Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 28.04.2005, Az.: 2 A 377/04

Einkommen; Hilfe zum Lebensunterhalt; Versicherungsbeiträge

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
28.04.2005
Aktenzeichen
2 A 377/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 50707
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zu den Voraussetzungen, unter denen Beiträge zu einer Kfz-Haftpflichtersicherung und einer Unfallversicherung im Rahmen der Berechnung der Hilfe zum Lebensunterhalt vom Einkommen abzusetzen sind.

Tatbestand:

1

Die Beteiligten streiten um die Höhe der den Klägerinnen zustehenden laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt.

2

Die 1989 und 1991 geborenen Klägerinnen wohnen zusammen mit ihrer 1960 geborenen Mutter C. B., welche Rechtswissenschaften studiert und sich zur Zeit im ersten Staatsexamen befindet. C. B. hat zwei weitere, im Jahr 1978 geborene Töchter aus erster Ehe, die ebenfalls in E. leben und seelisch wesentlich behindert sind. Sie bestreitet ihren Lebensunterhalt aus Wohngeld, BAföG-Leistungen und Kindergeld.

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Den am 08.01.2003 für die Klägerinnen gestellten Antrag auf Gewährung von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt lehnte die namens und im Auftrag des Beklagten handelnde Stadt E. zunächst u. a. deswegen ab, weil ihre Mutter Eigentümerin eines Pkw war, dessen Wert höher war als der Freibetrag gem. § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG. In dem Beschluss vom 16.10.2003 - 12 ME 342/03 - führt das OVG Lüneburg dazu folgendes aus:

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Es spricht jedoch Überwiegendes dafür, dass der Einsatz des Pkw VW-Golf, der nach der in dem Verwaltungsvorgang des Antragsgegners befindlichen sachverständigen Fahrzeugbewertung vom 25. Februar 2003 vor nunmehr sieben Monaten noch einen Zeitwert von 2.700,00 € hatte, für die Mutter der Antragstellerinnen nach den in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannten Maßstäben (vgl. dazu m.w.N.: Brühl, in: LKP-BSHG, a.a.O., § 88, Rn. 71 ff.) eine Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG darstellen würde. Nach den den Senat überzeugenden Ausführungen der Antragstellerinnen dürfte eine Verwertung des Pkw für ihre Mutter nach den Besonderheiten ihrer konkreten Lebenssituation zu einem Ergebnis führen, das den in § 88 Abs. 2 BSHG zu Ausdruck gelangenden Leitvorstellungen nicht entspräche. Die Mutter der Antragstellerinnen bemüht sich - nach den vorgelegten absolvierten Scheinen erfolgversprechend - um einen Abschluss ihres Studiums der Rechtswissenschaft, das sie nach ihrer gescheiterten zweiten Ehe wieder aufgenommen hat, um sich und den Antragstellerinnen eine eigenständige Lebensgrundlage zu schaffen. Sie erzieht dabei die Antragstellerinnen, die zusammen mit ihr in einem Haushalt leben, allein. Darüber hinaus erscheint es durchaus nachvollziehbar, dass die Mutter der Antragstellerinnen ständig um die gesundheitliche Situation ihrer beiden 25 Jahre alten Zwillingstöchter aus erster Ehe besorgt sein muss. Aus den von den Antragstellerinnen vorgelegten Stellungnahmen und Bescheinigungen von Ärzten und Einrichtungen ergibt sich, dass die beiden volljährigen Töchter der Mutter der Antragstellerinnen bis in die jüngere Vergangenheit hinein auf Grund psychischer Störungen, die in ihren Folgen bis zu einer Gefährdung der Selbstversorgung reichten, der medizinischen Behandlung und sozialen Rehabilitation bedurften. Es leuchtet deshalb ein, dass die volljährigen Schwestern der Antragstellerinnen auch derzeit und trotz des Bezuges jeweils eigener Wohnungen noch eine intensive Fürsorge durch ihre Mutter als enger Bezugsperson benötigen, die diese wiederum in einer angesichts ihrer übrigen Belastungen zumutbaren Weise nur dann leisten kann, wenn sie über die erforderliche - durch ihren Pkw gewährleistete - Mobilität verfügt.

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Daraufhin gewährte die Stadt E. den Klägerinnen mit Bescheid vom 24.11.2003 rückwirkend ab 08.01.2003 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt, die auf den Widerspruch der Klägerinnen vom 22.12.2003 mit Bescheiden vom 21.01.2004 und vom 05.03.2004 jeweils betragsmäßig erhöht wurde. Soweit dem Widerspruch damit nicht abgeholfen war, wies der Beklagte ihn mit Widerspruchsbescheiden vom 14.06.2004 und vom 01.11.2004 als unbegründet zurück. Mit Bescheid vom 01.12.2004 gewährte die Stadt E. den Klägerinnen nochmals erhöhte Sozialhilfeleistungen für den Zeitraum vom 08.01.2003 bis zum 31.12.2004.

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Die Klägerinnen haben am 16.07.2004 (2 A 255/04) und am 15.11.2004 (2 A 377/04) Klage erhoben. Das Gericht hat beide Verfahren in der mündlichen Verhandlung zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. Die Klägerinnen sind der Auffassung, die ihnen für die Jahre 2003 und 2004 zustehende laufende Hilfe zum Lebensunterhalt sei nochmals um Beiträge zur Unfallversicherung und zur Kfz-Haftpflichtversicherung sowie um zu zahlende Kfz-Steuern, die jeweils das sozialhilferechtlich zu berücksichtigende Einkommen ihrer Mutter vermindere, zu erhöhen.

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Sie beantragen deshalb,

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den Beklagten unter entsprechender Änderung der Bescheide der Stadt E. vom 24.11.2003 und 01.12.2004 sowie seines Widerspruchsbescheides vom 01.11.2004 zu verpflichten, den Klägern für den Zeitraum vom 08.01.2003 bis zum 31.12.2004 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt mit der Maßgabe zu gewähren, dass von dem einzusetzenden Einkommen ihrer Mutter Beiträge zur Unfallversicherung für den gesamten Zeitraum sowie zur Kfz-Haftpflichtversicherung und Kfz-Steuern bis zum 31.10.2004 abgesetzt werden.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen,

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hilfsweise, die Berufung zuzulassen.

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Er ist der Auffassung, die nunmehr von den Klägerinnen noch geltend gemachten Aufwendungen ihrer Mutter seien nicht angemessen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, auf die Verwaltungsvorgänge der Stadt E. und auf den Inhalt der Gerichtsakten 2 B 225/03 und 2 A 409/03 des erkennenden Gerichts Bezug genommen. Die Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig und im wesentlichen begründet. Die Klägerinnen können verlangen, dass die ihnen zustehende laufende Hilfe zum Lebensunterhalt um die Aufwendungen ihrer Mutter für Unfall- und Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsbeiträge erhöht wird.

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Da die minderjährigen Klägerinnen ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem aus ihrem Einkommen und Vermögen, beschaffen können, ist ihnen Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren (§ 11 Abs. 1 S. 1 BSHG - in der bis zum 31.12.2004 geltenden Gesetzesfassung). Ihre Rechtswissenschaften studierende Mutter, mit denen sie in Haushaltsgemeinschaft leben, ist gem. § 26 Abs. 1 BSHG als Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, von der Hilfegewährung ausgeschlossen. Allerdings ist bei der Berechnung der Höhe der den Klägerinnen zustehenden Leistungen ihr Einkommen in sinngemäßer Anwendung von § 11 Abs. 1 S. 2 BSHG insoweit zu berücksichtigen, als die Beträge, die ihren eigenen - fiktiven - sozialhilferechtlichen Bedarf übersteigen, den Antragstellerinnen als Einkommen zugerechnet werden - mit der Folge, dass deren Bedarf in entsprechender Höhe vermindert wird. Bei dieser Berechnung ist das Kindergeld, welches für die Antragstellerinnen gewährt wird, in dem Umfange ihrer Mutter als Einkommen zuzurechnen, als sie es benötigt, um ihren eigenen Lebensunterhalt sicherzustellen (BVerwG, Urteil vom 17.12.2003 - 5 C 25.02 - NJW 2004, S. 2541; OVG Lüneburg, Urteil vom 30.09.2004 - 12 LC 144/04 -). Über all dieses besteht zwischen den Prozessbeteiligten Einvernehmen. Streitig ist zwischen ihnen lediglich, in welchem Umfange Aufwendungen der Mutter der Klägerinnen von deren Einkommen in Anwendung von § 76 Abs. 2 BSHG abzusetzen sind - mit der Folge, dass sich der Bedarf der Antragstellerinnen entsprechend erhöhen würde.

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Nach § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG sind u. a. Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind, vom Einkommen abzusetzen. Das Gericht ist der Auffassung, dass dies im vorliegenden Fall zu geschehen hat, soweit es um Beiträge der Mutter der Klägerinnen zu ihrer Kraftfahrzeughaftpflicht- und zu ihrer Unfallversicherung geht.

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Die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung ist eine - wie der Name schon sagt - Pflichtversicherung im Sinne von § 1 des Pflichtversicherungsgesetzes vom 05.04.1965 (BGBl. I S. 213), zuletzt geändert durch Gesetz vom 25.11.2003 (BGBl. I S. 2304). Deren Beiträge sind im Sozialhilferecht einkommensmindernd zu berücksichtigen, wenn das Kraftfahrzeug, für das sie entrichtet werden, zu einem sozialhilferechtlich anerkannten Zweck gehalten wird (OVG Lüneburg, Beschluss vom 15.12.1988 - 4 B 373/88 - FEVS 39, S. 419), d. h., wenn dem Hilfebedürftigen - respektive der Person, deren Einkommen im Sinne von § 11 Abs. 1 S. 2 BSHG zu berücksichtigen ist - die Veräußerung des Fahrzeugs sozialhilferechtlich nicht zugemutet wird (zu dieser Fallgestaltung hat sich das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 04.06.1981 - 5 C 12.80 - BVerwGE 62, S. 261 nicht geäußert). Das Gericht folgt der Auffassung des OVG Lüneburg in seinem Beschluss vom 16.10.2003 (a.a.O.), die in dem Tatbestand dieses Urteils wiedergegeben wird. Die Mutter der Klägerinnen hat in dem folgenden Verfahren näher ausgeführt, in welchem Umfang sie sich - neben ihrem Studium der Rechtswissenschaften, in dem sie bisher glänzende Leistungen erbracht hat, und der Erziehung der Klägerinnen - um ihre beiden älteren seelisch schwer behinderten Töchter gekümmert hat und dass sie insoweit erst eine wirksame Entlastung erhalten hat, nachdem die Stadt E. - durch Bescheide vom 07.09.2004 - beiden Töchtern Eingliederungshilfe in Form einer ambulanten Betreuung durch das Albert-Schweitzer-Familienwerk e.V. gewährt. Sie hat demgemäß den Zeitraum, für den die Klägerinnen die Absetzung der Kfz-Haftpflichtversicherungsbeiträge vom Einkommen ihrer Mutter begehrt, auf den 31.10.2004 begrenzt. Für diesen Zeitraum hat sie ihren Pkw VW-Golf zu einem sozialhilferechtlich anerkannten Zweck gehalten. Diese Voraussetzung liegt nach Auffassung des Gerichts nämlich nicht nur dann vor, wenn in Bezug auf das Fahrzeug ein sozialhilferechtlicher Bedarf besteht (etwa als Mittel der Eingliederungshilfe), sondern bereits dann, wenn seine Verwertung aus Härtegründen nicht verlangt werden kann.

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Beiträge zu einer Unfallversicherung - bei der es sich um eine freiwillige Versicherung handelt - sind nach § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG nur dann vom Einkommen abzusetzen, wenn die Versicherung vernünftigerweise ein Risiko absichert, bei dessen Eintritt die weitere Lebensführung des Betroffenen außerordentlich belastet wäre (vgl. Brühl in LPK-BSHG, 6. Aufl., § 76, Rn. 69 m.w.N.). Die besondere Lebenssituation der Mutter der Klägerinnen (vgl. zu diesen Anknüpfungspunkt OVG Lüneburg, Urteil vom 29.11.1989 - 4 A 205/88 - FEVS 42, S. 104) lässt es als gerechtfertigt erscheinen, dass sie sich gegen die Folgen eines Unfalls versichert hat. Sie hat sich nach zwei gescheiterten Ehen entschlossen ihr Studium der Rechtswissenschaften wieder aufzunehmen und wird dieses nach den bisherigen Erkenntnissen mit hervorragendem Ergebnis noch im Jahre 2005 abschließen. Vermutlich wird sie Ende 2007 oder Anfang 2008 das zweite juristische Staatsexamen ablegen und steht dann bei ihrem Berufseinstieg bereits im 48. Lebensjahr. Erst dann wird sie finanziell in der Lage sein, für ihr Alter bzw. den Fall der Erwerbsunfähigkeit vorzusorgen und wird dieses mithin nur noch in deutlich eingeschränktem Umfang tun können. Zur Zeit hat sie lediglich eine Rentenanwartschaft in Höhe von 347,71 € erworben (was in der mündlichen Verhandlung durch Vorlage einer Rentenauskunft der BfA bewiesen worden ist). Unter diesen Voraussetzungen hält das Gericht es für durchaus angemessen, dass für die Mutter der Klägerinnen eine Unfallversicherung besteht, die das Risiko der Invalidität abdeckt (was sich aus dem ebenfalls in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Versicherungsschein der Firma Deutscher Lloyd Versicherungs AG ergibt). Dass diese Versicherung bereits im Dezember 1989 abgeschlossen worden ist - in einer Zeit also, als die wirtschaftlichen Verhältnisse und die Zukunftsperspektive der Mutter der Klägerinnen eine andere war als jetzt -, schadet nicht, denn maßgeblich für die rechtliche Beurteilung ist lediglich der Bestand dieser Versicherung im streitbefangenen Zeitraum.

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Die für den von der Mutter der Klägerinnen gehaltenen Pkw zu zahlende Kfz-Steuer kann hingegen nicht in Anwendung von § 76 Abs. 2 BSHG von deren Einkommen abgesetzt werden. Das Gesetz sieht eine solche Möglichkeit nicht vor. Soweit das OVG Lüneburg in dem bereits oben angesprochenen Urteil vom 29.11.1989 die Kraftfahrzeugsteuer als zu berücksichtigende besondere Belastung anspricht, stellt es auf die Vorschrift des § 84 Abs. 1 BSHG ab, die nur bei der Gewährung von Hilfen in besonderen Lebenslagen (nicht aber bei der Hilfe von Lebensunterhalt) anwendbar ist.

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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 S. 1, 188 S. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

21

Das Gericht sieht keinen Anlass, - wie von dem Beklagten beantragt - die Berufung zuzulassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch das Gericht von der Entscheidung eines höheren Gerichts in entscheidungserheblicher Weise abweicht.