Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 22.03.2010, Az.: 16 K 11189/08
Einordnung der Stromerzeugung mittels einer Photovoltaikanlage durch eine Kirchengemeinde als Betrieb gewerblicher Art im Falle eines Unterschreitens des Jahresumsatzes i.H.v. 30.678,00 EUR; Anspruch einer als Unternehmerin tätig gewordenen Kirchengemeinde auf Vorsteuerabzug aus dem Erwerb einer Photovoltaikanlage
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 22.03.2010
- Aktenzeichen
- 16 K 11189/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 14045
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2010:0322.16K11189.08.0A
Rechtsgrundlagen
- § 4 Abs. 1 KStG
- § 2 Abs. 1 UStG
- § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG
Fundstellen
- DStZ 2010, 469
- EFG 2010, 1263-1264
- KSR direkt 2010, 12
- KuR 2010, 135-136
- KÖSDI 2010, 17113
- UStB 2010, 269-270
- ZKF 2010, 237-238
Verfahrensgegenstand
Umsatzsteuer 2007
Stromerzeugung mit Photovoltaikanlage durch Kirchengemeinde ist auch dann Betrieb gewerblicher Art, wenn der Jahresumsatz den Betrag von 30.678,- EUR nicht übersteigt (gegen Abschn. 23 Abs. 4 UStR).
Revision zugelassen
Tatbestand
Streitig ist die Frage, ob die Klägerin einen Betrieb gewerblicher Art unterhält.
Die Klägerin, eine selbständige evangelisch-lutherische Kirchengemeinde, hat die Rechtsform einer juristischen Person des öffentlichen Rechts. Sie installierte im Sommer 2007 auf dem Dach des Gemeindesaales eine Photovoltaikanlage. Am 23. August 2007 installierte das Energieversorgungsunternehmen S. einen Einspeisezähler. Danach hat die Klägerin begonnen, den von ihr produzierten Strom in das Stromnetz einzuspeisen. Nach Angaben der Klägerin beträgt die voraussichtliche jährliche Stromproduktion 7.700 kWh. Die Klägerin erhält vom Energieversorger eine Einspeisevergütung nach dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG); für das Jahr 2007 hat sie einen Umsatz in Höhe von 923,- EUR erklärt. Die mit dem Erwerb der Photovoltaikanlage verbundenen Vorsteuern betragen 7.681,19 EUR.
Die Klägerin reichte zunächst eine Umsatzsteuervoranmeldung für das 3. Quartal 2007 ein, in der sie die Vorsteuern aus dem Erwerb der Photovoltaikanlage geltend machte. Der Beklagte erließ daraufhin unter dem Datum des 31. Oktober 2007 einen Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid für September 2007, in dem er die Steuer auf 0,- EUR festsetzte, weil die Klägerin seiner Meinung nach keinen Betrieb gewerblicher Art unterhielt.
Während des anschließenden Einspruchsverfahrens reichte die Klägerin eine Umsatzsteuerjahreserklärung für 2007 ein. Auch hier folgte der Beklagte der Erklärung nicht, sondern setzte mit Umsatzsteuerbescheid vom 14. Februar 2008 die Umsatzsteuer auf 0,- EUR fest. Den Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsbescheid vom 6. Mai 2008 als unbegründet zurück.
Die Klägerin trägt vor, dass sie mit der Photovoltaikanlage eine gewerbliche Tätigkeit betreibe, wie sie von vielen Unternehmern in geringem Umfang betrieben werde, mit denen sie in einem Wettbewerbsverhältnis stehe. Innerhalb der Gesamtbetätigung der Klägerin hebe sich ihre Tätigkeit hervor, da die Investition in die Photovoltaikanlage 48.100,- EUR betrage und langfristig dazu gedacht sei, die rückläufigen Spendeneinnahmen der Klägerin auszugleichen.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass auch bei einem geringeren Jahresumsatz als 30.678,- EUR ein Betrieb gewerblicher Art anzunehmen sei, wenn dafür besondere Gründe vorliegen würden. Dieser sei hier darin zu sehen, dass die Klägerin mit dem Gewinn den Haushalt der Kirchengemeinde zu entlasten beabsichtige und einen Beitrag zum Umweltschutz leiste. Im Übrigen ist die Klägerin der Auffassung, dass das vom Beklagten zur Begründung seiner Rechtsauffassung zitierte Urteil des BFH aus dem Jahre 1961 nicht mehr zeitgemäß sei.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Umsatzsteuerbescheides 2007 vom 14. Februar 2008 in der Einspruchsentscheidung vom 6. Mai 2008 die Umsatzsteuer 2007 auf ./. 7.508,74 EUR festzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, dass die Klägerin deshalb keine Vorsteuern abziehen könne, weil sie keine Unternehmerin sei. Juristische Personen des öffentlichen Rechts würden nach § 2 Abs. 3 UStG nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art im Sinne der § 1 Abs. 1 Nr. 6 und § 4 KStG gewerblich oder beruflich tätig. Erforderlich sei danach, dass die Einrichtung einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen nachgehe und sie sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person wirtschaftlich heraushebe. Die Tätigkeit müsse dabei von einigem wirtschaftlichen Gewicht sein und sich innerhalb der Tätigkeit als etwas Besonderes herausheben. Die Betätigung müsse dabei das äußere Bild eines Gewerbebetriebes erscheinen lassen. Von einer herausgehobenen wirtschaftlichen Gesamtbetätigung könne ausgegangen werden, wenn der nachhaltige Jahresumsatz 30.678,- EUR übersteige. Der Beklagte verweist insoweit auf die entsprechende Regelung in Abschnitt 18 Abs. 4 Umsatzsteuerrichtlinien.
Die Klägerin erreiche nicht die Umsatzgrenzen. Besonderheiten, die einen Betrieb gewerblicher Art auch bei Unterschreiten der Grenze begründen würden, lägen nicht vor. Durch die Regelungen im EEG zur Einspeisevergütung sowie der Abnahmeregelungen sei eine Wettbewerbssituation nicht gegeben.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Die Klägerin war im Streitjahr 2007 als Unternehmerin tätig. Ihr steht infolgedessen der Vorsteuerabzug aus dem Erwerb der Photovoltaikanlage zu.
1.
Gem. § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG kann der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen.
Unternehmer ist gem. § 2 Abs. 1 UStG, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind nach § 2 Abs. 3 UStG nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art (§ 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 KStG) gewerblich oder beruflich tätig. Gem. § 4 Abs. 1 KStG sind Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts alle Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen außerhalb der Land- und Forstwirtschaft dienen und die sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person wirtschaftlich herausheben. Die Absicht, Gewinn zu erzielen, und die Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr sind nicht erforderlich. Nicht zu den Betrieben gewerblicher Art gehören nach § 4 Abs. 5 KStG Betriebe, die überwiegend der Ausübung der öffentlichen Gewalt dienen (Hoheitsbetriebe).
Hinsichtlich der Betätigung öffentlich-rechtlicher Körperschaften bestimmt Art. 13 Abs. 1 Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie, dass Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts nicht als Steuerpflichtige gelten, soweit sie die Tätigkeiten ausüben oder Umsätze bewirken, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Umsätzen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben. Fall sie solche Tätigkeiten ausüben oder Umsätze bewirken, gelten sie für diese Tätigkeiten oder Umsätze jedoch als Steuerpflichtige, sofern eine Behandlung als Nichtsteuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.
Nach Abschnitt 23 Abs. 4 Umsatzsteuerrichtlinien i.V.m. Abschnitt 6 Abs. 5 Körperschaftsteuerrichtlinien soll in der Tatsache, dass der Jahresumsatz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 30.678,- EUR nachhaltig übersteigt, ein wichtiger Anhaltspunkt dafür zu sehen sein, dass die Tätigkeit von einigem wirtschaftlichen Gewicht ist. Werde ein nachhaltiger Jahresumsatz von über 30.678,- EUR im Einzelfall nicht erreicht, sei ein Betrieb gewerblicher Art nur anzunehmen, wenn hierfür besondere Gründe von der Körperschaft vorgetragen würden. Solche Gründe seien insbesondere gegeben, wenn die juristische Person des öffentlichen rechts mit ihrer Tätigkeit zu andern Unternehmen unmittelbar in Wettbewerb tritt. Nach einem Schreiben der Steuerabteilung Oldenburg der Oberfinanzdirektion Hannover vom 13. November 2006 zur steuerrechtlichen Behandlung von Photovoltaikanlagen, die von Kirchen angeschafft werden, liege kein Betrieb gewerblicher Art vor, wenn die Umsatzgrenze von 30.678,- EUR nicht überschritten werde. Eine Wettbewerbssituation zu anderen Stromanbietern liege nicht vor, weil der Abnahmepreis, den der Energieversorger zahle, festgeschrieben sei, so dass es nicht zu Wettbewerbsverzerrungen kommen könne. Die Photovoltaikanlage erfolge somit im hoheitlichen Bereich der Kirche.
Nach der Rechtsprechung des BFH darf demgegenüber für die Frage, ob ein Betrieb gewerblicher Art vorliegt, nicht allein auf absolute Umsatzgrenzen abgestellt werden (BFH Urteil vom 11. Januar 1979 V R 26/74, BStBl. II 1979, 746). Ob sich die auf Einnahmeerzielung gerichtete wirtschaftliche Tätigkeit innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person des öffentlichen Rechts wirtschaftlich heraushebt, ist vielmehr im Einzelfall durch eine vergleichende Betrachtung mit dem Umfang der Gesamtverwaltung der Körperschaft festzustellen (BFH Urteil vom 11. Januar 1979 V R 26/74, BStBl. II 1979, 746). Maßgeblich ist auch, ob die Körperschaft mit der Tätigkeit zu anderen Unternehmen unmittelbar in Wettbewerb tritt (BFH Urteil vom 25. Oktober V R 11/85, BStBl. II 1990, 868).
2.
Die Klägerin hat mit dem Betrieb der Photovoltaikanlage als Unternehmerin einen Betrieb gewerblicher Art unterhalten.
a)
Die Klägerin ist durch die Erzeugung und Einspeisung von Energie in das Stromnetz selbständig und nachhaltig zur Erzielung von Einnahmen tätig geworden. Durch den mit dem Energieversorger geschlossenen Einspeisevertrag hat sie sich auf unbestimmte Zeit zur Stromlieferung mit der Photovoltaikanlage verpflichtet. Hierfür stand ihr das vertraglich vereinbarte Entgelt zu. Für den auf Dauer angelegten Leistungsaustausch hat es nach Inbetriebnahme der Anlage und Installierung eines Einspeisezählers keiner weiteren Aktivitäten der Klägerin bedurft. Insbesondere war weder die Einrichtung ein Geschäftslokal noch Werbung erforderlich, da die Klägerin aufgrund der Regelungen desErneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) einen Anspruch hatte, den Strom an den Stromnetzbetreiber zu einem vorgegebenen Preis zu veräußern. Die Unternehmereigenschaft des Betreibers einer Photovoltaikanlage setzt keinen Mindestumsatz voraus (so BFH Urteil vom 18. Dezember 2008 V R 80/07, BFH/NV 2009, 860 für den insoweit vergleichbaren Fall eines Blockheizkraftwerks).
b)
Die in der Stromerzeugung liegende wirtschaftliche Tätigkeit der Klägerin hebt sich auch hinreichend im Sinne des § 4 Abs. 1 KStG von der Gesamtbetätigung der Klägerin ab. Der eigentliche Zweck der Klägerin als Kirchengemeinde liegt in der Förderung der Religionsausübung und ist von daher ideeller Natur. Damit hat die rein ökonomische Tätigkeit des Verkaufs von elektrischer Energie zur Erzielung von Einnahmen nicht das Geringste gemein, es gibt keinerlei inhaltliche Überschneidung der beiden Tätigkeitsfelder.
Entgegen der Auffassung des Beklagten kann für die Frage der Abgrenzung des Betriebes gewerblicher Art von der sonstigen Tätigkeit der juristischen Person des öffentlichen Rechts nicht vorrangig auf feste Umsatzgrenzen abgestellt werden. Dafür findet sich im Gesetzeswortlaut kein Anhalt. Zudem wäre eine entsprechende Auslegung des § 4 Abs. 1 KStG evident nicht europarechtskonform, weil die Richtlinienbestimmung in Art. 13 Abs. 1 Mehrwertsteuersystemrichtline allein solche Umsätze aus der unternehmerischen Tätigkeit ausgrenzt, die die juristische Person öffentlichen Rechts im Rahmen der Ausübung öffentlicher Gewalt ausübt. Die Produktion und der Verkauf von Strom mit einer auf dem Dach des Gemeindesaales installierten Photovoltaikanlage stellt demgegenüber keine hoheitliche, sondern allein eine privatrechtliche Tätigkeit dar. Bei richtlinienkonformer Auslegung des§ 2 Abs. 3 UStG bilden nur jene unternehmerischen Aktivitäten einer juristischen Person des öffentlichen Rechts keinen Betrieb gewerblicher Art, die sich inhaltlich nicht hinreichend von der hoheitlichen Aufgabenerfüllung abgrenzen lassen.
Dass die übrigen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs - insbesondere das Vorliegen einer formell ordnungsgemäßen Rechnung - geben sind, ist zwischen den Verfahrensbeteiligten unstreitig.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
4.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
5.
Das Gericht lässt die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu, weil es mit seiner Entscheidung von den Umsatzsteuerrichtlinien abweicht.