Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 13.02.2001, Az.: 14 U 146/00
Bemessung eines Schmerzensgeldes für die aufgrund eines Verkehrsunfalls erlittenen Verletzung unter Berücksichtigung der Ausgleichsfunktion; Bezifferung der Höhe des Schmerzensgeldes in Anbetracht der gesundheitlichen Folgen und deren Auswirkung auf das berufliche und private Leben der Geschädigten
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 13.02.2001
- Aktenzeichen
- 14 U 146/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 30212
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2001:0213.14U146.00.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Verden - 09.05.2000 - AZ: 5 O 319/98
Rechtsgrundlage
- § 5 Abs. 2 StVO
In dem Rechtsstreit
hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 13. Februar 2001
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Amtsgericht ...
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Verden vom 9. Mai 2000 dahin abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin über das ausgeurteilte Schmerzensgeld hinaus weitere 10.000 DM nebst 4% Zinsen seit dem 25. August 1998 zu zahlen.
Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.
- 2.
Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin 22% und die Beklagte 78%.
- 3.
Die Kosten der Berufung werden der Klägerin zu 63% und der Beklagten zu 37% auferlegt.
- 4.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
- 5.
Beschwer der Klägerin: 17.000 DM Beschwer der Beklagten: 10.000 DM.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin, mit der sie einen Anspruch auf Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes von 27.000.- DM wegen eines von einem Versicherungsnehmer der Beklagten verursachten Verkehrsunfall geltend macht, ist nur teilweise begründet. Unter Berücksichtigung der bei Schluss der mündlichen Verhandlung feststellbaren Umstände und Folgen des Unfalls, sowie der zögerlichen Schmerzensgeldzahlung durch die Beklagte erachtet der Senat ein Schmerzensgeld von insgesamt 90.000 DM für angemessen. Da die Beklagte bereits 50.000 DM gezahlt hat, war der Klägerin über die bereits vom Landgericht zuerkannten 30.000.- DM ein weiteres Schmerzensgeld in einer Höhe von 10.000 DM zuzuerkennen.
I.
Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes hat das Landgericht im Rahmen der Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes den Umfang der durch den Unfall erlittenen Verletzungen, die Belastungen durch die unfallbedingt notwendigen, medizinischen Behandlungen und die gesundheitlichen Dauerfolgen der Verletzungen berücksichtigt. Hierzu ist nochmals Folgendes hervorzuheben:
1.
Ausweislich des fachröntgenologischen Gutachtens von Dr. ... vom 30. Oktober 1996 erlitt die Klägerin durch den Unfall eine Fraktur des linken Schienbeinkopfes, sowie Verrenkungen und Frakturen mit Trümmerzone im linken Fußwurzel- und Mittelfußbereich.
2.
Die Klägerin musste vom 27. September bis 8. November 1995, vom 21. Mai bis 29. Mai 1996 und vom 20. März bis 4. April 1997 stationär in einer Klinik behandelt werden. An den letzten Klinikaufenthalt schloss sich dann noch eine dreiwöchige Anschlussbehandlung in der Reha-Klinik ... an. Im Rahmen dieser Behandlungen musste sich die Klägerin vier Operationen unterziehen und sich u.a. auch eine Kniegelenkprothese einsetzen lassen.
3.
Ausweislich des Gutachtens des Sachverständigen Dr. ... verblieben folgende erhebliche gesundheitliche Dauerfolgen:
- 1.
Posttraumatische Fehlstellung des Fußes mit Abflachung des Fußgewölbes,
- 2.
posttraumatische Mittelfußarthrose mit Wackelsteifigkeit im unteren Sprunggelenk und gestörter Fußabwicklung,
- 3.
Funktionsstörung des linken oberen Sprunggelenkes,
- 4.
Umfangvermehrung des linken Unterschenkels einschließlich Fußes bei Schwellneigung und dystrophischen Weichteilveränderungen nach Kompartementsyndrom am linken Fuß,
- 5.
Zustand nach Totalendoprothese des linken Kniegelenks mit Streck- und Beugedefizit bei posttraumatischer Gonarthrose,
- 6.
Beinverlängerung links von 1,8 bis 2 cm,
- 7.
Motorische Imbalance der Becken-Bein-Muskulatur links,
- 8.
Narben am linken Bein.
Diese Schädigungen haben zu einem erhebliches Streck- und Beugedefizit des linken Kniegelenks und einer starken Bewegungseinschränkung des linken Fußes geführt. Der gesundheitliche Zustand des unfallgeschädigten Knies der Klägerin hat sich ausweislich des ärztlichen Zeugnisses des Oberarztes ... vom 3. Januar 2001 durch eine Verlagerung der Kniescheibe und weitere Knorpelschäden nunmehr erheblich verschlechtert. Nur eine erneute Operation könnte diese Verschlechterung möglicherweise beheben.
4.
Die gesundheitlichen Unfallfolgen haben sich auf das Leben der Klägerin erheblich nachteilig ausgewirkt. In diesem Zusammenhang hat das Landgericht zu Recht die Frage offen gelassen, wie hoch die Erwerbsfähigkeit der Klägerin prozentual eingeschränkt worden ist. Eine derartige Bezifferung ist für die Höhe des Schmerzensgeldes nicht ausschlaggebend. Vielmehr stellt der Umfang der gesundheitlichen Folgen selbst und deren Auswirkung auf das berufliche und private Leben der Geschädigten die Grundlage der Entscheidung über die Höhe eines Schmerzensgeldes dar. Die gravierendsten Veränderungen werden durch die erheblich geringere Belastbarkeit und Beweglichkeit des linken Beines hervorgerufen. So war die Klägerin ausweislich des Gutachtens des Dr. ... schon bei Wegen von mehr als 100 m grundsätzlich auf die Nutzung von Unterarmgehstützen angewiesen. Auch treten schon bei relativ geringen Belastungen des Beines oder des Fußes schmerzhafte Beschwerden auf. Der Sachverständige hat überzeugend ausgeführt, dass diese Einschränkungen so erheblich sind, dass eine Berufsausübung oder eine Arbeit als ländliche Haushälterin ohne den ständigen Rückgriff auf Gehhilfen nicht möglich sei. Zudem müsse die Klägerin aufgrund der geringen Belastbarkeit des Beines häufig Pausen einlegen und sei dadurch schon im Rahmen einfacher Bewegungen erheblich eingeschränkt. Ausweislich des ärztlichen Zeugnisses des Oberarztes ... vom 3. Januar 2001 haben sich diese Beschwerden nun derart verschlimmert, dass die Klägerin dauernd auf die Nutzung von Unterarmgehstützen angewiesen ist. Welche Nachteile damit verbunden sind, ist offensichtlich und bedarf daher keiner Darlegung.
Die Klägerin kann aufgrund der gesundheitlichen Dauerfolgen keinen sportlichen Aktivitäten mehr nachgehen. Sie kann insbesondere nicht mehr schwimmen oder joggen, was ausweislich der Aussage ihres Ehemannes früher regelmäßig der Fall gewesen ist. Sie kann nicht mehr tanzen, was sie vor dem Unfall mit Freude getan hatte. Des Weiteren ist ihre Leistungsfähigkeit im Rahmen der Versorgung des Haushaltes erheblich eingeschränkt. Für den Rest ihres Lebens muss die Klägerin orthopädische Schuhe tragen, was für eine Frau ihres Alters erheblich belastend ist. Sie ist auch in ihren Möglichkeiten eines sozialen Engagements erheblich eingeschränkt. So kann sie z.B. ihre früher ausgeübte ehrenamtliche Tätigkeit im Rahmen der Aktion Essen auf Rädern nicht mehr weiter ausführen.
5.
Soweit die Klägerin ausgeführt hat, dass wegen ihrer Verletzungen die Rinderzucht aufgegeben werden musste, hat dies das Landgericht zu Recht im Rahmen der Bemessung des Schmerzensgeldes nicht berücksichtigt, weil ein insoweit möglicherweise eingetretener materieller Schaden als selbstständiger Schadensersatzanspruch gemäß §§ 843, 845 BGB wahrzunehmen wäre.
6.
Erheblich schmerzensgelderhöhend sind dagegen die im Bereich des linken Beines und Fußes vorhandenen Narben zu berücksichtigen. Sie hindern die Klägerin Röcke oder Kleider zu tragen. Dies stellt ein erhebliche Schmälerung des eigenen Selbstwertgefühls dar.
II.
Weiter war die für die Klägerin durch die mühselige und langwierige Schadenregulierung der Beklagten verbundene Belastung mit zu berücksichtigen (Geigel-Kolb, Der Haftpflichtprozess, 22. Aufl., Kap. 7 Rn. 50 m.w.N.). Bis zum Einsatz der Prothese hatte die Beklagte eine Summe von insgesamt 17.000 DM gezahlt. Diese Summe mag der Beklagten noch angemessen erschienen sein, weil offen war, inwieweit sich der gesundheitliche Zustand der Klägerin verbessern würde, nachdem die Rotationskniegelenksendoprothese eingesetzt worden war. Mit Schreiben vom 6. April 1998 teilte der Oberarzt ... der Endoklinik in ... der Beklagten aber mit, dass weiterhin trotz Einsatzes der Rotationsknieendoprothese eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 50% vorliegen würde. Hinsichtlich der Fußwurzel bzw. des oberen Sprunggelenkes sei eine Veränderung in positiver Hinsicht nicht mehr zu erwarten. Es sei zwar noch abzuwarten, inwieweit eine Konsolidierung der Umbauvorgänge im linken Kniegelenk erfolgen würde, jedoch machte der Oberarzt ... deutlich, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit trotzdem voraussichtlich auf Dauer vorliegen werde. Auch schilderte er detailliert die Beschwerdesymptomatik. Trotzdem zahlte die Beklagte erst lange nach Klagerhebung 1999 ein weiteres Schmerzensgeld von 33.000 DM, ohne dass sie dafür weitere Nachweise für erforderlich hielt. Es bestand für die Beklagte kein Grund, mit der weiteren Zahlung so lange zu warten.
III.
Im Rahmen der Genugtuungsfunktion hat der Senat weiterhin berücksichtigt, dass dem Versicherungsnehmer der Beklagten ein grob fahrlässiges Verschulden an dem Unfall traf. Indem er den Sattelzug mit Anhänger in einer lang gezogenen Rechtskurve bei leichtem Nieselregen überholte, obwohl die Gegenfahrbahn nur schlecht einsehbar war, verstieß er in besonders schwerer Weise gegen die Vorschrift des § 5 Abs. 2 StVO. Soweit die Beklagte vorträgt, er habe geglaubt, er könne die Strecke ausreichend einsehen, enthebt ihn dies nur von dem Vorwurf des bedingten Vorsatzes.
IV.
Als Vergleichsrechtsprechung ist auf die Fälle 2061, 2081 und 2117 der Schmerzensgeldtabelle von Hacks/Ring/Böhm, 19. Aufl., zu verweisen.
V.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 713, 546 Abs. 2 S. 1 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Beschwer der Klägerin: 17.000 DM Beschwer der Beklagten: 10.000 DM.