Landessozialgericht Niedersachsen
Urt. v. 07.03.2002, Az.: L 8 AL 130/01
Anspruch des Arbeitnehmers auf Insolvenzgeld bei noch offenstehenden Ansprüchen auf Arbeitsentgelt bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen
- Datum
- 07.03.2002
- Aktenzeichen
- L 8 AL 130/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 41576
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Oldenburg - 08.02.2001 - AZ: S 41 AL 579/99
Rechtsgrundlage
- § 193 Abs. 1 Satz 1 SGB III
Prozessführer
B.,
Prozessgegner
Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg,
vertreten duch den Präsidenten des Landesarbeitsamtes Niedersachsen-Bremen,
Altenbekener Damm 82, 30173 Hannover,
In dem Rechtsstreit
hat der 8. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 7. März 2002
durch
den Richter D. - Vorsitzender -,
den Richter E.,
den Richter F. sowie
die ehrenamtlichen Richter G. und
H.
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 8. Februar 2001 wird zurückgewiesen.
- 2.
Kosten sind nicht zu erstatten.
- 3.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist ein weiterer Anspruch des Klägers auf Insolvenzgeld (Insg).
Der Kläger war bis zum 28. Februar 1999 bei der Firma J. K. KG in L. beschäftigt, über deren Vermögen am 1. März 1999 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Auf das Arbeitsverhältnis fanden die für allgemein verbindlich erklärten Tarifverträge für den Einzelhandel Niedersachsen Anwendung.
Mit Bescheid vom 18. Februar 1999 bewilligte die Beklagte für die Zeit vom 1. Dezember 1998 bis zum 28. Februar 1999 entsprechend der Insg-Bescheinigung des Insolvenzverwalters Insg in Höhe von insgesamt 12.169,98 DM. Damit war der Kläger nicht einverstanden. Nach seiner Auffassung sei die Verdienstbescheinigung des Insolvenzverwalters fehlerhaft gewesen, weil dort nicht die volle Sonderzuwendung für 1998, wie vom Arbeitgeber in der Dezemberabrechnung in Höhe von 2.564,40 DM anerkannt, sondern nur ein Zwölftel ausgeworfen worden sei. Das Widerspruchsverfahren blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 9. November 1999).
Die am 13. Dezember 1999 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Oldenburg durch Urteil vom 8. Februar 2001 abgewiesen und die Berufung zugelassen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, der Tarifvertrag sehe ein Zwölftel des Weihnachtsgeldes für jeden Beschäftigungsmonat vor, sodass nur die im Insg-Zeitraum erarbeiteten Anteile ausgeglichen werden könnten.
Gegen das am 15. Februar 2001 zugestellte Urteil hat der Kläger am 14. März 2001 Berufung eingelegt. Er trägt vor, dass der Arbeitgeber über den tariflichen Rahmen hinaus die volle Sonderzuwendung auch denjenigen Mitarbeitern gezahlt habe, die sich in Erziehungsurlaub befunden hätten oder über den gesamten Jahreszeitraum arbeitsunfähig erkrankt gewesen seien. Im Vordergrund habe deshalb die Betriebstreue gestanden, die durch die Zahlung honoriert worden sei, und nicht der Entgeltcharakter.
Der Kläger beantragt,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 8. Februar 2001 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. März 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. November 1999 zu ändern,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger höheres Insolvenzgeld zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte erwidert, auch bei einer Jahressondervergütung mit Mischcharakter komme es bei der zeitlichen Zuordnung zum Insg-Zeitraum entscheidend darauf an, ob die Zusage der Jahressondervergütung im Falle der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausdrücklich einen anteiligen Anspruch auf die Sondervergütung vorsehe.
Wegen des umfassenden Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte sowie auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Zutreffend hat das SG die Klage abgewiesen. Dem Kläger steht kein weiteres Insg für die tarifliche Sonderzuwendung 1998 zu.
Gemäß § 193 Abs 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insg, wenn sie bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers (Insolvenzereignis) für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Der Anspruch des Klägers auf die Sonderzuwendung nach dem Tarifvertrag über Urlaubsgeld, Sonderzuwendung und Entgeltfortzahlung für die Betriebe des Einzelhandels Niedersachsen vom 3. Dezember 1997 zählt zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt iS der obigen Vorschrift. Es handelt sich nämlich um eine Gegenleistung des Arbeitgebers für die Arbeitsleistung, die sich der Zeit vor dem Insolvenzereignis zuordnen lässt. Sie ist auch im Insg-Zeitraum fällig und abgerechnet worden. Fraglich ist lediglich, ob diese Zahlung den einzelnen Monaten des Jahres 1998 zuzuordnen ist.
Jahressonderzuwendungen (umgangssprachlich: Weihnachtsgeld) werden in der Regel für geleistete Arbeit und zur Belohnung für die Betriebstreue erbracht. Bei der zu Zwecken des Insg erforderlichen zeitlichen Zuordnung einer Jahressonderzuwendung ist unter Berücksichtigung des arbeitsrechtlichen Entstehungsgrundes und der Zweckbestimmung der Leistung zu differenzieren. Arbeitsrechtliche Regelungen, die für den Arbeitnehmer auch bei vorherigem Ausscheiden einen zeitanteiligen Anspruch vorsehen, begründen einen Insg-Anspruch in Höhe des auf den Insg-Zeitraum fallenden Anteils, und zwar auch dann, wenn die Insolvenz schon vor der Fälligkeit des Gesamtanspruchs eingetreten ist (Bundessozialgericht - BSG - SozR 4100 § 141b Nr 8 und Nr 40). Lässt sich die Jahressondervergütung dagegen nicht einzelnen Monaten zurechnen, so ist sie in voller Höhe beim Insg zu berücksichtigen, wenn diese in den letzten drei Monaten des Arbeitsverhältnisses vor dem Insolvenzereignis hätte ausgezahlt werden müssen; liegt der Fälligkeitszeitpunkt aber außerhalb des Insg-Zeitraumes, kann auch ein anteiliger Ausgleich durch das Insg nicht erfolgen (BSG SozR 4100 § 141b Nr 42; SozR 3-4100 § 141b Nr 1).
Unter Anwendung dieser von der Rechtsprechung ausgearbeiteten Kriterien ist die Sonderzuwendung nach dem Tarifvertrag für den Einzelhandel Niedersachsen Arbeitsentgelt, das sich einzelnen Kalendermonaten im Jahr zuordnen lässt. Sie kann über die Insg-Versicherung nur anteilig für die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses vor dem Eintritt des Insolvenzereignisses abgewickelt werden.
Gemäß § 8 des Tarifvertrages Einzelhandel Niedersachsen haben Beschäftigte Anspruch auf die tarifliche Sonderzuwendung, wenn sie am 1. Dezember dem Betrieb mindestens 12 Monate ununterbrochen angehört haben. Eine Zwölftelung sieht § 12 dieses Tarifvertrages vor. Danach hat der Beschäftigte nach dem ersten Jahr der ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit Anspruch auf so viele Zwölftel der tariflichen Sonderzuwendung, wie er im laufenden Kalenderjahr volle Monate im Betrieb tätig war. Zeiten, für die kein Anspruch auf Arbeitsentgelt, Ausbildungsvergütung oder Urlaubsentgelt besteht, gelten nicht als Tätigkeitszeiten. Als Tätigkeitszeiten gelten dagegen die Mutterschutzfristen.
Deutlicher können die Tarifvertragsparteien den Entgeltcharakter der tariflichen Leistung und deren Zweckbestimmung als zusätzliches Entgelt für jeden Monat mit Anspruch auf Arbeitsentgelt bzw auf Arbeitsentgeltersatzleistung kaum zum Ausdruck bringen. Es handelt sich um monatlich erarbeitetes und vorenthaltenes Arbeitsentgelt, welches in einem Jahresbetrag abgerechnet und ausgezahlt wird.
An dem Charakter und an den Zuordnungskriterien der tariflichen Sonderzuwendung kann der Umstand nichts ändern, dass der Arbeitgeber - wie der Kläger im Berufungsverfahren vorgetragen hat - in besonderen Ausnahmesituationen, zB beim Erziehungsurlaub bzw bei längeren Arbeitsunfähigkeitszeiten, eine für Arbeitnehmer günstigere Handhabung gepflegt hat. Denn die günstigeren Ausnahmeregelungen durch den Arbeitgeber in den Fällen des Ruhens des Arbeitsverhältnisses können am Grundgedanken und an der Grundstruktur der tariflichen Sonderzuwendung, die für den Fall des Ausscheidens eine Zwölftelung vorsieht, nichts ändern.
Die Kostenentscheidung beruht auf Anwendung des § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Revision bedarf der Zulassung (§ 160 SGG). Diese ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Entscheidung nicht von höchstrichterlicher Rechtsprechung abweicht.