Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 11.07.2008, Az.: 11 A 4000/06

Betriebsprämie; Bestandsregister; Betriebsprämie; Cross-Compliance; neuster Stand; Rinder; Sanktion; unverzüglich

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
11.07.2008
Aktenzeichen
11 A 4000/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 45465
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2008:0711.11A4000.06.0A

Amtlicher Leitsatz

Nutzt ein Betriebsinhaber die HI-Tier-Datenbank auch zur Online-Führung seines Bestandsregisters, gilt hierfür die Verpflichtung, das Register auf dem neusten Stand zu halten bzw. die Eintragung unverzüglich vorzunehmen. Die Einhaltung der 7-Tages-Frist für die Meldung von Bestandsveränderungen an die zuständige Behörde genügt diesen Anforderungen regelmäßig nicht.

Verstoß gegen Cross-Compliance-Vorschriften (hier: Führung des Bestandsregisters Rinder)

Tenor:

  1. Die Klage wird abgewiesen.

  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

  3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Kürzung der Betriebsprämie für das Jahr 2005 wegen Verstoßes gegen Cross-Compliance-Vorschriften.

2

Die Klägerin ist eine Familien-GbR und betreibt einen landwirtschaftlichen Betrieb mit Rinderhaltung in D.. Am 23.03.2005 kontrollierte der Prüfdienst der Beklagten die Rindviehbestände des klägerischen Betriebs. Gegenstand der Kontrolle war neben der Antragstellung auf Schlachtprämie aus dem Jahr 2004 die Einhaltung der Rinder-Registrierbestimmungen. Dabei wurde festgestellt, dass zwei Kühe, die am 16.03.2005 den Betrieb der Klägerin verlassen hatten, einen Tag vor der Kontrolle bei der HI-Tier-Datenbank abgemeldet wurden. Die Klägerin nutzt diese Online-Datenbank auch zur Führung des eigenen Bestandsregisters.

3

Auf den Antrag auf Zuweisung von Zahlungsansprüchen und Sammelantrag Agrarförderung und Agrarumweltmaßnahmen 2005 vom 17.05.2005 gewährte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 31.05.2006 eine Betriebsprämie in Höhe von 6 691,71 EUR zusätzlich zur bereits gewährten Teilzahlung von 33 044,82 EUR. Ausweislich der Anlage 4 zu dem Bescheid kürzte die Beklagte den Beihilfebetrag um 401,38 EUR wegen Verstoßes gegen Cross-Compliance-Vorschriften. Aus Anlage 6 zum Bescheid ergibt sich als Begründung eine Kürzung um 1 % wegen Verstoßes gegen die Vorschriften zur Tierkennzeichnung Rind.

4

Die Klägerin hat am 28.06.2006 Klage erhoben. Sie macht geltend, den Abgang der beiden Kühe fristgerecht gemeldet zu haben. § 24g Viehverkehrsverordnung sehe die Verpflichtung vor, jede Veränderung des Rinderbestandes der zuständigen Behörde innerhalb von sieben Tagen anzuzeigen. Diese Frist habe sie mit der Meldung am 6. Tag nach dem Abgang der Tiere eingehalten.

5

Die Klägerin beantragt,

  1. die Beklagte zu verpflichten, die im Bescheid vom 31.05.2006 ausgesprochene Sanktion wegen Verstoßes gegen die Cross-Compliance-Vorschriften aufzuheben und die vorenthaltene weitere Betriebsprämie von 401,38 EUR zu gewähren.

6

Die Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen

7

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

9

Die Kürzung der Betriebsprämie für das Jahr 2005 um 1 % des Prämienbetrages wegen Verstoßes gegen die Rinderkennzeichnung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Bescheid vom 31.05.2006 ist insoweit rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

10

Seit dem Jahr 2005 wird die landwirtschaftliche Betriebsprämie im Rahmen der einheitlichen Betriebsprämienregelung nach den Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 des Rates vom 29. September 2003 mit gemeinsamen Regeln für Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik und mit bestimmten Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe (ABl. L 270, S. 1) mit den Durchführungsverordnungen der Kommission zur Betriebsprämienregelung in der Verordnung (EG) Nr. 795/2004 vom 21. April 2004 (ABl. L 141, S. 1) und zur Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen, zur Modulation und zum Integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem in der Verordnung (EG) Nr. 796/2004 vom 21. April 2004 (ABl. L 141, S. 18) sowie nach den nationalen Durchführungsverordnungen gewährt.

11

Rechtsgrundlage für die Kürzung der Betriebsprämie wegen Verstoßes gegen Cross-Compliance-Vorschriften ist Art. 6 VO (EG) Nr. 1782/23003 i.V.m. Art. 65 ff. VO (EG) Nr. 796/2004. Nach Art. 6 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1782/2003 wird der Gesamtbetrag der Betriebsprämie gekürzt oder ausgeschlossen, wenn die Grundanforderungen an die Betriebsführung oder der gute landwirtschaftliche und ökologische Zustand aufgrund einer unmittelbar dem einzelnen Betriebsinhaber zuzuschreibenden Handlung oder Unterlassung nicht erfüllt werden. Zu den einzuhaltenden Grundanforderungen gehören nach Art. 4 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1782/2003 i.V.m. Nr. 8 des Anhangs III zur VO (EG) Nr. 1782/2003 auch die Vorschriften über die Kennzeichnung und Registrierung von Tieren gemäß den Artikeln 4 und 7 der Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juli 2000 zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern und über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindgleicherzeugnissen (ABl. L 204, S. 1). Nach Art. 7 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1760/2000 hat ein Halter von Rindern ein Bestandsregister auf dem neuesten Stand zu halten. § 24i Abs. 1 Satz 2 der Verordnung zum Schutz gegen die Verschleppung von Tierseuchen im Viehverkehr (Viehverkehrsverordnung - ViehVerkV) i.d.F. vom 24.03.2003 konkretisiert den unbestimmten Rechtsbegriff des "neusten Standes" dahingehend, dass die Eintragung jedes im Bestand vorhandenen Rindes "unverzüglich" vorzunehmen ist. Das gilt nach Ziff. 7 auch für den Abgang eines Tieres. Die Vorschrift ist auf den vorliegenden Sachverhalt anzuwenden, weil die Klägerin die HI-Tier-Datenbank nicht nur für Meldungen an die Beklagte nach § 24g ViehVerkV nutzt, sondern als Online-Bestandsregister, d.h. in automatisierter Form nach § 24i Abs. 2 ViehVerkV. Hinsichtlich der Funktion als Bestandsregister ist auf die Führung der HI-Tier-Datenbank § 24i Abs. 1 ViehVerkV anwendbar.

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Der zeitliche Vorgabe von Art. 7 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1760/2000 i.V.m. § 24i Abs. 1 ViehVerkV wird die Änderungsmeldung durch die Klägerin hinsichtlich des Abgangs der beiden Kühe am 16.03.2003 aus dem klägerischen Betrieb nicht gerecht.

13

Der unbestimmte Rechtsbegriff "unverzüglich" bedeutet nach der Legaldefinition in § 121 Abs. 1 BGB, die auch im Verwaltungsgericht gilt (vgl. nur BVerwG, Urt. v. 25.08.2005 - 7 C 25.04 - BVerwGE 124, 156 ff.[BVerwG 25.08.2005 - 7 C 25.04]; Urt. v. 27.04.2005 - 8 C 8.04 - NVwZ 2005, 1085 [BVerwG 27.04.2005 - BVerwG 8 C 8/04]), "ohne schuldhaftes Zögern". Die Unterscheidung zwischen der 7-Tages-Frist des § 24g ViehVerkV und der unverzüglichen Meldung verdeutlicht darüber hinaus, dass zwischen beiden Fristen ein qualitativer Unterschied liegt und die letztgenannte Frist grundsätzlich deutlich kürzer als sieben Tage sein muss.

14

Es kann vorliegend dahinstehen, ob unter "unverzüglich" eine Frist von drei Tagen zu verstehen ist, wie die Beklagte mit Hinweis auf die frühere Regelung des Art. 14 VO (EWG) Nr. 3886/92 meint. Jedenfalls genügt im vorliegenden Einzelfall eine Meldung nach sechs Tagen nicht mehr den Anforderungen des § 24i ViehVerkV. Gründe, aus denen hier die Meldung nach sechs Tagen noch als unverzügliche zu werten wäre, sind nicht ersichtlich. Die Klägerin kann sich insbesondere nicht darauf berufen, nicht schuldhaft mit der Eintragung gezögert zu haben, weil sie die Doppelfunktion der HI-Tier als behördliches Register und als Bestandsregister nicht gekannt habe. Sie hat unstreitig die Funktion der HI-Tier-Datenbank zur Führung und zum Ausdruck eines Bestandsregisters genutzt. Dass sie sich hierbei nicht klar gemacht hat, hinsichtlich derselben Datenbank bei der Führung des Bestandsregisters anderen Fristen zu unterliegen als bei der Meldung an die Beklagte, entlastet sie nicht. Denn die Klägerin hätte diesen Rechtsirrtum mit der gebotenen Sorgfalt vermeiden können. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass bereits seit Inkrafttreten der Richtlinie 92/102/EWG des Rates vom 27. November 1992 über die Kennzeichnung und Registrierung von Tieren (ABl. L 355, S. 32) jeder Halter von Rindern ein Register zu führen hat, das die Anzahl der in seinem Betrieb vorhandenen Tiere angibt und eine stets auf dem neuesten Stand zu haltende Übersicht über die bei diesen Tieren zu verzeichnenden Geburten, Todesfälle und Bewegungen umfasst (Art. 4 Abs. 1 RL 92/102/EWG). Eine entsprechende Regelung findet sich auch in der Verordnung (EG) Nr. 820/97 des Rates vom 21. April 1997 zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern und über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen (ABl. L. 117, S. 1), die die Registrierung von Rindern neu regelte, dort in Art. 7 Abs. 4.

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Die Beklagte hat auch von dem ihr eingeräumten Ermessen nach Art. 66 Abs. 1 Unterabsatz 2 VO (EG) Nr. 796/2004 in nicht zu beanstandender Weise Gebrauch gemacht, indem sie die Sanktion auf den geringstmöglichen Umfang von 1 % herabgesetzt hat. Damit hat sie im Rahmen ihrer Ermessensausübung dem Umstand Rechnung getragen, dass die Klägerin aufgrund der unterschiedlichen Anforderungen der §§ 24g und i ViehVerkV auf der einen und der Doppelfunktion der HI-Tier-Datenbank auf der anderen Seite möglicherweise überfordert war und ihr die Fristregelung des § 24i Abs. 1 ViehVerkV aus dem Blick geraten war. Die Möglichkeit, auf eine Sanktion zu verzichten, stand der Beklagten nicht zu. Insbesondere lässt Art. 7 VO (EG) Nr. 1760/2000 keinen Ermessensspielraum zu, eine festgestellte Nichteinhaltung nicht weiter zu verfolgen; ein Ausnahmetatbestand nach Art. 48 Abs. 1 lit. c Satz 2 VO (EG) Nr. 796/2004 liegt damit nicht vor.

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Nach alledem ist die Kürzung rechtlich nicht zu beanstanden.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.