Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 29.09.2003, Az.: 7 A 3898/01
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 29.09.2003
- Aktenzeichen
- 7 A 3898/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 40762
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2003:0929.7A3898.01.0A
Amtlicher Leitsatz
Moslems wurden und werden in der Elfenbeinküste nicht als Gruppe verfolgt.
Wegen der schwierigen Sicherheits- und Versorgungslage in der Elfenbeinküste sind die Voraussetzungen für eine verfassungskonforme Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nicht erfüllt.
Tenor:
...
Tatbestand
Der am 25. Oktober 19.. geborene Kläger ist ivorischer Staatsangehöriger und beantragte am 15. Oktober 2001 seine Anerkennung als Asylberechtigter.
Am 24. Oktober 2001 ist er vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zu seinen Ausreisegründen angehört worden. Er hat im Wesentlichen vorgetragen: Er sei moslemischen Glaubens und gehöre der Volksgruppe der Dioula an.
Er sei nicht Mitglied einer Partei, sondern lediglich Sympathisant. Er habe mit seinem Bruder, dessen Aufenthalt ihm unbekannt sei, sowie seinem Vater auf dem Feld gearbeitet und Mais angebaut. Über die Felder seien häufig Viehzüchter mit ihren Schafherden gezogen und hätten viel zerstört. Sie seien mehrmals zur Polizeistation, um sich darüber zu beschweren. Als man zum dritten Mal Herden über das Grundstück getrieben habe, sei es zu einem heftigen Streit gekommen, bei dem auch Personen getötet worden seien. Er sei deshalb noch am 10. Oktober 2001 geflohen. Die Polizisten hätten sie gesucht, weil man ihnen vorgeworfen habe, jemanden mit dem Messer umgebracht zu haben. Auch ihre jüngere Schwester sei umgekommen. Er selbst habe nicht auf andere eingestochen. Man habe ihn aber dafür verantwortlich gemacht, weil er und sein Bruder die einzigen seien, die dreimal Anzeige erstattet hätten. Sie seien als diejenigen angesehen worden, die andere angestachelt hätten. Er selbst habe tatsächlich niemanden verletzt, sei aber am Ort der Auseinandersetzungen gewesen. Als er aus Ghana mit seinem Vater telefoniert habe, habe dieser gesagt, dass er auf keinen Fall wiederkommen solle. Man habe seinen Vater 48 Stunden lang festgehalten und bedroht. Man habe ihm gesagt, dass man ihn, den Kläger, und seinen Bruder für verantwortlich halte. Bei einer Rückkehr in sein Heimatland würde er im Gefängnis getötet werden. Zumindest würde er wegen der dortigen schlechten Versorgungslage an Hunger und Durst sterben.
Mit Bescheid vom 15. November 2001 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG offensichtlich nicht vorliegen und auch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht gegeben sind. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides zu verlassen und anderenfalls seine Abschiebung in die Elfenbeinküste angedroht. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Die Bestrafung wegen der Gewaltanwendung gegen die Schafzüchter lasse keinen politischen Hintergrund erkennen. Es sei von den dortigen Stellen lediglich beabsichtigt gewesen, den strafrechtlich Verantwortlichen zu ermitteln. Es sei auch fraglich, ob der Vortrag überhaupt glaubhaft sei, da der Kläger seine eigene Betätigung in der Sache im Laufe der Anhörung immer mehr in den Hintergrund gestellt habe.
Am 22. November 2001 hat der Kläger Klage erhoben. Sein gleichzeitig gestellter Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist mit Beschluss vom 28. Dezember 2001 - 6 B 3899/01 - abgelehnt worden.
Der Kläger trägt ergänzend vor: Bei dem letzten Telefonat mit seinem Vater habe ihm dieser erklärt, dass die Polizei noch einmal nach Hause gekommen sei, um nach ihm, dem Kläger, zu suchen. Er reichte zudem einen Artikel aus der "Tageszeitung" vom 24. September 2003 ein. Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Elfenbeinküste vorliegen; hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG hinsichtlich der Elfenbeinküste vorliegen und den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 15. November 2001 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht und seine Abschiebung in die Elfenbeinküste angedroht worden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist zur Begründung auf den Bescheid des Bundesamtes.
Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung zu seinen Ausreisegründen angehört worden.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen; sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu.
1.
Die Behauptung des Klägers, er sei als Verantwortlicher einer Auseinandersetzung zwischen Landwirten, die Mais anbauen, und Viehzüchtern von der ivorischen Polizei gesucht worden, ist zur Überzeugung des Gerichts nicht glaubhaft. Die Angaben des Klägers sind widersprüchlich, ungereimt und unsubstanziiert gewesen.
Zunächst ist festzustellen, dass der Kläger die Auseinandersetzung mit den Viehzüchtern in der mündlichen Verhandlung nicht lebensnah darzustellen vermochte. Er beschränkte sich auch nach der Aufforderung, alle Einzelheiten zu berichten, auf wenige äußerliche Begebenheiten.
Der Kläger trug zudem beim Bundesamt vor, im Zuge des Kampfes niemanden verletzt zu haben (vgl. Anhörungsprotokoll, S. 6). In der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger demgegenüber, dass er einem Viehzüchter mit einem Holzknüppel auf den Kopf geschlagen habe. Dieser sei zu Boden gegangen sei. Er wisse nicht genau, was mit dieser Person weiter passiert sei. Eine nachvollziehbare Erklärung für diese unterschiedlichen Darstellungen vermochte der Kläger nicht zu geben.
Erstmals behauptete der Kläger in der mündlichen Verhandlung, dass sein Vater bei der Auseinandersetzung mit den Viehzüchtern durch ein Buschmesser an der Schulter verletzt worden sei. Sein Vortrag, dies auch beim Bundesamt angegeben zu haben, steht das über seine dortige Anhörung angefertigte Protokoll entgegen, dessen Richtigkeit der Kläger anerkannt hat.
Widersprüchlich ist es auch, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung zunächst angegeben hat, er habe die bedrohliche Lage erst nicht erkannt. Diese sei ihm erst klar geworden, als sein Vater von Gendarmen mitgenommen worden sei. Später behauptete der Kläger dann, sich nach der Auseinandersetzung bei Nachbarn versteckt gehalten zu haben. Von dort aus habe er die Festnahme seines Vater beobachtet. Sein Vater sei mitgenommen worden, um seinen, des Klägers, Aufenthaltsort zu ermitteln.
Schließlich ist für das Gericht nicht nachvollziehbar, dass nur der Kläger und sein Bruder gesucht worden sein sollen, während man ihren Vater nach zwei Tagen wieder freigelassen hat. Dass der Vater schon alt gewesen sein soll und der Kläger und sein Bruder ihm maßgeblich bei der Arbeit geholfen und sich früher bei der Gendarmerie über die Viehzüchter beschwert haben, erklärt dies angesichts der Bedeutung des Familienoberhaupts in afrikanischen Gesellschaften nicht. Zudem hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass er zur Zeit seiner Ausreise noch Schüler gewesen sei und seinem Vater lediglich in den Ferien auf dem Feld geholfen habe.
Ob der Kläger von einer bloßen Strafverfolgung ohne politischen Hintergrund berichtet hat bzw. im Falle eines Gefängnisaufenthalts Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 4 AuslG vorliegen würden, bedarf danach keiner gerichtlichen Beurteilung.
2.
Der Kläger musste weder im Zeitpunkt seiner Ausreise, noch muss er im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung befürchten, weil er der Volksgruppe der Dioula angehört und moslemischen Glaubens ist.
Die vom Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200203 f.; Urteil vom 30. April 1996 - 9 C 170.95 - BVerwGE 101, 123124 f.) entwickelten strengen Anforderungen, welche die Annahme einer Gruppenverfolgung voraussetzen, sind und waren nicht erfüllt. Erforderlich ist eine bestimmte Verfolgungsdichte. Die zu berücksichtigenden Verfolgungshandlungen müssen sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausgeweitet haben, dass für jeden Gruppenangehörigen die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit besteht. Hierbei ist u.a. ein Vergleich der Zahl der Gruppenmitglieder mit den festgestellten Verfolgungsfällen von Bedeutung.
Die Elfenbeinküste ist ethnisch zweigeteilt. Der Norden des Landes ist muslimisch geprägt und wird durch zusammenfassend als Dioula bezeichnete Ethnien bewohnt. Politisch wird diese durch die Oppositionspartei RDR ("Rassemblement des Republicains") vertreten. Im Süden finden sich dagegen mehrheitlich Christen, aus deren Reihen bisher die politische Elite der Elfenbeinküste entstammt.
Seit Mitte der 90er Jahre hat in der politischen Auseinandersetzung der Elfenbeinküste der fremdenfeindliche Gedanke der "Ivorität" zunehmende Bedeutung erfahren. Er richtet sich vor allem gegen die in den Jahren wirtschaftlichen Aufschwungs in das Land gekommenen zahlreichen Einwanderer aus anderen westafrikanischen Staaten. Die Ausgrenzung hat sich im Laufe der Zeit auch auf die muslimische Bevölkerung des Nordens mit ivorischer Staatsangehörigkeit ausgeweitet (vgl. Auskünfte des Instituts für Afrikakunde an das VG Hannover vom 3. Mai 2002 und an das VG Aachen vom 18. Februar 2002).
Nach Darstellung des Instituts für Afrikakunde (aaO und Auskunft an das VG Hannover vom 31. Oktober 2002) ist es in der Zeit von Anfang 2000 bis etwa März 2001 in den städtischen Zentren des Südens zu staatlichen und nichtstaatlichen Übergriffen u.a. gegen die ivorische und ausländische muslimische Bevölkerung gekommen. Zu nennen seien etwa Maßnahmen im Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen Ende Oktober 2000. Im Herbst 1999 habe es zudem in den ländlichen Regionen des Südwestens blutige Zusammenstöße zwischen der einheimischen Bevölkerung und Gastarbeitern aus Burkina Faso gegeben. Danach habe sich die Lage im Zusammenhang mit der Annäherung von Präsident Gbagbo und der Opposition verbessert. Ein Wiederaufleben der Repressionen gegen Moslems könne angesichts der Instabilität des Landes jedoch nicht ausgeschlossen werden.
Das Auswärtige Amt (Auskunft an das VG Aachen vom 4. Januar 2002) hat ausgeführt, dass die Angehörigen des Volksstamms der Dioula einem höheren Risiko als andere Ethnien ausgesetzt seien, Opfer von Übergriffen und Schikanen zu werden. Im Zusammenhang mit den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen Ende 2000 habe es Übergriffe und teilweise eine gezielte Verfolgung von (vermeintlichen) Ausländern aus den nördlichen Nachbarstaaten gegeben. Im Januar 2001 sei es im Zusammenhang mit einem gescheiterten Putsch zu Ausschreitungen und teilweise gezielten Verfolgungshandlungen gegen afrikanische Ausländer und Angehörige im Norden der Elfenbeinküste lebender Ethnien gekommen. Ab Februar 2001 habe sich die Lage langsam beruhigt. Verfolgungshandlungen erschienen möglich, wenn das Gefühl entstehe, dass die Regierung entsprechende Handlungen toleriere.
Der am 19. September 2002 ausgebrochene und Anfang Juli 2003 beendete Bürgerkrieg stellt die derzeit letzte Zuspitzung des Nord-Süd-Konflikts in der Elfenbeinküste dar. Hierzu verhalten sich die Auskunftsquellen wie folgt:
Das Institut für Afrikakunde (Auskunft an das VG Oldenburg vom 31. März 2003) berichtet, dass es in dieser Zeit im südlichen Landesteil zu schweren Pogromen gegen Menschen muslimischen Glaubens aus dem Norden gekommen sei. Bei den gewaltsamen Übergriffen seien eine unbekannte Anzahl an Personen, Schätzungen reichten bis in den vierstelligen Bereich, getötet worden. Kriterium sei die "ethnisch-religiöse-regionale" Zuordnung gewesen. Die Übergriffe seien seitens der Staatsorgane zumindest hingenommen, nach manchen Berichten sogar aktiv geschürt worden. Die Opfer seien ohne staatlichen Schutz, die Täter ohne Bestrafung geblieben
Amnesty international (Auskunft an das VG Oldenburg vom 3. April 2003) gibt an, dass für die Zeit des Bürgerkriegs von zahlreichen Menschenrechtsverletzungen an Angehörigen muslimischen Glaubens und Personen nicht-ivorischer Staatsangehörigkeit in den südlichen Landesteilen auszugehen sei. Vor allem in Abidjan sei es im Zusammenhang mit der Rebellion zu Ausschreitungen gegenüber Ivorern mit moslemischen Namen und Einwanderern aus den westafrikanischen Nachbarländern gekommen. Die Unterkünfte seien von Sicherheitskräften zerstört und die Menschen bedroht, festgenommen, misshandelt und zum Teil getötet worden sei. Die Muslime und Ausländer seien pauschal der Unterstützung der Rebellengruppen verdächtigt worden. Viele Ausländer seien deshalb in ihre Heimatländer zurückgekehrt. Verantwortlich seien Soldaten und Polizeikräfte der Regierung. Sie hätten offenbar mit Billigung der Regierung gehandelt.
Das Auswärtige Amt (Auskunft an das VG Oldenburg vom 22. April 2003) kann gezielte Angriffe gegen Angehörige moslemischen Glaubens in den südlichen Landesteilen während des Bürgerkriegs nicht bestätigen. In erster Linie richteten sich diese gegen die Gastarbeiter aus den Nachbarstaaten der Elfenbeinküste. Die Übergriffe hätten sich auf Abidjan konzentriert, seien in geringerem Maße aber auch in anderen Städten vorgekommen. Es bestünden Anhaltspunkte dafür, dass an den Übergriffen Angehörige der Armee bzw. Gendarmerie beteiligt gewesen seien. Ob staatliche Stellen diese förderten, sei nicht sicher festzustellen; auf jeden Fall sei von diesen zu wenig gegen die Übergriffe unternommen worden.
Hieraus ergibt nach Einschätzung des Gerichts zusammenfassend Folgendes:
Es ist zu berücksichtigen, dass den Übergriffen gegen die Angehörigen der moslemischen Volksstämme des Nordens der die Politik der Elfenbeinküste seit längerem beherrschende Nord-Süd-Konflikt zugrunde liegt, der von den politischen Parteien propagandistisch geschürt wird. Zu beachten ist jedoch, dass diese Übergriffe nicht permanent, sondern in Folge bestimmter Einzelereignisse auftreten; eine systematische Verfolgung lässt sich nicht feststellen. Betroffen sind häufig nicht die Moslems ivorischer Staatsangehörigkeit. Ziel der Übergriffe sind - entsprechend dem Konzept der "Ivorite" - vielmehr in erster Linie die Gastarbeiter, die in Zeiten wirtschaftlicher und politischer Krisen einfache vielfach recht- und wehrlose Opfer sind. Die Übergriffe betreffen auch nicht den gesamten Süden der Elfenbeinküste, sondern finden vor allem in Abidjan und anderen größeren Städten statt. Die tödlichen Opfer gehen zwar in die Tausende, zu berücksichtigen ist jedoch, dass die Moslems auch in den südlichen Landesteilen eine starke Minderheit darstellen.
Dass die Rebellen des Nordens die Regierung der Nationalen Einheit nunmehr wieder verlassen haben (vgl. taz vom 24. September 2003) vermag eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Nach den obigen Ausführungen waren selbst während des vergangenen Bürgerkriegs die Voraussetzungen für eine Gruppenverfolgung nicht erfüllt.
Ob dem Kläger in den nördlichen Landesteilen der Elfenbeinküste eine zumutbare inländische Fluchtalternative zur Verfügung steht, bedarf danach keiner Beurteilung.
3.
Es liegen im Hinblick auf die Sicherheits- und Versorgungslage in der Elfenbeinküste auch keine Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vor. Da es sich um Gefahren handelt, denen die Bevölkerung in diesem Staat allgemein ausgesetzt ist, muss die Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG beachtet werden. Grds. sollen in diesen Fällen Abschiebungen allein durch Entscheidungen der obersten Landesbehörden nach § 54 AuslG ausgesetzt werden. Eine Ausnahme gilt im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 Satz 1 GG allerdings dann, wenn der Ausländer im Falle seiner Rückkehr sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwerster Verletzungen ausgeliefert würde. Erforderlich ist, dass eine besonders gravierende Gefährdung der betroffenen Rechtsgüter mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit unmittelbar, d.h. ohne wesentliche Zwischenschritte nach der Ankunft, eintreten wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 19 m.w.N.)
Das Auswärtige Amt warnt zwar vor Reisen in die Elfenbeinküste. In den Sicherheitshinweisen vom 30. Juni 2003 ist allerdings auch ausgeführt, dass dringende Reisen nach Abidjan mit den üblichen Vorsorgemaßnahmen als möglich angesehen werden. Nach einer Auskunft des Auswärtigen Amtes an das erkennende Gericht vom 22. April 2003 soll die Gewaltkriminalität in der Elfenbeinküste sehr hoch sein. Es seien weiter Todesschwadronen aktiv, die sich allerdings auf Abidjan beschränkten. Die Opfer würden nicht nach erkennbaren Kriterien ausgesucht. Seit Oktober 2002 gebe es im regierungskontrollierten Teil der Elfenbeinküste keine bürgerkriegsbedingten Kampfhandlungen mehr. Die Versorgungslage sei dort gesichert.
Amnesty international (Auskunft an das erkennende Gericht vom 3. April 2003) weist auf die in Folge des Bürgerkriegs sich allgemein verschlechternde aber regional unterschiedliche Versorgungslage und die aus der politischen Instabilität begründeten Gefahren durch Todesschwadrone, Bürgerkriegsparteien und Söldner aus Liberia hin. In der Elfenbeinküste sei daher jedermann Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt.
Nach einer Auskunft des Instituts für Afrikakunde an das erkennende Gericht vom 31. März 2003 ist die Gewaltkriminalität in den südlichen Landesteilen stark ausgeprägt. Abidjan gehöre zu den unsichersten Städten weltweit. Ein staatlicher Schutz hiergegen sei nicht gewährleistet. In einigen nördlichen und westlichen Gebieten der Elfenbeinküste sei die Versorgungslage angespannt.
Hieraus ergibt sich nach Auffassung des Gerichts nicht, dass extreme Gefahren mit der für eine verfassungskonforme Erweiterung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG erforderlichen Unmittelbarkeit und hohen Wahrscheinlichkeit drohen. Die Versorgungslage ist noch nicht so schlecht, dass weite Teile der Bevölkerung vom Hunger bedroht wären. Es ist zudem möglich, das Risiko krimineller Übergriffe durch Vorsichtsmaßnahmen zu verringern. Diese treten auch vorwiegend in den städtischen Zentren, vor allem in Abidjan, auf. Hinzu kommt, dass der Bürgerkrieg, der schon seit langem nicht mehr zu Kampfhandlungen in den südlichen Landesteilen geführt hat, auf Grund einer Übereinkunft der Regierung und der Rebellen seit Anfang Juli 2003 endgültig beendet ist Die Lage in der Elfenbeinküste hat sich deshalb normalisiert. Insbesondere kommen auch wirtschaftliche Aktivitäten wieder in Gang (vgl. NZZ vom 29. Juli 2003 und FR vom 7. Juli 2003).
Dass die Rebellen die Regierung der Nationalen Einheit nunmehr wieder verlassen haben (vgl. taz vom 24. September 2003) und es in der Stadt Bouake im Zusammenhang mit dem Überfall auf eine Bank zu Gewaltausbrüchen gekommen ist (vgl. SZ vom 29. September 2003), kann eine andere Beurteilung nicht rechtfertigen. Zum einen ist deshalb noch nicht mit der erforderlichen Gewissheit von einem erneuten Aufflammen des inner-ivorischen Konflikts auszugehen. Zum anderen lagen die Voraussetzungen für eine verfassungskonforme Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nach den obigen Ausführungen auch während des vergangenen Bürgerkrieges nicht vor.
...