Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 07.05.2021, Az.: 5 B 1639/21

Ausweisungsinteresse; besonders schwerwiegende Ausweisungsinteressen; Betäubungsmittel, Ausweisung: Verhältnismäßigkeit; Bleibeinteresse; finanzielle Schwierigkeiten

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
07.05.2021
Aktenzeichen
5 B 1639/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 70986
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

überwiegendes (besonders schwerwiegendes) Ausweisungsinteresse wegen Delikten der Betäubungsmittelkriminalität; geringeres Gewicht der (besonders schwerwiegenden) Bleibeinteressen im Einzelfall

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtschutz gegen eine Ausweisung, die damit verbundene Abschiebungsandrohung sowie ein befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot.

Der Antragsteller ist am 15. März 1975 in Bingöl/Türkei geboren und türkischer Staatsangehöriger. Bis zum Jahr 1994 besuchte er ein Gymnasium und studierte anschließend „Tourismus/Hotelwesen“. Das Studium brach er nach kurzer Zeit ab, als er sich für die kurdische Volksgruppe in der Türkei politisch engagierte. Er diente dann 1,5 Jahre beim Militär und arbeitete anschließend auf dem Bau und als Tischler. Seine Eltern sind mittlerweile verstorben. Er hat neun Geschwister, die überwiegend im Heimatort leben.

Er reiste am 8. Februar 2001 in das Bundesgebiet ein und traf dort seine erste Ehefrau, eine deutsche Staatsangehörige. Sein Asylantrag wurde abgelehnt. Am 20. September 2002 verurteilte ihn das Landgericht A-Stadt wegen Bestimmen einer Person unter 18 Jahren zum unerlaubten Handeltreiben mit Heroin in Tateinheit mit unerlaubten Handeltreiben mit Heroin in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten. Er wurde am 16. Dezember 2004 aus der Haft in die Türkei abgeschoben.

Am 8. September 2005 heiratete er in Bingöl/Türkei seine erste Ehefrau, die anschließend laut mehrerer Atteste sehr unter der räumlichen Trennung gelitten habe. Sie habe demnach Depressionen und eine Essstörung, die einen deutlich erhöhten BMI bewirkt hätten. Die Rückkehr des Ehemanns könne zu einer Verbesserung des Gesundheitszustands führen. Die Antragsgegnerin befristete daraufhin die Wirkung der Abschiebung nachträglich auf den 18. April 2008. Der Strafrest wurde mit Beschluss des Landgerichts Braunschweig zur Bewährung ausgesetzt. Die Bewährungszeit betrug drei Jahre. Am 24. August 2008 reiste der Antragsteller mit einem Visum zur Familienzusammenführung in das Bundesgebiet ein. Zunächst wurde ihm ein befristetes Aufenthaltsrecht und am 9. August 2011 eine Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 AufenthG erteilt. Der Antragsteller und seine erste Ehefrau trennten sich 2014 und sind seit 2019 geschieden.

In Deutschland arbeitete er nach eigenen Angaben zeitweise als Reinigungskraft, als Transportfahrer, immer mal wieder ohne Sozialversicherungsanmeldung als Bauhelfer oder in einem Restaurant und zwischendurch wohl auch 3,5 Jahre für eine Zeitarbeitsfirma bei VW. Zuletzt absolvierte er einen Fortbildungskurs im Sicherheitsbereich.

Der Antragsteller fiel ab 2013 zunächst mit weniger schweren Delikten strafrechtlich auf. Am 18. Juli 2013 wurde er vom Amtsgericht C. wegen fahrlässiger Körperverletzung in Tatmehrheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 60 Euro verurteilt. Am 8. Juli 2016 wurde er vom Amtsgericht C. wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 30 Euro verurteilt. Am 24. Juli 2017 wurde er vom Amtsgericht D. wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 13 Euro verurteilt.

Am 26. Oktober 2017 wurde er wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz festgenommen und befindet sich seitdem in Haft. Am 27. September 2018 wurde er vom Landgericht C. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Er hatte über Hintermänner knapp 1,5 Kilo Heroin gekauft und wollte diese Menge zusammen mit weiteren Mittätern gewinnbringend weiterverkaufen. Das mitgeführte Mobiltelefon und 1.940 Euro Bargeld wurden sichergestellt. Eine Haarprobe vom 27. Oktober 2017 wies Spuren von Kokain sowie des Abbauprodukts Benzoylecgonin und die Heroinabbauprodukte 6-Monoacetylmorphin und Morphin auf. Im Strafverfahren räumte er seine Tatbeteiligung ein. Das sichergestellte Heroin sei zum Verkauf gewesen. Infolge der Trennung von seiner Ehefrau habe er finanzielle Schwierigkeiten gehabt. Er habe immer mal wieder mit Heroin gehandelt und daher auch Kontakt in die Betäubungsmittelszene gehabt. Unter Berücksichtigung, dass Heroin eine „harte“ Droge sei und die nicht geringe Menge von 1,5 g Heroinhydrochlorid 496-fach überschritten sei, sah die Kammer die Gesamtfreiheitsstrafe als tat- und schuldangemessen an.

In der Strafvollzugsanstalt E. bzw. C. war der Antragsteller ein unauffälliger Gefangener. Zu den Hintergründen der Tat gibt er an, nach der Trennung von seiner Frau vermehrt Alkohol konsumiert und in der Folge Führerschein und Arbeitsplatz verloren zu haben. Das innervollzugliche Verhalten war – abgesehen von einem respektlosen Verhalten nach ablehnender Entscheidung bezüglich eines geforderten Haftraumwechsels am 4. Juli 2019 – frei von Beanstandungen. Im Basis-Web seien Pfändungen des F. eingetragen mit einer Ratenzahlung von 50 Euro pro Monat. Außerdem habe er 6.000 bis 7.000 Euro Spielschulden. Seit dem 5. Juni 2019 war der Antragsteller in den Werkbetrieben tätig. Seit dem 9. September 2019 nahm er am sprachlichen Integrationskurs teil. Er sei interessiert und zuverlässig, die Sprachkenntnisse seien aber stark verbesserungswürdig. Eine behandlungsbedürftige Suchmittelabhängigkeit sei nicht zu erkennen. Er bewarb sich eigeninitiativ für die Gruppenbehandlung „Glücksspielsucht“ und „Anonyme Alkoholiker“ und sollte Kontakt zur Schuldnerberatung aufnehmen. Später nahm er an der Maßnahme „Kosten und Nutzen der Straftat“ und einem Sprachkurs teil.

In der Haft heiratete der Antragsteller 29. Januar 2020 seine zweite Ehefrau – ebenfalls eine deutsche Staatsangehörige –, die er 2015 kennengelernt hatte. Sie hat eine Tochter aus erster Ehe, die am 2. Juni 2007 geboren wurde. Am 26. August 2020 erklärten der Antragsteller und die Ehefrau vor dem Notar, dass sie das elterliche Sorgerecht für das Kind gemeinsam übernehmen wollten.

Während der Haft hatte der Antragsteller regelmäßig Besuch/Langzeitbesuch von seiner Ehefrau, teilweise mit deren Tochter. Es bestand täglicher Telefonkontakt und gelegentlicher Briefverkehr. Der Kontakt wird im Vollzugsplan als förderungswürdig und stabilisierend bewertet. Angesichts der Verbindlichkeiten und der moderaten Verdienstaussichten sei die finanzielle Situation aber in jedem Fall angespannt und bereits ein Faktor, der den Antragsteller zur Begehung der Anlasstaten verleitet habe. Daher bestehe die Gefahr, dass er wieder mit Betäubungsmitteln handeln werde. Letztlich sprach sich die Haftanstalt gegen eine vorzeitige Entlassung aus. Am 29. Juni 2020 waren 2/3 der Haftzeit verstrichen, am 29. September 2021 endet die Haftzeit.

Mit Schreiben vom 27. Februar 2019 wurde der Antragsteller zur möglichen Abschiebung in die Türkei angehört.

Mit Bescheid vom 29. Mai 2020 wies die Antragsgegnerin den Antragsteller unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus dem Bundesgebiet aus, drohte ihm die Abschiebung in die Türkei an und ordnete ein Einreise- und Aufenthaltsverbot an, das sie auf sieben Jahre befristete.

Zur Begründung verwies die Antragsgegnerin insbesondere auf die Straftaten des Antragstellers. Die Vorschrift des § 53 Abs. 3 AufenthG für Assoziationsberechtigte finde keine Anwendung. Der Antragsteller habe verschiedene Aushilfstätigkeiten ausgeübt, sei aber zwischenzeitlich immer wieder arbeitslos gewesen. Die Ausweisung sei rechtmäßig. Das Ausweisungsinteresse wiege gem. § 53 Abs. 1 Nr. 1 und nach Nr. 1b AufenthG besonders schwer. Demgegenüber stehe ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, da er eine Niederlassungserlaubnis besitze und sich seit mehr als fünf Jahren im Bundesgebiet aufhalte. Zu seinen Gunsten unterstellte die Antragsgegnerin auch ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse gem. § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG, auch wenn die Eheschließung erst während der Strafhaft erfolgt sei. Es bestehe regelmäßiger Kontakt.

Ein weiterer Aufenthalt des Antragstellers sei eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Rauschgiftdelikte seien besonders sozialschädlich und schwer zu bekämpfen. Der Antragsteller sei mehrfach an einem professionellen Handel mit Heroin in nicht unerheblicher Weise beteiligt gewesen. Er habe offensichtlich den Kontakt zur Drogenszene nie gänzlich abgebrochen, da er problemlos Kontakt zu Hintermännern aufgenommen habe, die mit Heroin in Kilogrammmengen handelten. Erschwerend komme hinzu, dass er als Nichtabhängiger das Heroin nicht für den Eigenbedarf erworben, sondern ausschließlich aus Gewinnsucht gehandelt habe. Die Konsequenzen seien ihm mit der ersten langjährigen Haftstrafe und Abschiebung schon einmal aufgezeigt worden. Die einwandfreie Führung im Strafvollzug könne keine tiefgreifende Verhaltensänderung indizieren. Die Entwicklung einer beruflichen Perspektive befinde sich vor dem Hintergrund der noch immer geringen Sprachkenntnisse und der mangelnden beruflichen Qualifikation noch im Anfangsstadium. Die finanzielle Situation dürfe sich durch die beträchtlichen Forderungen des F. weiter verschlechtert haben. Außerdem verfüge er über erhebliche kriminelle Energie. Die Wiederholungsgefahr könne bereits bei einer einmaligen Straftat angenommen werden.

Die Ausweisung sei auch aus generalpräventiven Gründen zur Bekämpfung der Drogenkriminalität erforderlich. Der Antragsteller habe sich zwar zehn Jahre im Bundesgebiet aufgehalten, dabei aber keine eigene Lebensgrundlage aufgebaut und sich nicht in die hiesigen Lebensverhältnisse eingefügt. Auch der Schutz der Ehe gem. Art. 6 Abs. 1 GG stehe nicht entgegen, da die Folgen der Ausweisung nicht unverhältnismäßig seien. Der erhebliche Verstoß gegen Strafvorschriften rechtfertige die Ausweisung. Auch mit Blick auf Art. 8 EMRK sei die Ausweisung nicht unverhältnismäßig. Der Antragsteller sei in der Türkei geboren und aufgewachsen und beherrsche die Sprache. Seine Familie lebte dort. Eine Eingewöhnung in die türkischen Verhältnisse sei auch mit Blick auf sein Alter nicht unzumutbar. Schutzwürdige persönliche Bindungen würden nicht zu einer anderen Entscheidung führen.

Aus diesen Gründen stehe auch das Europäische Niederlassungsabkommen (ENA) vom 12. Dezember 1955 der Ausweisung nicht entgegen. Das öffentliche Interesse an der Ausweisung überwiege das Interesse an einem Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots sei mit den erheblichen Straftaten und der Wiederholungsprognose zu begründen. Dadurch sei eine Zeitspanne von neun Jahren angemessen, die angesichts der schutzwürdigen Bindungen zur Ehefrau auf sieben Jahre verkürzt werde.

Die sofortige Vollziehung begründet die Antragsgegnerin mit der Gefahr weiterer Straftaten bis zur bestandskräftigen bzw. rechtskräftigen Entscheidung und der Abschreckung anderer Ausländer. Zudem beabsichtige die Staatsanwaltschaft A-Stadt eine Entscheidung nach § 456a StPO, wonach zu Gunsten einer Abschiebung von der weiteren Vollstreckung abgesehen werde. Dies begründe ebenfalls ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ausweisung. Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 – 7 AufenthG lägen nicht vor. Es sei nicht ersichtlich, dass der Antragsteller wegen der Rauschgiftdelikte in der Türkei erneut verfolgt würde. Außerdem verbiete Art. 103 Abs. 3 GG nur eine Doppelbestrafung im Inland. Folter oder die Todesstrafe drohten nicht.

Der Antragsteller hat am 9. Juni 2020 Klage erhoben und gleichzeitig um vorläufigen Rechtschutz nachgesucht. Er führt zur Begründung aus:

Der Bescheid der Beklagten vom 29. Mai 2020 sei rechtswidrig und verletze ihn in seinen Rechten. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei formelhaft begründet. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der einzig in Betracht zu ziehenden Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 und 2, § 54 Abs. 1 und § 55 Abs. 2 Nr. 4 AufenthG seien nicht erfüllt. Es sei fraglich, ob eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch weitere strafrechtliche Verfehlungen im Bundesgebiet noch prognostiziert werden könnte. Er verweist auf den beanstandungsfreien Vollzug und die Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen. Seine Ehefrau sei am 17. März 1985 geboren und wohne mit ihrer Tochter in Lauenhagen. Er habe der Ehefrau Halt gegeben. Vor seiner Inhaftierung habe er im gemeinsamen Haushalt gelebt und sich um die Tochter seiner Ehefrau gekümmert, als wäre sie sein eigenes Kind. Es sei eine Vater-Kind-Beziehung entstanden. Die Tochter sehe ihn als Vater an. Er habe diese adoptieren wollen. Dies seien durchgreifende Anhaltspunkte, die auf eine zukünftige Verhaltensänderung schließen ließen. Zudem sei die Ehefrau wegen ihrer (u. a. auch psychischen) Erkrankungen zwingend auf seine Unterstützung angewiesen. Die Verhaftung und die drohende Ausweisung hätten ihr stark zugesetzt. Sie hätten auch während der Haft regelmäßig Kontakt gehabt. Sie wollten die häusliche Gemeinschaft nach der Entlassung wiederaufleben lassen. Es handele sich daher um eine tatsächlich geführte und gelebte eheliche Lebensgemeinschaft. Es sei der Ehefrau und Tochter nicht zuzumuten, in die Türkei zu ziehen oder die ehelichen und familiären Beziehungen für die Zeit des Einreiseverbots zu unterbrechen.

Im angefochtenen Bescheid sei keine ausreichende Abwägung mit Art. 6 GG und Art. 8 EMRK vorgenommen, da bereits das Bestehen einer schutzwürdigen familiären Lebensgemeinschaft verneint worden sei. Die Ausweisung sei unverhältnismäßig. Das öffentliche Ausweisungsinteresse sei zu relativieren, da einige strafrechtliche Verfehlungen ein geringes Unrecht verwirklichten und teilweise abstrakte Gefährdungsdelikte darstellten. Eine Resozialisierung sei zu erwarten. Die Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens habe ihm deutlich aufgezeigt, dass er mit seinem Verhalten die Ehefrau und Tochter bestrafe und sein Leben verändern müsse. Er habe aus seinem Fehler gelernt. Er habe an dem Integrationskurs und einer Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahme in der Haft teilgenommen, um seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Er wolle eine Arbeit und ein neues soziales Umfeld finden. Die Prognose der Antragsgegnerin sei eine Vorverurteilung. Die Spielschulden in Höhe von insgesamt 6.500 Euro seien beglichen worden. Der Schwiegervater habe 5.000 gezahlt und sehe diesen Betrag als Hochzeitsgeschenk an. Der Antragsteller hat dazu eine kurze, unterschriebene Bestätigung des Schwiegervaters vorgelegt. Die Ehefrau habe die restlichen 1.500 Euro gezahlt. Er hat auch dazu eine Bestätigung vorgelegt, wonach sie diese Summe von ihrem Ersparten gezahlt habe. Hinsichtlich der Verbindlichkeiten bei dem F. strebe der Schuldnerberater nun einen Erlassvertrag an, zumindest solle eine wirtschaftlich vertretbare Ratenzahlungsvereinbarung getroffen werden. Zumindest überwiege das Ausweisungsinteresse nicht gegenüber dem besonders schweren Bleibeinteresse aus § 55 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 AufenthG.

Der Antragsteller hat ein Schreiben der Ehefrau vorgelegt. Demnach sei sie seit 2015 mit ihm zusammen. Sie könne ohne ihn nicht mehr leben. Seine Fürsorge für sie und ihre Tochter sei wie im Bilderbuch. Die Tochter sehe in ihm ihren Vater. Sie hätten sehr viel zusammen unternommen und die persönlichen Gegenstände wechselseitig in den anderen Haushalt eingetragen. Der Plan sei gewesen, dass er die Tochter adoptiere. Sie planten außerdem weitere gemeinsame Kinder. Die Abschiebung würde auch erhebliche gesundheitliche Einschränkungen im Alltag bedeuten. Seine Ehefrau sei an der Bandscheibe erkrankt und müsse so schnell wie möglich operiert werden. Sie habe bereits 2012 eine Operation gehabt. Auch die Knie müssten operiert werden. Ihre Psyche halte ein getrenntes Familienleben nicht aus. Sie könne nicht in der Türkei mit ihm leben, da das Gesundheitssystem nicht so weit sei wie in Deutschland. Außerdem müsste sie ihre Tochter von der gewohnten Umgebung trennen und neu in der Türkei anfangen. Das könne man einem 13-Jährigen Mädchen nicht zutrauen. Sie wisse nicht, wie man eine Ehe über Videotelefonate führen solle. Der Antragsteller könne sie auf diesem Wege nicht unterstützen.

Eine ärztliche Stellungnahme eines Prof. Doktor medizinskich Nauk (Doktor d. medizinischen Wissenschaften) Viktor Zyganow, mit einer Privatpraxis für „Holistiv Medicine“ in Berlin, vom 14. Juli 2020 soll die Frage behandeln, inwieweit die Ehefrau aus gesundheitlichen Gründen auf die alltägliche Hilfe, Pflege, Betreuung und somit – auch aus sozialpsychologischen Gründen – auf das Zusammenleben mit dem Antragsteller angewiesen sei. Zum Hintergrund der Ehefrau wird dort ausgeführt: Sie sei konservativ erzogen worden und habe mit 18 Jahren, am 5. Februar 2004, einen türkischen Mann heiraten müssen. Da dieser keine Aufenthaltsgenehmigung gehabt habe, habe sie bis Dezember 2005 in der Türkei mit ihm leben müssen. Sie sei von dessen Familie wegen scheinbarer Kinderlosigkeit und wegen Übergewichts gemobbt worden. Sie habe dann aber die deutsche Staatsangehörigkeit erlangt und sei mit dem (ersten) Ehemann nach Deutschland gekommen. Ihr erster Ehemann sei spielsüchtig geworden und habe die Familie vernachlässigt. Sie habe den Hauptschulabschluss und eine Ausbildung im Pflegebereich gemacht. Erst als sie sich das Leben habe nehmen wollen, hätten die Eltern einer Scheidung zugestimmt. Sie habe sich 2011 getrennt und 2014 scheiden lassen. Der Antragsteller sei die erste Person, die sie unterstütze. Sie habe glaubwürdig mitgeteilt, dass sie auf ihren Ehemann, seine Hilfe und seine Nähe angewiesen sei. Derzeit helfe eine Freundin, die aus beruflichen Gründen nicht mehr lange dazu in der Lage sein werde. Sie und die Tochter seien in Deutschland integriert. In einer vom Gesundheitsamt durchgeführten Untersuchung am 29. Juli 2019 sei ihr bescheinigt worden, dass ihre Erwerbsfähigkeit für mindestens sechs Monate unter drei Stunden täglich liegen werde.

Der Arzt diagnostiziert im Bericht vom 14. Juli 2020 eine posttraumatische Belastungsstörung, rezidivierende depressive Erkrankung, gegenwärtig schwere depressive Episode mit noch unterschwellig gehaltenen Suizidimpulsen, eine Zwangserkrankung (Sauberkeitszwang/Putzzwang), rezidivierende Angsterkrankung mit Panikattacken, chronifizierte Ein- und Durchschlafstörungen mit Alpträumen, chronisches Schmerzsyndrom, psychoneurovegetatives Syndrom mit funktionellen Herz-Kreislaufbeschwerden, Neurodermitis, Kreislaufdysregulation, rezidivierende Magen-Darmbeschwerden, Migräne, Anämie, ein schweres Wirbelsäulensyndrom (Spondylose, BSV, LWS-Syndrom, Z. n. Nucleotomie L 4/5, chronische Lumbalgie bei Bandscheibendegeneration und Osteochondrose L4/5), Z. n. Patelladysplasie mit Knorpelschaden, Bruxismus und das Restless-Leg-Syndrom. Die einzelnen Diagnosen werden kurz erläutert. Abschließend folgt die Zusammenfassung der Untersuchung:

Aufgrund der akuten Depression mit unterschwelligen Suizidimpulsen in Verbindung mit der ausgeprägten akuten Angsterkrankung mit Panikattacken sei die Patientin weiterhin weder in der Lage, dauerhaft ohne das Zusammenleben und die Pflege ihres Ehemanns zu leben, noch eine Umsiedlung in die Türkei zu überstehen, ohne weitere gesundheitliche Schäden zu erleiden. Insbesondere die schwere depressive Episode in Verbindung mit noch unterschwellig gehaltenen Suizidimpulsen sowie die Angst- und Panikattacken ließen eine Umsiedlung in die Türkei nicht zu. Aus der fachärztlichen Sicht sei die Ehefrau aus gesundheitlichen und sozialpsychiatrischen Gründen auf die Nähe, die Pflege ihres Ehemanns sowie auf das Zusammenleben mit ihm notwendigerweise angewiesen. Ohne Berücksichtigung wäre seines Erachtens eine weitere gesundheitliche Schädigung zu erwarten.

In einem vorläufigen Entlassungsbericht der KRH Psychiatrie Wunstorf vom 7. Oktober 2020 berichtet ein behandelnder Arzt darüber, dass die Ehefrau vom 6. Oktober 2020 bis zum 4. November 2020 in stationärer Behandlung gewesen sei. Als Diagnosen werden ebenfalls eine rezidivierende depressive Störung – gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome – und eine Posttraumatische Belastungsstörung aufgezählt. Die Ehefrau berichtete demnach über große Zukunftsängste und erwähnte als Belastungsfaktor auch die Haft und mögliche Abschiebung des Antragstellers. Sie habe chronische Schmerzen aufgrund zweifacher Bandscheibenvorfälle und beziehe aktuell Arbeitslosengeld II. Ein Antrag auf Erwerbsminderungsrente sei abgelehnt worden. Sie habe erheblich von der stationären Struktur profitiert und sei in psychisch stabilisierter Verfassung entlassen worden.

In einem Arztbrief einer Frauenärztin vom 16. März 2021 berichtet diese von einem Kinderwunsch und diagnostiziert „CIN III (carcinoma in situ)“. Bei einer CIN III müsse der Patientin dringend zu einer ambulanten Schlingenresektion (LEEP) geraten werden. Nach der Lesart des Antragstellers leidet die Ehefrau damit auch an Krebs.

In einem Schreiben der Tochter der Ehefrau vom 5. August 2020 nennt diese den Antragsteller Vater. Sie habe gesehen, wie es ist, einen Vater zu haben. Sie bittet darum, ihr den Vater nicht wegzunehmen. Die gesamte Familie und ihre Freunde seien in Deutschland, daher könne sie nicht in der Türkei leben. Sie wolle Sozialpädagogik studieren, was in der Türkei nicht möglich sei. Sie seien schon durch die Inhaftierung bestraft worden.

Der Antragsteller hat zudem einen Arbeitsvertrag vom 1. August 2020 einer Jobagentur aus G. mit deren Anschreiben vom 21. September 2020 vorgelegt, wonach er unmittelbar nach der Entlassung dort eine Arbeit aufnehmen könne, um seinen Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu bestreiten. Er solle als Recruiter für die Türkei arbeiten. Er qualifiziere sich dafür durch seine perfekten Kenntnisse der türkischen und kurdischen Sprache. Außerdem kenne er die Gesetzeslage und die türkischen Behörden für die Anerkennung und das Visaverfahren aus der Türkei. Der Arbeitgeber habe keinen weiteren passenden Kandidaten. Ausgeprägte Deutschkenntnisse seien nicht erforderlich, da Kunden und Bewerber zu 90 % türkischer Abstammung seien. Das Arbeitsverhältnis sei unbefristet und das Bruttofestgehalt betrage 2.300 Euro. Die Probezeit betrage sechs Monate.

Der Antragsteller führt dazu aus, dass die berufliche Perspektive deutlich mache, dass er bereits einen Lebenswandel vorgenommen habe. Über diese Stelle könne er ausreichende Einkünfte nicht nur für sich, sondern auch für seine Familie erzielen. Damit habe sich die wesentliche Motivation für die Begehung seiner Taten gänzlich geändert. Er bleibe in Stadthagen und halte sich von den alten Kontakten in A-Stadt fern.

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie verteidigt und verweist auf die Begründung des angegriffenen Bescheids. Der Antrag sei unbegründet. Das öffentliche Vollzugsinteresse überwiege gegenüber dem privaten Interesse des Antragstellers von einem Vollzug der Verfügung vorläufig verschont zu bleiben. Die Ausweisung sei rechtmäßig. Seit der letzten Abschiebung sei er mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten. Es bestehe ein hohes Wiederholungsrisiko. Das Verhalten des Antragstellers in der Justizvollzugsanstalt sei auch deswegen beanstandungsfrei gewesen, da er unter dem Druck der Ausweisung gestanden habe. Eine Vater-Kind-Beziehung sei nicht glaubhaft gemacht worden. Die nunmehr vorgelegte Sorgerechtserklärung sei nach Klageerhebung und in Kenntnis der drohenden Abschiebung abgegeben worden. Sie bestehe nur auf dem Papier. Es sei nicht glaubhaft gemacht, dass die elterliche Sorge auch durch den Antragsteller ausgeübt werde. Auch die Ehe sei während der Strafhaft sowie nach der Anhörung und damit im Wissen um die Straftaten und die beabsichtigte Abschiebung, also in Kenntnis der unsicheren Aufenthaltsperspektive, geschlossen worden. Gegenwärtig sei auch kein eheliches Zusammenleben im Sinne einer tatsächlich gelebten ehelichen Lebensgemeinschaft gegeben. Der Ehe sei bei der Abwägung der gegenläufigen Interessen daher kein großes Gewicht beizumessen.

Außerdem sei weder nachvollziehbar dargelegt, dass und auf welche Lebenshilfeleistungen die Ehefrau tatsächlich angewiesen sei, noch geltend gemacht oder sonst ersichtlich, dass der Antragsteller solche Hilfeleistungen jemals erbracht habe. Dies sei auch nicht plausibel, da die Ehefrau durch die Inhaftierung seit Jahren vom Antragsteller getrennt lebe. Durch die ärztliche Stellungnahme vom 14. Juli 2020 sei nicht belegt, dass die Ehefrau zur Überwindung der psychischen Probleme gerade des Kontakts zum Antragsteller bedürfe. Es fehle an einer nachvollziehbaren und erkennbar fundierten Tatsachenerkenntnis für die abschließende Bewertung. Dass sich Familienangehörige angesichts einer drohenden Ausweisung Sorgen machten, sei ein Effekt, der alle Familienangehörigen in vergleichbaren Situationen treffe. Sie habe die Bleibeinteressen berücksichtigt und auch das Bleibeinteresse gem. § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG unterstellt. Auch Art. 6 GG würde hinter die öffentlichen Sicherheitsinteressen zurücktreten. Die berufliche Perspektive nach einer etwaigen Haftentlassung sei nicht von solchem Gewicht, dass sie zu einem Wegfall des spezialpräventiven Ausweisungsinteresses führe. Des Weiteren bestehe ein generalpräventives Ausweisungsweisungsinteresse. Dieses sei zeitlich an die Strafverfolgungsverjährung gem. §§ 78 ff. StGB zu knüpfen. Die einfache Verjährungsfrist als untere Grenze betrage 20 Jahre und beginne mit der Tatbeendigung. Die Tilgungsfrist im BZR betrage gem. § 46 Abs. 4 BZRG 15 Jahre. Diese Fristen lägen in weiter Ferne. Das Ausweisungsinteresse sei auch aus diesem Grund noch hinreichend aktuell. Die Begründung der sofortigen Vollziehung genüge den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.

Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts C. hat vor der Entscheidung über die Aussetzung der Reststrafe nach 2/3 der Haftzeit ein Prognosegutachten gem. $ 454 Abs. 2 StPO eingeholt zu der Frage, ob bei dem Antragsteller die Gefahr weiterer Straftaten fortbestehe. Im Gutachten vom 3. Mai 2020 stellt der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie der KRH Psychiatrie Wunstorf ausführlich die Lebens- und Strafgeschichte des Antragstellers dar. Die Straftaten seien auf eine belastende Lebenssituation zurückzuführen. Der Antragsteller habe sich zunächst von seiner Ehefrau getrennt und dann seine zweite Ehefrau kennengelernt. Er habe aber seinen Führerschein verloren, da er betrunken Auto gefahren sei, und habe anschließend eine in Aussicht gestellte Tätigkeit nicht antreten können. Er sei mit diesen Umständen nicht gut klargekommen. Er habe am H. eine Einzimmerwohnung gehabt und eigentlich täglich Alkohol konsumiert. Er habe seine zweite Ehefrau und deren Tochter nicht in den Urlaub schicken können. Die Ehefrau habe nichts gefordert, er habe aber gesehen, dass ihr etwas gefehlt habe. In dieser Situation sei ein Bekannter auf ihn zugegangen und habe ihm „schnelles Geld“ versprochen. Der Arzt stellt weiter fest, dass die Angaben des Antragstellers zum Konsum von Drogen den Ergebnissen der entnommenen Haarprobe vom 27. Oktober 2017 widersprechen würden. Als prognostisch ungünstig sei anzuführen, dass der Antragsteller zum zweiten Mal auf das Vorhandensein eigener finanzieller und möglicherweise auch weiterer persönlicher Probleme mit der Begehung gravierender Straftaten reagiert habe. Auch die einschlägige Straftat und Haftstrafe habe ihn nicht abhalten können. Dem sei entgegen zu halten, dass es dem Antragsteller nach der letzten Aussetzung zur Bewährung ebenfalls gelungen sei, die Bewährungszeit beanstandungsfrei zu überstehen und anschließend längere Zeit strafrechtlich unauffällig zu bleiben.

Nach dem Eindruck des Facharztes gehe der Antragsteller wohl davon aus, dass er in Deutschland verbleiben und bei der Ehefrau leben könne. Er habe klare Vorstellungen von der Zukunft mit Familie und einer Arbeit sowie Abstand von den alten Kontakten. Gelinge die Umsetzung, so könne auch wieder eine zumindest langfristige Stabilisierung und strafrechtliche Unauffälligkeit folgen. Die dem Gutachten zugrundeliegenden Gespräche mit dem Antragsteller wurden zusammen mit einer Dolmetscherin geführt, die vollständig übersetzte.

Das Landgericht C. hat im Anschluss mit Beschluss vom 31. August 2020 die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung abgelehnt. Im Anhörungstermin hat der Arzt ergänzt, dass er keine eindeutige Prognose treffen könne. Die Verhältnisse seien durch die Jobzusage und die Schulden bei einem Gläubiger, mit dem man reden könne (F.), etwas geordneter. Es bestehe sowohl ein Risiko für weitere Straftaten in schwierigen Lebensverhältnissen wie auch die Möglichkeit langfristiger Stabilisierung. Nach Auffassung der Kammer bestehe ein hohes Risiko, dass der Antragsteller erneut im Bereich der Anlassdelikte auffällig werde. Die Lebensverhältnisse und insbesondere die angespannten finanziellen Verhältnisse, die in der Vergangenheit wiederholt strafursächlich gewesen seien, hätten sich in der Zwischenzeit nicht wesentlich geändert. Neben dem Umstand, dass die Verdienstaussichten des Antragstellers im Bereich des Mindestlohns lägen, habe der Antragsteller auch weiterhin erhebliche Verbindlichkeiten – wenn auch in Form von Ratenzahlungen – zu bedienen. Die Einkünfte seiner Ehefrau aus ihrer Tätigkeit als Reinigungskraft und Teilzeitkraft in einem Restaurant seien ebenfalls moderat und entschärften die beengten finanziellen Verhältnisse der Familie mit Kind nicht wesentlich. Außerdem habe die Beziehung zu seiner Ehefrau den Antragsteller auch bisher nicht von der Begehung von Straftaten abhalten können.

Nach Ansicht des Antragstellers sei dem Beschluss des Landgerichts nicht zu folgen. Außerdem folge aus dem zugrundeliegenden Gutachten, dass keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit mehr bestehe. Es bestehe keine Wiederholungsgefahr.

Die Antragsgegnerin erwidert, das Gutachten schließe eine Wiederholungsgefahr gerade nicht aus. Soweit der Gutachter hervorhebe, dass der Antragsteller die Aussetzung der letzten Haftstrafe frei von Beanstandungen überstanden habe, nehme er nur den Bewährungszeitraum und nicht den darüber hinausgehenden Zeitraum in den Blick. Die Antragsgegnerin müsse aber eine langfristige Gefahrenprognose treffen. Der Zeitraum und der Prognosemaßstab sei nicht mit dem der Strafgerichte vergleichbar. Das Gutachten sei für die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung erstellt worden. Dieses binde aber weder das Strafgericht noch die ausländerrechtliche Bewertung der Antragsgegnerin oder des Verwaltungsgerichts. Zur Wiederholungsgefahr komme dem ablehnenden Beschluss des Landgerichts A-Stadt vom 31. August 2020 indizielle Bedeutung zu.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen. Der Inhalt sämtlicher Akten war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

II.

Der Antrag hat keinen Erfolg. Er ist zulässig, aber unbegründet.

1. Der Antrag ist hinsichtlich der Ausweisung als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage statthaft (§ 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2, Var. 1 VwGO), weil die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet hat (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO). Hinsichtlich der Abschiebungsandrohung und des befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots ist der Antrag als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung statthaft. Die Abschiebungsandrohung ist kraft Gesetzes gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 70 Abs. 1 Nds. VwVG und § 64 Abs. 4 Satz 1 NPOG sofort vollziehbar. Die aufschiebende Wirkung einer gegen das Einreise- und Aufenthaltsverbot erhobenen Klage entfällt gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.1.2020 – 11 S 3477/19 –, juris Rn. 73).

2. Die Antragsgegnerin hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung ihrer Ausweisungsentscheidung in einer den formalen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Weise begründet (a.). Die Abwägungsentscheidung des Gerichts nach § 80 Abs. 5 VwGO fällt zulasten des Antragstellers aus (b.).

a) Die Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt den rein formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Die Antragsgegnerin hat in ihrem Bescheid vom 25. Mai 2020 mit Blick auf die Art und Schwere der Straftaten des Antragstellers ein besonderes Vollzugsinteresse insbesondere auf die Gefahr gestützt, dass der Antragsteller andernfalls nach der Entlassung aus der Haftanstalt während eines laufenden Klageverfahrens erneut Straftaten im Bundesgebiet begehen könnte. Es wird auf die Betäubungsmitteldelikte und die Schulden in Höhe von 13.500 Euro Bezug genommen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei auch zur Abschreckung anderer Ausländer geboten. Mit dieser Begründung hat die Antragsgegnerin deutlich gemacht, dass ihr der Ausnahmecharakter der Anordnung der sofortigen Vollziehung gegenwärtig war. Ob die gegebene Begründung inhaltlich trägt, ist nicht Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung der Einhaltung des Formerfordernisses des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Vielmehr trifft das Gericht in der Sache eine eigene Abwägungsentscheidung.

b) Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht im Falle der Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs wiederherstellen, wenn die im Rahmen des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes vorzunehmende Interessenabwägung ergibt, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angegriffenen Verwaltungsaktes hinter das Interesse des Antragstellers an einem Aufschub der Vollziehung zurücktritt. Bei der Interessenabwägung kommen den Erfolgsaussichten der Klage im Hauptsacheverfahren maßgebliche Bedeutung zu. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder – wie hier – die Entscheidung des Tatsachengerichts (BVerwG, Urteil vom 9.5.2019 – BVerwG 1 C 21.18 –, juris Rn. 11; BVerwG, Urteil vom 22.2.2017 – BVerwG 1 C 3.16 –, juris Rn. 18; Urteil vom 10.7.2012 – BVerwG 1 C 19.11 –, juris Rn. 12).

Hieran gemessen überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse gegenüber dem privaten Suspensivinteresse, da sich die Ausweisung nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage als rechtmäßig erweist (aa.). Auch die Abschiebungsandrohung und das befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot sind rechtmäßig (bb.).

aa) Die Rechtmäßigkeit der Ausweisung richtet sich nach §§ 53 ff. AufenthG.

Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Die Ausweisung eines Ausländers dient dabei der Vorbeuge gegen Gefahren, die nach Würdigung seines bisherigen Verhaltens und seiner Gesamtpersönlichkeit von ihm selbst in Zukunft für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen. Hat der Ausländer Rechtsverstöße begangen, hängt die Rechtfertigung der Ausweisung von einer Gefahrenprognose ab, insbesondere der Einschätzung der Wiederholungswahrscheinlichkeit. Die Gefährdung bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 – BVerwG 1 C 3.16 –, juris Rn. 23). Bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen sind gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG die Umstände des Einzelfalls einzustellen. Die Abwägung der in §§ 54 und 55 AufenthG vertypten und gewichteten Ausweisungs- und Bleibeinteressen erfolgt dabei auf der Tatbestandsseite der nun gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit vollständig gerichtlich überprüfbar (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 9.5.2019 – BVerwG 1 C 21.18 –, juris Rn. 13; BVerwG, Urteil vom 25.7.2017 – BVerwG 1 C 12.16 –, juris Rn. 15; BVerwG, Urteil vom 22.2.2017 – BVerwG 1 C 3.16 –, juris Rn. 20 ff.). Ein darüber hinaus gehender besonderer Ausweisungsschutz gem. § 53 Abs. 3 AufenthG kommt dem Antragsteller nach summarischer Tatsachenprüfung nicht zu. Der Antragsteller kann kein Aufenthaltsrecht aus dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei herleiten, da er ein eigenes Recht im Sinne von Art. 6 ARB 1/80 als regulär und auf Dauer beschäftigter Arbeitnehmer nicht geltend gemacht oder dargelegt hat. Außerdem ist er 2008 im Wege des Familiennachzugs zu seiner Ehefrau eingereist, die als deutsche Staatsangehörige selbst nicht assoziationsberechtigt ist und daher auch kein abgeleitetes Assoziationsrecht aus Art. 7 ARB 1/80 vermitteln kann.

Bei der Abwägung der Ausweisungs- und der Bleibeinteressen kommt auch das Gericht unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu dem Schluss, dass die Ausweisungsinteressen gegenüber dem Interesse, die Dauer des Hauptsacheverfahrens in Deutschland verbringen zu dürfen, überwiegen. Dabei streiten im Rahmen der Abwägung besonders schwere Ausweisungsinteressen (aaa.) und besonders schwere Bleibeinteressen (bbb.). Es besteht allerdings eine hohe Gefahr weiterer Straftaten durch den Antragsteller (ccc.), die die Bleibeinteressen (ddd.) bzw. den Schutz von Ehe und Familie (eee.) nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalles überwiegt.

aaa) Der Antragsteller hat durch die erhebliche Straftat ein besonders schweres Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG begründet. Mit Urteil des Landgerichts C. wurde er wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Zudem hat er dabei gegen das Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (BtMG) verstoßen, was in § 54 Abs. 1 Nr. 1b AufenthG noch einmal als eigenständiges besonders schweres Ausweisungsinteresse normiert und zu berücksichtigen ist. Daneben war er bereits einmal im Jahr 2002 wegen einer vergleichbaren Tat zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Er ist damit wiederholt und erheblich straffällig geworden. Die erste Straftat ist trotz der langen seither vergangenen Zeitspanne zu berücksichtigen, da sie das Gesamtbild des Antragstellers wesentlich prägt und letztlich die beiden besonders schweren Ausweisungsinteressen im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1b AufenthG bestätigt.

Neben diesen Verurteilungen begründen die weiteren Verurteilungen des Antragstellers ein schweres Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG, weil der Antragsteller nicht nur einen vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat, sondern mehrfache Verstöße, die in ihrem Zusammenspiel ein kohärentes Bild ergeben und nicht mehr als geringfügig einzuordnen sind. Diese Vorschrift ist dahin zu verstehen, dass ein Rechtsverstoß nur dann unbeachtlich ist, wenn er vereinzelt und geringfügig ist, er hingegen immer beachtlich ist, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig, oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.9.1996 – BVerwG 1 C 9.94 –, juris). Das vorsätzliche Fahren ohne Fahrerlaubnis ist bereits erheblich, weil eine vorsätzlich begangene Straftat grundsätzlich kein geringfügiger Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift ist (Nds. OVG, Urteil vom 14.11.2018 – 13 LB 160/17 –, juris Rn. 40). Die fahrlässig begangenen Vergehen wegen fahrlässiger Körperverletzung in Tatmehrheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort und fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr wurden mit 60 bzw. 50 Tagessätzen geahndet. Die Taten drücken eine besondere Ignoranz gegenüber strafrechtlichen Regeln aus, die die Allgemeinheit vor schweren Schäden im Straßenverkehr – wie der körperlichen Unversehrtheit des Opfers der fahrlässigen Körperverletzung – bewahren sollen. Diesem schweren Ausweisungsinteresse ist nach den Umständen des Einzelfalles ein angemessenes Gewicht im Rahmen der Abwägung zu verleihen (vgl. Nds. OVG, Urteil. Vom 14.11.2018 – 13 LB 160/17 –, juris Rn. 41).

bbb) Dem besonders schweren Ausweisungsinteresse steht ein gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besonders schweres Bleibeinteresse gegenüber, weil der Antragsteller eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat.

Darüber hinaus steht dem Antragsteller mittlerweile ein besonders schweres Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG zu, weil er während der Haftzeit mit einer deutschen Staatsangehörigen die Ehe geschlossen und die Personensorge für eine deutsche Minderjährige übernommen hat.

Bei Ausländern, die sich in Haft befinden, ist darauf abzustellen, ob die eheliche Lebensgemeinschaft unmittelbar vor Beginn der Haft bestanden hat und mit ihrer Fortsetzung nach der Haftentlassung konkret zu rechnen ist (Neidhardt in: HTK-AuslR, Stand 18.11.2016, § 55 AufenthG, Rn. 14). Nach den übereinstimmenden Aussagen ist mit einer familiären Lebensgemeinschaft im Anschluss an die Haftentlassung zu rechnen. Das Gericht unterstellt für den Bestand des Bleibeintereses, dass auch schon vor der Haft eine gewisse Bindung der Ehepartner bestand, die einer familiären Lebensgemeinschaft nahekam.

Mittlerweile hat der Antragsteller auch das gemeinsame Personensorgerecht für eine minderjährige ledige Deutsche übertragen bekommen. Insofern verbindet ihn das formale Band der Anerkennung der Personensorge mit einer schutzwürdigen Person i. S. v. § 53 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG. Insofern bedarf es aber auch einer “tatsächlich gelebten Nähebeziehung, d. h. einem tatsächlichen Kümmern um den deutschen Minderjährigen“ (BT-Drs. 18/4097, S. 53). Insoweit streitet das Schreiben der Tochter vom 5. August 2020 für eine solche Nähebeziehung und eine schützenswerte Bindung bzw. ein schützenswertes Interesse einer Minderjährigen. Daher geht das Gericht vom formalen Vorliegen eines solchen Bleibeinteresses aus. Das schwere Bleibeinteresse i. S. v. § 55 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 5 AufenthG hat demgegenüber keine eigenständige Bedeutung mehr (Nds. OVG, Urteil vom 14.1.2018 – 13 LB 160/17 –, juris Rn. 56 ff.; § 55 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG betrifft faktisch nur ausländische Kinder, vgl. BT-Drs. 18/4097, S. 53).

Wie stark diese Bleibeinteressen im Einzelfall zu gewichten sind, bleibt der Abwägung der gegensätzlichen Interessen vorbehalten.

ccc) Die nach § 53 Abs. 1 Halbsatz 1 AufenthG erforderliche Feststellung, dass der Aufenthalt eines Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, bedarf einer Prognose zur Wiederholungsgefahr bereits realisierter Gefahren. Die Prognose ist von den Ausländerbehörden und den Verwaltungsgerichten eigenständig zu treffen, ohne dass diese an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich gebunden sind. Bei der Prognose sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe einer verhängten Strafe, die Schwere einer konkret begangenen Straftat und die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. Für die Feststellung der entscheidungserheblichen Wiederholungsgefahr gilt ein differenzierender Wahrscheinlichkeitsmaßstab. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (Nds. OVG, Beschluss vom 20.6.2017 – 13 LA 134/17 –, juris Rn. 6; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 15.1.2013 – BVerwG 1 C 10.12 –, juris; Urteil vom 4.10.2012 – BVerwG 1 C 13.11 –, juris; Urteil vom 10.7.2012 – BVerwG 1 C 19.11 –, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.4.2016 – 11 S 393/16 –, juris Rn. 28). Für bestimmte Fallgruppen besonders schwerer und schädlicher Delikte sind an den Grad der Wiederholungsgefahr nur geringe Anforderungen zu stellen. Zu diesen Fallgruppen gehören neben schweren Gewalt- und Eigentumsdelikten vor allem auch schwere Betäubungsmitteldelikte, wie das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, vor allem mit harten Drogen (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 23.11.2020 – 2 B 314/20 –, juris Rn. 20; OVG Bremen, Urteil vom 14.8.2019 – 2 B 159/19 –, juris Rn. 11).

Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ist für den Antragsteller auf Dauer von einer hohen Wahrscheinlichkeit erneuter Straftaten im Bereich der Betäubungsmittel auszugehen.

Der Antragsteller wurde mit Urteil des Landgerichts C. vom 5.10.2018 wegen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Der ersten Tat lag zugrunde, dass er den Verkauf von 1,5 Kilo Heroin für einen Preis von 60.000 Euro abwickeln wollte. Die nicht geringe Menge von 1,5 g Heroinhydrochlorid wurde um das 496-fache überschritten. Der zweiten Tat liegt die Durchsuchung seiner Wohnung zugrunde, bei der weiteres Heroin, Kokain und Streckmittel sichergestellt wurde. Außerdem wurde Bargeld im Wert von 1.940 Euro sichergestellt. Der Antragsteller hat im Strafverfahren zugegeben, dass er Kontakt zur Betäubungsmittelszene hatte und mit den Drogen in seiner Wohnung bereits zuvor Handel betrieben hat. Diese Kontakte und seine Tätigkeit über eine gewisse Zeit haben es ihm offensichtlich ermöglicht, Drogen in erheblicher Menge und mit erheblichem Wert zu beschaffen und entsprechende Netzwerke zu nutzen.

Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller bereits in der Vergangenheit im Rahmen der Betäubungsmittelkriminalität straffällig geworden ist. Mit Urteil vom 20. September 2002 verurteilte ihn das Landgericht C. wegen Bestimmen einer Person unter 18 Jahren zum unerlaubten Handeltreiben mit Heroin in Tateinheit mit unerlaubten Handeltreiben mit Heroin in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten. Insoweit ist das Ausweisungsinteresse auch noch nicht verbraucht, da der Antragsteller nicht darauf vertrauen durfte, dass die Straftat auch nach Zeitablauf im Rahmen eines erneuten Ausweisungsfalles nicht erneut mitberücksichtigt würde. Die anschließende Verhaftung und Abschiebung haben ihn von einer Wiederholung nicht abgehalten.

In beiden Fällen war nach seiner Deutung eine schwere Lebenssituation für die Straffälligkeit verantwortlich. Eine solche Situation wird sich in der Zukunft nicht mit Sicherheit vermeiden lassen bzw. sprechen die finanziellen und persönlichen Umstände des Einzelfalles vielmehr für eine gesteigerte Wahrscheinlichkeit einer erneut schwierigen Lebenssituation.

Dabei ist insbesondere die finanzielle Situation des Antragstellers zu berücksichtigen. Dieser hat weiterhin Schulden in Höhe von 13.500 Euro beim F.. Bis heute hat er offensichtlich keine tragfähige Ratenzahlungsvereinbarung getroffen. Diesen Schulden steht ein moderater Verdienst entgegen. Zusammen mit den physischen und psychischen Problemen der Ehefrau ergibt sich eine Konstellation, in der das Gericht nach derzeitiger Kenntnis der Sachlage davon überzeugt ist, dass der Antragsteller erneut in Versuchung gerät, über illegale Nebeneinkünfte finanzielle Sorgen und Nöte zu vertreiben. Der vorgelegte Arbeitsvertrag vermag diese Einschätzung nicht zu widerlegen. Unterstellt, diese Arbeitsstelle würde tatsächlich angetreten, ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass sie den Antragsteller davon abhalten würde, erneut Betäubungsmitteldelikte zu begehen, um das moderate Gehalt und den eigenen Lebensstil zu verbessern. Dazu trägt insbesondere auch sein Hang zum Alkohol und Glücksspiel bei, den er in der Haft zwar durch einzelne Maßnahmen bewältigen wollte, der ohne konkrete weitere Maßnahmen aber weiterhin ein erhebliches Risiko birgt.

Auch die Haftanstalt und die Staatsanwaltschaft haben auf dieser Grundlage eine vorzeitige Entlassung des Antragstellers abgelehnt. Das Landgericht C. hat diese Einschätzung nach Anhörung des Antragstellers mit Beschluss vom 31. August 2020 bestätigt und dabei insbesondere auf seine drohenden finanziellen Probleme verwiesen. Der Beschluss des Landgerichts ist zwar nicht bindend, ist aber für die zu treffende Prognose von tatsächlichem Gewicht und hat eine erhebliche indizielle Bedeutung (Nds. OVG, Beschluss vom 11.7.2019 – 13 LB 44/17 –, juris Rn. 87; vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.10.2016 - 2 BvR 1943/16 -, juris Rn. 21). Wenn von der strafgerichtlichen Einschätzung abgewichen werden soll, bedarf es einer substantiierten Begründung (vgl. BVerfG, Beschluss. vom 27.8.2010 - 2 BvR 130/10 -, juris, Rn. 36 m. w. N.).

Nach eigener umfassender Würdigung aller Umstände des konkreten Einzelfalls schließt sich die Kammer der Einschätzung der Strafvollstreckungskammer für die Bewertung des Ausweisungsinteresses an.

Neben die bereits angezeigten finanziellen Risiken tritt dabei auch die familiäre Situation, die den Antragsteller auch vor den letzten Straftaten nicht von der Begehung erheblicher Straftaten abhalten konnte. Vielmehr liegen – außer einer fahrlässigen Körperverletzung mit unerlaubten Entfernen vom Unfallort – alle aktenkundigen Straftaten in einem Zeitraum, in dem der Antragsteller nach eigenem Vorbringen bereits eine Beziehung zu seiner Ehefrau führte. Insofern liegt für die Kammer der Schluss nahe, dass in diesem Fall die Beziehung kein protektiver Faktor war und den Antragsteller auch in der Zukunft nicht von weiteren Straftaten abhalten könnte. Sofern die Beziehung hingegen in diesem Zeitraum noch nicht so stark ausgeprägt war, so ist zumindest der Schutzanspruch dieser Familienkonstellation geringer (siehe unten).

Auch die im Vergleich zur aufenthaltsrechtlichen Prognose engere prognostische Perspektive des Landgerichts spricht in diesem Fall für die Annahme einer schwerwiegenden Wiederholungsgefahr. Denn während es bei Aussetzungsentscheidungen nach § 57 StGB vor allem unter dem Aspekt der Resozialisierung um die Frage geht, ob die Wiedereingliederung eines in Haft befindlichen Straftäters weiter im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit ggf. unter Auflagen „offen“ inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann, geht es im ausländerrechtlichen Ausweisungsverfahren um die Frage, ob das langfristige Risiko einer misslingenden Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft des Staates der Staatsangehörigkeit des Ausländers getragen werden muss. Die der Ausweisung zugrundeliegende Prognoseentscheidung bezieht sich folglich nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat auch in den Blick zu nehmen, ob es dem Antragsteller gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.1.2013 – BVerwG 1 C 10.12 –, juris Rn. 19; Nds. OVG, Beschluss vom 18.1.2019 – 13 LA 452/17 –, juris).

Nach diesem Maßstab genügt es daher nicht, dass zunächst mit einer Rückkehr des Antragstellers in ein womöglich gesichertes Umfeld und einen Beruf zu rechnen sein könnte. Der Antragsteller war auch bisher nicht in der Lage, einer beständigen Berufstätigkeit nachzugehen oder eine klare berufliche Perspektive aufzubauen. Nach eigenen Angaben arbeitete er bei verschiedenen Firmen, teilweise ohne Sozialversicherungsanmeldung, und absolvierte zuletzt einen Fortbildungskurs im Sicherheitsdienst. Entsprechende Nachweise hat er nicht vorgelegt. Nachdem schon das dem Antragsteller nachgewiesene und abgeurteilte Handeltreiben mit Betäubungsmitteln ohne eigene Abhängigkeit von ganz erheblichem Gewicht war, legt das vielmehr den Schluss nahe, dass er in der Zeit vor der Inhaftierung seinen Lebensunterhalt im Wesentlichen oder ausschließlich mit den Betäubungsmitteldelikten bestritten hat. Auf längere Sicht zeigt die gesamte familiäre, finanzielle und kriminelle sowie berufliche Vergangenheit des Antragstellers keine stabilisierenden Faktoren und gibt damit auch keine Gewähr für ein künftig straffreies Leben.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass der Antragsteller die letzte Bewährungszeit nach der Aussetzung der Reststrafe nach seiner Wiedereinreise in Deutschland ohne Beanstandungen absolviert hat. Zwar mag er mit Blick auf die zuvor erfolgte Abschiebung und ohne sein früheres kriminelles Netzwerk über einen begrenzten Zeitraum nicht straffällig geworden sein. Vor dem Hintergrund der erneuten, schweren Straftaten und dem offenbar erfolgten Aufbau neuer Netzwerke kann die Kammer nach seiner Haftentlassung eine solche positive Prognose für einen kürzeren und erst recht für einen längeren Zeitraum nicht mehr treffen. Soweit der Antragsteller vorträgt, dass der Haftvollzug ohne Beanstandungen gelang, ergibt sich auch daraus keine andere Schlussfolgerung. Die Haftzeit stand unter der Drohung einer möglichen Abschiebung, sodass auch dies ausreichende Motivation für ein unauffälliges Verhalten gewesen sein mag.

Inwieweit eine Suchtmittelproblematik oder eine Glücksspielproblematik ebenfalls zu einer Wiederholungsgefahr beiträgt, kann die Kammer im Rahmen des Eilverfahrens nicht abschließend bewerten. Insoweit wiedersprechen sich die positive Haarprobe und die Aussagen des Antragstellers, wie auch der Facharzt bei der Begutachtung herausgestellt hat. Angesichts des geschilderten Lebens im Drogenmilieu mit täglichem, erheblichem Alkoholkonsum erscheint eine frühere Abhängigkeit von härteren Drogen sowie vom Glücksspiel nicht unwahrscheinlich. Für eine Bewältigung oder zumindest Einsicht in diese Problematik spricht aber, dass sich der Antragsteller in der Haftanstalt selbständig entsprechende Hilfsangebote in Anspruch genommen hat und die Haftanstalt offenbar keine Veranlassung für eine (weitere) besondere Therapie sah.

Neben dem spezialpräventiven Ausweisungsinteresse begründen die Straftaten des Antragstellers auch ein andauerndes generalpräventives Ausweisungsinteresse, das nach dem Wortlaut § 53 Abs. 1 AufenthG (wonach bereits eine Gefahr durch den „Aufenthalt“ des Ausländers ein Ausweisungsinteresse begründet) berücksichtigungsfähig ist und auch durch Zeitablauf nicht zurücktritt, weil die Tilgungsfristen des § 46 Bundeszentralregistergesetz (BZRG) noch nicht abgelaufen sind. Aufgrund der Schwere der Tat und den von dem unerlaubten Umgang mit Betäubungsmitteln ausgehenden schwerwiegenden Gefahren für die Allgemeinheit besteht ein dringendes Bedürfnis durch die Ausweisung andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Straftaten abzuhalten (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25.2.2021 – 7 A 10826/20 –, juris Rn. 63 ff.).

ddd) Bei der Abwägung des öffentlichen Ausweisungsinteresses mit dem Bleibeinteresse des Antragstellers unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Dauer seines Aufenthalts, seiner persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, der Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie der Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, überwiegt das öffentliche Interesse an der Ausreise (§ 53 Abs. 2 AufenthG).

Zugunsten des Ausweisungsinteresses spricht im Wesentlichen die wiederholte Straffälligkeit im Bereich der Betäubungsmitteldelikte. Die von § 54 Abs. 1 Nr. 1b AufenthG typisierten Straftaten qualifizieren das öffentliche Ausweisungsinteresse als besonders schwerwiegend. Heroinhandel gehört zu den besonders gefährlichen und schwer zu bekämpfenden Delikten. Auch unter Berücksichtigung der konkreten Tatumstände, ist durch das Verhalten des Antragstellers ein grundlegendes gesellschaftliches Interesse beeinträchtigt (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 11.7.2018 – 13 LB 44/17 –, Rn. 70), denn der Antragsteller hat eine sehr große Menge einer „harten“ Droge verkaufen wollen, um sich selbst zu bereichern. Damit hätte er im Erfolgsfall erhebliche Schäden der Konsumenten bewirkt. Das Ausweisungsinteresse geht mit vollem Gewicht in die Abwägung ein und wiegt im Einzelfall sogar noch schwerer, weil der Antragsteller den Handel mit Betäubungsmitteln nicht im Zusammenhang mit einer eigenen Abhängigkeit, sondern zur Verbesserung des eigenen Lebensstils und unter dem Eindruck einer bereits erfolgten Verurteilung und daraus resultierenden Abschiebung begangen hat.

Die entgegenstehenden privaten Interessen an einem Aufenthalt in Deutschland sind zwar formal gleichrangig, treten aber bei der Abwägung zurück, weil den Bleibeinteressen gem. § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ausnahmsweise ein geringeres Gewicht beizumessen ist.

Dazu trägt bei, dass die Ehe erst lange nach der Inhaftierung und nach der Anhörung zu einer drohenden Abschiebung in der Haftanstalt geschlossen wurde. Die eheliche Lebensgemeinschaft haben die Eheleute niemals tatsächlich gelebt. Inwieweit sie bereits vor der Inhaftierung eine familiäre Lebensgemeinschaft führten, kann das Gericht nicht abschließend bewerten. Insofern ist aber zumindest die Geschichte des Antragstellers zu den Umständen der letzten Straftat nur schwer mit dem jetzigen Vorbringen der Ehefrau in Übereinstimmung zu bringen. Nach den Angaben des Antragstellers im Strafverfahren habe er sich in einer schwierigen Lebensphase befunden, da er infolge der Trennung von seiner Ehefrau finanzielle Schwierigkeiten gehabt habe. Zu diesem Zeitpunkt erwähnte er eine neue Beziehung nicht. Im Gespräch mit dem Facharzt zur Begutachtung der Wiederholungsgefahr gab der Antragsteller an, dass er und seine zweite Ehefrau eine Zeit lang Freunde gewesen seien, bevor sie beschlossen hätten zu heiraten. Über tatsächliche Heiratsabsichten in dieser Zeit ist jedoch nichts bekannt. Nachweise für eine tatsächliche familiäre Gemeinschaft in dieser Zeit hat der Antragsteller nicht vorgelegt. Stattdessen hat er von täglichem Alkoholkonsum und Glücksspiel berichtet. Des Weiteren pflegte er den Kontakt zur Rauschgiftszene, um in dieser Zeit Drogen zu verkaufen und unter anderem 1,5 kg Heroin zu besorgen. Ob und inwieweit der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt also tatsächlich bereits tragfähige Bindungen aufgebaut hat, vermag das Gericht nicht zu erkennen. Die Umstände deuten jedoch durchaus darauf hin, dass die spätere Eheschließung jedenfalls auch aufenthaltsrechtlich motiviert gewesen ist. Auch unabhängig davon ist die Berücksichtigung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit einem nur geringen Gewicht aber schon deshalb gerechtfertigt, weil beide Eheleute bei der Eheschließung um den prekären Aufenthaltsstatus des Antragstellers und die damit verbundene Gefahr einer zumindest zeitweisen Unterbrechung der ehelichen Lebensgemeinschaft wussten (vgl. Nds. OVG Beschluss vom 12.6.2019 – 13 ME 92/19 –, n. V.). Zudem ist erneut zu berücksichtigen, dass die Beziehung – sollte sie nach den eigenen Angaben des Antragstellers und der Ehefrau bereits seit 2015 bestanden haben – gerade keine stabilisierende Wirkung hatte, sondern in diesem Zeitraum die Straftaten einschließlich der besonders erheblichen Straftat mit Betäubungsmitteln begangen wurden.

Soweit dem Antragsteller zwar mittlerweile das gemeinsame Personensorgerecht für die Tochter seiner Ehefrau zusteht, genügt auch dieses formale Band nicht in jedem Fall für einen besonders hohen Schutzanspruch. Der Antragsteller mag sich vor seiner Haft mit seiner Ehefrau angefreundet und deren Tochter getroffen haben. Das Gericht ist jedoch nicht überzeugt, dass daraus eine solch enge Bindung entstand, wie es das vorgelegte Schreiben suggerieren soll. Auch dafür spricht der Widerspruch zwischen den eigenen Angaben hinsichtlich der Tatumstände und der nunmehr vorgetragenen gemeinsamen Lebensführung in dieser Zeit. Eine angedachte Adoption wurde für das Gericht nicht durch weitere Tatsachen gestützt. Auch die Tochter hat den Antragsteller seit mehr als drei Jahren nicht mehr in Freiheit getroffen, sondern nur in der Haftanstalt besuchen können; während sie vor der Haftzeit noch deutlich jünger war und der elterlichen Fürsorge bedurft hätte, hat der Antragsteller umfangreiche Straftaten begangen. Auch insoweit erscheint der Zeitpunkt der Übertragung des gemeinsamen Sorgerechts nach Ansicht des Gerichts zumindest auch aufenthaltsrechtlich motiviert und kann keine Gewähr dafür bieten, dass der Antragsteller nach der Haftentlassung die Personensorge auch tatsächlich (weiter) ausübt.

eee) Aus diesen Gründen steht auch der Schutz von Ehe und Familie gem. Art. 6 GG, das Europäische Niederlassungsabkommen (ENA) bzw. der Schutz des Privat- und Familienlebens gem. Art. 8 EMRK der Ausweisung nicht entgegen.

Der grundrechtliche Schutz von Ehe und Familie gem. Art. 6 GG ist nicht absolut. Ein Eingriff kann vielmehr im Wege praktischer Konkordanz durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt werden. Mit Blick auf die hohe Wiederholungsgefahr und die beträchtlichen spezial- und generalpräventiven Interessen überwiegen die öffentlichen Sicherheitsinteressen. Eine Angewiesenheit der Ehefrau auf den Antragsteller können die verschiedenen vorgelegten ärztlichen Befunde nicht darlegen. Noch nicht einmal eine Unterstützung der Ehefrau im Alltag scheint zwingend notwendig, denn auch die letzten drei Jahre hat sie den Alltag ohne den Antragsteller bewältigt. Die physischen und psychischen Belastungen durch die gesundheitlichen Probleme und die drohende Abschiebung sind nicht zu negieren; Zukunftsängste und Verlustängste nächster Angehöriger gehen jedoch typischerweise mit einer Ausweisungsentscheidung einher, ohne dass sie für gewöhnlich einer Ausweisung entgegenstehen.

Auch Art. 3 des Europäische Niederlassungsabkommen (ENA) vom 12. Dezember 1955 steht der Ausweisung nicht entgegen, da diese Vorschrift eine Ausweisung ermöglicht, wenn die Betroffenen die Sicherheit des Staates gefährden oder gegen die öffentliche Ordnung verstoßen.

Auch auf eine Rechtsstellung als sogenannter „faktischer Inländer“ kann sich der Antragsteller nicht berufen. Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung muss der Ausländer dazu im Bundesgebiet ein Leben führen, das durch persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen so geprägt ist, und faktisch so stark in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert sein, dass ihm das Verlassen des Bundesgebiets nicht zugemutet werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.7.2002 – BVerwG 1 C 8.02 -, juris, Rn. 23; OVG Baden-Württemberg, Beschluss vom 2.3.2020 – 11 S 2293/18 –, juris Rn. 31). Der Ausländer muss aufgrund eines Hineinwachsens in die hiesigen Verhältnisse bei gleichzeitiger Entfremdung vom Heimatland so eng mit der Bundesrepublik Deutschland verbunden sein, dass er gewissermaßen deutschen Staatsangehörigen gleichgestellt werden könne, während er mit dem Heimatland im Wesentlichen nur noch das formale Band ihrer Staatsangehörigkeit verbindet (BVerwG, Urteil vom 29.09.1998 – BVerwG 1 C 8.96 –, juris Rn. 30; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13.12.2010 – 11 S 2359/10 –, juris Rn. 27; VGH München, Beschluss vom 03.07.2017 – 19 CS 17.551 –, juris Rn. 10). Dies hängt zum einen von seiner Integration in Deutschland (Dimension „Verwurzelung“) und zum anderen von der Möglichkeit zur (Re-) Integration in seinem Heimatland (Dimension „Entwurzelung“) ab. Gesichtspunkte für die Integration des Ausländers in Deutschland sind dabei eine zumindest mehrjährige Dauer des Aufenthalts, gute deutsche Sprachkenntnisse und eine soziale Eingebundenheit in die hiesigen Lebensverhältnisse, wie sie etwa in einem Arbeits- oder Ausbildungsplatz, einem festen Wohnsitz, ausreichenden Mitteln, um den Lebensunterhalt einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten zu können, und fehlender Straffälligkeit zum Ausdruck kommt. Eine nach Art. 8 EMRK schutzwürdige Verwurzelung im Bundesgebiet kann dabei grundsätzlich nur während Zeiten entstehen, in denen der Ausländer sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 28.02.2018 – 8 ME 1/18 –, juris Rn. 17 m. w. N.; Beschluss vom 10.11.2017 – 13 ME 190/17 –, juris Rn. 27 m. w. N.). Als faktischer Inländer würde er zwar keinen absoluten Ausweisungsschutz genießen, seine Ausweisung wäre jedoch nur unter engen Voraussetzungen möglich (vgl. EGMR, Urteil vom 13.10.2011 - 41548/06 (Trabelsi) -, EuGRZ 2012, 11, 15; Urteil vom 18.10.2006 – 46410/99 (Üner) –, NVwZ 2007, 1279, 1282; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 –, juris Rn. 19).

Von dem für die Einordnung als „faktischer Inländer“ erforderlichen Maß der Verwurzelung im Bundesgebiet kann hier in Anbetracht der gehäuften Straffälligkeit, der bereits einmal erfolgten und vollzogenen Ausweisung sowie der nicht gelungenen wirtschaftlichen Integration des Antragstellers nicht ausgegangen werden. Offenbar spricht er auch nach dem langen Aufenthalt in Deutschland nur sehr schlecht die deutsche Sprache. In den Vollzugsplänen heißt es, seine Sprachkenntnisse seien stark verbesserungswürdig. Auch die Gespräche des Antragstellers mit dem Facharzt für die Begutachtung der Wiederholungsgefahr mussten nahezu vollständig über einen Dolmetscher stattfinden. Stattdessen verbindet den Antragsteller nicht nur das formale Band der Staatsangehörigkeit mit der Türkei; er hat dort noch starke Wurzeln. Er lebte nach seiner Geburt knapp 26 Jahre in der Türkei, bevor er das erste Mal nach Deutschland reiste. Nach seiner Abschiebung lebte er erneut knapp vier Jahre in der Türkei. Er hat dort sowohl vor der ersten Ausreise als auch nach der ersten Abschiebung gearbeitet und seinen Lebensunterhalt sichern können. Er hat eine abgeschlossene Schulausbildung und bereits vielfältige Berufserfahrungen gemacht. Er spricht – so heißt es in seinem vorgelegten Arbeitsvertrag – perfekt türkisch und kurdisch. Neben diese beruflichen Perspektiven treten auch die verschiedenen familiären Bindungen in der Türkei. So leben die Mehrzahl seiner neun Geschwister in seinem Heimatort. Das Gericht geht daher davon aus, dass eine erneute Rückkehr und ein Leben in der Türkei für den Antragsteller problemlos möglich sein werden. Auch die Ehefrau ist zwar deutsche Staatsangehörige, hat aber bereits mit ihrem ersten Ehemann zeitweise in der Türkei gelebt. Es wäre ihr angesichts dessen möglich und zuzumuten, die eheliche Lebensgemeinschaft in der Türkei zu führen. Dass sie während ihres Aufenthalts in der Türkei persönliche Probleme mit der Familie ihres ersten Ehemanns hatte, die sie bis heute negativ mit dem Land assoziiert, steht nicht entgegen. Soweit sie vorträgt, dass sie nicht in die Türkei ziehen könne, da das Gesundheitssystem nicht gut genug sei, ist das Gericht überzeugt, dass die diagnostizierten gesundheitlichen Probleme auch in der Türkei behandelt werden können. Ihre Zukunftsängste und die geschilderten Verlustängste würden bereits durch die gemeinsame Ausreise in die Türkei gemindert. Auch die Tochter könnte sich in der Türkei integrieren und ihre Ziele verwirklichen. Sie ist bereits 13 Jahre alt und kann sich auch dort eine berufliche Perspektive aufbauen bzw. ist sie noch jung genug, um sich an die Veränderungen anzupassen. Außerdem könnte die Ehefrau auch nach der Volljährigkeit ihrer Tochter – dann vielleicht auch ohne diese – in die Türkei ziehen bzw. der Antragsteller nach Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots zurück nach Deutschland reisen. Eine zeitliche Trennung hat die Ehefrau bei der Eheschließung mit Blick auf die zu diesem Zeitpunkt schon ergangene Ausweisungsverfügung in Kauf genommen.

Bei der Abwägung des öffentlichen Vollzugsinteresses mit dem privaten Bleibeinteresse ist im Rahmen des Eilverfahrens zudem zu bedenken, dass diese Entscheidung zunächst die Zeit des Hauptsacheverfahrens betrifft. Die Ehefrau und deren Tochter haben auch die letzten Jahre ohne die Anwesenheit des Antragstellers gelebt. Ein regelmäßiger Kontakt für die Dauer des Hauptsacheverfahrens kann auch über andere Kommunikationsmittel und durch Besuche in der Türkei gesichert werden.

bb) Die Abschiebungsandrohung ist voraussichtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie entspricht den gesetzlichen Anforderungen der §§ 58, 59 AufenthG. In der Folge ist auch das verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot dem Grunde nach nicht zu beanstanden (§ 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Ob die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG) rechtmäßig ist, ist hinsichtlich der im vorläufigen Rechtsschutz zu prüfenden Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht dagegen regelmäßig und auch hier unerheblich (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.1.2020 – 11 S 3477/19 –, juris Rn. 34).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des Streitwertes folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich an Nr. 1.5 i. V. m. Nr. 8.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NordÖR 2014, 11). Werden in einem Verfahren gegen eine Ausweisung auch die Abschiebungsandrohung oder die Entscheidung über die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots angegriffen, wirkt sich dies nicht streitwerterhöhend aus (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.8.2018 – 11 S 1776/18 –, juris Rn. 20; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 20.9.2016 – 7 B 10406/16 –, juris Rn. 50). Eine Halbierung des Auffangwertes von 5.000,00 Euro kommt hier wegen der mit Entscheidung über die vorzeitige Aufenthaltsbeendigung zumindest teilweise einhergehenden Vorwegnahme der Hauptsache nicht in Betracht.

5. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist nicht begründet.

Prozesskostenhilfe erhält gemäß §§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hier fehlt es aus den vorstehenden Gründen bereits an hinreichenden Erfolgsaussichten.