Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 23.09.2003, Az.: 7 B 3316/03
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 23.09.2003
- Aktenzeichen
- 7 B 3316/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 40749
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2003:0923.7B3316.03.0A
Amtlicher Leitsatz
Kommt der Fahrerlaubnisinhaber einer Verfügung, an einem Aufbauseminar teilzunehmen, nicht innerhalb der gesetzten angemessenen Frist nach, kann es in eng begrenzten Ausnahmefällen unverhältnismäßig sein, die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn die Fristversäumnis als unverschuldet anzusehen ist. Dies ist unter Berücksichtigung der Zielsetzung des § 4 Abs. 7 Satz 1 StVG in der Regel nicht anzunehmen, wenn sich der Betroffene nicht rechtzeitig um eine Verlängerung der ihm gesetzten Frist bemüht.
Tenor:
...
Tatbestand:
...
Gründe
Das nach § 80 Abs. 5 Sätze 1 und 3 VwGO zu beurteilende Begehren ist jedenfalls unbegründet. Es kann daher dahinstehen, ob überhaupt noch ein Rechtsschutzinteresse besteht, weil der Antragsteller nach einer in den Verwaltungsvorgängen befindlichen Erklärung vom 12. September 2003 auf seine Fahrerlaubnis bereits verzichtet hat.
Das gesetzlich nach § 4 Abs. 7 Satz 2 StVG vermutete öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis überwiegt das Interesse des Antragstellers an einer Aussetzung der Vollziehung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens. Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung ist davon auszugehen, dass die angegriffene Verfügung des Antragsgegners rechtlich nicht zu beanstanden ist.
Zur Begründung wird auf die zutreffenden Erwägungen in den Bescheiden des Antragsgegners vom 21. August und 2. September 2003 Bezug genommen.
Ergänzend ist auf Folgendes hinzuweisen:
Der Antragsteller hat nicht innerhalb der ihm mit unanfechtbarem Bescheid des Antragsgegners vom 12. Mai 2003 gesetzten Frist, die am 12. August 2003 abgelaufen ist, an einem Aufbauseminar teilgenommen, so dass ihm gem. § 4 Abs. 7 Satz 1 StVG die Fahrerlaubnis zu entziehen war.
Auch wenn dies gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehen ist, kann die Entziehung der Fahrerlaubnis trotz Fristversäumnis zwar in eng begrenzten Ausnahmefällen unverhältnismäßig sein, wenn diese unter Berücksichtigung der Zielsetzung der genannten Vorschrift als unverschuldet anzusehen ist (vgl. VG Schleswig, Urteil vom 5. März 2001 - 3 A 289/99 - NVwZ-RR 2001, 609610; VG Oldenburg, Beschluss vom 12. März 2003 - 7 B 575/03 -). Diese Voraussetzungen liegen aber im Falle des Antragstellers nicht vor.
Dabei kann - trotz e r h e b l i c h e r Zweifel des Gerichts - als richtig unterstellt werden, dass der Antragsteller entsprechend dem Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. med. E. J., M.-W. vom 10. September 2003 wegen einer seelischen Überforderung in der fraglichen Zeit von Mitte Mai bis Mitte August 2003 arbeitsunfähig und nicht in der Lage war, an einem Aufbauseminar teilzunehmen.
Der Regelung des § 4 Abs. 7 Satz 1 StVG liegt die Annahme zugrunde, dass derjenige, der wegen Verstößen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften in erheblicher Weise auffällig geworden ist, durch seine Weigerung innerhalb der ihm gesetzten angemessenen Frist an pädagogischen Maßnahmen mitzuwirken, deutlich macht, dass er nicht bereit ist, sein bisheriges Verhalten kritisch zu überdenken.
Diese Vermutung wird nur dann widerlegt, wenn der Fahrerlaubnisinhaber alles Zumutbare unternimmt, um seine Mitwirkungsbereitschaft zu dokumentieren. Dazu gehört in der Regel, dass er rechtzeitig vor Ablauf der ihm gesetzten Frist einen Antrag auf deren Verlängerung (§ 31 Abs. 7 Satz 1 VwVfG, 1 Abs. 1 Nds.VwVfG) stellt (vgl. a.a.O.). Wenn dies möglich gewesen ist, scheidet dementsprechend eine nachträgliche Ausweitung der Frist (§§ 31 Abs. 7 Satz 2 VwVfG, 1 Abs. 1 Nds.VwVfG) aus.
Dem Antragsteller war es zumutbar möglich, vor Ablauf der ihm gesetzten Frist einen entsprechenden Antrag auf Fristverlängerung zu stellen. Obwohl der Antragsgegner im Bescheid vom 2. September 2003 zu Recht u.a. auf diesen Gesichtspunkt abgestellt hat und der Antragsteller dies in dem Schreiben vom 3. September 2003 an den Antragsgegner sowie in der Antragsschrift vorgetragen hat, ist in den Attesten von Dr. med. J. vom 2. und 10. September 2003 nicht angegeben, dass der Antragsteller - ggfs. unter Einschaltung eines Rechtsanwalts - zu einer solchen verhältnismäßig einfachen Verfahrenshandlung nicht in der Lage gewesen ist. Eine solche Annahme ist unter Berücksichtigung der Umstände des Falles hier auch ausgeschlossen. Der Antragsteller hat im Widerspruchsschreiben vom 27. August 2003 als einen der Gründe für seine Überforderung angegeben, dass er sich seit Anfang des Jahres 2003 als Alleininhaber auch um einen Gewerbebetrieb mit vier regelmäßigen Mitarbeitern kümmern müsste. Er ist also in der fraglichen Zeit trotz attestierter Arbeitsunfähigkeit in der Lage gewesen, wirtschaftliche Aktivitäten zu entfalten. Außerdem hat sich der Antragsteller nur etwa zwei Wochen nach Ablauf der ihm gesetzten Frist, wenige Tage nach Erhalt des Entziehungsbescheides vom 21. August 2003, mit seinem Prozessbevollmächtigten in Verbindung gesetzt und durch diesen Widerspruch erheben lassen. Außerdem war der Antragsteller schon Ende August 2003 in der Lage, sich bei einem Aufbauseminar anzumelden und will an diesem im Laufe des September 2003 teilnehmen.
Dass der Antragsteller nunmehr an einem Aufbauseminar teilnimmt, ist nach der gesetzlichen Wertung des § 4 Abs. 11 Satz 1 StVG allein in einem Verfahren auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis zu berücksichtigen, macht also deren Entziehung gleichfalls nicht unverhältnismäßig.
Dass der Antragsteller die Fahrerlaubnis aus beruflichen Gründen benötigt, muss unberücksichtigt bleiben. § 4 Abs. 7 Satz 1 StVG sieht die Entziehung der Fahrerlaubnis zwingend vor. Der Normgeber hat damit verdeutlicht, dass er dem Schutz anderer Verkehrsteilnehmer Vorrang vor den wirtschaftlichen Interessen des Fahrerlaubnisinhabers einräumt (vgl. etwa OVG Lüneburg, Beschluss vom 21. Januar 2000 - 12 M 213/00 -).
Das Gericht weist zur schnellstmöglichen Lösung des Konflikts der Beteiligten darauf hin, dass - sofern nicht sonstige Voraussetzungen fehlen - dem Antragsteller nach Teilnahme an dem Aufbauseminar ohne Einhaltung einer Frist oder der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens eine neue Fahrerlaubnis zu erteilten ist (§ 4 Abs. 11 Satz 3 StVG). Allerdings werden die bisher angesammelten Punkte nicht gelöscht (§ 4 Abs. 2 Satz 4 StVG).
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