Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 10.02.2005, Az.: 5 U 26/04
Anspruch auf Schmerzensgeld und Rente wegen eines Verkehrsunfalls ; Notwendigkeit von orthopädischen Hilfsmitteln
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 10.02.2005
- Aktenzeichen
- 5 U 26/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 38001
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2005:0210.5U26.04.0A
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 823 Abs. 1 BGB
- § 823 Abs. 2 BGB
- § 843 Abs. 1 BGB
- § 847 BGB
- § 229 StGB
In dem Rechtsstreit
...
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...
den Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richterin am Oberlandesgericht ...
im schriftlichen Verfahren, in dem Schriftsätze bis zum 31. Januar 2005 eingereicht werden konnten,
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 23. Januar 2004 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer/Einzelrichterin des Landgerichts Bückeburg wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägen der Kläger 43 %, die Beklagten als Gesamtschuldner 57 %. Dies gilt jedoch nicht für die Kosten der Beweisaufnahme; diese werden den Beklagten als Gesamtschuldnern auferlegt.
Die Gerichtskosten zweiter Instanz fallen zu 10 % dem Kläger, zu 90 % den Beklagten als Gesamtschuldnern zur Last. Die außergerichtlichen Auslagen des Klägers haben die Beklagten als Gesamtschuldner zu 75 % zu tragen. Die außergerichtlichen Auslagen der Beklagten hat der Kläger zu 25 % zu tragen. Die Kosten der Beweisaufnahme zweiter Instanz werden den Beklagten als Gesamtschuldnern auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können jeweils die Vollstreckung der Gegenseite durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Parteien streiten um Schmerzensgeld und eine Rente nach einem Verkehrsunfall.
Am 21. Februar 2002 befuhr der damals 17-jährige Kläger (geboren am 2. Januar 1985) mit seinem Motorroller in Obernkirchen die Bergstraße in Richtung L 442. Die Beklagte zu 1 kam ihm mit ihrem Pkw entgegen, wollte nach links einbiegen, beachtete die Vorfahrt des Klägers jedoch nicht. Es kam zur Kollision, bei der sich der Kläger schwer verletzt hat. Neben weiteren Verletzungen erlitt er insbesondere einen offenen Bruch des linken Unterschenkels. Diese Verletzung wurde zunächst u.a. mit externen Fixateuren behandelt, die der Kläger vier Monate lang tragen musste. Später wurden Titanplatten eingesetzt, zum Verschluss der Wunde Muskel- und Hautgewebe transplantiert. Wegen erheblicher Störung der Wundheilung befand sich der Kläger mit kurzen Unterbrechungen für ein Jahr in stationärer Behandlung.
Das linke Bein ist dauerhaft nicht mehr voll funktionsfähig. Die Invalidität des linken Beins im Vergleich zum rechten beträgt 5/7, günstigstenfalls auf Dauer 4/7. Am 25. August 2003 wurde eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 60 % festgestellt (Bl. 71). Wegen der Einzelheiten der Verletzungen, der Heilbehandlung und ihres Verlaufs wird Bezug genommen auf die ärztlichen Berichte und Gutachten der Henriettenstiftung vom 16. Oktober 2002 (Bl. 8 f.), des Oststadt-Klinikums vom 6. November 2002 (Bl. 10 ff.), des 1 vom 23. Juli 2003 (Bl. 49 ff.) und des Klinikums Schaumburg vom 25. August 2003 (Bl. 55 ff.). Die Beklagte zu 3 hatte vorprozessual 15.500 EUR Schmerzensgeld gezahlt.
Mit seiner Klage begehrte der Kläger weiteres Schmerzensgeld, eine Rente sowie Feststellung der Schadensersatzpflicht für die Zukunft. Er hat die Ansicht vertreten, die Beklagten hafteten allein für den Unfall. Er hat ein Schmerzensgeld von insgesamt 74.500 EUR und eine monatliche Rente von 250 EUR für angemessen gehalten.
Die Parteien haben sich im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht dahin geeinigt, dass die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger 80 % des ihm entstandenen materiellen Schadens zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind, und immaterielle Schäden unter Berücksichtigung eines 20 %igen Mitverschuldens des Klägers. Wegen der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll vom 8. Dezember 2003 (Bl. 78) Bezug genommen.
Der Kläger hat behauptet, während des Aufenthalts im Henriettenstift suizidgefährdet gewesen zu sein, weil er keine Zukunftsperspektive für sich gesehen habe. Es habe ein Psychologe hinzugezogen werden müssen. Es habe ihn stark getroffen, dass er nicht mehr Fußball spielen könne.
Der Kläger hat mit Rücksicht auf den geschlossenen Zwischenvergleich zuletzt beantragt,
- 1.
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn - den Kläger - ein angemessenes Schmerzensgeld für den Zeitraum vom 21. Februar 2002 bis zum 22. Januar 2003 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 22. Februar 2002 zu zahlen und
- 2.
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn - den Kläger - eine Rente in Höhe von 250 EUR, beginnend am 1. Januar 2003, zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben die von dem Kläger geschilderten psychischen Unfallfolgen mit Nichtwissen bestritten und angesichts der erlittenen Verletzungen das geforderte Schmerzensgeld für überhöht gehalten.
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Zeugen. Wegen des Ergebnisses wird auf das Sitzungsprotokoll vom 8. Dezember 2003 (Bl. 77 ff.) Bezug genommen.
Es hat sodann dem Kläger ein weiteres Schmerzensgeld von 34.500 EUR zugesprochen, sowie eine monatliche Rente von 50 EUR. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil (Bl. 100 ff.) Bezug genommen.
Beide Parteien haben gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Die Beklagten sind der Ansicht, das Gericht hätte die Eltern des Klägers nicht als Zeugen zu dessen psychischen Beeinträchtigungen vernehmen dürfen. Der hierzu von dem Kläger gehaltene Vortrag sei nicht hinreichend substantiiert gewesen. Der Entscheidung hätte mithin nicht zugrunde gelegt werden dürfen, dass und welche psychischen Beeinträchtigungen der Kläger erlitten habe.
Das Landgericht sei zudem unzutreffend davon ausgegangen, dass der Heilungsverlauf noch nicht abgeschlossen und weitere Operationen oder andere ärztliche Heilbehandlungen zu befürchten seien.
Das zuerkannte Schmerzensgeld sei überhöht. Auch die Gewährung einer Schmerzensgeldrente komme nicht in Betracht, denn eine Rente sei nur Schwerstverletzten vorbehalten, etwa bei erlittenem Hirnschaden mit Verlust der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit. Eine Schmerzensgeldrente gebe dem Geschädigten die Möglichkeit, sein beeinträchtigtes Lebensgefühl stets von neuem durch zusätzliche Erleichterungen und Annehmlichkeiten zu heben. Um diesem Zweck genügen zu können, müsse die einzelne Rentenzahlung als angemessener Ausgleich für Schmerzen und verminderte Lebensfreude empfunden werden und nicht lediglich als geringfügige Einnahme, die für den laufenden Lebensunterhalt verbraucht werde. Diese Voraussetzungen für die Gewährung einer Schmerzensgeldrente lägen nicht vor.
Die Beklagten beantragen,
das am 23. Januar 2004 verkündete Urteil des Landgerichts Bückeburg (Az.: 2 O 53/03) teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen, soweit sie durch den Zwischenvergleich vom 8. Dezember 2003 noch nicht erledigt ist.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hat seine Berufung gegen das Urteil zurückgenommen. Er verteidigt im Übrigen die angefochtene Entscheidung. Er sei ausweislich des psychologischen Kurz-Gutachtens des Regierungsdirektors ... vom 13. Juni 2004 (Bl. 186 ff.) ganz erheblich seelisch geschädigt. Wegen der Darstellung im Einzelnen wird auf das psychologische Gutachten ... (Bl. 186 ff.) Bezug genommen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze und Anlagen der Parteien Bezug genommen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen ... vom 20. September 2004 (Aktentasche). Wegen des Ergebnisses wird auf das Gutachten Bezug genommen.
II.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet. Das Landgericht hat richtig entschieden. Dem Kläger steht gegen die Beklagten ein Anspruch auf Schmerzensgeld und eine Rente in der ausgeurteilten Höhe zu, §§ 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. § 229 StGB, §§ 847, 843 Abs. 1 BGB.
1.
Das Landgericht hat die Höhe des Schmerzensgeldes richtig bemessen. Die Berufung hat keine Umstände aufgezeigt, die eine niedrigere Festsetzung rechtfertigten, noch sind sonst solche Umstände ersichtlich. Der Senat hält das von dem Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld für angemessen, § 847 BGB. Dabei sind außer dem 20 %igen Mitverschulden des Klägers im Wesentlichen folgende Umstände maßgeblich:
die Schwere der Verletzungen,
die Dauer des Heilungsverlaufs,
das jugendliche Alter des Verletzten,
der lange stationäre Aufenthalt des Klägers,
die dauernde erhebliche Funktionsbeeinträchtigung des linken Beines mit starken Beeinträchtigungen im täglichen Leben und im beruflichen Fortkommen,
der Zwang, bereits getroffene berufliche Dispositionen grundlegend zu ändern,
Verlust der bevorzugten Freizeitbeschäftigung (Fußball und Tennis spielen, Schwimmen fünf Tage in der Woche),
die massiven psychischen Beeinträchtigungen.
Der Senat ist nicht gehindert, diese psychischen Beschwerden des Klägers bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen. Dabei kann dahinstehen, ob der Vortrag des Klägers in erster Instanz hinreichend substantiiert war, denn in jedem Fall hatte das Landgericht seiner Entscheidung die Erkenntnisse aus der Beweisaufnahme zugrunde zu legen. Selbst wenn fehlerhaft Beweis über etwa unsubstantiierten Vortrag erhoben worden sein sollte, ist das Ergebnis zu berücksichtigen (vgl. Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 25. A., § 529 Rdnr. 15 m.w.N.). Der Kläger hat sich die Angaben seiner Eltern zu seinen psychischen Beeinträchtigungen zu eigen gemacht. Dies bedarf keiner ausdrücklichen Erklärung. Auch wenn eine Partei zu den ihr günstigen neuen Tatsachen, die ein Zeuge bekundet, keine ausdrückliche Erklärung abgibt, macht sie sich diese Tatsachen konkludent zu eigen. Lediglich für den Fall, dass eine Partei sich den ihr günstigen Vortrag der anderen Partei nicht zu eigen machen will, ist eine ausdrückliche Erklärung hierzu erforderlich.
Die Höhe des zuerkannten Schmerzensgeldes ist nicht zu beanstanden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger erst 17 Jahre alt war, als er die folgenschweren Verletzungen erlitt. Die Lehrstelle als Dachdecker konnte er nicht antreten. Die massiven Verletzungsfolgen haben den Kläger in einer Phase getroffen, in der sich Jugendliche üblicherweise dem anderen Geschlecht zuwenden. Gerade in dieser Hinsicht fühlt sich der Kläger besonders beeinträchtigt, weil er sein Bein als missgestaltet und für andere störend empfindet. Die Beziehung zu seiner Freundin ist zerbrochen. Er hat sich nach dem Unfall auch von seinem Freundeskreis abgekapselt, fühlt sich an die unbeschwerte Zeit vor dem Unfall erinnert, wenn er alte Freunde und Bekannte trifft. Wegen der weiteren schweren psychischen Beeinträchtigungen des Klägers wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen auf die Ausführungen in dem Privatgutachten Rathert, die der gerichtlich bestellte Sachverständige weitgehend bestätigt hat und auf die Ausführungen in dem Gutachten des ... vom 20. September 2004. Angesichts der Schwere der Verletzungen und ihrer physischen und psychischen Folgen im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung ist das zuerkannte weitere Schmerzensgeld angemessen und zwar auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der gerichtliche bestellte Sachverständige die Aussichten auf eine Besserung im psychischen Befinden des Klägers als günstiger ansieht als der privat beauftragte Sachverständige ...
2.
Das Landgericht hat dem Kläger mit zutreffenden Erwägungen eine Rente von 50 EUR monatlich wegen vermehrter Bedürfnisse gemäß § 843 Abs. 1 BGB zugesprochen. Die dagegen vorgebrachten Angriffe der Berufung vermögen nicht zu überzeugen. Der Kläger hatte ausweislich der Klageschrift (Bl. 7) eine Rente gemäß § 843 BGB geltend gemacht. Auch wenn sich in seinen Schriftsätzen nur wenig explizite Ausführungen zu den vermehrten Bedürfnissen ergeben, sind solche Angaben jedoch in den von ihm vorgelegten Gutachten enthalten; auch diese gehören zum Parteivortrag.
Das Landgericht hat ausweislich der Begründung nicht neben einem Schmerzensgeld eine Schmerzensgeldrente zuerkannt oder zuerkennen wollen, sondern eine solche nach § 843 Abs. 1 BGB. Das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, aufgrund der vorgelegten Gutachten stehe fest, dass der Kläger auf zusätzliche Hilfsmittel dauerhaft angewiesen sei. Soweit die Beklagten die Spät- und Dauerfolgen bestreiten, bestätigen die vorgelegten Gutachten die Behauptungen des Klägers. Substantiierte Einwendungen dagegen haben die Beklagten nicht vorgebracht. Der Heilungsverlauf mag abgeschlossen und zwischenzeitlich eine Vollbelastung des Beines empfohlen worden sein. Das ändert aber nichts an den Feststellungen der behandelnden Ärzte und der Gutachter zu den dauerhaften Beeinträchtigungen des Klägers. Diese ergeben sich insbesondere aus den bereits genannten Gutachten des ... vom 23. Juli 2003 (Bl. 49 ff.), des Klinikums Schaumburg vom 25. August 2003 (Bl. 55 ff.) und der Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen ....
Das Landgericht hat dem Kläger mit zutreffenden Erwägungen eine Rente wegen vermehrter Bedürfnisse zuerkannt und dabei auf die orthopädischen Hilfsmittel (Spezialschuhe, Abrollhilfe, Zehenschoner, Kompressionsstrumpf) und die erforderliche Zusatzpflege des verletzten Beines abgestellt. Fehler bei der Schätzung der Höhe sind weder ersichtlich noch dargetan.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1, § 96, § 516 Abs. 3 ZPO. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass die erhobenen Beweise in den beiden Instanzen jeweils die Behauptungen des Klägers bestätigt haben und er die von ihm eingelegte Berufung noch vor der Antragstellung im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat zurückgenommen hat.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, §§ 711, 709 S. 2 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 543 Abs. 1 ZPO.