Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 21.01.2016, Az.: 10 LA 55/15

AFP; Agrarförderung; Agrarinvestitionsförderung; ELER; Sanktion; verwaltungsrechtliche Sanktion; Übergangsbestimmung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
21.01.2016
Aktenzeichen
10 LA 55/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 43175
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 24.09.2015 - AZ: 12 A 939/15

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zur Frage, welche Sanktionsvorschriften für AFP Förderanträge des Jahres 2014 bestehen.

Tenor:

Auf den Antrag des Klägers wird die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 12. Kammer - vom 24. September 2015 zugelassen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Zuwendung nach dem niedersächsischen Agrarinvestitionsförderprogramm (= AFP) 2014. Entsprechende Zuwendungen werden von der Beklagten nach der sog. AFP-Richtlinie vom 29. Oktober 2014 (Nds.MBl. S. 781) gewährt, die wiederum ebenso wie das vom Kläger am 29. Oktober 2014 ausgefüllte Antragsformular u.a. auf die Verordnung (EU) Nr. 1305/2013 als maßgebende Rechtsgrundlage für die Förderung Bezug nimmt.

Das Verwaltungsgericht Oldenburg - 12. Kammer - hat die Verpflichtungsklage durch Urteil vom 24. September 2015 gestützt auf Art. 35 Abs. 6 Delegierte Verordnung (EU) Nr. 640/2014 abgewiesen. Es hat trotz ausdrücklicher Rüge des Klägers und divergierender Auskünfte des Fachministeriums nicht begründet, warum diese Verordnung zeitlich anwendbar sei. In Anwendung des Art. 35 Abs. 6 Delegierte Verordnung (EU) Nr. 640/2014 sei der Zuwendungsantrag abzulehnen. Der Kläger habe „falsche Nachweise vorgelegt, um die Förderung zu erhalten“. Denn er habe seinem Antrag vom 29. Oktober 2014 u.a. das  von einem anderen Betriebsinhaber übernommene, mit dessen Betriebsnummer versehene Formblatt „Verwendungsnachweis/Auszahlungsantrag … über Zuwendungen zur Förderung der einzelbetrieblichen Beratung“ beigefügt, obwohl sein eigener entsprechender Zuwendungsantrag (für die Förderung der Beratung) insoweit zuvor bestandkräftig abgelehnt worden sei.

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg hat jedenfalls Erfolg, weil ernstliche Zweifel i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an seiner Richtigkeit bestehen und hinreichend dargelegt worden sind. Denn der Kläger rügt zu Recht, dass die vom Verwaltungsgericht tragend herangezogene Delegierte Verordnung (EU) Nr. 640/2014 schon aus zeitlichen Gründen unanwendbar sein dürfte.

Da die Beteiligten über den zeitlichen Anwendungsbereich der unionsrechtlichen Normen nicht disponieren können, ist insoweit unerheblich, auf welche dieser Rechtsvorschriften sich die AFP-Richtlinie und der Förderantrag jeweils bezieht. Der Anwendungsbereich ist vielmehr unmittelbar dem Unionsrecht zu entnehmen.

Die Delegierte Verordnung (EU) Nr. 640/2014 gilt „u.a. für Verwaltungssanktionen im Rahmen von Direktzahlungen sowie für Entwicklungsmaßnahmen für den ländlichen Raum“. Sie führt damit zukünftig u.a. für diesen Regelungsbereich Vorschriften zusammen, die vormals getrennt geregelt waren, nämlich einerseits in der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1122/2009 für Direktzahlungen, d.h. für die Förderung der sog. 1. Säule, und andererseits in der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 65/2011 für Entwicklungsmaßnahmen für den ländlichen Raum, d.h. für die - hier in Rede stehende - Förderung der sog. 2. Säule. Hieran knüpft Art. 43  Satz 1 Delegierte Verordnung (EU) Nr. 640/2014 an, wonach die beiden Verordnungen (EG) Nr. 1122/2009 und (EU) Nr. 65/2011 mit Wirkung vom 1. Januar 2015 aufgehoben werden.

Die Delegierte Verordnung (EU) Nr. 640/2014 erweckt danach für sich genommen den Eindruck, sie enthalte in ihren beiden Art. 43 und 44 die abschließenden Inkrafttretens- und Übergangsregelungen auch für eine etwaige Fortgeltung der Verordnung (EU) Nr. 65/2011.

Geht man (zunächst) hiervon aus, so gilt die Delegierte Verordnung (EU) Nr. 640/2014  nach ihrem Art. 44 Satz 2 „für Beihilfe- oder Zahlungsanträge, die sich auf die Antragsjahre oder Prämienzeiträume beziehen, die ab dem 1. Januar 2015 beginnen.“ In Art. 2 dieser Delegierten Verordnung wird zwar der Begriff des „Zahlungsantrages“ (Nr. 4), nicht aber der des „Beihilfeantrages“ legal definiert. In dieser Norm wird aber in der Nr.  2 a) von der „Gewährung der Beihilfe oder Stützung“ gesprochen; dies spricht dafür, den Begriff des „Beihilfeantrages“ insoweit wie den des Stützungsantrages (Nr. 3) zu verstehen, d.h. als auf die Gewährung der Förderung gerichtet. Demgegenüber ist der Zahlungsantrag auf die - eine Bewilligung voraussetzende, ihr gesondert nachfolgende - (Aus-)Zahlung gerichtet. Ausgehend hiervon stellt sich die weitere Frage, ob dann, wenn Antrags- und Zahlungsjahr (potentiell) auseinander fallen, nach Art. 44 Satz 2 die Anwendbarkeit dieser Delegierten Verordnung für das gesamte Förderverhältnis einheitlich oder getrennt festzustellen ist. Schon nach dem Wortlaut „oder“ ist letzteres richtig. Zudem bliebe andernfalls zunächst offen, nach welchen Normen über den Förderantrag zu entscheiden wäre.

Ist danach für die Anwendbarkeit des maßgebenden Rechts hinsichtlich des hier streitigen Beihilfeantrages darauf abzustellen, auf welches „Antragsjahr“ sich der Förderantrag des Klägers bezieht, so ist dies vorliegend das Jahr 2014 mit der Folge, dass die Delegierte Verordnung (EU) Nr. 640/2014 einschließlich ihres Art. 35 unanwendbar ist. Denn nach Ziffer 7.2 AFP-Richtlinie sind entsprechende Anträge bei der Bewilligungsbehörde innerhalb der festgelegten Antragsfrist zu stellen. Für das Jahr 2014 lief diese Frist vom 1. bis zum 31. Oktober 2014; das Programm und die dafür bereit stehenden Mitteln waren auf das Jahr 2014 bezogen (vgl. die Anlagen zur Zulassungsbegründung vom 30. November 2015). Nach Aktenlage (vgl. Bl. 250 Beiakte) sowie nach den damit übereinstimmenden Angaben der Beklagten im Internet

- „Im Antragsverfahren 2014 wurden im Oktober 69 AFP-Anträge mit einem Mittelvolumen von etwa 9,9 Mio. Euro bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen eingereicht. Da das Bewilligungskontingent etwa 10 Mio. Euro betragen wird, können alle Anträge, die die Fördervoraussetzungen erfüllen, bewilligt werden. Der Fachbereich 2.1 Agrarförderung der Landwirtschaftskammer Niedersachsen geht davon aus, dass die Anträge noch vor Weihnachten beschieden werden können.“ -

sollten zudem die Bewilligungen noch im laufenden Jahr 2014 erfolgen. Für das Jahr 2015 galten hingegen nach dem sog. Einführungserlass vom 16. März 2015 andere (spätere) Antragsfristen - vom 15. bis zum 29. April 2015.

Hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung somit tragend auf eine voraussichtlich zeitlich nicht anwendbare Vorschrift gestützt, so bestehen schon deshalb ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils.

Es kann im Zulassungsverfahren auch nicht in entsprechender Anwendung von § 144 Abs. 4 VwGO festgestellt werden, dass sich das Urteil aus anderen Gründen als ersichtlich richtig erweist.

Insoweit kommt zunächst nicht - wie von den Beteiligten streitig erörtert - stattdessen die Anwendung von Art. 30 Abs. 2 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 65/2011 i. V. m. der Verordnung (EU) Nr. 1305/2013 für AFP-Förderanträge des Jahres 2014 in Betracht. Dies gilt schon deshalb, weil die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 65/2011 nur als Ergänzung zur Verordnung (EG) Nr. 1698/2005 und nicht zu ihrer Nachfolgebestimmung (EU) Nr. 1305/2013 gilt und keine Norm ersichtlich ist, nach der die Verordnung (EU) Nr. 65/2011 nunmehr übergangsweise als Ergänzung zur Verordnung (EU) Nr. 1305/2013 gelten soll. Weder Art. 43 (Satz 2) Delegierte Verordnung (EU) Nr. 640/2014 noch Art. 89 Verordnung (EU) Nr.1305/2013  i. V. m. Art. 16 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 807/2014 enthält eine so lautende Regelung; nach den letztgenannten Bestimmungen sind bezogen auf das Jahr 2014 vielmehr übergangsweise noch Auszahlungen, nicht aber Neubewilligungen möglich.

Übergangsweise Neubewilligungen jedenfalls für das Antragsjahr 2014 ermöglicht stattdessen allein Art. 1 Abs. 1 Verordnung (EU) Nr. 1310/2013, und zwar noch nach der (Grund-)Verordnung (EG) Nr. 1698/2005, soweit der Förderantrag - wie vorliegend - vor der in Niedersachsen am 26. Mai  2015 erfolgten Genehmigung des Entwicklungsprogramms für den ländlichen Raum (PFEIL) für den Programmzeitpunkt 2014 bis 2020 eingereicht wurde. Allenfalls insoweit kann dann entsprechend dem Erwägungsgrund Nr. 1 zur Verordnung (EU) Nr. 1310/2013 als Ergänzung zur übergangsweise fortgeltenden (Grund-)Verordnung (EG) Nr. 1698/2005 die darauf bezogene Durchführungsverordnung (EU) Nr. 65/2011 einschließlich ihres Art. 30 Abs. 2 (jedenfalls für das Antragsjahr 2014) ebenfalls fortgelten, d.h. Art. 43 Satz 2 Delegierte Verordnung (EU) Nr. 640/2014 ist bei systematischer Auslegung entsprechend zu ergänzen.

Selbst wenn man hiernach von der zeitlichen Anwendbarkeit der - gegenüber Art. 35 Abs. 6 Delegierte Verordnung (EU) Nr. 640/2014 i. S. d. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 Verordnung (EG/Euratom) Nr. 2988/95 nicht ungünstigeren - Sanktionsnorm des Art. 30 Abs. 2 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 65/2011 für Förderanträge des Jahres 2014 ausgeht und weiter annimmt, die o.a. AFP-Förderrichtlinie solle übergangsweise auch auf dieser Rechtsgrundlage eine entsprechende Förderung ermöglichen, bedürfte es zusätzlich der vorliegend unterbliebenen Feststellung, inwieweit genau der vom Kläger vorgelegte Nachweis vorsätzlich falsch ist, und daran anschließend ggf. der weiteren Prüfung, inwieweit jedenfalls die zusätzlichen Angaben des Klägers im Antragsverfahren, aus denen sich die Fehlerhaftigkeit des vorgelegten Nachweises ergibt, der Annahme eines vorsätzlichen Verhaltens entgegenstehen.

Das Zulassungsverfahren wird unter dem neuen Aktenzeichen

10 LB 15/16

als Berufungsverfahren fortgeführt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht (§ 124a Abs. 5 Satz 5 VwGO).