Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 31.03.2010, Az.: 4 K 18/08
Bewertung einer als Sonderausgabe abziehbaren dauernden Last; Schätzung von Aufwendungen für Wohnnebenkosten nach allgemeinen Grundsätzen
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 31.03.2010
- Aktenzeichen
- 4 K 18/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 17717
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2010:0331.4K18.08.0A
Rechtsgrundlage
- § 10 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG
Fundstellen
- DStRE 2011, 75-77
- EFG 2010, 1610-1611
Tatbestand
Streitig ist die Bewertung einer als Sonderausgabe abziehbaren dauernden Last.
Die Kläger sind Eheleute, die für das Streitjahr 2006 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Sie erzielen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Kläger erzielt daneben Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft. Der Betrieb war ihm von seiner Mutter im Wege vorweggenommener Erbfolge übergeben worden. Gemäß § 3 des Übergabevertrages verpflichtete sich der Kläger gegenüber seinen Eltern als Gesamtberechtigten zu Altenteilsleistungen, die u.a. die Gewährung freien Wohnens in der hinteren Wohnung des Hauses sowie die freie Lieferung von Strom, Wasser und Heizung zum Gegenstand haben. Nach dem Tod des Vaters wird die Altenteilerwohnung nur noch von der Mutter des Klägers genutzt.
In der für das Streitjahr 2006 abgegebenen Einkommensteuererklärung machten die Kläger Altenteilsleistungen in Höhe von 1.190 EUR als Sonderausgaben geltend. Dieser Betrag entspricht einem Drittel der im Haushalt des Klägers insgesamt angefallenen Kosten für Strom, Heizung, Wasser, Abwasser und Müllabfuhr.
Durch Einkommensteuerbescheid vom 8. November 2007 berücksichtigte der Beklagte (das Finanzamt - FA -) die Altenteilsleistungen nur in Höhe von 541 EUR. Zur Begründung führte er aus, dass unbare Altenteilsleistungen nur dann mit ihrem Wert anzusetzen seien, wenn dieser nachgewiesen sei. Fehlten - wie im Streitfall - Vorrichtungen zur exakten Trennung der Kosten, sei der Wert auf der Grundlage der für den jeweiligen Veranlagungszeitraum geltenden Sachbezugswerte zu schätzen. Seit 1995 werde bundeseinheitlich der Wert für den übrigen Sachaufwand um den Teuerungszuschlag erhöht, um den sich der Wert der Vollbeköstigung nach § 1 Abs. 1 der Verordnung über die Werte der Sachbezüge in der Sozialversicherung (Sachbezugsverordnung) jährlich erhöht habe. Diese Schätzung könne der Steuerpflichtige nicht durch eine eigene Schätzung ersetzen. Die Altenteilsleistungen könnten daher nur mit dem Wert laut Einkommensteuerkarteikarte in Höhe von 541 EUR angesetzt werden.
Mit dem am 13. November 2007 eingelegten Einspruch begehrten die Kläger die Berücksichtigung der Altenteilsleistungen in der geltend gemachten Höhe. Sie vertraten die Ansicht, dass der tatsächliche Wert der Leistungen im Streitfall nachgewiesen sei. Nach den Unterlagen zur Wohnhausabwahl habe die Altenteilerwohnung eine Größe von xx m² und die Eigentümerwohnung eine Größe von xxx m². Unter Berücksichtigung des Umstands, dass sich nur die Altenteilerin ganztägig in ihrer Wohnung aufhalte, während die Eigentümer werktags ihrer Arbeit nachgingen, sei die Aufteilung im Verhältnis ein Drittel zu zwei Drittel sachgerecht.
Durch Einspruchsbescheid vom 17. Dezember 2007 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück und führte zur Begründung aus: Die Kläger hätten den tatsächlichen Wert der Altenteilsleistungen auf der Grundlage eines pauschalen Aufteilungsmaßstabes geschätzt und im Rahmen dieser Schätzung auch Umstände aus ihrem persönlichen Lebensbereich berücksichtigt, die sich einer Nachprüfung durch die Finanzbehörde entzögen. Eine Ermittlung des tatsächlichen Werts der Sachleistungen für Strom, Heizung und Wasser sei nur auf der Grundlage von Messvorrichtungen möglich, die im Haushalt der Kläger und der Altenteilerin nicht vorhanden seien.
Müsse der Wert unbarer Sachleistungen wie im Streitfall geschätzt werden, seien nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 21. Juni 1989 X R 13/85 (BStBl. II 1989, 786) grundsätzlich die Werte der Sachbezugsverordnung in der jeweils maßgeblichen Fassung anzusetzen. Nach dem BFH-Urteil vom 18. Dezember 1990 X R 151/88 (BStBl. II 1991, 354) könnten die amtlichen Sachbezugswerte nicht durch eine anderweitige Schätzung des Steuerpflichtigen ersetzt werden.
Der Ansatz der sonstigen Sachbezüge sei in § 6 der Sachbezugsverordnung geregelt. Bis einschließlich 1994 sei jährlich ein Grundbetrag für Vollbeköstigung, Unterkunft und Sachaufwand ermittelt worden, von dem ein jeweils festgelegter Prozentsatz auf Heizung, Strom und Wasser entfallen sei. Seit 1995 würden in der Sachbezugsverordnung nur Werte für Verpflegung und freie Unterkunft ausgewiesen. Um dennoch eine einheitliche Bewertung der unbaren Altenteilsleistungen zu gewährleisten, werde seit 1995 der Wert der übrigen Sachaufwendungen bundeseinheitlich um denselben Teuerungszuschlag erhöht wie der Wert der Vollbeköstigung nach § 1 Abs. 1 der Sachbezugsverordnung. Der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung lasse die Anwendung individueller Schätzungsmethoden durch den Steuerpflichtigen jedenfalls so lange nicht zu, wie die einheitlichen Sachbezugswerte nicht zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führten. Im Übrigen bleibe es dem Steuerpflichtigen unbenommen, Messeinrichtungen zu installieren.
Hiergegen richtet sich die am 16. Januar 2008 erhobene Klage. Zu deren Begründung tragen die Kläger vor:
Das von dem FA zitierte BFH-Urteil in BStBl. II 1989, 786 sei zu der Sachbezugsverordnung 1978/79 ergangen. Die darin vorgenommene Bewertung der Sachbezüge beruhe auf der Ermittlung von Verbraucherendpreisen, die sich aus der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe des Statistischen Bundesamts für das Jahr 1973 ergeben hätten und seitdem lediglich fortgeschrieben worden seien. Schon die für die Jahre 1978 und 1979 ausgewiesenen Beträge hätten keine taugliche Grundlage für die Bewertung unbarer Altenteilsleistungen dargestellt, weil sie sich an den Verhältnissen eines Arbeiterhaushalts orientiert hätten. Da Arbeiterhaushalte zumeist Etagenwohnungen oder allenfalls Reihenhäuser bewohnten, seien die Heizkosten für sie typischerweise niedriger als für landwirtschaftlich Tätige oder für Altenteiler, die in freistehenden Häusern im Außenbereich wohnten.
Im Übrigen seien Werte für Heizung, Strom und andere Nebenkosten letztmals in der Sachbezugsverordnung 1994 ausgewiesen worden. Die Fortentwicklung dieser Kosten durch die Finanzverwaltung trage weder der allgemeinen Teuerungsrate noch der deutlich höheren Teuerungsrate für Energiepreise Rechnung. So habe die Finanzverwaltung für das Jahr 2006 die Aufwendungen für Heizung und andere Nebenkosten um lediglich 1,13 Prozent erhöht, während sich nach der Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts vom 17. Januar 2007 die durchschnittlichen Lebenshaltungskosten gegenüber 2005 um 1,7 Prozent und die Energiepreise sogar um 8,5 Prozent erhöht hätten. Auch bei ihnen - den Klägern - seien die entsprechenden Aufwendungen in den letzten Jahren stark gestiegen.
Die auf der Grundlage der Gesamtkosten vorgenommene Aufteilung stelle eine sachgerechte Schätzung dar. Auch im Mietrecht würden für Nebenkosten Aufteilungsschlüssel zugelassen, die sich an der Größe der Wohnfläche bzw. der Zahl der in der Wohnung lebenden Personen orientierten.
Die Kläger beantragen,
unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 2006 vom 8. November 2007 und des dazu ergangenen Einspruchsbescheids vom 17. Dezember 2007 die Einkommensteuer auf den Betrag herabzusetzen, der sich unter Berücksichtigung weiterer Altenteilsleistungen von 649 EUR als Sonderausgaben ergibt.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an der seinem Einspruchsbescheid zugrunde liegenden Beurteilung fest. Ergänzend führt er aus: Der Umstand allein, dass die Sachbezugswerte für Heizung und Beleuchtung zuletzt für das Jahr 1994 ermittelt und danach entsprechend der Teuerungsrate fortgeschrieben worden seien, rechtfertige kein Abgehen von dieser Schätzungsgrundlage. Wenn die Kläger der Ansicht seien, dass sich die Kostenstruktur für den übrigen Sachaufwand wesentlich verändert habe, stehe es ihnen frei, die Werte im Einzelnen nachzuweisen. Eine Schätzung an Hand des Verhältnisses der Wohnflächen reiche nicht aus. Sie berücksichtige nicht, dass die Ehefrau in der Regel den Haushalt führe und sich ebenso lange wie die Altenteilerin in der Wohnung aufhalte. Auch werde das Essen zumeist gemeinsam mit den Altenteilern eingenommen, so dass sich die Kosten für den übrigen Sachaufwand vermischten. Im Übrigen habe die von den Klägern behauptete Preisexplosion jedenfalls für den Bereich des Haushaltsstroms nicht stattgefunden. Im Zeitraum von 1994 bis 2004 seien die Strompreise sogar gefallen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet.
Zu den nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr maßgebenden Fassung als Sonderausgaben abziehbaren dauernden Lasten gehören insbesondere Altenteilsleistungen im Zusammenhang mit einer vorweggenommenen Erbfolge, wie sie der Kläger in § 3 des Grundstücksübertragungs- und Altenteilsvertrags gegenüber seinen Eltern übernommen hat. Unbare Altenteilsleistungen sind mit ihrem tatsächlichen Wert anzusetzen. Für den Nachweis ihrer Höhe gelten die allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätze. Wird ein Nachweis nicht geführt, so ist die Höhe der Aufwendungen in der Regel zu schätzen (BFH-Urteile vom 23. Mai 1989 X R 34/86, BFHE 157, 161, BStBl. II 1989, 784; vom 21. Juni 1989 X R 13/85, BFHE 157, 165, BStBl. II 1989, 786; vom 18. Dezember 1990 X R 151/88, BFHE 163, 356, BStBl. II 1991, 354). In den vorgenannten Entscheidungen hat der BFH die Werte der Sachbezugsverordnung als geeigneten Schätzungsmaßstab bezeichnet und die Auffassung vertreten, dass Ausnahmen hiervon mit Rücksicht auf die Gleichmäßigkeit der Besteuerung nur zuzulassen seien, wenn die Anwendung der Sachbezugsverordnung aufgrund von Besonderheiten des Einzelfalls zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führe. Maßgeblich hierfür war die Erwägung, dass die amtlichen Sachbezugswerte auf statistischen Erhebungen beruhten, die das Verbrauchsverhalten in einem breiten Normalbereich abdeckten.
Die Bewertung unbarer Altenteilsleistungen mit den amtlichen Sachbezugswerten setzt jedoch voraus, dass die für den jeweiligen Veranlagungszeitraum geltende Fassung der Sachbezugsverordnung derartige Werte als Schätzungsmaßstab zur Verfügung stellt. Bis zum Jahr 1994 wies die Sachbezugsverordnung in § 1 Abs. 1 für den Wert der freien Kost und Wohnung einschließlich Heizung und Beleuchtung einen einheitlichen Betrag von zuletzt 610 DM monatlich aus und stellte für den Fall, dass freie Kost und Wohnung nur teilweise zur Verfügung gestellt wurde, in § 1 Abs. 2 einen Aufteilungsmaßstab zur Verfügung, nach dem für Heizung 10 Prozent und für Beleuchtung 2 Prozent des Werts nach Absatz 1 anzusetzen waren. Seit 1995 sah die Sachbezugsverordnung amtliche Sachbezugswerte hingegen nur noch für freie Kost (§ 1 der Sachbezugsverordnung) und freie Unterkunft (§ 3 der Sachbezugsverordnung) vor. Demgegenüber waren sonstige Sachbezüge, zu denen auch die im Streitfall zu bewertenden Aufwendungen für Heizung, Beleuchtung und sonstige Wohnnebenkosten gehören, seit 1995 mit den um übliche Preisnachlässe geminderten üblichen Endpreisen am Abgabeort anzusetzen (§ 6 der Sachbezugsverordnung in der für das Streitjahr maßgebenden Fassung). Hiernach stehen für die Bewertung der von dem Kläger im Streitjahr erbrachten Altenteilsleistungen amtliche Sachbezugswerte als Schätzungsmaßstab nicht mehr zur Verfügung.
Entgegen der Auffassung des FA können die fehlenden amtlichen Sachbezugswerte nicht dadurch ersetzt werden, dass die zuletzt für das Jahr 1994 ausgewiesenen Werte für den übrigen Sachaufwand in späteren Jahren in demselben Verhältnis erhöht werden wie der Wert der Vollbeköstigung nach § 1 Abs. 1 der Sachbezugsverordnung. Eine solche Fortschreibung stünde nicht nur in Widerspruch dazu, dass sich der Verordnungsgeber bewusst dafür entschieden hat, die Werte für Heizung und Beleuchtung ab 1995 nicht mehr mit bundeseinheitlich festgelegten Beträgen, sondern mit den üblichen Endpreisen am Abgabeort anzusetzen, sondern könnte sich - anders als die früheren amtlichen Sachbezugswerte - auch nicht mehr auf eine gesicherte statistische Datenbasis stützen.
Hiernach sind die dem Kläger entstandenen Aufwendungen nach allgemeinen Grundsätzen zu schätzen (§ 162 der Abgabenordnung i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 1, zweiter Satzteil der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Da die Gesamtkosten für Strom, Heizung, Wasser, Abwasser und Müllabfuhr belegmäßig nachgewiesen sind, beschränkt sich die erforderliche Schätzung auf die Bestimmung des der Altenteilerin zuzurechnenden Anteils. Insoweit hält es der Senat für sachgerecht, die Aufwendungen für Heizung und Beleuchtung im Verhältnis der Wohnflächen und die sonstigen Kosten nach der Zahl der Bewohner aufzuteilen.
Unter Berücksichtigung des von dem FA bereits abgezogenen Betrags von 541 EUR ist die Einkommensteuer daher auf den Betrag herabzusetzen, der sich unter Berücksichtigung weiterer Altenteilsleistungen in Höhe von 543 EUR als Sonderausgaben ergibt (§ 100 Abs. 2 Satz 1 FGO). Die Berechnung dieses Betrags kann dem FA übertragen werden (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO). Im Übrigen ist die Klage abzuweisen. Die Kosten sind den Beteiligten im Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens aufzuerlegen (§ 136 Abs. 1 FGO). Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus § 708 Nr. 10 und § 711 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 151 Abs. 1 und 3 FGO. Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Die Frage, wie als dauernde Last getragene Aufwendungen für Wohnnebenkosten nach Wegfall der amtlichen Sachbezugswerte zu bewerten sind, hat grundsätzliche Bedeutung.