Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 01.09.2003, Az.: 7 A 4201/02
China; Exilopposition; Exiltätigkeit; Provinz Xinjiang; Uigure; Verfolgung
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 01.09.2003
- Aktenzeichen
- 7 A 4201/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 48180
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 51 Abs 1 AuslG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Angehöriger der uigurischen Exilopposition haben bereits dann politische Verfolgung zu befürchten, wenn ihre Tätikeit in erheblicher Weise über die bloße Mitgliedschaft hinausgeht.
Tenor:
Die Beklagte wird verpflichtet, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Volksrepublik China vorliegen.
Der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 18. Januar 2002 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht und die Abschiebung des Klägers nach China angedroht worden ist.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand:
Der am 21. Mai 19.. geborene Kläger ist chinesischer Staatsangehöriger uigurischer Volkszugehörigkeit. Er beantragte am 27. November 2001 seine Anerkennung als Asylberechtigter.
Am 19. Dezember 2001 ist er vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zu seinen Ausreisegründen angehört worden. Er gab im Wesentlichen an: Er sei Stationsleiter für Logistik der „Befreiungsorganisation für Ostturkestan“ gewesen. Er habe die Aufgabe gehabt, Familienangehörige festgenommener Mitglieder finanziell zu unterstützen. Er sei am 16. September 2001 aus seinem Heimatland geflohen, weil die Polizei einen seiner Helfer festgenommen habe.
Mit Bescheid vom 18. Januar 2002, zugestellt am 7. Oktober 2002, lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheides bzw. dessen Unanfechtbarkeit zu verlassen und anderenfalls seine Abschiebung nach China angedroht. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Vortrag des Klägers unglaubhaft sei.
Am 8. Oktober 2002 hat der Kläger Klage erhoben.
Er trägt im Wesentlichen vor: Seine Angaben seien glaubhaft. Die im Bescheid des Bundesamtes angeführten Gesichtspunkte ließen sich schlüssig erklären.
Der Kläger reichte zudem eine Bescheinigung des Weltkongresses der uigurischen Jugend e.V. vom 14. August 2003 sowie Unterlagen über Aktivitäten seiner Ehefrau und seiner Kinder ein.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Volksrepublik China vorliegen; hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG hinsichtlich der Volksrepublik China vorliegen und den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 18. Januar 2002 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht und seine Abschiebung nach China angedroht worden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist zur Begründung auf den Bescheid des Bundesamtes.
Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung zu seinen politischen Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland angehört worden.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen; sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Volksrepublik China festzustellen.
Die beachtliche Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen besteht schon wegen der exilpolitischen Aktivitäten des Klägers. Ob sich dies auch aus den von ihm geltend gemachten Vorfluchtgründen ergibt, kann daher offen bleiben.
Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg (Urteil vom 19. September 2000 - 11 L 2068/00 - <S. 14 ff.>) hat unter Auswertung der maßgeblichen Erkenntnismittel festgestellt, dass grundsätzlich nur aktive an herausgehobener Position in Auslandsorganisationen tätigen Personen gefährdet sind. Die Bedeutung der von chinesischer Seite früher als gefährlich eingestuften Exilgruppierungen ist in den letzten Jahren auf Grund von internen Differenzen zurückgegangen. Auch fehlt es an Referenzfällen einer Bestrafung von einfachen Mitgliedern. Dieser Auffassung, die auch der auch der sonstigen neueren obergerichtlichen Rechtsprechung entspricht (vgl. OVG Münster, Urteil vom 22. Mai 2001 - 15 A 1139/97.A -; VGH Kassel, Beschluss vom 13. September 2001 - 8 UZ 944/00.A -), schließt sich das erkennende Gericht an.
Im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 17. September 2002 (S. 13 f.) ist ausgeführt, dass die chinesische Führung die Tätigkeit von Organisationen im Ausland nicht so stark gewichtet wie eine oppositionelle Tätigkeit im Lande selbst (vgl. auch Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Minden vom 25. September 2002). Gefährdet sind bekannte Persönlichkeiten, die öffentlich gegen die chinesische Regierung oder deren Politik Stellung nehmen und eine ernstzunehmende Medienresonanz im Ausland hervorgerufen haben. Diese müssen im Falle der Rückkehr mit ständiger Überwachung oder Inhaftierung sowie ggfs. mehrjährigen Haftstrafen bzw. einem Lageraufenthalt rechnen. Es liegen keine Erkenntnisse über eine Verfolgung allein wegen der Teilnahme an Demonstrationen - insbesondere auch solcher vor chinesischen Auslandsvertretungen - oder wegen des Verfassens von Petitionen vor. Personen, die keine herausragende politische Aktivität entfaltet hätten, wurden in der Vergangenheit bei einer Rückkehr befragt und vor regierungskritischen Aktivitäten in China gewarnt.
Angehörige der für die Unabhängigkeit ihres Gebietes streitenden uigurischen Exilopposition müssen jedoch auch schon bei weniger bedeutsamen Handlungen, die allerdings in beachtlicher Weise über eine bloße Mitgliedschaft hinausgehen müssen, politische Verfolgung befürchten.
Nach den Lageberichten des Auswärtigen Amtes vom 17. September 2002 und 7. August 2001 (jeweils S. 14) sind exilpolitisch tätige Angehörige ethnischer Minderheiten, die nach chinesischem Verständnis als Separatisten einzustufen sind, wie führende Mitglieder sonstiger Exilorganisationen gefährdet. Amnesty international (Auskunft an den VGH München vom 29. April 2002) hat ausgeführt, dass die formelle Mitgliedschaft allein noch nicht maßgeblich sei. Relevant für die chinesischen Behörden sei aber die Betätigung für eine der uigurischen Exilgruppierungen. In diesen Fällen sei mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen.
Diese Einschätzungen werden durch die rigorosen und besonders harten Reaktionen der chinesischen Behörden gegenüber Aktivitäten, die auf die Selbständigkeit der von den Uiguren besiedelten Provinz Xinjiang gerichtet sind, untermauert.
Alle tatsächlichen oder vermeintlichen Bestrebungen, die sich gegen den chinesischen Herrschaftsanspruch über die Minderheiten wenden, werden im Konfliktfall unnachsichtig, teilweise mit massivem Einsatz von Sicherheitskräften, unterdrückt. Die regionale Regierung versteht den Kampf gegen den Separatismus in der Provinz Xinjiang als ihre zentrale Aufgabe. Uiguren, die sich für Autonomie einsetzen, werden festgenommen und häufig ohne gerichtliches Verfahren inhaftiert. Es sollen sich Tausende in Haft befinden, wo ihnen mit hoher Wahrscheinlichkeit Folter und Misshandlung mit besonders grausamen Methoden drohen. Die Provinz Xinjiang ist die einzige Region Chinas, in der politische Gefangene hingerichtet werden. Im Jahre 2001 hat unter dem Vorwand gegen die Kriminalität bzw. den internationalen Terrorismus vorgehen zu wollen, eine drastische Kampagne gegen Separatisten und religiöse Fundamentalisten eingesetzt. Dabei ist nicht maßgeblich, ob sich diese, wie die Mehrzahl, für einen friedlichen und demokratischen Wandel einsetzen. Staatliche Maßnahmen müssen schon im Falle einer bloßen oder vermeintlichen Mitgliedschaft oder Unterstützung einer separatistischen Organisation oder der Teilnahme an einer Demonstration befürchtet werden. (vgl. Lageberichte des Auswärtigen Amtes vom 17. September 2002, S. 9 f., vom 7. August 2001, S. 9 f. und vom 11. Juli 2000 (S. 8 f.); Auskünfte des Auswärtigen Amtes an das VG München vom 6. September 1999 und an das Bundesamt vom 25. Januar 1996; Bundesamt, China - Parteien und Organisationen, Juni 2002, S. 19 f., 31; China - Geschichte, aktuelle Situation, April 2002, S. 12 f.; Auskünfte von amnesty international an den VGH München vom 29. April 2002 und das VG München vom 11. August 1998 sowie Länderkurzbericht vom 25. Juli 1999; Gutachten Prof. Dr. Thomas Heberer, Universität Trier, für das VG Ansbach vom 26. Oktober 1995)
Der Kläger ist - wie er durch die Mitgliedsbescheinigung vom 14. August 2003 belegt hat - schon kurze Zeit nach seiner Einreise, im Januar 2002, dem Weltkongress der Uigurischen Jugend e.V. beigetreten, der sich für die Unabhängigkeit des von den Uiguren besiedelten Gebiets einsetzt. Der Kläger ist seither aktives Mitglied. Er trifft sich - wie er in der mündlichen Verhandlung glaubhaft vorgetragen hat - einmal im Monat mit einer kleineren Gruppe seiner Organisation. Sein Name ist in einer Liste der Personen vermerkt, die für Aktivitäten jederzeit zur Verfügung stehen. Im Februar 2003 hat er an einer Demonstration seiner Organisation vor dem chinesischen Generalkonsulat in München teilgenommen.
Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 154 Abs. 1, 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO, 83 b Abs. 1 AsylVfG.