2 ZPO maßgeblich, sondern vielmehr § 78 Abs. 2 FamFG.
Gemäß § 231 Abs. 2 Satz 1 FamFG sind Unterhaltssachen auch Verfahren nach § 3 Abs. 2 Satz 2 BKiGG und § 64 Abs. 2 Satz 3 EStG; allerdings handelt es sich insofern nicht zugleich auch um Familienstreitsachen, denn laut § 112 Nr. 1 FamFG sind dies nur Unterhaltssachen nach § 231 Abs. 1 FamFG, also nicht - wie vorliegend - Unterhaltssachen nach § 231 Abs. 2 FamFG; insofern ist für Verfahren der vorliegenden Art auch § 113 Abs. 1 FamFG nicht einschlägig und führt insofern nicht zur Verdrängung von §§ 76 ff. FamFG hinsichtlich der Vorschriften über die Verfahrenskostenhilfe.
Lediglich der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, daß anderenfalls - also bei dem vom Amtsgericht angenommenen Vorliegen einer Familienstreitsache - gemäß § 114 Abs. 1 FamFG die Vertretung durch einen Rechtsanwalt vorgeschrieben wäre, so daß im Falle der Bewilligung von VKH gemäߧ 121 Abs. 1 ZPO zugleich die Beiordnung eines vertretungsbereiten Rechtsanwaltes zwingend erfolgen müßte.
2.
Nach der seit September 2009 - also auch für das vorliegende Verfahren - maßgeblichen Regelung in § 78 Abs. 2 FamFG erfolgt für Verfahren, in denen - wie vorliegend - die Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht vorgeschrieben ist, im Rahmen der VKH die Beiordnung eines Anwaltes nur (noch) dann, wenn dies wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage erforderlich erscheint, also in qualifizierten Fällen.
Das Vorliegen eines derartigen Falles ist vorliegend jedoch weder ersichtlich noch von der Antragstellerin dargetan. Soweit die Antragstellerin insofern allein geltend macht, daß die Bestimmung des Kindergeldberechtigten aufgrund der unterschiedlichen Darstellungen der Kindeseltern durch die Familienkasse nicht erfolgen konnte, so stellt dies lediglich die Voraussetzungen für ein Verfahren der vorliegenden Art überhaupt dar. Die Frage des tatsächlichen Schwerpunktes der Betreuung der beiden Kinder der beteiligten Eheleute ist grundsätzlich eine schlichte Tatsachenfrage; dazu haben einerseits die Antragstellerin im Rahmen der Antragsschrift eine tabellarische Aufstellung überreicht (zu der es jedoch bislang an jeglichem Beweisantritt fehlt, so daß die vom Amtsgericht angenommene hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung nicht nachvollziehbar ist), andererseits der Antragsgegner in einem, von der Antragstellerin mit überreichten früheren Anwaltsschriftsatz substantiiert eine abweichende Aufteilung mit identischen Betreuungsanteilen der Eltern behauptet; über die Richtigkeit dieser gegensätzlichen tatsächlichen Behauptungen wird ggf. eine Beweisaufnahme durchzuführen sein.
Allerdings dürfte selbst eine derartige Beweisaufnahme im vorliegenden Verfahren - zumindest vorerst - entbehrlich sein, da jedenfalls in dem von der Kindesmutter anhängig gemachten Verfahren (auch) auf Kindesunterhalt diese streitige Behauptung einer überwiegenden Betreuung durch die Kindesmutter vorgreiflich zu klären sein wird, da dies dort die Voraussetzung für den von ihr geltend gemachten Zahlungsanspruch darstellt.
3.
Im übrigen ergibt sich aus den von der Antragstellerin im Rahmen ihres VKH-Gesuches vorgelegten (älteren) Kontoauszügen, daß sich die beteiligten Kindeseltern zumindest in der Vergangenheit auf die Handhabung des Kindergeldbezuges geeinigt hatten: jedenfalls noch im August 2010 hat die Antragstellerin den Dauerauftrag (!) des Antragsgegners "Kindergeld L. und L." erhalten, mit dem ihr das hälftige Kindergeld überwiesen wurde - den entsprechenden Erhalt des hälftigen Kindergeldes hat sie auch im Rahmen ihrer Angaben zur VKH als aktuell bestätigt; warum sich insofern zwischenzeitlich eine wesentliche Änderung ergeben haben sollte, ist von der Antragstellerin nicht dargelegt. Im übrigen dürften sich auch Bedenken gegen das Vorliegen des entsprechenden Rechtsschutzbedürfnisses der Antragstellerin daraus ergeben, daß sie parallel dazu gesondert Kindesunterhalt gegenüber dem Antragsteller geltend macht - im Rahmen des Kindesunterhaltes stellt es nämlich lediglich eine Rechnungsposition dar, an welchen Elternteil das Kindergeld ausgezahlt wird: entweder erhält die Kindesmutter das Kindergeld, so daß sich der von ihr geltend gemachte Zahlbetrag um das hälftige Kindergeld verringert, oder der Kindesvater erhält das Kindergeld, so daß sich der Zahlbetrag um das hälftige Kindergeld erhöht. Jedenfalls dürfte sich durch das vorliegende Verfahren aber die Erfolgsaussicht hinsichtlich des Kindesunterhaltes entsprechend verringern.
III.
Insofern kommt es hier nicht einmal weiter entscheidend darauf an, daß die Antragstellerin selbst das Vorliegen der wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine VKH-Bewilligung gar nicht dargetan hat; in der von ihr vorgelegten "Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse" (die auf einem Formular in der "Fassung für Deutsches Patent- und Markenamt" (!) beruht) sind die zwingend erforderlichen Angaben über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des getrennt lebenden Ehemannes, demgegenüber grundsätzlich ein vorrangiger Anspruch auf einen Verfahrenskostenvorschuß besteht, nicht enthalten; es fehlt ein Beleg über den aktuellen Kontostand, vielmehr sind lediglich zwei einzelne Seiten eines etwa ein halbes Jahr alten Kontoauszuges vorgelegt, die keinen Endsaldo enthalten. Nicht nachvollziehbar ist schließlich, wenn einerseits ein Mietvertrag von 2009 vorgelegt wird, nach dem die Wohnung unter der aktuellen Anschrift von der Antragstellerin und einem Rentnerehepaar mit ihrem Mädchennamen (also offensichtlich ihren Eltern) gemeinsam angemietet ist, zugleich angegeben ist, der - unter einer anderen Anschrift lebende - Ehegatte/Lebenspartner zahle hälftig die Mietkosten, während sich aus den Kontoauszügen ausdrücklich eine entsprechende Leistung "Miete und NK Folgemonat - Ich liebe Dich sehr" per Dauerauftrag eines Herrn K. B. ergibt, ohne daß entsprechende vollständige Angaben zu diesem Lebensgefährten erfolgen, mit dem ganz offenkundig eine Bedarfsgemeinschaft besteht.
Aufgrund des im vorliegenden Beschwerdeverfahren geltenden Verbotes der reformatio in peius ist dem Senat insofern eine Aufhebung der VKH-Bewilligung nicht möglich; diesbezüglich bedürfte es einer Beschwerde des Bezirksrevisors.