Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 18.09.2003, Az.: 4 A 155/02

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
18.09.2003
Aktenzeichen
4 A 155/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 40736
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2003:0918.4A155.02.0A

Tatbestand

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Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für eine Werbeanlage im Euro-Format.

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Unter dem 11. Juni 2001 beantragte die Klägerin die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung einer Werbetafel für wechselnden Plakatanschlag auf dem Flurstück ../.. der Flur .. der Gemarkung ... . Die senkrecht zur Fahrtrichtung der angrenzenden ...straße geplante, 3,83 m breite und 2,82 m hohe Werbetafel (10,80 m2) soll an der Nordwand des mit einem Flachdach versehenen Gebäudes ...straße .. angebracht werden. In dem Gebäude ist ein Imbiss untergebracht, der zur Straße hin Eigen- und Fremdwerbung betreibt. Ein Bebauungsplan existiert nicht. Der Charakter der Bebauung wird von Wohnhäusern und kleinen bis mittleren Gewerbebetrieben geprägt.

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Mit Schreiben vom 26. Juni 2001 hörte die Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Versagung der Baugenehmigung an, erließ im Folgenden aber zunächst keinen Ablehnungsbescheid. Am 14. Januar 2002 hat die Klägerin Untätigkeitsklage erhoben.

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Die Klage sei zulässig, da die Beklagte trotz Erinnerungen und Erlass eines Zwischenbescheides vom 13. Juli 2001 den Bauantrag bislang sachlich nicht beschieden habe. Die geplante Werbeanlage verstoße weder gegen bauplanungsrechtliche noch gegen bauordnungsrechtliche Vorschriften. Bei dem Imbiss handele es sich um ein schmuckloses Gebäude. Es sei nicht erkennbar, was hier verunstaltet sein könnte oder werden würde. Bei der Beurteilung könne nicht auf den ästhetisch besonders empfindsamen oder geschulten Betrachter abgestellt werden. Es müsse vielmehr das Empfinden jedes für ästhetische Eindrücke offenen Betrachters maßgebend sein, also des sogenannten gebildeten Durchschnittsmenschen. Eine störende Häufung von Werbeanlagen liege nicht vor. Bei der störenden Häufung müssten wenigstens mehrere Werbeanlagen auf engerem Raum vorhanden sein und zu einem unzumutbaren Zustand führen. Außer der geplanten Werbeanlage gebe es an dem Objekt ...straße .. lediglich eine kleine Eigenwerbung im Umfang von ca. 0,4 m2. Ansonsten sei überhaupt keine Werbeanlage im Blickfeld, so dass von einer störenden Häufung von Werbeanlagen nicht gesprochen werden könne. Im Übrigen sei die nunmehr im gerichtlichen Verfahren durch die Beklagte herangezogene Werbegestaltungssatzung der Beklagten im maßgeblichen Bereich schlichtweg nichtig. Der Werbestandort liege im Mischgebiet, in dem Fremdwerbeanlagen generell ohne Einschränkung zulässig seien. Nur wenn nach den örtlichen Gegebenheiten schutzwürdige Bauten und/oder Straßen vorhanden seien, könne ein Werbeausschluss erfolgen. Soweit bekannt, habe auch die Stadt Karlsruhe versucht, in den Stadteingangsbereichen an allen Haupt- und Verkehrsstraßen links und rechts Werbung auszuschließen. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe habe jedoch die Nichtigkeit der Satzung festgestellt (nunmehr bestätigt durch: VGH Baden-Württemberg - Urteil vom 16. Juni 2003 - 3 S 2533/02 -, V.n.b.). Hintergrund für eine derartige Satzung, die alle wichtigen Straßen der Beklagten erfasse und Fremdwerbung dort verbiete, sei im Übrigen die Tatsache, dass die Beklagte mit einer anderen Firma einen Exklusiv-Vertrag für Außenwerbung auf öffentlichen und privaten Grundstücken der Stadt und an allen öffentlichen Straßenbereichen geschlossen habe. Durch die Satzung solle die Exklusivität der eigenen Werbetafeln geschützt werden. Nach dem Vertrag dürfe ausschließlich die besagte Firma im kompletten Stadtgebiet in all den Bereichen, die von der Satzung ausgenommen seien, exklusiv Außenwerbung mit großflächigen Plakatanschlagtafeln betreiben.

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Mit Bescheid vom 7. Februar 2003 hat die Beklagte die beantragte Baugenehmigung versagt. Die Klägerin beantragt nunmehr,

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die Beklagte zu verpflichten, ihr unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides der Beklagten vom 7. Februar 2003 die Genehmigung zur Anbringung einer Werbeanlage am Giebel (an der Nordseite) des Gebäudes ...straße .. in ... zu erteilen.

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Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Sie macht geltend: Die geplante Anlage verstoße gegen das Bauordnungsrecht und sei aus diesem Grunde nicht genehmigungsfähig. Eine Plakatanschlagtafel von der vorgesehenen Größe füge sich von ihrer Maßstäblichkeit weder in die Strukturen der näheren Umgebung noch in die Fassade des Gebäudes ein. Sie würde ca. 40 % einer Gebäudeseite einnehmen. Soweit man von dem im Straßenraum sichtbaren Mauerteil ausgehe, werde die für die Verkehrsteilnehmer sichtbare Fläche in den meisten Fällen - je nach Blickwinkel - sogar in einer Größenordnung von etwa 80 bis 90 % liegen. Die Werbeanlage wirke in beachtlicher Weise auf das Ortsbild ein. Aufgrund der vorgesehenen Fläche könne ihre Wirkung auf die Umgebung nicht vernachlässigt werden. Das Straßenbild der Alexanderstraße sei im fraglichen Bereich geprägt von vereinzelt stehenden ein- bis zweigeschossigen Bürgerhäusern. Insbesondere die "solitär" wirkende, im schlichten Weiß gehaltene Fassade des Hauses ...straße ... würde durch eine großflächige Werbeanlage in ihrem Erscheinungsbild empfindlich gestört, da es sich hierbei um einen unübersehbaren Fremdkörper handele. Hiernach werde erheblich und unangemessen in das Erscheinungsbild des Gebäudes eingegriffen, so dass bereits eine Störung aufgrund der Größe vorliege.

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Die geplante Plakatwand sei darüber hinaus aufgrund einer störenden Häufung mit der an der vorderen Fassade befindlichen Werbung für "..." unzulässig. Ausweislich der vorliegenden Fotomontage sei an dem Gebäude bereits die langgezogene Beschriftung "..." mit weiteren Zusätzen, zwei kleine Schilder, jeweils mit dem Hinweis "Imbiss" sowie eine Kreidetafel mit einer übermannsgroßen Pommes-Frites-Tüte angebracht. Im Übrigen befinde sich in Höhe der Doppelfenster ein in auffälligem Rot gehaltener Fahrradstand mit Zigarettenwerbung. Diese 5 Werbeanlagen schöpften den vertretbaren Rahmen bereits jetzt voll aus. Es sei daher dringend geboten, die Seitenfläche des Gebäudes als optische Ruhezone freizuhalten, um nicht insgesamt ein wirres, zergliedertes Bild zu erhalten, welches von Werbeflächen beherrscht werde, hinter denen das Gebäude im Wesentlichen zurücktrete. Die geplante Werbeanlage führe jedenfalls zu einer unzulässigen und das Stadtbild beeinträchtigenden Häufung von Werbeanlagen. Die in dem abgrenzbaren Bereich angebrachten Werbeanlagen übten eine massive optische Wirkung aus, da sie vom Straßenraum aus gleichzeitig wahrgenommen werden könnten. Die störende Häufung führe hier zu einer beziehungslosen Anhäufung der Werbeanlagen, welche sowohl in Form und Größe, als auch in Material und Farbgebung voneinander abweichen würden. Die geplante großflächige Werbeanlage führe zu einer solchen Massierung der Werbeträger auf engem Raum, so dass der Gesamteindruck nur als störend bezeichnet werden könne und die Grenze des Erträglichen überschritten werde. Mit einer eventuellen Genehmigung der beantragten Werbeanlage entstehe die Gefahr einer schleichenden Verunstaltung, bedingt durch eine Summierung von jeweils für sich nicht besonders evidenter gestalterischer Missstände. Die geplante Werbeanlage sei demnach auch verunstaltend im Sinne des § 53 NBauO.

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Schließlich liege noch eine Unvereinbarkeit mit § 3 Abs. 2 der seit dem 5. April 2002 rechtsverbindlichen Gestaltungssatzung für Werbeanlagen an Haupt- und Ausfallstraßen der Beklagten vor. § 3 der Satzung sehe zwar eine Ausnahme von der Größenbeschränkung (2 m2) vor, wenn sich die Werbeanlage in die Fassadenstruktur einfüge, gestalterisch unterordne und Öffnungen sowie gliedernde Fassadenelemente nicht überdecken würde. Die geplante Werbeanlage füge sich jedoch nicht in die Fassadenstruktur ein, auch ordne sie sich nicht gestalterisch unter. Die Werbeanlage solle an einer freien Wand angebracht werden. Durch die Werbeanlage wäre die Anlage so gestaltet, dass die Baumassen nach dem Größenverhältnis nicht zueinander in Einklang gebracht werden könnten und damit verunstaltend wirkten. Insbesondere nehme die Werbeanlage keine Rücksicht auf die Fassadengliederung. Denn die Plakattafel rage über die Dachlinie hinaus und verdecke damit ein wichtiges gliederndes Fassadenelement. Die Gestaltungssatzung selbst sei rechtmäßig und beinhalte keinen Verstoß gegen höherrangiges Recht. Sie halte sich im gesetzlichen Rahmen des § 56 Nr. 2 NBauO.

11

Die Kammer hat in der mündlichen Verhandlung die Örtlichkeit in Augenschein genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten ergänzend Bezug genommen. Ihr wesentlicher Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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1. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 7. Februar 2003 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung zur Anbringung einer Werbeanlage im Euro-Format an der Nordseite des Gebäudes ...straße .. (§ 113 Abs. 5 VwGO).

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Nach § 75 Abs. 1 NBauO ist eine Baugenehmigung zu erteilen, wenn die Baumaßnahme, soweit sie genehmigungspflichtig ist und soweit die Prüfung nicht entfällt, dem öffentlichen Baurecht entspricht. Das ist hier nicht der Fall. Denn dem nach §§ 68 Abs. 1, 2 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 5 NBauO genehmigungspflichtigen Vorhaben stehen bauordnungsrechtliche Vorschriften entgegen. Ob darüber hinaus auch die Gestaltungssatzung für Werbeanlagen an Haupt- und Ausfallstraßen der Beklagten vom 18. März 2002, bekannt gegeben am 5. April 2002, der Baugenehmigung entgegenstehen würde oder wegen Nichtigkeit für die Erteilung der Baugenehmigung unbeachtlich wäre, kann demnach dahinstehen.

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Die geplante Werbeanlage verstößt gegen § 49 Abs. 2 NBauO. Hiernach dürfen Werbeanlagen nicht erheblich belästigen, insbesondere nicht durch ihre Größe, Häufung, Lichtstärke oder Betriebsweise. Bei dieser Vorschrift handelt es sich nicht um einen gesetzlich geregelten Unterfall des allgemeinen Verunstaltungsverbots. Das ergibt sich aus der Regelung in verschiedenen Gesetzesnormen; § 53 und § 1 Abs. 3 NBauO regeln die Gestaltung baulicher Anlagen, während sich der Rechtsbegriff der Belästigung in § 1 Abs. 1 Satz 3 NBauO und anderen Vorschriften findet. Auch inhaltlich ist das Belästigungsverbot vom Verunstaltungsverbot zu unterscheiden. § 49 Abs. 2 NBauO soll Werbungen verhindern, die trotz einwandfreier Gestaltung durch eine Fülle und Stärke von Sinneseindrücken und psychischen Einwirkungen zu übermäßigen Belästigungen führen. Erheblich ist eine Belästigung insbesondere dann, wenn sie die Ruhe und Erholung spürbar beeinträchtigt, die nach den jeweiligen örtlichen Umständen erwartet wird. Dabei kommt es auf das Ruhebedürfnis durchschnittlich empfindender nicht übersensibler Personen an (Nds. Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 28. August 1995 - 6 L 4894/93 -, V.n.b.; Wiechert, in: Große-Suchsodrf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO-Kommentar, 7. Aufl. 2002, § 49 Rdnr. 17 m.w.N.). Bei der Frage, ob Werbeanlagen erheblich belästigen, ist demnach nicht darauf abzustellen, ob die Belästigung "unzumutbar" ist; vielmehr betrachtet die Niedersächsische Bauordnung erhebliche Belästigungen durch Werbung stets als "unzumutbar" (Wiechert, a.a.O., § 49 Rdnr. 18).

15

Die von der Klägerin geplante Werbeanlage würde aufgrund der Häufung von Werbeanlagen und ihrer Größe erheblich belästigen und kann daher nicht genehmigt werden. Die Häufung von Werbeanlagen setzt ein räumlich dichtes Nebeneinander einer Mehrzahl gleicher oder verschiedener Anlagen der Außenwerbung voraus. Dazu müssen im Regelfall drei Werbeanlagen innerhalb eines eng umgrenzten Wirkungsbereiches vorhanden sein, so dass alle Werbeanlagen stets gleichzeitig wahrgenommen werden und ihre Wirkung gemeinsam ausüben (Wiechert, a.a.O., § 49 Rdnr. 19 m.w.N.; Oberverwaltungsgericht Münster, Urteil vom 6. Februar 2003 - 10 A 3464/01 -, BauR 2003, 1358 (1361); Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 31. mai 2001 - 2 Bf 323/98 -, BRS 64 Nr. 145, S. 593 f.).

16

Wie die Inaugenscheinnahme durch die erkennende Kammer im Termin zur mündlichen Verhandlung ergeben hat, handelt es sich bei der ...straße um eine viel befahrene Straße. Im nähren Umfeld des Flachdachgebäudes ...straße .., in dem der Imbiss betrieben wird und an dessen Nordwand die geplante Werbeanlage befestigt werden soll, befinden sich ein- und zweigeschossige Wohnhäuser; darüber hinaus werden einzelne Objekte, insbesondere auf der gegenüberliegenden Straßenseite, gewerblich genutzt. Der Imbiss selbst liegt allerdings in einem Bereich der Straße, der - abgesehen vom Imbiss - lediglich mit Wohngebäuden versehen ist. Diese Wohngebäude sind nicht mit Werbeanlagen versehen; nur der Imbiss selbst betreibt Eigen- und im geringen Maße Fremdwerbung mit im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung 4 Werbeanlagen. Diese Werbeanlagen fallen einem Betrachter des Flachdachgebäudes gleichzeitig ins Auge und stellen für sich gesehen bereits eine "Häufung" im Sinne des § 49 Abs. 2 NBauO dar. Darüber hinaus betreibt eine dem Imbiss schräg gegenüberliegende Apotheke auf der anderen Straßenseite Eigenwerbung, die - nimmt der Betrachter die gesamte Straße stadteinwärts blickend ins Blickfeld - die Häufung von Werbeanlagen noch verstärkt. Durch die beabsichtigte Anbringung der Werbeanlage an der Nordseite des Imbisses würde es zu einer unerträglichen Massierung von Werbeanlagen an dem Flachdachgebäude kommen, die zu einer erheblichen Belästigung des Betrachters führt und die Grenze des Erträglichen überschreitet.

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Darüber hinaus steht der beantragten Baugenehmigung - selbständig entscheidungstragend - entgegen, dass die geplante Werbeanlage wegen ihrer Größe erheblich belästigend wirken würde.

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An dem Flachdachgebäude ...straße .. befinden sich - wie beschrieben - mehrere Werbeanlagen, die aber allesamt jeweils kleinflächig sind. Demgegenüber hat die geplante Werbeanlage im sog. Euro-Format eine Fläche von 10,80 m2 und würde ca. 40 Prozent der nördlichen Gebäudeseite des Imbisses einnehmen. Sie fällt demnach gegenüber den am Objekt vorhandenen Werbeanlagen auch von der Größe her aus dem Rahmen und würde an dem Imbiss-Gebäude selbst ein artfremdes Gestaltungselement hineintragen und wegen ihrer Größe einen störenden Fremdkörper bilden. Aber auch für die dahinterliegenden mehrgeschossigen Wohngebäude, die - wie erwähnt - nicht mit Werbeanlagen versehen sind, würde die geplante Werbeanlage wegen ihrer Größe in das in diesem Bereich relativ ruhige Straßenbild einbrechen.

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