Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 28.01.2016, Az.: 2 ME 255/15

Anscheinsbeweis; Aufsichtsarbeit; Auswendiglernen; Täuschung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
28.01.2016
Aktenzeichen
2 ME 255/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 43179
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 11.08.2015 - AZ: 4 B 269/15

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zum Eilrechtsschutz in einem Fall, in welchem der Prüfling in einer Aufsichtsarbeit im Wesentlichen eine zur Aufgabenstellung passende Klausurlösung seines Repetitoriums niedergeschrieben und hernach behauptet hat, diese zuvor - neben anderen, exemplarischen Falllösungen - auf Anraten seines Arztes auswendig gelernt zu haben, um psychische Stabilität zu gewinnen.

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Göttingen - 4. Kammer (Einzelrichterin) - vom 11. August 2015 teilweise geändert.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Aufsichtsarbeit ZR 3 des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts durch die Prüfer vorläufig fehlerfrei neu bewerten zu lassen.

Im Übrigen, d.h. hinsichtlich der beantragten Neubewertung der Aufsichtsarbeiten ZR 1, SR, ÖR 1 und ÖR 2 und der vorläufigen Zulassung zur mündlichen Prüfung, wird der Antrag abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller zu fünf Sechsteln und der Antragsgegner zu einem Sechstel.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.750 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antragsteller verfolgt im Wege des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung das Ziel einer vorläufigen Neubewertung von Aufsichtsarbeiten in der 1. juristischen Staatsprüfung und der vorläufigen Zulassung zur mündlichen Prüfung.

Mit (im erstinstanzlichen Klageverfahren 4 A 268/15 angegriffenen) Bescheid vom 4. Februar 2015 erklärte der Antragsgegner die Pflichtfachprüfung für nicht bestanden, weil die Summe der Bewertungen der Aufsichtsarbeiten (20,50 Punkte) nicht mindestens 21 Punkte ergebe (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 NJAG). Im Widerspruchsverfahren wurde eine Anhebung der Bewertung der Klausur ZR 3 von 4 auf 5 Punkte ins Auge gefasst; der Widerspruchsbescheid vom 29. Juni 2015 bewertete diese Aufsichtsarbeit sodann jedoch wegen Täuschung durch Benutzung eines nicht zugelassenen Hilfsmittels mit 0 Punkten.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung unter ausführlicher Auseinandersetzung mit den einzelnen Rügen abgelehnt, weil schon das Vorliegen eines Anordnungsgrundes für die begehrte Vorwegnahme der Hauptsache zweifelhaft sei und der Antragsteller nach summarischer Prüfung keinen Anspruch auf die vorläufige Neubewertung seiner Klausuren und auf die vorläufige Zulassung zur mündlichen Prüfung habe.

1. Der hiergegen gerichteten Beschwerde bleibt der Erfolg hinsichtlich einer Neubewertung der Aufsichtsarbeiten ZR 1, SR, ÖR 1 und ÖR 2 von vornherein versagt, weil das - umfängliche - Beschwerdevorbringen insoweit nicht der Anforderung des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügt, dass sich die Beschwerdebegründung mit der angefochtenen Entscheidung auseinanderzusetzen hat. Die Seiten 14 bis 39 der Beschwerdebegründung übernehmen - unter Austausch der Bezeichnung „Kläger“ durch „Antragsteller“ - im Wesentlichen wörtlich die entsprechenden Passagen der Klagebegründung, wobei die Ausführungen des Verwaltungsgerichts jeweils in einem Halbsatz nur dort angesprochen werden, wo zunächst formuliert worden war, ergänzende Stellungnahmen der Votanten und des Antragsgegners hätte Beurteilungsfehler nicht ausgeräumt. Das Verwaltungsgericht ist in seinem Beschluss konkret auf die einzelnen Rügen eingegangen (S. 7-14). Ein darauf bezogenes Beschwerdevorbringen fehlt.

2. Hinsichtlich einer Neubewertung der Aufsichtsarbeit ZR 3 entfällt damit nicht das Rechtsschutzbedürfnis, weil das Ziel einer vorläufigen Teilnahme an einer mündlichen Prüfung auch dann erreichbar bleibt, wenn es nur zu einer vorläufigen Neubewertung der Aufsichtsarbeit ZR 3 kommt.

Für die vorläufige Neubewertung geht der Senat vom Bestehen eines Anordnungsgrundes unabhängig davon aus, wie ernst die Bestrebungen des Antragstellers sind, zeitnah ein Masterstudium in C. aufzunehmen. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht allerdings angenommen, dass der Antrag auf einstweilige Anordnung hier auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet ist; das wird von der Rechtsprechung für solche Fallgestaltungen - bei Unterschieden der Begründung im Detail - jedenfalls im Ergebnis übereinstimmend angenommen (vgl. ergänzend zu dem vom Verwaltungsgericht angeführten OVG Hamburg, Beschl. v. 13.2.2007 - 3 Bs 270/06 - , juris z.B. auch OVG Münster, Beschl. v. 8.7.2010 - 6 B 743/10 -, juris und VG Bremen, Beschl. v. 4.3.2015 - 1 V 80/15 -, juris). Daraus folgt allerdings nicht - was auch vom Verwaltungsgericht so gesehen worden ist -, dass ein entsprechender Anordnungsantrag gleichsam formelhaft abgelehnt werden dürfte. In Bezug auf das Vorliegen eines Anordnungsgrundes ist gerade für das Prüfungsrecht davon auszugehen, dass ein längerer Zeitablauf die Chancen auf effektiven Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren unangemessen schmälern kann. Das gilt insbesondere für den Fall der mündlichen Prüfung (vgl. Senatsurt v. 15.12.2015 - 2 LB 245/14 -, juris), ist aber auch bei schriftlichen Prüfungsarbeiten angemessen in Rechnung zu stellen, und gibt Anlass, einen Anordnungsgrund bereits dann anzuerkennen, wenn der zeitliche Zusammenhang mit dem ursprünglichen Prüfungsvorgang bei einem Abwarten des Ausgangs des Hauptsacheverfahren in einer Weise abzureißen droht, die ein Anknüpfen des Prüflings an seinen früheren Leistungsstand ausschließt. Das ist hier der Fall, weil das Verfahren jedenfalls teilweise Fragen aufwirft, die im Hauptsacheverfahren mehrere Instanzen beschäftigen können.

Hingegen fehlt es an einem Anordnungsgrund für die beantragte vorläufige Zulassung zur mündlichen Prüfung, weil diese eine dem Antragsteller günstige Neubewertung der Aufsichtsarbeit ZR 3 voraussetzt. Für eine unter dieser Bedingung ausgesprochene einstweilige Anordnung besteht im Übrigen auch deshalb kein Anlass, weil davon ausgegangen werden kann, dass der Antragsgegner bei einem dem Antragsteller günstigen Ausgang der Neubewertung den Antragsteller von sich aus vorläufig zur mündlichen Prüfung zulassen wird.

3. Ein Anordnungsanspruch setzt voraus, dass bei sorgfältiger Folgenabwägung ernstliche Erfolgsaussichten für die Hauptsache bestehen müssen.

Das bejaht der Senat, weil der Fall Rechtsfragen aufwirft, die im Hauptsacheverfahren zu klären sind, und mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit im Sinne eines Anspruchs auf Neubescheidung zugunsten des Antragstellers zu beantworten sein werden. Nicht Gegenstand dieses Blicks auf die Erfolgsaussichten ist die Frage, auf welche Benotung diese Neubescheidung hinauslaufen könnte.

Rechtlicher Ausgangspunkt für die Bewertung der Klausur ZR 3 unter dem Gesichtspunkt der Täuschung ist § 15 NJAG, nach dessen Absatz 1 die betroffene Prüfungsleistung in der Regel mit der Note „ungenügend“ zu bewerten ist, wenn ein Prüfling versucht, das Ergebnis der Staatsprüfung durch Benutzung nicht zugelassener Hilfsmittel, unzulässige Hilfe Dritter oder sonstige Täuschung zu erreichen.

Der Antragsgegner ist vom Vorliegen der ersten Tatbestandsalternative ausgegangen. Unstreitig ist, dass die abgegebene Klausurarbeit zu wesentlichen Teilen wörtlich der Klausurlösung eines Repetitoriums entspricht, die ihrerseits eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs verarbeitet hatte. Der Antragsgegner hat hieraus nach den Regeln des Anscheinsbeweises gefolgert, dass der Antragsteller nicht zugelassene Hilfsmittel benutzt hat, nämlich auf die fragliche Klausurlösung des Repetitoriums während der Aufsichtsarbeit in irgendeiner Weise Zugriff hatte. Der Antragsteller macht demgegenüber geltend, er habe eine Reihe von exemplarischen Klausurlösungen auf Anraten eines Facharztes auswendig gelernt, um psychische Stabilität zu gewinnen. Zufällig habe er bei der hier fraglichen Aufsichtsarbeit auf eine dieser Lösungen zurückgreifen können, sie aus dem Gedächtnis reproduziert und durch Umstellungen an die konkret gestellte Aufgabe angepasst.

Einzuräumen ist dem Antragsgegner, dass sich unter den ihm zunächst bekannten Umständen - erst die wörtliche Übereinstimmung mit Teilen der Entscheidung des Bundesgerichtshofs, dann die fast komplette Übereinstimmung mit der Klausurlösung des Repetitoriums - die Annahme einer Täuschung förmlich aufdrängte. Gleichwohl bestanden von vornherein nicht unbedeutsame Unterschiede zu der Fallgestaltung, welche das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 20. Februar 1984 (- 7 B 109.83 -, juris; vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 27.1.2015 - 10 N 65.13 -, juris Rdnr. 9) behandelt hat. In jenem Fall stand fest, dass der Prüfling Zugang zu einem nur zur Verwendung der Prüfungskommission bestimmten Lösungsmuster hatte. Von einem vergleichbaren - schon von sich aus mit einem Unwerturteil behafteten - Zugriff auf ein dem Prüfling zwingend vorzuenthaltenden Schriftstück geht hier auch der Antragsgegner nicht aus; weder Entscheidungen des Bundesgerichtshofs noch Klausurlösungen privater Repetitorien unterliegen Geheimhaltungsvorgaben. Die Vertrautheit mit solchen Schriftstücken lässt infolgedessen nicht von sich aus den Schluss auf deren prüfungsrechtswidrige Beschaffung zu.

Der Beweis des ersten Anscheins liefert als unmittelbares Ergebnis deshalb zunächst nur den Befund, dass der Antragsteller eine Lösung der ihm gestellten Klausur aus einer legalen Quelle - d.h. hier der Klausurlösung des Repetitoriums - kannte und darüber hinaus in der Klausursituation sogar wörtlich „parat“ hatte. Der weitergehende Schluss, dass er unzulässige Hilfsmittel benutzt hat, indem er diese legalen Texte auf einem nicht zugelassenen Datenträger - z.B. Papier oder elektronisches Gerät - in den Klausurraum mitgebracht hat, wäre jedoch nur aufgrund sorgfältiger Betrachtung aller alternativen Geschehensabläufe zulässig, darf also auch mögliche Zweifel an der technischen Realisierbarkeit einer Täuschung durch unzulässige Hilfsmittel nicht außer Betracht lassen. Soweit sich dies aus den vorliegenden Akten ergibt und dem Senat auch ansonsten bekannt ist, sind die Vorkehrungen der Justizbehörden gegen Täuschungsversuche allgemein verstärkt worden; offenbar wird Bedacht darauf gelegt, dass keine zur Unterstützung einer Täuschung geeigneten Gegenstände in den Klausurraum verbracht werden. Je verlässlicher solche Vorkehrungen sind, umso weniger kann angenommen werden, dass festgestellte Textübernahmen auf dem Einsatz solcher Hilfsmittel beruhen. Hinzu kommt, dass die - praktisch die ganze Klausurdauer in Anspruch nehmende - Benutzung von Papierunterlagen oder die Bedienung elektronischer Geräte der Klausuraufsicht leicht auffallen könnten. Schließlich ist zu bedenken, dass die Planung einer Täuschung jedenfalls dann, wenn der Prüfling keine Vorkenntnis davon hat, welcher Fall gestellt werden soll, mit logistischen Problemen verbunden ist; um einen Erfolg wahrscheinlich werden zu lassen, müsste eine große Auswahl von Klausurlösungen bereitgehalten werden, was den Einsatz von Papier wegen des dann erforderlichen Papiervolumens von vornherein ausscheiden lässt.

Auf der anderen Seite ist die Annahme, ein Prüfling bereite sich auf seine Prüfungen auch durch umfängliches Auswendiglernen vor, nicht von vornherein abwegig; die Rechtsprechung hatte sich mit solchem Vorbringen jedenfalls schon verschiedentlich zu beschäftigen. Es ist deshalb nicht denknotwendig ausgeschlossen, dass der Antragsteller tatsächlich einzelne Klausurlösungen auswendig gelernt hat und zufällig eine dieser Klausurlösungen für den fraglichen Fall verwenden konnte. Die eine solche Annahme unterstützenden Äußerungen des den Antragsteller behandelnden Arztes zu der von ihm angewandten Therapie des exemplarischen Auswendiglernens von Klausurlösungen können jedenfalls ohne eigenes medizinisches Fachwissen des Antragsgegners und des Gerichts nicht als Schutzbehauptung abgetan werden.

Ist ein dem ersten Anschein widersprechender Geschehensablauf mithin als möglich anzusehen, der Anscheinsbeweis also nicht erbracht, hat das Gericht gleichwohl noch zu prüfen, ob der Geschehensablauf unter eine andere Fallvariante des § 15 NJAG subsumiert werden kann, die sich im Vergleich zu Benutzung nicht zugelassener Hilfsmittel nicht als wesensverschieden darstellt. Hier kommt in Betracht, von einer „sonstigen Täuschung“ auszugehen, die darin liegt, dass der Antragsteller die - nur maßvoll umgestellte - Wiedergabe eines fremden Textes als eigenständige Prüfungsleistung ausgegeben hat. Voraussetzung hierfür wäre, dass der Prüfling mit der Abgabe seiner Klausurlösung jedenfalls konkludent zum Ausdruck bringt, er lege eine dem Inhalt des § 2 Abs. 1 Satz 2 NJAG gemäße (eigenständige) Leistung vor. Nach dieser Vorschrift dient die erste Prüfung der Feststellung, ob der Prüfling das Recht mit Verständnis erfassen und anwenden kann, in den Prüfungsfächern einschließlich der europarechtlichen Bezüge, der rechtswissenschaftlichen Methoden und der philosophischen, geschichtlichen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Grundlagen über die erforderlichen Kenntnisse verfügt und damit für den juristischen Vorbereitungsdienst fachlich geeignet ist. Es liegt auf der Hand, dass die auswendige Wiedergabe eines Repetitoriumstextes keinen Aussagewert für die eigene juristische Leistungsfähigkeit des Prüflings hat, sondern die hierfür gegebene Bewertung nur ungefiltert die Güte des Repetitoriumsangebots reflektiert. Ein Prüfling, dem bewusst wird, dass er eine passende Klausurlösung bereits auswendig kennt, könnte deshalb möglicherweise gehalten sein, dies der Klausuraufsicht zu offenbaren und um einen anderen Klausurtermin einzukommen.

Die Frage, ob ein Prüfling unter solchen Umständen nicht einfach „Glück hat“ oder eine Täuschung begeht, ist aber in der Rechtsprechung des Senats noch nicht geklärt und würde letzterenfalls schwierige Abgrenzungen zu Fallgestaltungen mit auswendig gelernten Passagen geringeren Umfangs erfordern, wie sie etwa dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg in seinem Beschluss vom 27. Januar 2015 (- 10 N 65.13 -, juris) zugrunde lagen. Dem genannten Beschluss ist jedenfalls insoweit beizupflichten, als eine Täuschung bei Abruf auswendig gelernter Texte allenfalls in „Extremfällen“ praktisch kompletter Übernahme fremder Texte angenommen werden könnte, nicht bereits bei ungekennzeichneter Wiedergabe nur längerer Textpassagen. Denn auszugehen ist zunächst davon, dass der erfolgreiche Rückgriff auf Gelerntes in Prüfungen zu erwarten und positiv zu benoten ist. Wie auch aus der wiedergegebenen Vorschrift des § 2 NJAG hervorgeht, zielt das juristische Studium darauf ab, dass der Prüfling ein Grundgerüst an Kenntnissen erwirbt, das ihn zur „Fallbearbeitung“ nicht nur im Examen, sondern auch im Beruf befähigt. Nützlich hierfür sind nicht nur präsentes Wissen über gängige juristische Begriffsdefinitionen, sondern auch über exemplarische Fallgestaltungen insgesamt und deren angemessene Bewältigung.

Soweit das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (a.a.O.) nach dortigem Landesrecht die Frage, inwieweit die Wiedergabe von auswendig gelernten Fremdtexten ohne entsprechende Kennzeichnung in einer schriftlichen Aufsichtsarbeit eine Täuschung darstelle, von der inhaltlichen Bewertung der Prüfungsleistung abgrenzt, die an den jeweiligen Prüfungsanforderungen zu messen sei, zu denen auch das Erbringen einer eigenständigen Leistung gehöre (juris Rdnr. 8), führt dies allerdings auf ein weiteres Problem. Nach § 19 Abs. 1 Satz 2 NJAVO wird jede Arbeit anstelle des Namens mit einer zugeteilten Kennzeichnung versehen, so dass den Prüfern keine Umstände bekannt sein können, die außerhalb der vorgelegten Klausurlösung liegen. Dieser Grundsatz wird durchbrochen, wenn den Prüfern bei der ursprünglichen Bewertung der Arbeit oder später im Überdenkungsverfahren diejenige Vorlage bekannt wird, von welcher der Prüfling seinen Text übernommen hat. Das ist jedoch vor dem Hintergrund hinzunehmen, dass im Überdenkungsverfahren ohnehin individualisierende Umstände zutage treten, weil die Erörterung der Stärken und Schwächen einer Falllösung häufig nicht losgelöst von Erklärungen des Prüflings erfolgt, was ihn zu seinen Lösungsansätzen und deren näherer Ausgestaltung bewogen hat. Zudem ist es den Prüfern unbenommen, von sich aus textliche Parallelen zu erkennen und weiterzuverfolgen, die ihnen aufgefallen sind. Dabei dürfen sie nicht nur ihr Gedächtnis, sondern auch alle zu Gebote stehenden externen Hilfsmittel zur Identifizierung eines übernommenen Textes und dessen Umfangs einsetzen.

Wird die Bewertung der Prüfungsleistung einschließlich ihrer Eigenständigkeit in diesem Sinne als Aufgabe der Prüfer verstanden, führt dies hier zur Notwendigkeit einer vorläufigen Neubewertung unter der Prämisse, dass die gegenwärtige Bewertung mit „ungenügend“ nach § 15 Abs. 1 NJAG nicht haltbar ist. Dabei unterliegt die Neubewertung keinem Verschlechterungsverbot, weil nur so einer Bewertung auch unter dem Gesichtspunkt der „Eigenständigkeit“, d.h. unter Einbeziehung der Erkenntnisse aus dem vorliegenden Verfahren für den Fall Raum verschafft werden kann, dass die Prüfer hierin maßgebliche Bewertungsgesichtspunkte erblicken.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).