Landgericht Stade
Beschl. v. 27.12.2006, Az.: 7 T 262/06
Abhängigkeit der Wirksamkeit eines Gebots von der Offenlegung einer Stellvertretung im Versteigerungstermin
Bibliographie
- Gericht
- LG Stade
- Datum
- 27.12.2006
- Aktenzeichen
- 7 T 262/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 39886
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGSTADE:2006:1227.7T262.06.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Otterndorf - 15.11.2006 - AZ: 9a K 19/04
- nachfolgend
- BGH - 19.07.2007 - AZ: V ZB 15/07
Rechtsgrundlagen
- § 81 Abs. 3 ZVG
- § 85a ZVG
- § 100 Abs. 3 ZVG
Verfahrensgegenstand
Das im Grundbuch von ... eingetragene Grundstück lfd. Nr. 2 des Bestandsverzeichnisses
In dem Zwangsversteigerungsverfahren
...
hat die 7. Zivilkammer des Landgerichts Stade
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht Armbrecht,
den Richter am Landgericht Grabowski und
die Richterin Akça
am 27.12.2006
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin gegen den Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts Otterndorf vom 15.11.2006 - in der korrigierten Fassung vom 28.11.2006 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
- 2.
Beschwerdewert: 5.700,- €.
- 3.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Gläubigerin betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung aus Grundschulden, welche auf dem oben genannten Grundbesitz lasten. Mit Beschluss vom 31.03.2004 hat das Amtsgericht Otterndorf auf Antrag der Gläubigerin wegen dieser Grundschulden in Höhe von insgesamt 76.764,59,- € die Zwangsversteigerung angeordnet. Der Verkehrswert des Grundbesitzes wurde festgesetzt auf 190.000,- €. Bei einem ersten Versteigerungstermin am 12.10.2005 erfolgte lediglich ein Gebot, welches durch die Gläubigervertreterin ... abgegeben wurde. Dieses Gebot erging in Höhe von 70.000,- €. Der Zuschlag auf das Gebot wurde wegen Nichterreichens der 5/10-Grenze des §85 a ZVG versagt. Am 22.02.2006 fand ein zweiter Versteigerungstermin statt. Hierbei war die Gläubigerin durch den Gläubigervertreter ... vertreten, die Gläubigervertreterin ... aus dem ersten Termin war nicht anwesend. Bei diesem Termin wurde kein Gebot auf den Grundbesitz abgegeben. Am 08.11.2006 fand schließlich ein dritter Zwangsversteigerungstermin statt. Bei diesem Termin war die Gläubigervertreterin ... erneut anwesend, gab jedoch kein Gebot ab. Es erfolgte hingegen ein Gebot der Ersteherin ... in Höhe von 57.000,- €. Das Amtsgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 15.11.2008 (welcher durch weiteren Beschluss vom 28.11.2006 korrigiert wurde), auf welchen ebenso wie auf den übrigen Akteninhalt zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen wird, der Ersteherin für dieses Gebot den Zuschlag erteilt.
Hiergegen wendet sich die Schuldnerin mit ihrer Beschwerde vom 17.11.2006. Sie trägt vor, die Gläubigervertreterin ... habe bei ihrem Gebot im Termin vom 12.10.2005 keine Erwerbsabsicht gehabt. Das Gebot sei daher als unwirksam zurückzuweisen gewesen. Sie verweist auf die Entscheidung des BGH vom 24.11.2005 - Az. V ZB 98/05 - (NJW 2006, 194 f.).
Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig nach §§11 Absatz 1 RPflG, 95 ff. ZVG, 567 ff. ZPO, insbesondere ist sie fristgerecht eingelegt. In der Sache hat sie indes keinen Erfolg.
Das Amtsgericht hat zu Recht nach §81 ZVG der Ersteherin ... für ihr Gebot in Höhe von 57.000,- € vom 08.11.2006 den Zuschlag erteilt. Die Zuschlagserteilung war auch nicht dadurch gehindert, dass das Gebot nicht die Grenze des hälftigen Grundstückswertes erreicht, da aufgrund von §§85 a Absatz 2, 74 a Absatz 3 ZVG der Zuschlag nicht mehr wegen Nichterreichens dieser Grenze versagt werden durfte.
Dies gilt auch in Anbetracht der Tatsache, dass das Gebot, welches dazu geführt hat, dass die Wirkungen des §85 a Absatz 2 Satz 2 ZVG eingetreten sind, durch die Gläubigervertreterin ... abgegeben worden ist und im weiteren Verlauf weder sie noch ein anderer Gläubigervertreter ein erneutes Gebot abgegeben hat. Nach Auffassung der Kammer ist insoweit die Frage, inwieweit die Gläubigervertreterin bei Abgabe des Gebots einen Erwerbswillen in Bezug auf den zu versteigernden Grundbesitz hatte, nicht zu untersuchen. Bei dem Zwangsvollstreckungsrecht im Allgemeinen sowie dem Zwangsversteigerungsrecht als Unterfall desselben handelt es sich um Verfahrensrecht. Als Mittel zur Verwirklichung materiellen Rechts hat die Zwangsvollstreckung einen ausgeprägt formalen Charakter (vgl. Stöber, ZVG 18. Auflage, Einl. Rn. 4 f.). Sie ist hierdurch an äußerlich erkennbare Tatsachen gebunden (vgl. Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, 11. Auflage, S. 56 f). Auf subjektive Elemente kann es daher im Regelfall nicht ankommen. Hintergrund ist, dass bei der Vollstreckung den Beteiligten Rechtssicherheit gewährleistet werden soll (vgl. Stöber, a.a.O.). Diese Rechtssicherheit ist insbesondere notwendig, um die für den Erfolg des Verfahrens ausschlaggebenden Bietinteressenten nicht durch unvorhersehbare Unwägbarkeiten von ihrer Teilnahme an der Versteigerung abzubringen. Die Verfahrensregeln der Zwangsversteigerung sind darauf ausgerichtet, dass möglichst mehrere Bieter sich beteiligen, um durch die dadurch entstehende Konkurrenz ein möglichst hohes Meistgebot zu erreichen (vgl. Stöber, Einl. Rn. 10; Böttcher, ZVG 1. Auflage, Einl. III, Rn. 3), wovon Gläubiger und Schuldner gleichermaßen profitieren.
Auch die von der Schuldnerin zitierte Entscheidung des BGH trägt dem formalen Charakter des Zwangsversteigerungsrechts Rechnung. Denn dort wird festgestellt, dass ein Gebot, welches lediglich abgegeben wird, um in einem weiteren Termin einen günstigeren Erwerb zu ermöglichen, weder ein Scheingebot darstellt noch als rechtsmissbräuchlich einzustufen ist, da der Bieter insoweit lediglich eine von dem Gesetz eröffnete Möglichkeit wahrnimmt. Soweit im Weiteren dahingehend differenziert wird, inwiefern der jeweilige Bieter an dem Erwerb des Grundstücks tatsächlich interessiert ist, vermag die Kammer sich dieser Überlegung wegen des oben dargestellten Charakters des Zwangsvollstreckungs- und Zwangsversteigerungsverfahrens nicht anzuschließen. Nach verbreiteter Ansicht (OLG Koblenz, Rpfleger 1999, 407 [408]; Stöber, §71 Rn. 2.9; Steiner-Storz, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung 11. Auflage, §81 Rn. 53) kann niemand in einem Versteigerungstermin angehalten werden, seine tatsächlichen Absichten offen zu legen. Dieser Gedanke findet auch im Gesetz seinen Niederschlag, indem in §81 Absatz 3 ZVG klargestellt wird, dass die Wirksamkeit eines Gebots nicht davon abhängig ist, dass ein Bieter, welcher als Stellvertreter für einen anderen auftritt, diese Stellvertretung im Versteigerungstermin angibt. Auch wenn die bei den Gläubigervertretern in Vordergrund gerückte Frage der Erwerbsabsicht freilich nicht der einer Stellvertretung entspricht, muss der Gedanke hier gleichermaßen gelten. Auch Gläubigervertreter können nicht gezwungen sein, ihre Interessen und Absichten hinsichtlich eines von ihnen abgegebenen Gebots zu erklären. Aus tatrichterlicher Sicht ergibt sich daher in Bezug auf die durch die Beschwerde und in der genannten Entscheidung problematisierte Frage der Erwerbsabsicht eines Bieters keine Möglichkeit der Wahrheitsfindung (vgl. LG Detmold, Rpfleger 2006, 491 [492]; Hintzen, Rpfleger 2006, 145 [146]). Hinzu kommt, dass das Vollstreckungsverfahren für die Durchführung von Beweisaufnahmen zur Klärung materiell-rechtlicher Fragen grundsätzlich wenig geeignet erscheint. Es ist seinem Wesen nach auf Zugriff, nicht auf Verhandlung angelegt und daher - wie auch das Anhörungsverbot des §834 ZPO zeigt - nicht kontradiktorisch ausgestaltet (vgl. BGH, Rpfleger 1990, 246 [BGH 30.11.1989 - III ZR 215/88] [247]).
Im Übrigen ist zu befürchten, dass eine Überprüfbarkeit der Erwerbsabsichten eines Bieters zu wesentlichen Verfahrensverzögerungen und -erschwerungen führen würde. Dies erscheint nach Auffassung der Kammer ebenfalls nicht mit dem formalisierten, auf Befriedigung des Gläubigers und Entschuldung des Schuldners ausgerichteten Verfahren der Zwangsversteigerung vereinbar. Mit derartigen Erschwerungen ist schon deswegen zu rechnen, als die Indizien, welche für oder gegen eine Erwerbsabsicht sprechen könnten, regelmäßig erst im weiteren Verfahrensablauf sichtbar werden. Dies war auch in dem von dem BGH in seiner benannten Entscheidung überprüften Verfahren der Fall. So war die Erwerbsabsicht unter anderem wegen des Verhaltens des dortigen Gläubigervertreters in den folgenden Versteigerungsterminen in Frage zu stellen. Derartige Indizien stehen dem Versteigerungsgericht sowie den Beteiligten zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Zuschlagsversagung wegen §§85 a Absatz 2, 74 a Absatz 3 ZVG jedoch nicht zur Verfügung. Die an einem zu versteigernden Grundbesitz interessierten, potentiellen Bieter, welche nicht bereits an einem vorangegangenen Versteigerungstermin selbst mitgeboten haben, würden sich daher regelmäßig einem erheblichen Risiko aussetzen. Aus Sicht der Bieter besteht die Gefahr, dass auch nach Abgabe eines Gebots das Verfahren sich aufgrund einer später vorgebrachten Rüge eines vorangegangenen Gebots unvorhersehbar verzögern oder - soweit man davon ausgeht, dass eine Erwerbsabsicht doch tatrichterlich überprüfbar sei - noch scheitern kann. Eine solche Rüge wäre auch nicht ausschließlich bei Geboten von Gläubigervertretern zu erwarten, sondern auch bei Geboten sonstiger Personen, welche eventuell im Lauf des Verfahrens ihr Interesse verlören und deswegen an späteren Terminen nicht mehr teilnähmen. Unter anderem in Anbetracht der im Versteigerungstermin regelmäßig zu erbringenden Sicherheitsleistung auf ein erhobenes Gebot wäre dann zu erwarten, dass sich weitaus weniger Bieter für Objekte in der Zwangsversteigerung interessieren und an einer Versteigerung teilnehmen. Diese Folge aber steht in Widerspruch zu der eigentlichen Ausrichtung des Zwangsversteigerungsrechts.
Daneben war gemäß §100 Absatz 3 ZVG zu prüfen, ob Versagungsgrunde nach §83 Nr. 6 und Nr. 7 ZVG vorliegen. Ein Versagungsgrund nach §83 Nr. 7 ZVG ist nicht gegeben, da die Vorschriften der §§43 Absatz 1 und 73 Absatz 1 ZVG berücksichtigt worden sind, wie sich aus der Akte ergibt. Auch ein sonstiger Grund nach §83 Nr. 6 ZVG ist nicht ersichtlich.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §97 Absatz 1 ZPO. Der Beschwerdewert beruht auf §3 ZPO und entspricht nach ständiger Rechtsprechung der Kammer einem Betrag in Höhe von 10 % des Meistgebots.
IV.
Die Rechtsbeschwerde war zuzulassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat, §574 Absatz 3 Satz 1, Absatz 2 Nr. 1 ZPO.
Grabowski ist urlaubsbedingt daran gehindert, den Beschluss zu unterschreiben Armbrecht
Akça