Landessozialgericht Niedersachsen
Urt. v. 21.03.2002, Az.: L 1 RA 177/98

Anspruch auf Weiterbewilligung der Rente wegen Erwerbsminderung; Veränderung der der Rentenbewilligung zugrunde liegenden gesundheitlichen Verhältnisse; Vollschichtiges Leistungsvermögen mit nur qualitativen Einschränkungen; Beruf der Sekretärin als leichte Arbeit; Verweis auf Beruf der Telefonistin in Behörden und größeren Unternehmen der Privatwirtschaft; Fortgewährung aus Gründen des Vertrauensschutzes

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen
Datum
21.03.2002
Aktenzeichen
L 1 RA 177/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 41572
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Stade - 25.08.1998 - AZ: S 4 RA 24/97

Prozessführer

B.

Rentenberater C.

Prozessgegner

Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, Ruhrstraße 2, 10709 Berlin

hat der 1. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen

auf die mündliche Verhandlung vom 21. März 2002

durch den Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht Dr. D.,

den Richter am Landessozialgericht E. und

den Richter am Sozialgericht F. sowie

die ehrenamtlichen Richter G. und H.

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

1

Die Beteiligten streiten um die Verlängerung der bis zum 31. Januar 1996 gezahlten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU).

2

Die im Jahre 1949 geborene Klägerin hatte nach dem Besuch der Hauptschule zunächst eine Friseurlehre begonnen, diese jedoch aus gesundheitlichen Gründen abgebrochen. Sodann hatte sie von 1964 bis 1969 eine Banklehre durchlaufen und abgeschlossen. Im Anschluss war sie zunächst von 1969 bis 1974 als Buchhalterin in einer Brauerei tätig gewesen, bevor sie - nach einer Kindererziehungspause - von 1979 bis 1990 halbtags als Bankkauffrau in einer Filiale einer Volksbank beschäftigt gewesen war. Nach dem Tod ihres Ehemannes, der im Jahre 1989 an einer progredient verlaufenden Magenkarzinom-Erkrankung verstorben war und den sie zuletzt zu Hause gepflegt hatte, hatte die Klägerin das Beschäftigungsverhältnis bei der Volksbank gekündigt und zunächst begonnen, in einem Abendgymnasium das Abitur nachzumachen, die Abendschule jedoch abgebrochen, nachdem sie beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) in I. im Rahmen einer Ganztagstätigkeit als Sekretärin angefangen hatte (1990). Hier hatte sie organisatorische sowie Schreibarbeiten zu erledigen. Im Oktober 1993 war sie arbeitsunfähig krank geworden und hatte bis April 1994 Krankengeld bezogen.

3

Noch im April 1994 hatte die Klägerin bei der Beklagten Rente wegen EU/BU beantragt und zur Begründung auf eine diagnostizierte Anämie sowie auf reaktive Depressionen, Erschöpfungszustände und einen Zustand nach Operation beider Ellenbogen (Epicondylitis) hingewiesen. Die Beklagte hatte u.a. ein neurologisch-psychiatrisches sowie ein internistisches Fachgutachten eingeholt. Darin hatten der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. J. (Gutachten vom 5. Juni 1994) und die Ärztin für Innere Medizin Dr. K. (Gutachten vom 4. Juli 1994) wegen zeitweiser colitischer Reizzustände bei Eisenmangelanämie sowie wegen Blutdruckunregelmäßigkeiten und psychophysischer Erschöpfung eine eingeschränkte zeitliche Belastbarkeit der Klägerin festgestellt und übereinstimmend eine zeitlich befristete Berentung vorgeschlagen. Die Beklagte war diesen medizinischen Einschätzungen gefolgt und hatte der Klägerin mit bestandskräftigem Bescheid vom 16. September 1994 Rente wegen EU auf Zeit unter Zugrundelegung eines Leistungsfalles in 10/93 (Eintritt der Arbeitsunfähigkeit) seit dem 1. Mai 1994 bewilligt. Nach dem Bescheid sollte die Rente mit dem 31. Oktober 1995 wegfallen.

4

Im Juni 1995 stellte die Klägerin den zu diesem Verfahren führenden Antrag auf Weiterbewilligung der Rente wegen EU. Die Beklagte ermittelte zum medizinischen Sachverhalt und holte zwei Gutachten nach jeweiliger ambulanter Untersuchung der Klägerin ein. Während der Dauer dieser Ermittlungen zahlte die Beklagte die EU-Rente bis zum 31. Januar 1996 weiter an die Klägerin. Mit Schreiben vom Oktober 1995 erkundigte sich die Klägerin zwischenzeitlich nach dem Sachstand. Nachdem sodann in den von der Beklagten veranlassten Untersuchungsgutachten (Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. vom 15. November 1995; Internist Dr. M. vom 13. Dezember 1995) übereinstimmend eine wesentliche Besserung des Gesundheitszustandes der Klägerin festgestellt (Stabilisierung auf psychischem Gebiet zu nur noch zeitweise auftretenden psychischen Verstimmungen; normotone Blutdruckwerte; Besserung des Allgemeinzustandes nach Anämie; Colitis ohne Symptomatik) und eine wieder vollschichtige Leistungsfähigkeit ohne qualitative Leistungseinschränkungen mitgeteilt worden war, erließ die Beklagte den hier angefochtenen Bescheid vom 6. Februar 1996, mit dem sie die Weitergewährung der Rente über den 31. Oktober 1995 hinaus mit der Begründung ablehnte, dass die Klägerin inzwischen wieder vollschichtig leistungsfähig im bisherigen Beruf sowie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei. Ergänzend führte die Beklagte aus, dass die der Klägerin über den 31. Oktober 1995 hinaus bis zum 31. Januar 1996 gezahlte Rente nicht zurückgefordert werde, weil die Dauer des Verwaltungsverfahrens bei seinerzeit noch unklarer Erfolgsaussicht nicht zu Lasten des jeweiligen Antragstellers gehen solle.

5

Auf den Widerspruch der Klägerin holte die Beklagte den Befundbericht des Allgemeinarztes Dr. N. vom 21. August 1996 nebst Entlassungsbericht der psychosomatischen Klinik in O. vom 21. Juni 1996 ein und wies den Widerspruch mit hier gleichfalls angefochtenem Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 1996 zurück.

6

Auf die von der Klägerin hiergegen am 23. Dezember 1996 vor dem Sozialgericht (SG) Bremen erhobene und mit Beschluss vom 29. Januar 1997 an das zuständige SG Stade verwiesene Klage hat das SG das Untersuchungsgutachten der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie P. vom 12. Juni 1997 veranlasst, die ausführte, dass nach einem psycho-physischen Erschöpfungszustand mit zahlreichen psychosomatischen Beschwerden auf dem Boden einer narzistisch-depressiven Persönlichkeitsstruktur und bestehender Entschädigungsneurose zwar zum Untersuchungszeitpunkt nur ein halb- bis untervollschichtiges Leistungsvermögen bestehe. Diese Einschränkung sei jedoch nicht dauerhaft, vielmehr werde bei Durchführung einer mittelfristigen Wiedereingliederungsmaßnahme und begleitender psychotherapeutischer Behandlung im Laufe einiger Monate wieder vollschichtiges Leistungsvermögen erzielt werden. Die Klägerin könne dann sowohl als Sekretärin als auch in ihrem erlernten Beruf der Bankkaufrau wieder uneingeschränkt berufstätig sein, allein eine leitende Position mit hoher Verantwortung solle ihr nicht zugemutet werden. Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 25. August 1998 abgewiesen und zur Begründung im einzelnen ausgeführt, dass die Klägerin seit Februar 1996 wieder vollschichtig in ihrem bisherigen Beruf der Sekretärin tätig sein könne, weil sich die gesundheitliche Situation seit der Rentenbewilligung wesentlich gebessert habe und zur Erzielung von Beschwerdefreiheit in psychischer Hinsicht eine berufsbegleitende Therapie ausreichend sei.

7

Gegen den am 3. September 1998 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 11. September 1998 Berufung eingelegt und geltend gemacht, ihre Erkrankungssituation sei nur unzureichend gewürdigt worden und zwischenzeitlich ein erhebliches Knieleiden aufgetreten, das eine Operation sowohl des linken als auch des rechten Knies erforderlich gemacht und zu einer langfristig andauernden außergewöhnlichen Gehbehinderung geführt habe. Zur Glaubhaftmachung hat sie Arztbriefe der radiologischen Gemeinschaftspraxis Dres. Q. vom 8. November 1999 und des Krankenhauses R. vom 13. Juni 2000 sowie ein ärztliches Attest des Dr. N. vom 15. November 1999 vorgelegt. Außerdem lässt sie nunmehr vortragen, dass ihr die Weitergewährung der EU-Rente über den 31. Januar 1996 hinaus auch aus Rechtsgründen zustehe, weil sie sich auf Vertrauensschutz berufen könne. Denn die Beklagte habe ihr aufgrund des Weiterbewilligungsantrages vom Juni 1995 die EU-Rente bereits über den Ablauf der Zeitrente am 31. Oktober 1995 hinaus bewilligt, und zwar auf Dauer. Daneben hätte mit dem Bescheid vom 6. Februar 1996 jedenfalls keine rückwirkende Entziehungzum 31. Januar 1996 vorgenommen werden dürfen. Nach allem erweise sich die spätere Ablehnung der Weiterbewilligung als materiell-rechtlich rechtswidrig. Sie sei auch formell rechtswidrig. Denn es handele sich bei der Aberkennungder bereits durch die Weiterzahlung bewilligten(fortgesetzten) EU-Rente (auf Dauer) um einen belastenden Verwaltungsakt, der eine Anhörung gem. § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) erforderlich gemacht hätte, die von der Beklagten jedoch unterlassen worden sei. Hierzu werde hilfsweise die Zulassung der Revision beantragt. Sei deshalb die Rente bereits aus Rechtsgründen weiter zu zahlen, werde zum medizinischen Sachverhalt nur hilfsweise weiter vorgetragen. Danach sei auf psychischem Gebiet das Gutachten der Frau P. unzutreffend, soweit darin bei der Klägerin eine Entschädigungsneurose festgestellt worden sei. Diese bestehe nicht. Auch werde eine Wiedereingliederung nicht mittelfristig, sondern allenfalls langfristig möglich sein, weshalb die Beklagte mindestens bis dahin Rente zu bewilligen habe. Da sich die psychische Situation der Klägerin inzwischen weiter verschlechtert habe, sei ein zeitnahes psychiatrisches Gutachten einzuholen. Zur Glaubhaftmachung legt die Klägerin den Bericht der psychologischen Psychotherapeutin Frau Diplom-Psychologin S. vom 8. Dezember 1999 vor. Auf orthopädischem Gebiet bestünden sich verschlimmernde Beeinträchtigungen in der Wirbelsäule und vor allem in den Kniegelenken. Und in berufskundlicher Hinsicht sei bislang unberücksichtigt geblieben, dass die Klägerin im Beruf der Sekretärin Berufsschutz geltend machen könne, weil sie über eine abgeschlossene Berufsausbildung als Bankkauffrau verfüge.

8

Die Klägerin beantragt,

  1. 1.

    den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stade vom 25. August 1998 und den Bescheid der Beklagten vom 6. Februar 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Dezember 1996 aufzuheben,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin

    1. a.

      Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit über den 31. Januar 1996 hinaus bis zum 29. Februar 2000 in Höhe von insgesamt 63.559,68 DM zu zahlen,

    2. b.

      Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, ab dem 1. März 2000 zu zahlen.

  3. hilfsweise 3.

    die Revision zuzulassen.

9

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

10

Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass ein Fortzahlungsanspruch der EU-Rente weder aus medizinischen noch aus Rechtsgründen bestehe. Zu den von der Klägerin geltend gemachten Rechtsgründen sei festzustellen, dass ein Bescheid über die Weiterzahlung nicht ergangen und deshalb auch keine Anhörung erforderlich gewesen sei. Auch könne sich die Klägerin nicht auf einen irgendwie gearteten Vertrauensschutz berufen, da ihr bewusst gewesen sei, dass das Verfahren wegen nötiger Ermittlungen noch andauere. Gerade deshalb habe sie noch am 17. Oktober 1995, also ca. vier Monate nach Antragstellung auf Weitergewährung der EU-Rente, um Sachstandsmitteilung gebeten.

11

Der Senat hat im vorbereitenden Verfahren zunächst ein Gutachten des Arztes für Orthopädie Dr. T. in Auftrag gegeben. Nachdem das Gutachten vom 8. Februar 2000 bei Gericht eingegangen war, hat die Klägerin gegen den Sachverständigen einen Befangenheitsantrag gestellt. Den Antrag hat sie zurückgenommen, nachdem der Senat erklärt hatte, dass die Erfolgsaussichten des nach Gutachtenerstellung gestellten Antrages zwar zweifelhaft seien, jedoch gleichwohl das Gutachten des Dr. T. nicht verwertet und stattdessen ein neues orthopädisches Fachgutachten in Auftrag gegeben werden solle. In diesem weiteren Gutachten vom 20. Juni 2000 hat der Arzt für Orthopädie Dr. U. ausgeführt, dass die Klägerin noch körperlich leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen mit der manchmal einzuräumenden Möglichkeit zum Aufstehen und Herumgehen verrichten könne, sofern Akkord, Tag-Nacht-Wechselschicht, Fließbandarbeiten, Arbeiten an Automaten, die das Arbeitstempo vorgeben, eine besondere Handgeschicklichkeit sowie ein hohes Konzentrations- und Reaktionsvermögen vermieden werden könnten. Eine Einschränkung der Wegefähigkeit bestehe nicht. - Im Anschluss hat der außerdem vom Senat beauftragte Arzt für Neurologie und Psychiatrie und Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie im Zentralkrankenhaus V. Dr. W. in seinem Fachgutachten vom 23. Oktober 2000 ausgeführt, dass auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet derzeit keine Erkrankung und damit auch keine Leistungseinschränkung bestehe. Anfang der 90-er Jahre habe eine depressive Symptomatik bestanden, möglicherweise auch noch am 31. Januar 1996, bis Mitte 1996 sei es aber zu einer deutlichen Besserung gekommen. - Schließlich hat der Senat auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG ein weiteres fachorthopädisches Gutachten des Direktors des St. X. in der Orthopädischen Universitätsklinik in Y. Prof. Dr. Z. vom 28. Mai 2001 eingeholt, nach dem die Klägerin noch vollschichtig leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten übwiegend im Sitzen mit gelegentlichem Wechsel zum Stehen bzw. Gehen ausüben könne, sofern Tätigkeiten zu vermeiden seien, die kraftaufwendige Halte- und Greiffunktionen mit kraftvollem Einsatz des Daumens erforderten, wie etwa beim Auswringen von nassem Gewebe. Daneben könnten viermal täglich 600m mit zumutbarem Zeitaufwand zurückgelegt werden. Diese Einschätzung gelte seit Februar 2000. Durch eine geeignete konservative Therapie sei jedoch eine Linderung der Beschwerden möglich.

12

Hierzu vertritt die Klägerin die Auffassung, dass aufgrund der Feststellungen des Prof. Dr. Z. bei ihr Erwerbsunfähigkeit seit Februar 2000 anzuerkennen sei, weshalb ihr seit dem 1. März 2000 Rente wegen EU aus medizinischen Gründen gezahlt werden müsse. Für den vorhergehenden Zeitraum vom 1. Februar 1996 bis zum Februar 2000 bestehe ebenfalls eine Zahlungsverpflichtung, und zwar zumindest aus Gründen des Vertrauensschutzes; der Zahlbetrag belaufe sich für diesen Zeitraum auf 49 Monate x 1.324,16 DM = 63.559,68 DM. Die Klägerin sei bereit, den Rechtsstreit gütlich beizulegen, und hat deshalb mit Schriftsatz vom 6. Juli 2001 einen Vergleichsvorschlag unterbreitet, wonach sich die Beklagte u.a. verpflichten solle, der Klägerin unter Zugrundelegung eines Leistungsfalles im Februar 2000 (Gutachten Prof. Dr. Z.) Rente wegen Berufsunfähigkeit bis zum 31. Dezember 2000 sowie ab dem 1. Januar 2001 bis zum 31. Dezember 2004 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit zu zahlen. Zur Begründung hat sie die Ansicht vertreten, die Klägerin genieße Berufsschutz, könne nicht verwiesen werden und ein Teilzeitarbeitplatz nicht angeboten bekommen. - Die Beklagte lehnt den Vergleichsvorschlag ab.

13

Außerdem hat der Senat den berufskundigen Sachverständigen Diplom-Verwaltungswirt AB. im Erörterungstermin vor dem Berichterstatter am 17. Oktober 2001 in Oldenburg gehört. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass die Klägerin u.a. auf den Beruf einer Telefonistin in Behörden und größeren Industrieunternehmen zu verweisen sei. Die Entlohnung erfolge im öffentlichen Dienst nach BAT VIII/VII. Seiner Auffassung nach sei die Klägerin in ihrem bisherigen Beruf der Sekretärin beim DGB als Angelernte im oberen Bereich einzustufen.

14

Die Klägerin hält die Aussage des berufskundigen Sachverständigen für unzutreffend. Sie sei im bisherigen Beruf der Sekretärin nicht als angelernte, sondern als gelernte Kraft einzustufen. Dies ergebe sich u.a. aus der Einstufung der Klägerin in dem zugrunde liegenden Tarifvertrag des DGB. Damit dürfe sie aber nicht auf den Beruf der Telefonistin verwiesen werden, da dieser Beruf im öffentlichen Dienst nach BAT IX vergütet werde und daher (wie auch in der Privatwirtschaft) als ungelernt einzustufen sei. Hinzukomme, dass die Arbeitplätze für Telefonistinnen nur als Schonarbeitsplätze vergeben würden und mit Stress belastet seien, weshalb die Klägerin die Tätigkeit weder angeboten bekommen noch ausüben könne. Zur Glaubhaftmachung hat die Klägerin u.a. einen Tätigkeitskatalog für DGB-Bedienstete (vom 1. Oktober 1974, i.d.F. vom Juni 1977) sowie ein Arbeitszeugnis (vom 31. Dezember 1995) vorgelegt.

15

Schließlich trägt die Klägerin vor, dass sich ihr gesundheitlicher Zustand abermals verschlechtert habe. Es seien Wirbelkörperverschiebungen in Höhe L3 bis S1 mit zwischenzeitlich eingetretener Facettenblockade festgestellt worden. Außerdem seien ihr nach einem Attest ihrer behandelnden Ärztin BB. tägliche Arbeiten von mindestens 3 Stunden nicht mehr zumutbar. Zur Glaubhaftmachung legt die Klägerin einen Befundbericht der radiologischen Gemeinschaftspraxis Dres. Q. vom 22. Januar 2002 sowie das Attest der praktischen Ärztin BB. vom 31. Januar 2002 vor.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Sie haben vorgelegen und sind Gegenstand von mündlicher Verhandlung und Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe

17

Die gemäß §§ 143f Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Berufung ist unbegründet.

18

Weder der Gerichtsbescheid des SG Stade noch der Bescheid der Beklagten in Gestalt des Widerspruchsbescheides sind zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Weiterbewilligung der EU- oder einer BU-Rente über den 31. Oktober 1995 bzw. den 31. Januar 1996 hinaus. Seit dem 1. November 1995 liegen weder die medizinischen und berufskundlichen Voraussetzungen einer EU/BU-Rente noch ein diesbezüglicher Vertrauensschutz vor. Auch ist nicht später ein neuer Leistungsfall eingetreten. Deshalb hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, und zwar weder auf Rente wegen EU/BU nach dem bis zum 31. Dezember 2000 geltenden (§§ 43, 44 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI - a.F.) alten Recht (unter Berücksichtigung von § 302 b SGB VI) noch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach dem seit dem 01.01.2001 geltenden neuen Recht (§§ 43, 240 SGB VI n.F.).

19

Zu den gesetzlichen Voraussetzungen der §§ 43, 44 SGB VI a.F. nimmt der Senat Bezug auf die Entscheidungsgründe des Gerichtsbescheides des SG (S. 5ff.) und sieht gem. § 153 Abs. 2 SGG von einer erneuten Darstellung ab. Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 43 SGB VI a.F. (Rente wegen Berufsunfähigkeit, BU) liegen bei der Klägerin über den 31. Oktober 1995 hinaus nicht vor. Damit sind erst recht die Voraussetzungen des § 44 SGB VI a.F. für eine Rente wegen EU nicht gegeben, da § 44 SGB VI a.F. noch stärkere Einschränkungen der gesundheitlichen Leistungsfähigkeit verlangt als sie in § 43 SGB VI a.F. geregelt sind.

20

Die Klägerin ist über den 31. Oktober 1995 hinaus nicht berufsunfähig. Es ist bereits zweifelhaft, ob die Klägerin seit diesem Zeitpunkt mit ihrem festgestellten Leistungsvermögen nicht wieder in ihrem bisherigen Beruf der Sekretärin arbeiten kann. Jedenfalls aber ist sie seit dem auf den Beruf einer Telefonistin in Behörden oder größeren Unternehmen der Privatwirtschaft zu verweisen:

21

Die im Jahre 1994 aus Anlass der Rentenbewilligung gehörten Sachverständigen (die Ärztin für Innere Medizin Frau Dr. K. und der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. J.) hatten eine eingeschränkte zeitliche Belastbarkeit der Klägerin festgestellt, weil die Klägerin damals insbesondere unter zeitweisen colitischen Reizzuständen bei Eisenmangelanämie, unter Blutdruckunregelmäßigkeiten und einer psychophysischen Erschöpfung gelitten hatte. Der Klägerin war deshalb von der Beklagten Rente wegen EU auf Zeit bis zum 31. Oktober 1995 bewilligt worden. Die dieser Rentenbewilligung zugrunde liegenden gesundheitlichen Verhältnisse haben sich jedoch nach den zwischenzeitlich vorliegenden Gutachten, die die Beklagte, das SG und der erkennende Senat eingeholt haben, wesentlich gebessert, so dass die Klägerin wieder vollschichtig leichte Arbeiten mit nur noch qualitativen Leistungseinschränkungen verrichten kann. So hat auf internistischem Gebiet der Arzt für Innere Medizin Dr. M. bereits in seinem Gutachten vom 31. Dezember 1995 ein wieder uneingeschränktes Leistungsvermögen der Klägerin im Beruf der Sekretärin und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt festgestellt, weil die Blutdruckwerte inzwischen wieder normoton und eine Symptomatik der Eisenmangelanämie nicht mehr feststellbar sei. Auch hat die Klägerin in der dem Gutachten zugrundeliegenden Anamneseerhebung nicht über manifeste Beschwerden auf internistischem Gebiet geklagt, vielmehr hat sie in der Folgezeit orthopädische und psychische Beschwerden in den Vordergrund gestellt.

22

Auf orthopädischem Fachgebiet haben sowohl der vom Senat beauftragte Sachverständige Dr. U. als auch der von der Klägerin gem. § 109 SGG benannte Sachverständige Prof. Dr. Z. ein jeweils vollschichtiges Leistungsvermögen mit nur qualitativen Einschränkungen festgestellt. Diese Beurteilung gilt ausweislich der beiden Gutachten über den 31. Oktober 1995 bzw. 31. Januar 1996 hinaus (Dr. U.) und auch noch im Februar 2000 (Prof. Dr. Z.). Danach kann die Klägerin noch vollschichtig leichte (Prof. Dr. Z.: bis gelegentlich mittelschwere) Arbeiten überwiegend im Sitzen mit der gelegentlichen Möglichkeit zum Aufstehen und Herumgehen verrichten, sofern Akkord, Tag-Nacht-Wechselschicht, Fließbandarbeiten, Arbeiten an Automaten, die das Arbeitstempo vorgeben, eine besondere Handgeschicklichkeit, ein hohes Konzentrations- und Reaktionsvermögen sowie Tätigkeiten zu vermeiden seien, die kraftaufwendige Halte- und Greiffunktionen mit kraftvollem Einsatz des Daumens wie etwa beim Auswringen von nassem Gewebe erfordern. Diese Einschätzung des Leistungsvermögens der Klägerin ist für den Senat überzeugend, da sie mit den von den Sachverständigen erhobenen Befunden zu erklären ist, namentlich mit einem HWS- und LWS-Syndrom mit teils pseudoradiculärer Symptomatik, Restbeschwerden nach Epicondylitis-Operationen beidseits und einer Daumensattelgelenksarthrose in beiden Händen. Die von der Klägerin zuletzt vorgelegten Bescheinigungen bzw. Atteste (Dres. Q. vom 22. Februar 2002, Praktische Ärztin BB. vom 31. Januar 2002) stehen diesen Einschätzungen nicht entgegen. Die Erklärung der behandelnden Hausärztin eines zeitlich unter 3 Stunden herabgesunkenen Leistungsvermögens ist nicht substantiiert worden und steht zu allen vorgenannten fachmedizinischen Beurteilungen in Widerspruch. Und die radiologisch beschriebenen Wirbelkörperverschiebungen bei L 3 - S 1, die pseudoradiculäre Symptomatik und das Facetten-Syndrom waren den vorgenannten Gutachtern bereits bekannt und von diesen berücksichtigt worden (vgl. etwa das von der Klägerin beantragte Gutachten des Prof. Dr. Z.). Ebenso überzeugend ist die ebenfalls übereinstimmende Aussage beider Sachverständigen, dass die Klägerin noch viermal täglich mehr als 500m in zumutbarer Zeit zurücklegen kann. Hierzu haben beide Sachverständige übereinstimmend eine Gonarthrose beidseits diagnostiziert, wobei ihnen das Operationsergebnis des linken Knies (Dr. U. und Prof. Dr. Z.) und des rechten Knies (Prof. Dr. Z.) bereits bekannt war. Die zur Wegefähigkeit abweichende Auffassung der Klägerin ist unzutreffend. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist eine rentenrechtlich erhebliche Einschränkung der Wegefähigkeit erst anzunehmen bei einem Herabsinken der in zumutbarer Zeit zurücklegbaren Wegstrecke auf nicht mehr als 500m, und nicht schon - wie die Klägerin meint - auf 600m (vgl. zur Rechtsprechung des BSG nur die Nachweise bei: Kasseler-Kommentar-Niesel, Stand: 34. Erg., August 2001, § 43 SGB VI, Rn. 92). Entgegen der Einschätzung der Klägerin bestätigt deshalb auch das Gutachten von Prof. Dr. Z. nach § 109 SGG (viermal täglich 600m in zumutbarer Zeit möglich) das Vorliegen der rentenrechtlich maßgeblichen Wegefähigkeit der Klägerin. - Nur ergänzend ist zu erwähnen, dass die gehörten orthopädischen Sachverständigen jeweils eine Besserungsfähigkeit der angegebenen Kniebeschwerden durch konsequente Therapie und Gewichtsabnahme mitteilten.

23

Auch auf psychischem Gebiet besteht seit Oktober 1995 keine wesentliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit der Klägerin mehr. So kommen die Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. und Dr. W. übereinstimmend zu der Einschätzung, dass sich die psychische Situation der Klägerin spätestens mit dem Ende der EU-Rentengewährung wieder stabilisiert habe. Dr. L. nimmt eine Stabilisierung bei uneingeschränkter Leistungsfähigkeit bereits zur Zeit seiner Untersuchung der Klägerin im Oktober 1995 an, und Dr. W. erklärt, dass eine depressive Symptomatik am Anfang der 90-er Jahre bestanden, jedoch nur möglicherweisenoch bis zum Januar 1996 angedauert habe und jedenfalls sodann eine deutliche Besserung eingetreten sei. Der hiervon abweichenden Einschätzung der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie P. (halb- bis untervollschichtiges Leistungsvermögen zum Untersuchungszeitpunkt im Juni 1997) vermag sich der Senat nicht anzuschließen, da sie weder mit weiteren vorliegenden Fachstellungnahmen noch mit den eigenen anamnestischen Angaben der Klägerin in Übereinstimmung steht. So war die Klägerin nach dem Entlassungsbericht der psychosomatischen Klinik in CB. vom Juni 1996 in wesentlich gebessertem Zustand entlassen worden. Und nach den eigenen Angaben der Klägerin in verschiedenen Anamneseerhebungen (Bericht der DRK-Krankenanstalten DB. vom 28. Dezember 1993; Gutachten Dr. W. vom Oktober 2000) hatte sich die Klägerin nach dem Tod des Ehemannes, der im Jahre 1989 an einem progredient verlaufenden Magenkarzinom gestorben war und den sie bis zuletzt zu Hause gepflegt hatte, zwar zunächst in Arbeit gestürzt, sich beruflich wie außerberuflich überlastet (Versuch der Nachholung des Abiturs auf dem Abendgymnasium) und mit psychophysischer Erschöpfung und depressiver Symptomatik reagiert. Sie sei zu dieser Zeit ziemlich fertiggewesen. Jedoch deuten die Entwicklungen in der Folgezeit darauf hin, dass die von den Sachverständigen angenommene Stabilisierung eingetreten ist (neuer Lebenspartner seit 1993, mehrmals wöchentlich Versorgung des kleinen Enkelkindes, Schreiben von Geschichten, die später ggf. veröffentlicht werden sollen). Aus rechtlichen Gründen ist zudem darauf aufmerksam zu machen, dass Frau P. bei ihrer Einschätzung eines untervollschichtigen Leistungsvermögens nicht von einem Dauerzustand ausgegangen ist, sondern von einer Besserungsfähigkeit durch begleitende Psychotherapie in einigen Monaten. Aus rechtlichen Gründen dürfte deshalb selbst bei Zugrundelegung (ausschließlich) dieses Gutachtens eine Fortgewährung der EU/BU-Rente nicht erfolgen, weil nach ständiger Rechtsprechung des BSG vor einer Rentenbewilligung die zur Verfügung stehenden (und von Frau P. sogar nur berufsbegleitend) vorgeschlagenen Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft sein müssen (vgl. nur nochmals Kasseler-Kommentar-Niesel, a.a.O., § 43 Rn. 74 m.w.N.).

24

Aufgrund dieses festgestellten Leistungsvermögens bestehen bereits Zweifel, ob die Klägerin ihren bisherigen Beruf der Sekretärin nicht weiter ausüben kann. Denn es dürfte sich dabei um eine leichte Arbeit handeln, ohne Akkord, Tag-Nacht-Wechselschicht, Fließbandarbeiten, Arbeiten an Automaten, die das Arbeitstempo vorgeben, ohne besondere Handgeschicklichkeit, ohne hohes Konzentrations- und Reaktionsvermögen sowie ohne Tätigkeiten, die kraftaufwendige Halte- und Greiffunktionen mit kraftvollem Einsatz des Daumens wie etwa beim Auswringen von nassem Gewebe erfordern. Auch ist in diesem Zusammenhang zweifelhaft, wie die Aussage in dem von der Klägerin vorgelegten Zeugnis des letzten Arbeitgebers (DGB) vom 31. Dezember 1995 zu verstehen ist, wonach der Arbeitsplatz der Klägerin aus organisatorischen Gründen weggefallen ist und kein anderer adäquater Arbeitsplatz angeboten werden könne.

25

Die Fragen können jedoch dahinstehen. Denn jedenfalls ist die Klägerin auf den Beruf der Telefonistin in Behörden und größeren Unternehmen der Privatwirtschaft zu verweisen.

26

Dabei lässt der Senat zugunsten der Klägerin dahinstehen, ob sie sich - wie die Klägerin meint - auf Berufsschutz berufen und ihre letzte Tätigkeit als gelernt eingestuft werden kann. Zwar könnte für eine solche Einstufung die frühere Lehre zur Bankkauffrau, die anschließend zunächst erfolgte entsprechende Berufstätigkeit sowie die tarifliche Einstufung beim DGB sprechen. Gegen eine Bewertung als gelernte Kraft könnte hingegen sprechen, dass sich die Klägerin vom ursprünglich erlernten Beruf gelöst haben könnte, als sie die Stelle beim DGB annahm, um statt einer Halbtags- nun wieder eine Volltagstätigkeit ausüben zu können, und die Arbeiten der Sekretärin beim DGB, wie sie tatsächlich beschrieben wurden (organisatorische und Schreibarbeiten), eher als angelernte denn als gelernte Arbeiten einzuordnen sein könnten. Auch kam der gehörte berufskundliche Sachverständige in Anbetracht der tatsächlichen Aufgaben der Klägerin als Sekretärin in seiner ergänzenden Einschätzung zur Annahme einer angelernten Tätigkeit.

27

Die Frage kann indes dahinstehen, weil die Tätigkeit der Telefonistin in Behörden und größeren Unternehmen eine angelernte Tätigkeit ist, auf die auch gelernte Kräfte verwiesen werden können. Denn sie wird nach den Ausführungen des vom Senat vernommenen berufskundlichen Sachverständigen z.B. im öffentlichen Dienst mit BAT VIII/VII und damit als Anlerntätigkeit entlohnt. Die gegen diese Einstufung von der Klägerin erhobenen Einwände treffen nicht zu. Die Angaben des berufskundlichen Sachverständigen stimmen mit der bekannten Rechtsprechung zum Telefonisten-Beruf überein, wonach die Tätigkeit als angelernt einzustufen ist (vgl. nur: BSG, Urteil vom 12. September 1991, 5 RJ 34/90; Hessisches LSG, Urteil vom 20. Oktober 1998, L 2 RJ 950/97; 10. Senat des LSG Niedersachsen, Urteil vom 7. Juni 2001, L 10 RJ 283/99; 1. Senat des LSG Niedersachsen, Urteil vom 17. März 1999, L 1 RA 96/98). Auch tritt der Senat der überzeugenden Einschätzung des berufskundlichen Sachverständigen bei, wonach die Tätigkeit der Telefonistin mit dem gesundheitlichen Leistungsvermögen der Klägerin ohne weiteres ausgeübt werden kann. Insbesondere kann die Tätigkeit wegen der Ausstattung der Telefonistin mit Kopfhörer und Mikrofon im Haltungswechsel verrichtet werden. Schreibarbeiten fallen allein in Form kurzer Vermerke an (vgl. nochmals 10. und 1. Senat des LSG Nds., a.a.O.). Schließlich ist auch eine besondere Stressbelastung wegen der heute bereits verfügbaren bedienungsfreundlichen Software-Ausstattung (etwa Telefonverzeichnisse auf CD-ROM) nicht zu erwarten, und um Schonarbeitsplätze handelt es sich nicht (vgl. dazu nochmals sämtliche oben zitierten Urteile).

28

Damit ist eine Weiterbewilligung der EU/BU-Rente über den 31. Oktober 1995 hinaus aus medizinischen und berufskundlichen Gründen ausgeschlossen.

29

Die Fortgewährung der EU(BU)-Rente kann auch nicht unter rechtlichen Gesichtspunkten beansprucht werden, insbesondere nicht aus Gründen des Vertrauensschutzes. Als Rechtsgrundlage kommt hierfür allein die auf § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zurückgehende sog. Erwirkung (vgl. nur: Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, 13. Aufl., Band I, Allgemeiner Teil, § 10 II h m.w.N.) in Betracht. Insoweit ist jedoch bereits zweifelhaft, ob das dem Zivilrecht angehörende Institut überhaupt auf das öffentliche und dort auf das Sozial- bzw. Sozialversicherungsrecht übertragbar ist. Dagegen könnte sprechen, dass die Erwirkung die Fortzahlung einer an sich ohne Rechtsgrund erbrachten Leistung bewirkt, die Erbringung einer Leistung ohne Rechtsgrund aber im sozialen Leistungsrecht gegen § 31 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) (Vorbehalt des Gesetzes) verstoßen könnte. Diese rechtliche Frage kann jedoch dahinstehen. Denn jedenfalls wären selbst im Falle einer Anwendbarkeit der Erwirkung deren tatsächliche Voraussetzungen nicht erfüllt. Denn die Erwirkung verlangt als Umkehrfall der sog. Verwirkung (vgl. nochmals Larenz, a.a.O.), dass eine Leistung bereits über einen längeren Zeitraum hinweg ohne rechtlichen Grund erbracht wurde und der Empfänger aufgrund eines entsprechenden Verhaltens des Leistenden auf die Fortzahlung vertrauen durfte. Vorliegend hat die Beklagte zwar seit dem 1. November 1995 die EU-Rente ohne rechtlichen Grund gezahlt, weil weder ihre medizinischen noch ihre berufskundlichen Voraussetzungen vorlagen (siehe oben). Jedoch hat die Beklagte diese rechtsgrundlose Leistung an die Klägerin nicht über einen längeren Zeitraum erbracht, der im Zivilrecht bei Dauerschuldverhältnissen zwischen 1 und 30 Jahren beträgt (Palandt, 50. Aufl. § 242 BGB, Rn. 93, 99ff.), vorliegend jedoch nur 3 Monate betrug (1. November 1995 bis 31. Januar 1996). Im Übrigen sind auch keine Umstände erkennbar, mit denen die Beklagte ein Vertrauen der Klägerin auf (dauerhafte ?) Weitergewährung geschaffen haben könnte; solche Umstände sind aber erforderlich, um die gravierende Rechtsfolge der (dauerhaften?) Weitergewährung rechtfertigen zu können (vgl. nochmals Larenz a.a.O.). Schließlich ist auch kein schützenswertes Vertrauen der Klägerin erkennbar. Denn hierfür reicht nicht aus, dass der Leistungsempfänger subjektiv meint, das Empfangene behalten bzw. weiter erhalten zu können. Maßgeblich ist vielmehr allein, ob er aus objektiven Umständen eine solche Schlussfolgerung ziehen durfte. Solche objektiven Umstände sprechen vorliegend aber eher gegen als für ein Vertrauen der Klägerin. Denn immerhin hatte die Klägerin nach ihrem Weiterbewilligungsantrag vom Juni 1995 noch im Oktober 1995 eine Sachstandsanfrage an die Beklagte gerichtet und damit zum Ausdruck gebracht, dass sie wusste, Leistungen in Form einer EU-Rente nur erhalten und behalten zu dürfen, wenn eine entsprechende Entscheidung über die Fortzahlung getroffen würde und dass diese Entscheidung noch ausstand.

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Lag somit über den 31. Oktober 1995 hinaus ein rechtlicher Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer EU/BU-Rente nicht vor, war auch keine Anhörung gem. § 24 SGB X erforderlich. Denn eine solche ist nur rechtlich vorgeschrieben, wenn in eine bestehende Rechtsposition des Adressaten eingegriffen werden soll. Da bei der Klägerin aber - wie gezeigt - keine Rechtsposition im Sinne etwa eines Rentenanspruchs bestand, konnte in eine solche Position auch nicht eingegriffen werden. Der Senat sah deshalb keinen Anlass, die Revision zuzulassen. -Bei alle dem hatte der Senat nicht zu entscheiden, ob die Beklagte der Klägerin überhaupt drei Monate lang ohne rechtlichen Grund Leistungen erbringen durfte, ohne diese später zurückzufordern, auch nicht darüber, ob ein Rückzahlungsanspruch der Beklagten gegen die Klägerin besteht, so dass die Klägerin zur Rückzahlung verpflichtet wäre. Denn diese Fragen sind nicht Streitgegenstand des Verfahrens geworden.

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Die Berufung war daher zurückzuweisen.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.