Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.04.2010, Az.: 10 K 181/09
Änderung eines Bescheides durch das Finanzamt zu Ungunsten des Steuerpflichtigen auf Grund neuer Tatsachen betreffend Übernachtungen in Privathaushalten im Ausland
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 08.04.2010
- Aktenzeichen
- 10 K 181/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 25859
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2010:0408.10K181.09.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 19.10.2011 - AZ: X R 29/10
Rechtsgrundlagen
- § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO
- § 100 Abs. 1 S. 1 FGO
Einkommensteuer 2004 und 2006
Gewerbesteuermessbetrag 2006
Änderung nach § 173 AO bei geschätzten Besteuerungsgrundlagen
Tatbestand
Die Kläger sind Eheleute und wurden in den Streitjahren zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war als selbstständiger Mediendesigner tätig und erzielte Einkünfte aus Gewerbebetrieb gem. § 15 Einkommensteuergesetz (EStG). Er ermittelte seinen Gewinn durch Einnahme-Überschussrechnung gem. § 4 Abs. 3 EStG. Die vom Kläger im Rahmen seiner Steuererklärung für 2004 beigefügte Einnahme-Überschussrechnung weist unter dem Konto 4676 "Reisekosten UN Übernachtungsaufwand" einen Betrag von 5.724 EUR aus. In der Anlage EÜR zur Steuererklärung 2006 sind Reisekosten i.H.v. 2.146 EUR enthalten; davon entfallen 1.368 EUR auf Übernachtungsaufwendungen.
Die Kläger wurden zunächst erklärungsgemäß für die Jahre 2004 und 2006 zur Einkommensteuer veranlagt; der Kläger erhielt einen Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag 2006, der ebenfalls den Angaben in der Steuererklärung entsprach. Die genannten Bescheide wurden bestandskräftig.
Der Beklagte (das Finanzamt - FA -) führte im Herbst 2008 bei dem Kläger eine Außenprüfung für die Jahre 2004 - 2006 durch. Im Rahmen dieser Außenprüfung gab der Kläger gegenüber dem Prüfer an, dass sich die Übernachtungsaufwendungen durch Aufenthalte in Großbritannien ergeben hätten. Dabei habe er in 2004 überwiegend und im Jahr 2006 ausschließlich bei seiner Mutter in B übernachtet. Von dort habe er dann die Kunden in und um London aufgesucht. Die Übernachtungsaufwendungen habe sein Steuerberater anhand der geltenden Pauschalen wie folgt ermittelt: 53 Übernachtungen á 108 EUR = 5.724 EUR in 2004 und 9 Übernachtungen á 152 EUR = 1.368 EUR in 2006.
Der Prüfer gelangte zu der Auffassung, dass der Ansatz der Pauschalen nicht möglich sei, da diese zu einer offensichtlich unrichtigen Besteuerung führten. Er schätzte den Übernachtungsaufwand mit 25 EUR pro Übernachtung (53 x 25 EUR = 1.325 EUR in 2004 und 9 x 25 EUR = 225 EUR in 2006). Das FA schloss sich dieser Auffassung an und erließ entsprechende nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) geänderte Steuerbescheide.
Gegen diese Änderungsbescheide wenden sich die Kläger nach erfolglosem Einspruchsverfahren mit der vorliegenden Klage. Zur Begründung tragen sie vor, dass eine Änderung der Bescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht mehr hätte erfolgen dürfen. Insoweit handele es sich bei dem Umstand, dass der Kläger im Rahmen seiner Aufenthalte in Großbritannien bei seiner Mutter übernachtet habe, nicht um eine neue Tatsache im Sinne der Norm. Dieser Umstand sei vielmehr lediglich eine Hilfstatsache, die aber nicht den sicheren Schluss auf die Haupttatsache erlaube. Vorliegend habe das FA die Ausgangsbescheide nur aufgrund von Schätzungen geändert; Schätzungen für sich seien jedoch keine neuen Tatsachen.
Im Übrigen habe das FA die Aufwendungen zu niedrig geschätzt, da der Kläger nach seiner Erinnerung in 2004 einen Teil der Übernachtungen im Hotel verbracht habe. Insoweit sei von Aufwendungen i.H.v. mindestens 75 EUR pro Übernachtung auszugehen. Schließlich habe der Kläger quasi als Gegenleistung für die Übernachtungen bei der Mutter Aufwendungen (z.B. Einkäufe) für diese übernommen. Hierzu legt er ein Schreiben seiner Mutter vom 20. Februar 2009 in englischer Sprache vor, in der die Mutter angibt, dass sich der Kläger bei seinen Aufenthalten in geringem Umfang an den Lebenshaltungskosten beteiligt habe; an den genauen Betrag könne sie jedoch nicht erinnern. Im Rahmen des Erörterungstermins am 11. Februar 2010 hat der Kläger ausdrücklich erklärt, seiner Mutter keine Geldbeträge zugewandt zu haben, sondern ausschließlich kleinere Aufwendungen für sie übernommen zu haben.
Die Kläger beantragen,
die Bescheide über Einkommensteuer 2004 und 2006 vom 27. April 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8. Juli 2009 aufzuheben;
der Kläger beantragt weiterhin,
den Gewerbesteuermessbetragsbescheid für 2006 vom 27. April 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8. Juli 2009 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an seiner in den Einspruchsentscheidungen vertretenen Rechtsauffassung fest.
Entscheidungsgründe
I.
Die Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-).
1.
Das FA durfte die angefochtenen Bescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ändern. Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO können Steuerbescheide zu ungunsten des Steuerpflichtigen geändert werden, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Tatsache im Sinne dieser Norm ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines steuergesetzlichen Tatbestandes sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller und immaterieller Art. Ändert die Finanzbehörde einen bestandskräftigen Steuerbescheid gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 zu Ungunsten des Steuerpflichtigen, trägt sie grundsätzlich die objektive Beweislast (Feststellungslast) dafür, dass die für die Änderung des Bescheides erforderlichen tatsächlichen Voraussetzungen vorliegen (vgl. BFH-Urteil vom 19. Mai 1998 I R 140/97, BFHE 186, 124, BStBl II 1998, 599). Kann die Steuerbehörde nur Hilfstatsachen anführen, hat sie ihrer Beweislast nur dann genügt, wenn diese den sicheren Schluss auf die Haupttatsache ermöglichen (vgl. BFH-Beschluss vom 22. November 2006 II B 6/06, BFH/NV 2007, 395 m.w.N.).
Vorliegend ist eine zur Änderung der Bescheide berechtigende Haupttatsache, dass der Kläger nicht die in seinen Steuererklärungen für 2004 und 2006 angegebenen Aufwendungen für Übernachtungen hatte. Da diese Aufwendungen als Betriebsausgaben Teil des gesetzlichen Tatbestandes sind, handelt es sich insoweit um eine Tatsache im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO. Dem liegt der in der Betriebsprüfung erstmals offenbarte Lebenssachverhalt zugrunde, dass der Kläger bei seinen Übernachtungen in Großbritannien (überwiegend) keine Hotels aufgesucht und dort entsprechende Rechnungen bezahlt, sondern stattdessen bei seiner Mutter übernachtet hat, die hierfür kein Entgelt gefordert hat.
Selbst wenn man mit dem Kläger davon ausginge, dass die Übernachtungen bei der Mutter lediglich Hilfstatsachen darstellten, so ließen diese jedoch -zusammen mit den anderen im Rahmen der Betriebsprüfung bekannt gewordenen Umständen: Übernachtungen im Ausland und Ansatz von Pauschalen- den sicheren Schluss auf die Haupttatsache zu, dass nämlich Übernachtungskosten in der vom Kläger ursprünglich geltend gemachten Höhe nicht angefallen sind. Diese Tatsachen sind auch nach Erlass der ursprünglichen Steuerbescheide und damit nachträglich im Sinne des § 173 AO bekannt geworden.
Da das FA diese Voraussetzungen hinreichend nachgewiesen hat, kommt es auf die Frage, ob der Kläger seinen Mitwirkungspflichten aus§ 90 AO genügend nachgekommen ist oder ob eine mangelnde rechtzeitige Offenlegung des vollständigen Sachverhalts zu einer Verringerung des Beweismaßes des FA führt (vgl. hierzu BFH-Beschluss vom 22. November 2006 II B 6/06, BFH/NV 2007, 395) nicht mehr an.
2.
Die vom FA vorgenommene Herabsetzung der Übernachtungsaufwendungen ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Der Kläger hat hierzu nicht hinreichend substantiiert vorgetragen und den von ihm geschilderten Ablauf hinsichtlich der Hotelübernachtungen auch nicht glaubhaft gemacht. Er hat lediglich aus der Erinnerung heraus angegeben, dass er im Jahr 2004 ca. 20 Übernachtungen im Hotel vorgenommen habe und hierfür ca. 75 EUR pro Übernachtung gezahlt habe. Belege hierfür hat er nicht vorgelegt. Daher durfte das FA die Aufwendungen nach § 162 AO schätzen. Soweit der Kläger vorträgt, dass er beispielsweise bei gemeinsamen Einkäufen mit der Mutter die Zahlung übernommen habe, um ihr einen gewissen Ausgleich für die Übernachtungen zukommen zu lassen, hat das FA dies bei ihrem Ansatz von Übernachtungsaufwendungen mit 25 EUR pro Übernachtung hinreichend gewürdigt. Dieser Ansatz erscheint insgesamt eher großzügig und begegnet im Ergebnis keinen Bedenken. Da hinreichende Anhaltspunkte für tatsächliche Hotelübernachtungen fehlen, durfte das FA auch insgesamt davon ausgehen, dass der Kläger jeweils bei seiner Mutter übernachtet hat und für alle Übernachtungen je 25 EUR ansetzen. Der fehlende Nachweis geht insoweit zu Lasten des Klägers.
Der Ansatz der vom Kläger bzw. seines jetzigen Prozessbevollmächtigten angesetzten Pauschbeträge kommt nach dem nunmehr offenbarten tatsächlichen Geschehensablauf nicht mehr in Betracht. Zwar hat die Finanzverwaltung im Rahmen von Verwaltungsanweisen bei fehlendem Einzelnachweis Pauschbeträge für Auslandsübernachtungen zugelassen. Dabei handelt es sich um finanzamtliche Schätzungen nach§ 162 AO zur vereinfachten Sachverhaltsermittlung. Diese Verwaltungsanweisungen führen wegen des Gebots der Gleichbehandlung zu einer Selbstbindung der Verwaltung und begründen grundsätzlich einen Anspruch des Steuerpflichtigen auf Anwendung der Pauschalen. Gleichwohl sind die Pauschalen für Übernachtungen im Ausland nach der einschlägigen Verwaltungsanweisung nicht anzusetzen, wenn sie im Einzelfall zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führen würden. Dies ist aufgrund der obigen Ausführungen hier der Fall. Auch wenn die genaue Höhe der Aufwendungen des Klägers nicht festzustellen ist, so ist jedenfalls offensichtlich, dass diese deutlich weniger als die Hälfte der Pauschbeträge ausmachen. Bei Sachverhalten, für die die Finanzverwaltung die Anwendung von Pauschalen im Ausland zu Recht ablehnt, kommt deshalb nur der Abzug der tatsächlichen Kosten aufgrund von Einzelnachweisen (ggf. - wie hier - in geschätzter Form) in Betracht (vgl.BFH-Beschluss vom 9. Mai 2005 VI B 3/05, BFH/NV 2005, 1550).
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Dabei war zu berücksichtigen, dass die Kläger hinsichtlich der Klage gegen die Einkommensteuerbescheide für 2004 und 2006 Gesamtschuldner sind, während für die Kosten bezüglich der Klage gegen den Gewerbesteuermessbetragsbescheid für 2006 nur der Kläger aufzukommen hat.