Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 06.09.2022, Az.: 5 B 3041/22

Differentialdiagnose; Epilepsie; Fahrerlaubnis; Fahrerlaubnis, Entziehung; Fokale Epilepsie; Herzrhythmusstörungen; Synkopen; Verdachtsdiagnose

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
06.09.2022
Aktenzeichen
5 B 3041/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59672
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Entziehung der Fahrerlaubnis ist ohne Anforderung eines ärztlichen Gutachtens gerechtfertigt, wenn in einem fachärztlichen Arztbericht die Fahreignung ausdrücklich verneint wird, obwohl differentialdiagnostisch noch offen ist, welche von zwei zum Ausschluss der Fahreignung führenden Erkrankungen vorliegen.

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis.

Er ist 1957 geboren und seit 1980 durchgehend im Besitz der Fahrerlaubnis der Klassen 1 und 3.

Am 7. Januar 2019 verunglückte der Antragsteller mit einem Kraftfahrzeug auf einer Kreisstraße, wobei er mit dem Fahrzeug nach rechts von der Fahrbahn abkam und mit zwei quer abgestellten PKW zusammenstieß. Gegenüber den vor Ort erschienen Polizeibeamten gab er an, zum Unfallgeschehen keine Erinnerung zu haben und einen „Blackout“ gehabt zu haben. Ein Zeuge berichtete, der Antragsteller sei unmittelbar nach dem Unfall für ca. zwei Minuten „weg“ gewesen, bevor er wieder zu sich gekommen sei. Der Antragsgegner erhielt durch die Polizei Kenntnis von dem Unfall und gab dem Antragsteller auf, einen Fragebogen über seinen Gesundheitszustand durch einen Arzt ausfüllen zu lassen und zurückzugeben. Der Antragsteller reichte den ärztlich ausgefüllten Fragebogen zurück, in dem Erkrankungen mit Auswirkungen auf die Fahreignung sämtlich verneint wurden und die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen und seines Leistungs- und Reaktionstests verneint wurden. In der Gesamtschau leide der Antragsteller nach seinem Verkehrsunfall an einer retrograden Amnesie, die nicht ungewöhnlich sei. Er sei bisher völlig unauffällig, es gebe keinen Anhalt für Einschränkungen. Der Antragsgegner sah daraufhin von weiteren Maßnahmen oder Ermittlungen ab, behielt sich aber vor, die Fahreignung des Antragstellers bei einem weiteren Vorfall zu prüfen.

Am 1. Februar 2022 kam der Antragsteller mit seinem PKW auf der BAB7 aus ungeklärter Ursache nach rechts von der Fahrbahn ab und überschlug sich mit dem PKW. Nach dem Polizeibericht gab der Antragsteller an, erst zu sich gekommen zu sein, als Ersthelfer ihn angesprochen und an ihm gezerrt hätten. Der Antragsteller habe nach Einschätzung der Beamten einen „Blackout“ gehabt, in dessen Folge er von der Fahrbahn abgekommen sei.

Nachdem die Polizei den Unfall dem Antragsgegner mitgeteilt hatte, ordnete der Antragsgegner unter dem 18. März 2022 die Vorlage eines Gutachtens einer anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zur der Frage an, ob bei dem Antragsteller eine Gesundheitsstörung oder Krankheit vorliege, die für die Fahreignung erheblich sei, und ob der Antragsteller bejahendenfalls trotz der festgestellten Gesundheitsstörung oder Krankheit ein Fahrzeug der Gruppen 1 und 2 sicher führen könne.

Der Antragsteller teilte daraufhin mit, dass er bereits seit seinem Unfall auf ärztlichen Rat keine Kraftfahrzeuge mehr führe. Zugleich kündigte er an, dass er am 4. Mai 2022 einen Termin in der Neurologie eines Krankenhauses habe, in dessen Rahmen auch über seine Fahrtauglichkeit entschieden werden solle. Der Antragsgegner teilte hierzu mit Schreiben vom 29. März 2022 vorsorglich mit, dass das Krankenhaus keine anerkannte Begutachtungsstelle sei und die neurologische Untersuchung die geforderte Begutachtung deshalb nicht ersetzen könne. Der Termin bringe möglicherweise gleichwohl Erkenntnisse, die sich auf die Gutachtenanforderung und die Gutachterfragen auswirken könnten. Die Anordnung zur Vorlage des Gutachtens werde daher zunächst ausgesetzt, um das Ergebnis der Untersuchung abzuwarten.

Unter dem 8. Mai 2022 teilte der Antragsteller mit, dass ein schriftlicher Bericht über die Untersuchung noch nicht vorliege. Der Arzt habe jedoch über seine Fahrtauglichkeit nicht abschließend entscheiden können und empfohlen, weiterhin keine Kraftfahrzeuge zu führen. Eine weitere Untersuchung sei für den 17. August 2022 vereinbart.

Der Antragsgegner teilte dem Antragsteller daraufhin unter dem 19. Mai 2022 mit, dass aufgrund seiner Angaben die Begutachtung aufgrund der Anordnung vom 18. März 2022 durchzuführen sei. Zugleich ließ er dem Antragsteller die Übersendung des Arztbriefs bis 3. Juni 2022 nach und wies erneut darauf hin, dass die Untersuchung das angeforderte Gutachten nicht ersetze. Der Antragsteller könne allerdings auch freiwillig auf die Fahrerlaubnis verzichten.

Am 26. Mai 2022 übersandte der Antragsteller einen Arztbrief vom 23. Mai 2022. Darin wird ein Verdacht auf fokale Epilepsie mit nicht bewusst erlebten Anfällen bei Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma 1978 mit postkontusionellen zerebralen Defekten, differentialdiagnostisch abzugrenzen von einem synkopalen Geschehen festgestellt. Im Hinblick auf ein synkopales Geschehen sei nach dem letzten Unfall des Antragstellers ein Eventrecorder implantiert worden, im Hinblick auf den Verdacht einer Epilepsie eine antiepileptische Therapie begonnen worden. Zu Auffälligkeiten sei es seitdem nicht mehr gekommen, der Eventrecorder sei bisher nicht kontrolliert worden.

Es könne – bei aller Unbelegbarkeit – angenommen werden, dass der Unfall eine Folge einer Bewusstlosigkeit sei und nicht umgekehrt die Bewusstlosigkeit die Folge eines unfallbedingten Traumas. Die Annahme einer fokalen Epilepsie sei wahrscheinlicher als traumabedingte Beeinträchtigungen, auf die es keine Hinweise gebe, und synkopale Ereignisse. Aufgrund der Verdachtsdiagnose bestehe derzeit keine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Diese könne erst nach einem Jahr ohne weiteren Bewusstseinsverlust wieder bestehen. Der Antragsteller sei ausdrücklich darüber aufgeklärt worden, dass er das Führen jeglicher Kraftfahrzeuge zu unterlassen habe.

Mit Schreiben vom 31. Mai 2022 hob daraufhin der Antragsgegner die Anordnung der Vorlage eines fachärztlichen Gutachtens auf und hörte den Antragsteller zu der Absicht an, die Fahrerlaubnis unmittelbar zu entziehen.

Der Antragsteller wiederum schrieb am 1. Juni 2022, dass er mit einer Begutachtung einverstanden sei, und bat darum, ihm eine anerkannte Begutachtungsstelle zu nennen, die den implantierten Eventrecorder auslesen und die beabsichtigten Folgeuntersuchungen (MRT und EEG) leisten könne.

Der Antragsgegner erwiderte, dass die fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bereits durch den Arztbrief vom 23. Mai 2022 belegt sei. Die Vorlage eines Gutachtens sei daher nicht erforderlich, die entsprechende Anordnung aufgehoben worden. Wenn der Antragsteller gleichwohl ein Gutachten vorlegen wolle, könne er die dazu erforderliche Einverständniserklärung bis zum 17. Juni 2022 zurückreichen, ansonsten erfolge danach die Entziehung der Fahrerlaubnis.

Der Antragsteller äußerte sich, jetzt anwaltlich vertreten, mit dem Einwand, dass bisher nur eine Verdachtsdiagnose gestellt sei. Er sei bereit, an der Abklärung seines Gesundheitszustands mitzuwirken, und verzichte auch auf das Führen von Kraftfahrzeugen. Die mit der Anhörung vom 31. Mai 2022 gesetzte Frist sei zu kurz bemessen. Nach Akteneinsicht ergänzte er, dass der Unfall am 1. Februar 2022 keine hinreichenden Zweifel an seiner Fahrtauglichkeit aufwürfe. Die Entziehung der Fahrerlaubnis sei nicht veranlasst.

Mit Bescheid vom 5. Juli 2022 entzog der Antragsgegner dem Antragsteller die Fahrerlaubnis, ordnete die sofortige Vollziehung an und gab dem Antragsteller unter Androhung eines Zwangsgeldes auf, seinen Führerschein abzugeben. Zur Begründung führt der Antragsgegner aus, dass der Antragsteller nach der vorgelegten ärztlichen Einschätzung gegenwärtig nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sei. Die Anforderung eines medizinischen Gutachtens durch den Antragsteller sei deshalb nicht mehr veranlasst. Der Antragsteller habe auch aus eigener Initiative kein Gutachten vorgelegt, aus dem sich seine Fahreignung erweise. Daher sei von der mangelnden Eignung auszugehen.

Der Antragsteller hat am 21. Juli 2022 Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist – 5 A 3040/21 –, und um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung macht er geltend, dass der Verkehrsunfall am 1. Februar 2022 kein hinreichender Grund sei, die Fahrerlaubnis zu entziehen. Die Unfallursache sei unklar, er selbst sei erst nach dem Unfall wieder zu sich gekommen. Der Unfall könne auch durch einen äußeren Einfluss geschehen sein. Die neurologische Untersuchung habe bisher erst eine Verdachtsdiagnose ergeben, die keineswegs gesichert sei. Er verzichte auf ärztlichen Rat auf das Führen von Kraftfahrzeugen, insofern bestehe auch kein Anlass für die Entziehung der Fahrerlaubnis und deren sofortige Vollziehung. Er sei weiterhin bemüht und willens, seine Fahrtauglichkeit medizinisch klären zu lassen. Weitere Untersuchungen seien für den 27. Juli und den 17. August 2022 geplant. Als Kassenpatient habe er allerdings Schwierigkeiten, zeitnahe Termine für MRT und neurologische Untersuchungen zu vereinbaren.

Ein Sachverständigengutachten über die Schäden an seinem Auto habe außerdem ergeben, dass der Unfall Folge eines von außen einwirkenden Ereignisses gewesen sei.

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung seiner Klage vom 21. Juli 2022 gegen die Verfügung des Beklagten vom 5. Juli 2022 wiederherzustellen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen,

und nimmt zur Begründung im Wesentlichen Bezug auf den angefochtenen Bescheid. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen. Der Inhalt sämtlicher Akten war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

II.

Die Entscheidung ergeht durch den Einzelrichter, dem die Kammer den Rechtsstreit mit Beschluss vom 22. August 2022 gem. § 6 Abs. 1 VwGO übertragen hat.

Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage bleibt ohne Erfolg.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt in formeller Hinsicht den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, wonach das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung der Entziehungsverfügung schriftlich zu begründen ist. Mit dem Hinweis auf das öffentliche Interesse an einem sicheren Straßenverkehr, der durch eine weitere Teilnahme des Antragstellers am Straßenverkehr bis zum Abschluss des Klageverfahrens gefährdet sei, hat der Antragsgegner das Überwiegen des öffentlichen Interesses am Sofortvollzug gegenüber dem Interesse des Antragstellers, Fahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr führen zu dürfen, ausreichend dargelegt. Auch mit dem Vorbringen des Antragstellers, dass er auf ärztlichen Rat schon freiwillig auf das Führen von Kraftfahrzeugen verzichte, hat sich der Antragsgegner auseinandergesetzt. Ob die gegebene Begründung inhaltlich trägt, ist nicht Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung der Einhaltung des Formerfordernisses des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Vielmehr trifft das Gericht in der Sache eine eigene Abwägungsentscheidung.

Bei Entscheidungen nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht die Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen und die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 2. Alt. VwGO ganz oder teilweise wiederherzustellen, soweit das Interesse des Betroffenen, von einem Vollzug der angefochtenen Entscheidung vorläufig verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an dem nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO angeordneten sofortigen Vollzug überwiegt. Hierbei sind einerseits die Erfolgsaussichten des Klageverfahrens zu berücksichtigen, soweit diese sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bereits abschätzen lassen, andererseits die Folgen des Vollzugs für den Antragsteller und die Folgen der Aussetzung der Vollziehung für die Allgemeinheit. Nach diesem Maßstab überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse.

Der Bescheid des Antragsgegners vom 5. Juli 2022 ist nach summarischer Prüfung rechtmäßig.

Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber der Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Die Inhaber einer Fahrerlaubnis müssen die hierfür notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllen. Die Anforderungen sind insbesondere nicht erfüllt, wenn ein Mangel nach den Anlagen 4 oder 5 zur FeV vorliegt, durch den die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen wird (§ 46 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3, § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 FeV).

Diese Negativvoraussetzung ist im Fall des Antragstellers nach dem im vorläufigen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung gegeben, denn nach dem fachärztlichen Bericht seines Neurologen Dr. D. vom 23. Mai 2022 besteht bei ihm ein Verdacht auf fokale Epilepsie mit nicht bewusst erlebten Anfällen, der differentialdiagnostisch von einem synkopalen Geschehen bei vorbekannter asymptomatischer Sinusbradykardie abzugrenzen ist. Hinweise auf traumabedingte Beeinträchtigungen, die den Bewusstseinsverlust als Unfallfolge hätten erklären können, seien nicht erkennbar, wohl aber ein Herdbefund im EEG und eine Vorgeschichte mit Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma 1978, die auf eine Epilepsie hindeuteten. Der Antragsteller sei daher mit Antiepileptika in niedriger Dosis eingestellt. Die Fahreignung sei angesichts der Verdachtsdiagnose einer fokalen Epilepsie gegenwärtig zu verneinen und nach bisherigem Sachstand frühestens nach einem Jahr Anfallsfreiheit zu bejahen.

Der Einwand des Antragstellers, dass es sich lediglich um Verdachtsdiagnosen handele, greift demgegenüber nicht durch. Sowohl die Epilepsie als auch Herzrhythmusstörungen mit anfallsweiser Bewusstseinstrübung oder Bewusstlosigkeit zählen zu den Erkrankungen und Mängeln, die die Fahreignung beeinträchtigen können. Nach Nr. 6.6 der Anlage 4 zur FeV ist die Fahreignung im Falle einer Epilepsie nur ausnahmsweise gegeben, wenn kein wesentliches Risiko von Anfallsrezidiven mehr besteht, z.B. ein Jahr (für Fahrzeuge der Gruppe 1 – Klassen A, A1, A2, B, BE, AM, L, T) bzw. fünf Jahre (Fahrzeuge der Gruppe 2 – Klassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E, FzF) Anfallsfreiheit vorliegt. Synkopen als Folge von Herzrhythmusstörungen mit anfallsweiser Bewusstseinstrübung oder Bewusstlosigkeit schließen die Fahreignung gem. Nr. 4.1.1 der Anlage 4 zur FeV absolut aus. Die Unklarheit der Verdachtsdiagnose besteht daher lediglich dahingehend, aus welchem Grund die Fahreignung nicht gegeben ist und unter welchen Voraussetzungen sie wieder erlangt werden kann.

Auch der weitere Einwand des Antragstellers, dass die Ursache seines Verkehrsunfalls am 1. Februar 2022 weiterhin unklar sei, geht an der Sache vorbei. Die neurologisch-fachärztliche Einschätzung beruht nicht allein auf dem Unfallereignis – das der Facharzt im Übrigen als Ursache der Bewusstlosigkeit für wenig wahrscheinlich hält –, sondern auf den erhobenen Befunden, insbesondere einem EEG-Befund mit einer regionalen Hirnfunktionsstörung links frontotemporal. Im Übrigen gibt auch das vorgelegte Sachverständigengutachten über die Unfallschäden auch keinen Aufschluss auf die Unfallursache, sondern lediglich die Ursache der Schäden, die als Unfallfolge qualifiziert werden.

Die Entziehung der Fahrerlaubnis erweist sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt als rechtswidrig, dass der Antragsgegner zunächst die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens angeordnet und diese Anordnung hernach aufgehoben hat, obwohl sie hinsichtlich der Wiedererlangung der Fahreignung möglicherweise Ausschluss hätte geben können. Die Anordnung des Gutachtens war der nach der Fahrerlaubnisverordnung vorgesehene Weg, Zweifel an der Fahreignung abzuklären. Insoweit war der neuerliche Verkehrsunfall des Antragstellers eine Tatsache im Sinne von § 11 Abs. 2 FeV, die auf eine Erkrankung oder einen Mangel nach Anlage 4 zur FeV hinweist und damit Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisbewerbers begründet.

Nach § 11 Abs. 7 FeV unterbleibt allerdings die Anordnung zur Beibringung des Gutachtens, wenn die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde feststeht. Davon durfte der Antragsgegner hier ausgehen, weil in dem fachärztlich-neurologischen Arztbrief die Fahreignung ausdrücklich und nachvollziehbar verneint worden ist. Dass der Antragsgegner dem Antragsteller in der Verfügung gleichwohl – wie bei einem verbindlich angeordneten, nicht beigebrachten Gutachten – mangelnde Mitwirkung vorgehalten hat und schon aus der Nichtbeibringung des Gutachtens den Schluss mangelnder Fahreignung zieht, ist angesichts dessen wohl unrichtig, wirkt sich als bloßer Begründungsmangel jedoch auf die materielle Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung nicht aus.

Denn die Fahrerlaubnis ist gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 3 Abs. 1 Satz 1, § 46 Abs. 1 FeV zwingend zu entziehen. Ein Ermessen ist der Behörde insoweit nicht eröffnet. Die nach dem Arztbrief noch offenen Fragen der Wiedererlangung der Fahreignung sind im Wege der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis zu prüfen; eine vorübergehende Aussetzung der Fahrerlaubnis sieht die FeV nicht vor. Auch das Vorbringen des Antragstellers, dass er schon freiwillig auf das Führen von Kraftfahrzeugen verzichte, ist deshalb unbeachtlich.

Selbst wenn man ungeachtet der vorstehenden Ausführungen den Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen ansehen wollte, fiele eine von den Erfolgsaussichten der Klage losgelöste allgemeine Interessenabwägung ebenfalls zu Lasten des Antragstellers aus. Bei Betrachtung einer sogenannten Doppelhypothese wären die Gefahren für die Allgemeinheit und die Rechtsgüter Dritter, wenn die Fahrerlaubnis belassen würde und sich durch ein weiteres Unfallgeschehen die fehlende Fahreignung tatsächlich bestätigen würde, wesentlich größer als die Einschränkungen für den Antragsteller, die er zu Unrecht hätte hinnehmen müssen, wenn sich die ärztliche Einschätzung als unrichtig erwiese. Das folgt aus dem hohen Rang der Rechtsgüter unbeteiligter Verkehrsteilnehmer, die bei Unfällen beeinträchtigt würden, und der vergleichsweise geringen Belastung des Antragstellers, der nach eigenem Bekunden ohnehin dem ärztlichen Rat Folge leistet und freiwillig auf das Führen von Kraftfahrzeugen verzichtet. Schon nach seinem eigenen Bekunden wäre sein privates Interesse daher auf den formellen Besitz der Fahrerlaubnis beschränkt, während die Mobilität und der Alltag des Antragstellers nicht weiter beeinträchtigt würden.

Dass der Antragsteller dessen ungeachtet gegen die sofortige Vollziehung der Verfügung vorgeht, seinen Führerschein nicht abliefert und auch die Festsetzung eines Zwangsgeldes mit Klage und Eilantrag angreift, stellt die Ernsthaftigkeit seines freiwilligen Verzichts dabei durchaus in Frage und begründet bereits aus sich heraus ein überwiegendes Vollzugsinteresse. Angesichts der großen Gefahren für hochrangige Rechtsgüter, die mit der Verkehrsteilnahme von Kraftfahrern mit Anfallsleiden unklarer Genese oder allgemein ungeeigneten Kraftfahrern ausgehen, ist es für die Allgemeinheit nicht hinnehmbar, das Führen von Kraftfahrzeugen in das Ermessen der Betroffenen zu stellen und ohne jegliche behördliche Kontrolle auf deren andauernde Einsicht zu hoffen.

Die Aufforderung, den Führerschein bei der Fahrerlaubnisbehörde abzuliefern, findet ihre Rechtsgrundlage in § 47 Abs. 1 FeV. Die zugrunde liegende Verpflichtung besteht gem. § 47 Abs. 1 Satz 2 FeV ungeachtet der Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis, weil der Antragsgegner die sofortige Vollziehung seiner Verfügung angeordnet hat. Sie erweist sich angesichts der vorstehenden Erwägungen auch als materiell rechtmäßig.

Dass sich der Antragsteller im Zuge des Eilverfahrens auch gegen die von dem Antragsgegner festgesetzten Kosten wendet, ist aus der Begründung seines Antrags nicht ersichtlich. Weil der Antrag ohne Darlegung der Voraussetzungen des § 80 Abs. 6 VwGO schon unzulässig wäre, besteht auch kein Anlass, die Antragsschrift im vermeintlichen Rechtsschutzinteresse weit auszulegen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des Streitwertes folgt aus § 53 Abs. 2 GKG i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG und entspricht Nr. 1.5 Satz 1 Alt. 1 und 46.3 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NordÖR 2014, 11).