Landgericht Bückeburg
Urt. v. 23.01.2004, Az.: 2 O 53/03

Schmerzensgeldbemessung hinsichtlich der Folgen eines Verkehrsunfalls; Anspruch auf eine monatliche Rente aufgrund mehrmonatiger ärztlicher Heilbehandlung, einer Beinverkürzung und Zehverformung, einer deutlichen Bewegungseinschränkung, Haut- und Muskelveränderungen und erheblicher Nervenschädigung

Bibliographie

Gericht
LG Bückeburg
Datum
23.01.2004
Aktenzeichen
2 O 53/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 38620
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGBUECK:2004:0123.2O53.03.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
OLG Celle - 10.02.2005 - AZ: 5 U 26/04

Fundstelle

  • DAR 2004, 274-275 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Schadensersatz

In dem Rechtsstreit
...
hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Bückeburg
auf die mündliche Verhandlung vom 08.12.2003
durch
die Richterin am Landgericht ... als Einzelrichterin
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger als weiteres Schmerzensgeld 34.500,- EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.05.2003 zu zahlen.

Die Beklagten werden weiter verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger eine monatliche Rente in Höhe von 50,- EUR, beginnend ab dem 01.01.2003, zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 43 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 57 %.

Das Urteil ist für beide Parteien gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert wird auf 94.500,- EUR festgesetzt bis zum 07.12.2003 und auf 74.500,- EUR ab dem 08.12.2003.

TATBESTAND

1

Mit der Klage verlangt der am 02.01.1985 geborene Kläger von den Beklagten Schadensersatz anlässlich eines Verkehrsunfalles, der sich am 21.02.2002 gegen 18.35 h in Obernkirchen auf der Bergstraße ereignet hat.

2

Der Kläger befuhr mit seinem Motorroller und einem hinter ihm sitzenden Beifahrer die Bergstraße in Richtung L 442 mit einer Geschwindigkeit von ca. 50 km/h abwärts. Die Beklagte zu 1) kam mit dem Pkw der Beklagten zu 2), einem Fiat Uno, amtliches Kennzeichen ..., haftpflichtversichert bei der Beklagten zu 3) dem Kläger auf der Bergstraße entgegen. Sie wollte nach links einbiegen in die Wilhelmstraße. Als sich der Kläger dem Einmündungsbereich zur Wilhelmstraße näherte, bremste er. Es kam zu einer Kollision der vom Kläger und der Beklagten zu 1) gesteuerten Fahrzeuge, wobei die Parteien darüber streiten, ob der Anstoß an dem Pkw der Beklagten zu 2) seitlich - so der Kläger - oder frontal vorne links - so die Beklagten - erfolgte. Die Beklagte zu 1) erklärte an der Unfallstelle, sie habe den Kläger übersehen. Der Kläger verletzte sich bei dem Unfallgeschehen schwer: Er erlitt neben weiteren inzwischen ausgeheilten Verletzungen einen offenen Bruch seines linken Unterschenkels, der zwei Operationen am 22.02. und 15.08.2002 - unter Anderem mit Transplantationen - erforderte. Daran schloss sich eine stationäre Weiterbehandlung an, weil die Nerven und die Muskulatur beeinträchtigt waren. Wegen einer arteriellen Verletzung, die der Kläger davongetragen hat, ist sein linkes Bein dauerhaft nicht mehr voll funktionsfähig. Gegebenenfalls droht ihm eine Amputation. Als Unfallfolgen sind ferner erhebliche Narben zurückgeblieben. Die Verletzung beeinträchtigt den Kläger dauerhaft in allen Lebensbereichen. Außerdem konnte er wegen des Unfalles seine Lehrstelle nicht antreten sowie ein BGJ-Jahr nicht beenden. Er muss sich einer Krankengymnastik unterziehen. Wegen der Einzelheiten der gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die der Kläger erlitten hat und unter denen er dauerhaft zu leiden hat, wird Bezug genommen auf das neurologische Zusatzgutachten mit Elektrophysiologie des ... vom 23.07.2003 (Bl. 49-54 d.A.) und das chirurgische Fachgutachten des ... vom 25.08.2003 (Bl. 55-75 d.A.). Mit Schreiben vom 20.06.2002 warfen die Beklagten dem Kläger eine Geschwindigkeitsüberschreitung vor. Wegen des Unfallgeschehens erließ das Amtsgericht Bückeburg <65 Cs 203 Js 2786/02 (143/02)> am 29.05.2002 gegen die Beklagte zu 1) wegen fahrlässiger Körperverletzung einen Strafbefehl, der rechtskräftig geworden ist. Die Beklagte zu 3) erstattete dem Kläger den ihm entstandenen Sachschaden und zahlte als Schmerzensgeld an ihn 15.500,- EUR.

3

Der Kläger behauptet, während seiner Klinikaufenthalte sei er suizidgefährdet gewesen. Noch heute leide er psychisch unter seinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Als Schmerzensgeld hält er einen Betrag in Höhe von insgesamt 75.000,- EUR abzüglich der gezahlten 15.500,- EUR für angemessen. Außerdem meint er, ihm stünde eine lebenslange Schmerzensgeldrente in Höhe von monatlich 250,- EUR zu wegen seines Dauerschadens.

4

In der mündlichen Verhandlung am 08.12.2003 haben die Parteien einen Zwischenvergleich dahin geschlossen, dass für die materiellen Schäden des Klägers anlässlich des Verkehrsunfalles vom 21.02.2002 eine Haftungsquote der Parteien von 80 % zu 20 % zu Lasten der Beklagten als Gesamtschuldner zu Grunde zu legen ist. Weiter haben sich die Parteien dahin geeinigt, dass hinsichtlich der immateriellen Schäden des Klägers anlässlich dieses Verkehrsunfalles ein Mitverschuldensanteil des Klägers von 20 % zu Grunde gelegt wird. Außerdem haben die Beklagten ihre zukünftige materielle Schadensersatzpflicht anlässlich des Verkehrsunfalles vom 21.02.2002 gegenüber dem Kläger dergestalt anerkannt, dass sie verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche zukünftigen materiellen Schäden zu 80 % zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen. Darüber hinaus haben die Beklagten anerkannt, dass sie dem Kläger sämtliche zukünftige immateriellen Schäden anlässlich dieses Verkehrsunfalles als Gesamtschuldner erstatten, wobei ein 20 %iges Mitverschulden des Klägers in Ansatz zu bringen ist. Hiermit hat sich der Kläger einverstanden erklärt.

5

Der Kläger beantragt nunmehr,

  1. 1.

    die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn - den Kläger - ein angemessenes Schmerzensgeld für den Zeitraum vom 21.02.2002 bis zum 22.01.2003 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 22.02.2002 zu zahlen und

  2. 2.

    die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn - den Kläger - eine Rente in Höhe von 250,- EUR beginnend am 01.01.2003 zu zahlen.

6

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

7

Die Beklagten nehmen die Unfallverletzungen des Klägers zwar nicht in Abrede, behaupten aber, deren Folgen seien weniger dramatisch, als es der Kläger vortrage. Die Schmerzensgeldvorstellung des Klägers erachten die Beklagten für überzogen. Eine Schmerzensgeldrente sei nicht angebracht.

8

Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 08.12.2003 (Bl. 79 d.A.) durch Vernehmung der Zeugen .... Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die Protokollniederschrift vom 08.12.2003 (Bl. 77-81 d.A.). Darüber hinaus wird wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes Bezug genommen auf den vorgetragenen Inhalt der von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen. Die Akte der Staatsanwaltschaft Bückeburg mit dem Aktenzeichen 203 Js 2786/02 war zu Beweiszwecken beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

9

Die zulässige Klage ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme teilweise begründet. Die Beklagten sind gemäߧ§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, §§ 1, 3 Nr. 1 PflVG, §§ 823 Abs. 1, 843, 847 Abs. 1 a.F. BGB verpflichtet, an den Kläger ein angemessenes weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 34.500,- EUR sowie ab dem 01.01.2003 monatlich 50,- EUR als Rente zu zahlen. Die weitergehende Klage ist unbegründet und war insoweit abzuweisen.

10

Schmerzensgeld steht dem Kläger unter Berücksichtigung seines 20 %igen Mitverschuldensanteils, auf den sich die Parteien in dem Zwischenvergleich vom 08.12.2003 geeinigt haben (Haftung aus Betriebsgefahr), in Höhe von insgesamt 50.000,- EUR zu. Abzüglich der bereits gezahlten 15.500,- EUR sind die Beklagten folglich verpflichtet, weitere 34.500,- EUR an den Kläger zu zahlen. Bei der Schmerzensgeldhöhe hat die Einzelrichterin die gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die der Kläger ausweislich der oben genannten Gutachten der ... objektiv erlitten und weiterhin dauerhaft erleiden muss, eingehend berücksichtigt. Danach hat der Kläger während seiner ärztlichen Heilbehandlung, die mehrere Monate in Anspruch genommen hat, auch wegen der Verwendung eines Fixateurs, der eingetretenen Entzündungsproblematik, der erforderlichen Hauttransplantation und sonstigen operativen Eingriffen erhebliche Schmerzen erlitten. Dauerhaft leidet er zudem unter Schmerzen. Wegen der Beinverkürzung links und der Zehverformung am linken Fuß ist sein Gangbild sichtbar beeinträchtigt. Der Kläger ist deutlich bewegungseingeschränkt und demzufolge insgesamt erheblich in seiner Lebensgestaltung, sei es beruflich, sei es privat, belastet. Es sind deutlich sichtbare Narben verblieben, Sensibilitätsstörungen festzustellen, Haut- und Muskelveränderungen sowie eine erhebliche Nervenschädigung aufgetreten. All dies belastet den Kläger dauerhaft in hohem Maße. Wegen der Platten und Schrauben, die sich noch in seinem Körper befinden, sowie wegen der Narben und Hautveränderungen, möglicherweise auch wegen der Nervenschädigung, sind weitere Operationen oder andere ärztliche Heilbehandlungen zu befürchten. Dies dürfte auch mit Sorgen und Ängsten verbunden sein. Ferner ist beachtet worden, dass der Kläger seine Berufsplanung anders ausrichten musste, als er es ursprünglich geplant hatte, weil er den Beruf des Dachdeckers nicht ergreifen konnte. Schließlich ist bedacht worden, dass der Kläger wegen seines jugendlichen Alters viele Jahre mit den gesundheitlichen Dauerfolgen leben muss.

11

Der Kläger hat darüber hinaus bewiesen, dass er psychisch erheblich unter seinen Verletzungen leidet. So haben seine Eltern, die Zeugen ... übereinstimmend ausgesagt, der Kläger habe sich seit dem Unfallgeschehen von seinem Freundes- und Bekanntenkreis zurückgezogen. Er leide darunter, nicht mehr wie früher Sport treiben zu können. Seine Stimmungslage habe sich deutlich verschlechtert: Während der Kläger früher lustig, fröhlich und unternehmenslustig gewesen sei, sei er heute traurig, unzufrieden, antriebslos, niedergeschlagen und depressiv. Diese negative Tendenz in der Stimmungslage verstärke sich zunehmend. Wegen seines Beines und seiner Narben empfinde der Kläger Scham. Beide Zeugen haben auf das Gericht einen glaubwürdigen Eindruck gemacht. Sie schienen ehrlich betroffen von den Veränderungen, die sie beim Kläger beobachten mussten.

12

Die Schmerzensgeldbemessung ist auch im Vergleich mit anderen bereits entschiedenen Fällen angemessen. Das zeigt ein Studium der Rechtsprechung zur Schmerzensgeldverurteilung, wie sie in Hacks/Ring/Böhm, Schmerzensgeldbeträge, 22. Auflage, unter den Nummern 2748, 2764 und 2775 festgehalten ist. Auch in diesen Fällen ist davon auszugehen, dass die Betroffenen in ähnlicher Weise wie der Kläger physisch und psychisch unter ihren gesundheitlichen Beeinträchtigungen leiden.

13

Die Zinssforderung folgt aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB. Die Beklagten sind seit dem Tage, der auf die Rechtshängigkeit, die am 16.05.2003 eingetreten ist, folgt, zur Verzinsung der Schmerzensgeldforderung mit dem gesetzlichen Zinssatz verpflichtet. Einen Verzugszinsschadensanspruch, der zu einem früheren Zeitpunkt eingetreten sein könnte, hat der Kläger nicht dargelegt. § 849 BGB ist auf Schmerzensgeldforderungen nicht anwendbar. Wegen der unbegründeten Zinsmehrforderung war die Klage folglich ebenfalls teilweise abzuweisen.

14

Darüber hinaus sind die Beklagten gemäß § 843 Abs. 1 BGB verpflichtet, dem Kläger eine monatliche Rente in Höhe von derzeit 50,- EUR zu zahlen. Bei der Verletzung des Körpers und der Gesundheit ist als Ausgleich für dauernde Nachteile regelmäßig eine Rente zu zahlen [Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 62. Auflage, Bearbeiter Thomas zu § 843 Rn. 1]. Vorliegend muss der Kläger als Unfallfolge vermehrte Bedürfnisse hinnehmen. Darunter fallen verletzungsbedingte, konkret darzulegende Mehraufwendungen im Vergleich zu einem gesunden Menschen, also alle unfallbedingten ständig wiederkehrende vermögenswerte objektivierbare Aufwendungen, die den Zweck haben, diejenigen Nachteile auszugleichen, die dem Verletzten infolge dauernder Störungen des körperlichen Wohlbefindens entstehen [ders., § 843 Rn. 3]. Ausweislich der oben genannten Gutachten muss der Kläger wegen der Beinverkürzung und der Zehverformung besonderes Schuhwerk mit Hilfsmitteln für seinen Zehen sowie einen Kompressionsstrumpf tragen. Die Hautdefekte und Narben bedürfen einer speziellen Pflege. Diese Maßnahmen sind dauerhaft zu ergreifen und stellen vermehrte Bedürfnisse im Sinne des § 843 BGB dar. Derzeit erscheint hierfür ein monatlicher Betrag in Höhe von 50,- EUR angemessen und ausreichend, um den Kläger zu entschädigen. Seine weitergehende Forderung hat der Kläger nicht hinreichend dargetan und belegt. Diesbezüglich war seine Klage teilweise abzuweisen.

15

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 1, 709 ZPO.

16

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 3, 5 ZPO, §§ 12 Abs. 1, 17 Abs. 2 GKG. Dabei ist berücksichtigt worden, dass sich der Streitwert am 08.12.2003 durch den Zwischenvergleich der Parteien und das Teilanerkenntnis der Beklagten verringert hat.