Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 05.09.2022, Az.: 5 B 2953/22

Abstandsverstoß; Amtsermittlung; Fahrtenbuch; Messprotokoll; öffentliche Urkunde; Unternehmen

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
05.09.2022
Aktenzeichen
5 B 2953/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 55072
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2022:0905.5B2953.22.00

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.427,67 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin ist eine Gesellschaft des Handelsrechts und als solche Halterin eines Kraftfahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen D.. Sie begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Anordnung des Antragsgegners, mit der sie verpflichtet wird, für sechs Monate ein Fahrtenbuch zu führen.

Am 28. September 2021 um 14.30 Uhr wurde das Fahrzeug der Antragstellerin durch eine unbekannte männliche Person im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners auf der BAB 7 in Fahrtrichtung B-Stadt geführt und bei einer stationären Abstandsmessung erfasst. Nach dem Messprotokoll betrug der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug 28 m bei einer Geschwindigkeit von 124 km/h. Im Fallprotokoll ist durch den auswertenden Bearbeiter vermerkt, dass ein Fahrstreifenwechsel oder ein Abbremsen durch vorausfahrende Fahrzeuge im Videobeweis innerhalb der Beobachtungsstrecke nicht ersichtlich gewesen sei.

Die Bußgeldstelle des Antragsgegners übersandte der Antragstellerin am 14. Oktober 2021 einen Zeugenfragebogen, auf den hin die Antragstellerin anwaltlich vertreten Akteneinsicht begehrte und vorab einen Anspruch auf Entschädigung als Zeugin geltend machte. Am 10. November 2021 ersuchte die Bußgeldstelle die Polizei um Ermittlung des Fahrers. Daraufhin suchte eine Beamtin des Polizeikommissariats E. am 8. Dezember 2021 die Firmenanschrift der Antragstellerin auf und hielt in ihrem Bericht fest, dass sie lediglich eine Sekretärin angetroffen habe, die angegeben habe, keine Auskünfte zu regelmäßigen Benutzern des Fahrzeugs erteilen zu dürfen. Die Antragstellerin äußere sich ausschließlich über ihren Bevollmächtigten. Am 14. Dezember 2021 stellte die Bußgeldstelle das Verfahren ein und gab den Vorgang an die Straßenverkehrsbehörde des Antragsgegners ab.

Mit Schreiben vom 19. Mai 2022 hörte der Antragsgegner die Antragstellerin zu der Absicht an, ihr für die Dauer von sechs Monaten das Führen eines Fahrtenbuchs aufzugeben, weil die Person, die das Fahrzeug am 28. September 2021 geführt hat, nicht habe festgestellt werden können. Die Antragstellerin nahm wiederum Akteneinsicht und ließ anwaltlich vortragen, dass die Abbildungen auf dem Fallprotokoll so klein seien, dass sie nicht überprüfbar seien. Sie bitte daher um Überlassung größerer Photographien und der Videosequenz der Messanlage. Der Antragsgegner erwiderte darauf, dass das Ordnungswidrigkeitenverfahren eingestellt worden sei. Im Verfahren hinsichtlich der Fahrtenbuchanordnung seien keine weiteren Unterlagen vorhanden, etwaige Einwände habe die Antragstellerin im Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht erhoben.

Die Antragstellerin wandte daraufhin ein, dass sie im Ordnungswidrigkeitenverfahren lediglich Zeugin gewesen sei und sich als solche dort nicht zu verteidigen habe. Es obliege dem Antragsgegner, die Voraussetzungen für eine Fahrtenbuchanordnung zu prüfen. Dass eine Ordnungswidrigkeit begangen worden sei, folge nicht schon aus dem Umstand, dass die Ermittlung des Fahrers erfolglos geblieben sei. Wenn der Antragsgegner für diese Prüfung keine ausreichenden Unterlagen besitze, könne auch sie - die Antragstellerin - sich nicht äußern.

Mit Bescheid vom 30. Juni 2022 gab der Antragsgegner der Antragstellerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung auf, für das Kraftfahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen D. oder an dessen Stelle eingesetzte Ersatzfahrzeuge ab sofort bis 30. Dezember 2022 ein Fahrtenbuch zu führen. Zugleich setzte er gegen die Antragstellerin Verwaltungsgebühren in Höhe von 180,00 EUR nebst Auslagen fest. Zur Begründung führt er aus, dass der Verstoß gegen Verkehrsvorschriften am 28. September 2021 schwerwiegend sei, weil er abstrakt gefährlich und im Übrigen mit einem Punkt im Verkehrszentralregister zu vermerken sei. Wer den Verstoß begangen habe, sei nicht feststellbar. Die Anforderungen an den Umfang der behördlichen Amtsermittlung richteten sich dabei nach den Umständen des Einzelfalls. Lehne der Halter des Fahrzeugs die Mitwirkung an der Ermittlung der das Fahrzeug bei dem Verstoß führenden Person ab, sei die Behörde zu weiteren Ermittlungen nicht mehr angehalten. Die Antragstellerin habe den ihr übersandten Anhörungsbogen auch nach Akteneinsicht nicht zurückgesandt und auch gegenüber dem Ermittlungsdienst, der den Firmensitz aufgesucht habe, keine Angaben gemacht. Es sei nicht Aufgabe der Ordnungswidrigkeitenbehörde, innerbetriebliche Vorgänge aufzuklären. Angaben zum Kreis derjenigen, die ein Firmenfahrzeug führten, seien auch möglich, wenn ein Fahrerlichtbild schlecht erkennbar sei oder ein Verkehrsverstoß tatsächlich bezweifelt werde.

Die Einwände der Antragstellerin auf das Anhörungsschreiben vom 19. Mai 2022 griffen nicht durch. Die Straßenverkehrsbehörde sei zwar grundsätzlich gehalten, alle objektiven Tatbestandsmerkmale einer Verkehrsordnungswidrigkeit selbständig zu prüfen, sie dürfe jedoch die Prüfungsdichte am gebotenen sachlichen und zeitlichen Aufwand orientieren und sich an den Feststellungen des Ordnungswidrigkeitenverfahrens orientieren, wenn nicht konkrete Einwände gegen dessen Feststellungen erhoben würden. Solche konkreten Einwände habe die Antragstellerin mit ihrem allgemeinen Einwand, dass Abstandsunterschreitungen infolge von Spurwechseln und abbremsenden vorausfahrenden Fahrzeugen verursacht sein könnten, nicht dargelegt. Der Verstoß sei mit einem Punkt im Fahrerlaubnisregister einzutragen und daher ein erheblicher Verstoß.

Die Antragstellerin hat am 18. Juli 2022 Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist - 5 A 2951/22 -, und um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung macht sie geltend, dass die angefochtene Verfügung lediglich formelhaft begründet sei und den Umständen des Einzelfalls nicht gerecht werde. Der mit einem Bußgeld von 75 EUR und einem Punkt im Fahrerlaubnisregister zu ahndende Verstoß gegen das Abstandsgebot sei schon für sich genommen kein erheblicher Verkehrsverstoß. Aus dem Verwaltungsvorgang ergebe sich im Übrigen nicht, dass ein Verkehrsverstoß tatsächlich begangen worden sei. Im Vorgang sei lediglich ein Fallprotokoll mit einem so kleinen Photo enthalten, dass eine nähere Prüfung nicht zulasse. Es sei weder eine Videosequenz noch ein hochauflösendes, größeres Bild enthalten. Die Klägerin sei im Ordnungswidrigkeitenverfahren lediglich als Zeugin geführt und habe daher diese Einwände nicht im Ordnungswidrigkeitenverfahren vorbringen können. Die Sachverhaltsaufklärung sei außerdem Aufgabe des Antragsgegners, die die beklagte Verfügung zu verantworten habe. Die Fahrtenbuchanordnung sei für sich genommen nicht geeignet, Verkehrsverstöße zu verhindern.

Die sofortige Vollziehung der Verfügung sei nicht mehr veranlasst, nachdem zwischen dem Verstoß und der angefochtenen Verfügung mehr als sechs Monate vergangen seien. In dieser Zeit seien mit dem Fahrzeug der Antragstellerin keine weiteren Verstöße begangen worden. Auch insoweit sei die Begründung der Verfügung formelhaft und gehe nicht auf den Einzelfall ein. Das Begründungserfordernis für die Anordnung der sofortigen Vollziehung enthalte keine Ausnahme für Maßnahmen der Massenverwaltung, sondern fordere auch dort eine einzelfallbezogene Begründung.

Die Antragstellerin beantragt,

die aufschiebende Wirkung ihrer Klage vom 18. Juli 2022 gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 30. Juni 2022 wiederherzustellen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen,

und nimmt im Wesentlichen auf den angefochtenen Bescheid Bezug.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen. Der Inhalt sämtlicher Akten war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

II.

Die Entscheidung ergeht durch den Einzelrichter, dem die Kammer den Rechtsstreit mit Beschluss vom 16. August 2022 übertragen hat (§ 6 Abs. 1 VwGO).

1. Soweit sich die Antragstellerin mit ihrem umfassend gestellten Antrag auch gegen die im Bescheid des Antragsgegners festgesetzten Verwaltungsgebühren in Höhe von 108,00 EUR wendet, ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO bereits unzulässig.

Gemäß § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Die festgesetzten Verwaltungsgebühren sind öffentliche Kosten im Sinne dieser Vorschrift; auch die Voraussetzungen des § 80 Abs. 6 Satz 2 VwGO sind nicht erfüllt. Das danach erforderliche Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 4 VwGO hat die Antragstellerin ausweislich des Verwaltungsvorgangs nicht betrieben und derartiges auch nicht geltend gemacht.

Bei dem behördlichen Aussetzungsverfahren handelt es sich nicht um eine Sachentscheidungsvoraussetzung, die noch im Laufe des gerichtlichen Eilverfahrens nachgeholt werden könnte, sondern um eine Zugangsvoraussetzung, die im Zeitpunkt der Stellung des Eilantrags bei Gericht erfüllt sein muss (vgl. Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 35. EL September 2018, § 80, Rn. 506). Im Übrigen wäre die festgesetzte Verwaltungsgebühr von 108 Euro wohl auch rechtmäßig. Sie beruht auf § 6a Abs. 1 Nr. 1 lit. a, Abs. 2 Satz 1 StVG, §§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Nr. 1 der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt) i. V. m. Ziffer 252 der Anlage 1 zu § 1 GebOSt und erscheint mit dem entstandenen Verwaltungsaufwand vereinbar.

2. Der Antrag der Antragstellerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 VwGO der Klage gegen die Fahrtenbuchauflage ist statthaft, da der Antragsgegner die sofortige Vollziehung der Fahrtenbuchauflage i.S.v. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO anordnet hat, und auch ansonsten zulässig, aber unbegründet.

a. Der Antragsgegner hat das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes im Sinne von § 80 Abs. 3 VwGO ausreichend begründet. Die Begründung erfolgte schriftlich und bezogen auf den konkreten Fall, indem dargelegt wurde, dass mit dem Fahrzeug der Antragstellerin ein schwerwiegender Verkehrsverstoß begangen worden sei, ohne dass die Person, die das Fahrzeug geführt habe, habe festgestellt werden können. Es bestehe die Gefahr, dass die oder der Fahrende bei einer erneuten Verkehrsordnungswidrigkeit nicht ermittelt werden könne. Zudem lasse im vorliegenden Fall die Art des Verstoßes auf ein grob fahrlässiges, undiszipliniertes Verhalten schließen, das auf Zeitgewinn und Vernachlässigung der Verkehrsregeln ausgerichtet sei und damit einen gefahrträchtigen Fahrstil zeige. Die Abwägung zwischen dem Interesse der Antragstellerin (nicht von einer Fahrtenbuchauflage betroffen zu sein) und dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Wirkung der Fahrtenbuchauflage falle zugunsten der Anordnung des Sofortvollzuges aus, da die Kraftfahrzeugdichte und die latente Gefährdung der Allgemeinheit als Verkehrsteilnehmer die sofortige Wirkung der Führung eines Fahrtenbuches notwendig machten. Zum Schutz der öffentlichen Sicherheit im Straßenverkehr müsse daher ab sofort gewährleistet sein, dass erneute Verkehrsverstöße aufgeklärt würden. Ob die gegebene Begründung inhaltlich trägt, ist nicht Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung der Einhaltung des Formerfordernisses. Vielmehr trifft das Gericht in der Sache eine eigene Abwägungsentscheidung.

b. Die bei einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO durch das Gericht zu treffende Ermessensentscheidung setzt eine Abwägung der einander gegenüberstehenden Interessen voraus, in die auch die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs in der Hauptsache mit einzubeziehen sind. Bei einem nach summarischer Prüfung offensichtlich Erfolg versprechenden Rechtsbehelf überwiegt im Hinblick auf die Art. 19 Abs. 4 GG zu entnehmende Garantie effektiven Rechtsschutzes das Suspensivinteresse des Betroffenen jedes öffentliche Vollzugsinteresse, so dass die aufschiebende Wirkung grundsätzlich wiederherzustellen ist. Ergibt eine summarische Einschätzung des Gerichts hingegen, dass der Rechtsbehelf in der Hauptsache erfolglos bleiben wird, ist der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz unbegründet, denn ein begründetes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung entfällt nicht dadurch, dass der Verwaltungsakt offenbar zu Unrecht angegriffen wird.

c. Ausgehend von diesen Abwägungsgrundsätzen überwiegt das öffentliche Interesse gegenüber dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin, denn bei summarischer Prüfung bleibt die Anfechtungsklage voraussichtlich ohne Erfolg.

aa. Die Anordnung, für sechs Monate ein Fahrtenbuch zu führen, ist rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage der Fahrtenbuchauflage ist § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO. Nach dieser Vorschrift kann die nach Landesrecht zuständige Behörde gegenüber einer Fahrzeughalterin oder einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Diese Voraussetzung ist erfüllt.

(1) Mit dem Fahrzeug der Antragstellerin mit dem amtlichen Kennzeichen D. wurde ein Verkehrsverstoß begangen. Am 28. September 2021 um 14.30 Uhr befuhr eine unbekannte männliche Person mit dem Fahrzeug der Antragstellerin die BAB 7 mit bei einer Geschwindigkeit von 124 km/h einem Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug 28 m und unterschritt damit den Abstand von 5/10 des Tachowerts in Metern. Darin liegt gem. § 4 Abs. 1 Satz 1, § 49 Abs. 1 Nr. 4 StVO i. V. m. Nr. 12.6, Tabelle 2 Buchstabe b BKat eine mit 75 EUR Bußgeld und einem Punkt im Fahreignungsregister bewehrte Ordnungswidrigkeit.

Der Einwand der Antragstellerin, dass bereits der Verkehrsverstoß nicht zweifelsfrei nachgewiesen sei, greift nicht durch.

Zwar muss die Behörde, die die Auferlegung eines Fahrtenbuchs prüft, alle (objektiven) Tatbestandsmerkmale der Bußgeld- bzw. Strafvorschrift selbständig prüfen. Dabei genügt es allerdings, wenn mit hinreichender Sicherheit feststeht, dass ein Verkehrsverstoß begangen worden ist. Die Intensität der Prüfung darf auf das im jeweiligen Fall gebotene Maß an sachlichem und zeitlichem Aufwand beschränkt werden. Allgemein gilt, dass das Verwaltungsverfahren einfach, zweckmäßig und zügig durchzuführen ist und sich die Pflicht der Behörde zur Aufklärung des Sachverhalts nach dem Maßstab des Untersuchungsgrundsatzes richtet. Wie in anderen Massenverfahren auch kann eine Plausibilitätsprüfung genügen und ist eine weitere Erforschung des Sachverhalts erst auf einen konkreten Anhalt hin geboten. In Verfahren betreffend den Erlass einer Fahrtenbuchauflage verpflichtet deshalb der Amtsermittlungsgrundsatz die Behörde nicht, ohne konkreten Anlass gewissermaßen "ins Blaue hinein" das Ergebnis einer Geschwindigkeits- oder Abstandsmessung zu hinterfragen. Wenn ein Halter, der ein Fahrtenbuch führen soll, den Verkehrsverstoß als solchen bestreitet, muss er im Verwaltungs- oder im verwaltungsgerichtlichen Verfahren substantiierte Angaben machen, die seine Schilderung plausibel erscheinen lassen: Er muss auf Unstimmigkeiten der Messung oder deren Dokumentation hinweisen oder auf andere Weise die Möglichkeit eines Messfehlers aufzeigen. Hinreichende Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen sind auch dann gegeben, wenn sich der Behörde die fehlende Plausibilität der Messung aufdrängen muss. Der bloße Hinweis auf ein schlecht erkennbares Photo und ein möglicherweise entlastendes Geschehen in einer Videosequenz genügt insoweit nicht, zumal in dem Messprotokoll ausdrücklich vermerkt ist, dass ein Fahrstreifenwechsel oder Abbremsen durch vorausfahrende Fahrzeuge, die das Fahrverhalten hätten beeinträchtigen können, auf dem Videomaterial innerhalb der Beobachtungsstrecke nicht ersichtlich sei.

Als öffentliche Urkunde im Sinne des § 98 VwGO i. V. m. § 418 Abs. 1 ZPO begründet das Protokoll vollen Beweis über die darin festgehaltenen Sachverhalte. Nach § 98 VwGO i. V. m. § 418 Abs. 2 ZPO ist zwar der Gegenbeweis möglich; auch hierzu genügen jedoch nicht bloße Zweifel an der Richtigkeit der Urkunde, sondern es ist voller Gegenbeweis zu führen. Hierzu müsste die Antragstellerin substantiiert vortragen, warum der Urkundeninhalt unzutreffend ist; bloßes Bestreiten oder der hypothetische Hinweis auf bloß mögliche andere Geschehensabläufe genügt nicht (vgl. Eichele, in: Hk-ZPO, 5. Aufl. 2013, Rn. 3 zu § 418).

Soweit die Antragstellerin geltend macht, dass sie als Zeugin im Ordnungswidrigkeitenverfahren keine Einwände gegen die Ahnung der Ordnungswidrigkeit habe erheben können und ihr dieser Umstand kaum vorgehalten werden könne, geht ihr Einwand an der Sache vorbei. Der Antragsgegner hält ihr, anders als die Antragstellerin insinuiert, nicht entgegen, Einwendungen unterlassen zu haben, sondern ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen zu sein.

Die Mitwirkungsobliegenheit des Fahrzeughalters besteht grundsätzlich unabhängig davon, ob ihm ein Foto vorgelegt wird, weil ein solches für die Verfolgung einer Verkehrsordnungswidrigkeit nicht erforderlich ist und oftmals auch gar nicht gefertigt werden kann. Dasselbe gilt, wenn zwar ein Foto vorgelegt wird, dieses aber - gleich aus welchen Gründen - keine Identifikation ermöglicht.

Erst recht ist dies vor dem Hintergrund der erhöhten Mitwirkungspflicht für die Halterin eines Firmenfahrzeuges anzunehmen. Unabhängig von der Reichweite gesetzlicher Buchführungspflichten entspricht es sachgerechtem kaufmännischen Verhalten, auch die Geschäftsfahrten längerfristig zu dokumentieren. Anders als etwa bei der Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs durch verschiedene Familienmitglieder liegt dies im kaufmännischen Eigeninteresse, schon um Vorkehrungen gegen missbräuchliche Verwendungen der Fahrzeuge für Privatfahrten zu treffen oder in Schadensfällen Ersatzansprüche belegen zu können. Es kann deshalb unterstellt werden, dass ein Wirtschaftsbetrieb grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Erinnerung einzelner Personen in der Lage ist, Auslieferungsvorgänge, Geschäftsfahrten usw. nach seinen Aufzeichnungen zu rekonstruieren und den jeweiligen Fahrzeugführer im Einzelfall festzustellen. Seiner Verpflichtung als Fahrzeughalter, bei der Feststellung des Fahrzeugführers im Ordnungswidrigkeitenverfahren bzw. Verwaltungsverfahren mitzuwirken, kann er deshalb - ohne stichhaltige Erläuterung im Einzelfall - nicht mit der Behauptung genügen, es sei nicht möglich, den Fahrzeugführer ausfindig zu machen (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30.6.2020 - 8 A 1423/19 -, Rn. 17, juris).

Dass infolge der fehlenden Mitwirkung ein Beschuldigter im Bußgeldverfahren nicht ermittelt werden konnte und daher auch niemand als Beschuldigter Einwände gegen die Feststellungen im Bußgeldverfahren hat erheben können, ist der Antragstellerin zwar nicht vorzuwerfen (und wird ihr bei objektivem Verständnis der Ausführungen des Antragsgegners auch nicht vorgeworfen), führt jedoch auch nicht zu erhöhten Anforderungen an die behördliche Amtsermittlung im nachgehenden Verfahren hinsichtlich der Anordnung eines Fahrtenbuchs.

(2) Die Feststellung der Person, die bei dem Verkehrsverstoß das Fahrzeug der Antragstellerin geführt hat, ist der Bußgeldstelle des Antragsgegners als der für die Ahndung der Verkehrsordnungswidrigkeit zuständigen Behörde nicht möglich gewesen. Nicht möglich im Sinne des § 31a StVZO ist die Fahrerfeststellung dann gewesen, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage gewesen ist, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Angemessen sind die Maßnahmen, die die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können. Dabei können sich Art und Umfang der Ermittlungstätigkeit der Behörde an der Erklärung des Fahrzeughalters ausrichten. Lehnt dieser erkennbar die Mitwirkung an der Aufklärung des Verkehrsverstoßes ab, ist es der Behörde regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende, kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben (vgl. dazu nur BVerwG, Beschluss vom 21.10.1987 - 7 B 162.87 -, juris). An einer hinreichenden Mitwirkung des Fahrzeughalters daran, den Fahrzeugführer zu bezeichnen, fehlt es regelmäßig bereits dann, wenn der Fahrzeughalter den Anhörungsbogen der Ordnungswidrigkeitenbehörde nicht zurücksendet oder weitere Angaben zum Personenkreis der Fahrzeugbenutzer nicht macht oder - wie hier gegenüber der am Firmensitz erschienen Polizeivollzugsbeamtin - ausdrücklich ablehnt. In derartigen Fällen werden der Behörde weitere Ermittlungsversuche, die über die Anhörung des Fahrzeughalters hinausgehen, grundsätzlich nicht zugemutet (Nds. OVG, Urteil vom 23.1.2014 - 12 LB 19/13 -, Rn. 15 juris m. w. N.).

(3) Die Fahrtenbuchanordnung ist auch verhältnismäßig und frei von sonstigen Ermessensfehlern (vgl. § 114 Satz 1 VwGO). Die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage setzt einen Verkehrsverstoß von einigem Gewicht voraus, um dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu genügen. Wird nur ein einmaliger, unwesentlicher Verstoß festgestellt, der sich weder verkehrsgefährdend auswirken kann, noch Rückschlüsse auf die charakterliche Unzuverlässigkeit des Kraftfahrers zulässt, ist die Fahrtenbuchauflage nicht gerechtfertigt. Es kommt indes nicht darauf an, ob der Verstoß zu einer konkreten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer geführt hat. Für die erforderliche Gewichtung des betreffenden Verkehrsverstoßes ist regelmäßig das Punktesystem des § 4 StVG in Verbindung mit der Anlage 13 zu § 40 FeV heranzuziehen, weil in diesem in rechtlich verbindlicher Weise eine typisierende Bewertung von Verkehrsverstößen nach dem Maße ihrer Gefährlichkeit vorgegeben wird (Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Auflage 2016, § 31a StVZO Rn. 26 ff.). Dabei ist anerkannt, dass bereits die erstmalige Begehung eines wenigstens mit einem Punkt bewerteten Verkehrsverstoßes hinreichenden Anlass für eine Fahrtenbuchauflage geben kann, ohne dass es auf die Gefährlichkeit des Verkehrsverstoßes erhöhende Umstände im Einzelfall ankommt (Verwaltungsgericht des Saarlandes, Urteil vom 24.6.2020 - 5 K 47/20 -, Rn. 32, juris). Nach diesem Maßstab ist der mit einem Punkt im Fahreignungsregister bewehrte Verstoß am 28. September 2021 hinreichend, um die verfügte Fahrtenbuchauflage zu rechtfertigen.

Ohne Erfolg stellt die Antragstellerin in Abrede, dass die Fahrtenbuchauflage aus Gründen der Verkehrssicherheit und zur Aufklärung etwaiger zukünftiger Verstöße (noch) erforderlich sei. Bei der Anordnung eines Fahrtenbuchs kommt es nicht auf eine konkrete Wiederholungsgefahr an. § 31a StVZO zielt vielmehr auf eine abstrakte Wiederholungsgefahr, die daran anknüpft, dass der verantwortliche Fahrer bei Begehung des Verkehrsverstoßes anonym geblieben ist. Die Pflicht zur Dokumentation der einzelnen Fahrten hat eine disziplinierende Wirkung und eröffnet Bußgeldbehörden Erkenntnisse über die jeweiligen Fahrer, ohne auf das Erinnerungsvermögen und die Mitwirkungsbereitschaft des Halters angewiesen zu sein. Auch dass seit dem Verkehrsverstoß am 28. September 2021 keine weiteren Verstöße begangen worden sind, ist angesichts dessen unerheblich.

Auch im Hinblick auf die angeordnete Dauer der Fahrtenbuchauflage sind keine Ermessensfehler ersichtlich. Um die Fahrzeugbenutzung wirksam überwachen und den Fahrzeughalter künftig im Falle eines Verkehrsverstoßes zur Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers anhalten zu können, ist eine gewisse, nicht zu geringe Dauer der Fahrtenbuchauflage erforderlich. Bei der Bemessung der Frist sind das Gewicht des festgestellten Verkehrsverstoßes und das Verhalten des Fahrzeughalters im Zusammenhang mit den Bemühungen der Bußgeldstelle zur Tataufklärung zu berücksichtigen (vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.5.2002 - 10 S 1408/01 -, juris). Für die Beurteilung der Schwere des Verkehrsverstoßes darf sich die Behörde auch weiterhin am Punktsystem des Fahreignungsregisters und den darin zum Ausdruck gekommenen Wertungen orientieren. In der Rechtsprechung wird es als verhältnismäßig angesehen, bereits bei mit einem Punkt bewerteten und erstmalig begangenen Ordnungswidrigkeiten eine Fahrtenbuchauflage von zwölf Monaten zu erlassen (Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.3.2018 - 8 B 233/18 -, Rn. 8 f., juris). Diesen Rahmen wahrt der Antragsgegner mit der hier gewählten Dauer von sechs Monaten ohne weiteres.

bb. Aus der abstrakten Gefährlichkeit künftiger Verkehrsverstöße und dem Zweck der Fahrtenbuchanordnung, künftige Nutzer des Fahrzeugs der Antragstellerin zu disziplinieren und Bußgeldbehörden Erkenntnisse über die jeweiligen Fahrer zu eröffnen, ohne auf das Erinnerungsvermögen und die Mitwirkungsbereitschaft des Halters angewiesen zu sein, folgt auch ein besonderes Vollzugsinteresse, das angesichts der geringen Erfolgsaussichten der Klage das Aussetzungsinteresse ohne weiteres überwiegt.

cc. Die Festsetzung von Auslagen ist ebenfalls rechtmäßig. Sie beruht auf § 6a Abs. 1 Nr. 1 lit. a, Abs. 2 Satz 1 StVG, § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Nr. 1 der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

4. Die Streitwertfestsetzung ergeht aufgrund von § 63 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Die Höhe des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 39 Abs. 1, § 52 Abs. 1, Abs. 3 GKG und folgt Nrn. 1.5, 46.11 der Streitwertempfehlungen für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11). Eine Reduzierung des Streitwerts im Eilverfahren ist hinsichtlich der Fahrtenbuchanordnung nicht angezeigt, weil durch die begehrte Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage die Hauptsache im Wesentlichen vorweggenommen würde (VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 25.2.2021 - 13 S 3272/20 -, juris Rn. 18; vom 9.2.2009 - 10 S 3350/08 -, juris Rn. 6; Thüringer Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 20.9.2018 - 2 EO 378/18 -, Rn. 12, juris; VG Neustadt (Weinstraße), Beschluss vom 16.7.2014 - 3 L 568/14.NW -, Rn. 27, juris). Insoweit ist absehbar, dass über die Hauptsache kaum deutlich vor dem Ablauf der Befristung der angefochtenen Anordnung entschieden wird und sich die Antragstellerin bei Wiederherstellung der begehrten aufschiebenden Wirkung an die Auflage nicht würde halten müssen.