Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 21.04.2005, Az.: 4 A 13/03
Aufenthalt; Aufenthaltserlaubnis; Aufenthaltstitel; Ausnahme; Ausnahmefall; Ausweisung; Ausweisungstatbestand; Ehe; Ehre und Familie; Einreise; Erlaubnis; Ermessensreduzierung; Fall; Familie; Integration; Iran; Reduzierung; Tatbestand; Titel; unerlaubt; unerlaubte Einreise; Verstoß; Visum; Visumsverstoß
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 21.04.2005
- Aktenzeichen
- 4 A 13/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 50663
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 5 Abs 1 AufenthG
- § 5 Abs 2 AufenthG
- § 28 Abs 1 S 1 Nr 1 AufenthG
- § 55 Abs 2 Nr 2 AufenthG
- Art 6 Abs 1 GG
- § 7 Abs 2 AuslG
- § 8 Abs 1 AuslG
- § 40 Abs 1 AuslG
- § 113 Abs 5 VwGO
- § 124 Abs 1 VwGO
- § 124 Abs 2 Nr 4 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Im Rahmen der Prüfung einer Ausnahme von der Regel des § 5 Abs. 1 AufenthG ist höherrangiges Recht - hier: Art. 6 Abs. 1 GG - zu beachten.
2. Wird eine Ausnahme von der Regel des § 5 Abs. 1 AufenthG bejaht, so führt dies bei der Prüfung gemäß § 5 Abs. 2 S. 2 AufenthG nicht ohne Weiteres zu einer Ermessensreduzierung "auf Null".
Tatbestand:
Der am . .1972 geborene Kläger ist iranischer Staatsangehöriger. Er ist seit dem 17.09.2002 mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet.
Am 24.07.1998 reiste der Kläger nach eigenem Vortrag in das Bundesgebiet ein, wobei er angab, er sei mit einem gefälschten türkischen Reisepass auf dem Luftweg von Q. nach R. geflogen. Am 28.07.1998 beantragte er erstmals unter dem Namen B. S. die Gewährung politischen Asyls. Anlässlich seiner Anhörung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, im Folgenden: Bundesamt) gab er an, er habe niemals einen iranischen Reisepass besessen. Der Asylantrag hatte keinen Erfolg. Ein ablehnender Bescheid des Bundesamtes vom 02.10.1998 wurde am 24.08.2001 bestandskräftig (Beschl. d. BayVGH - 14 ZB 01.31161 -).
Am 17.10.2001 stellte der Kläger - wiederum unter dem Namen B. S. - einen Asylfolgeantrag. Mit Bescheid vom 20.11.2001 lehnte das Bundesamt die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab. Dieser Bescheid wurde mit Einstellung des gerichtlichen Klageverfahrens durch Beschluss des VG Augsburg vom 23.09.2002 (Au 5 K 01.30745) wegen Nichtbetreibens des Verfahrens bestandskräftig.
Am 22.10.2001 gab der Kläger gegenüber der Ausländerbehörde der Stadt T. wiederum an, er sei nicht im Besitz eines iranischen Passes. Auf die Aufforderung der Ausländerstelle, sich Passersatzpapiere zu beschaffen, verweigerte der Kläger am 22.10.2001, am 29.10.2001, am 28.12.2001 und am 02.05.2002 das Ausfüllen eines entsprechenden Antrages. Durch Urteil des Amtsgerichts T. (2 Cs 221 Js 22762/01, rechtskräftig am 27.02.2002) wurde dem Kläger wegen unerlaubten Aufenthalts im Bundesgebiet eine Geldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen zu je 10,00 Euro auferlegt.
Im Rahmen der Vorbereitung seiner Eheschließung wurde bekannt, dass der Kläger im Besitz eines am 01.01.1997 ausgestellten, bis zum 01.01.2002 gültigen und am 12.03.2002 in Frankfurt/Main bis zum 01.01.2007 verlängerten iranischen Passes war. Der Pass enthält auf S. 15 ein durch die französische Botschaft im Iran am 08.06.1998 zum Zweck des Besuches der in Frankreich stattfindenden Fußballweltmeisterschaft ausgestelltes, bis zum 23.07.1998 gültiges sog. Schengen-Visum, mit dem der Kläger (S. 14 d. Passes) am (wohl) 12.06.1998 über den Flughafen Paris/Orly nach Frankreich einreiste. Der Kläger räumte mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 23.07.2002 ein, mit dem eigenen Pass und auf dem genannten Wege eingereist zu sein. Er führte hierzu weiter aus, er habe den Pass später zurück ins Heimatland geschickt und erst zur Eheschließung wieder angefordert.
Am 05.11.2002 stellte der Kläger bei der Beklagten, in deren Zuständigkeitsbereich er zwischenzeitlich umgezogen war, einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung zur Familienzusammenführung. Mit Schreiben vom 16.12.2002 gab die Beklagte dem Kläger den rechtlichen Hinweis, er müsse ausreisen, um das erforderliche Visum bei der deutschen Auslandsvertretung seines Heimatlandes einzuholen, da er unerlaubt in das Bundesgebiet eingereist sei.
Am 04.02.2003 hat der Kläger Untätigkeitsklage auf Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, hilfsweise einer Aufenthaltsbefugnis, erhoben. Er äußert die Auffassung, er habe im Hinblick auf seine Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Die Beklagte hat die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung durch Bescheid vom 21.02.2003, den der Kläger in das Verfahren einbezogen hat, abgelehnt; wegen des Inhalts des Bescheides wird auf Bl. 22 bis 29 der Gerichtsakte Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 21.02.2003 aufzuheben sowie die Beklagte zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen,
hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise die Berufung zuzulassen.
Sie trägt vor, in der Person des Klägers lägen Ausweisungsgründe vor, so dass er nicht offensichtlich einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und auf den Inhalt der Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat nur mit dem Hilfsantrag Erfolg. Der Kläger hat einen Anspruch auf erneute Entscheidung über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gegen die Beklagte.
Da es sich um eine Verpflichtungsklage handelt, ist für die Frage, ob der Kläger Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels hat, das im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung gültige Aufenthaltsgesetz (AufenthG) anzuwenden. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt gemäß § 5 Abs. 1 AufenthG in der Regel voraus, dass die Passpflicht nach § 3 des Gesetzes erfüllt wird und (Nr. 2) kein Ausweisungsgrund vorliegt. Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 5 Abs. 2 AufenthG voraus, dass der Ausländer
1. mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2. die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Für die Frage, ob der Kläger mit dem erforderlichen Visum eingereist ist, ist auf die Rechtslage im Zeitpunkt seiner Einreise und damit auf § 8 Abs. 1 des bis zum 31.12.2004 gültigen Ausländergesetzes (AuslG) abzustellen.
Während die Regelversagungsgründe des § 7 Abs. 2 AuslG nur bei Ermessensentscheidungen, nicht jedoch dann zur Anwendung kamen, wenn ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung bestand (vgl. GK-AuslR, Stand: September 2004, § 6 AuslG Rn. 53 und § 7 AuslG Rn. 18), sieht § 5 Abs. 1 AufenthG diese Einschränkungen nur noch bezüglich seiner Nr. 3 vor. Demgegenüber steht das Vorliegen von Ausweisungsgründungen in der Regel auch der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegen, auf die ein gesetzlicher Anspruch besteht.
Der Kläger hat einen gesetzlichen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG, wonach die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen Ehegatten eines Deutschen zu erteilen ist, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis stehen jedoch dem Grundsatz nach Ausweisungsgründe entgegen.
Gemäß § 55 Abs. 1 AufenthG kann ein Ausländer ausgewiesen werden, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt. Nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG kann ein Ausländer nach Abs. 1 insbesondere ausgewiesen werden, wenn er einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen hat. Nach herrschender Meinung zu § 7 Abs. 2 AuslG, der die Kammer folgt, reicht dabei die Erfüllung eines Ausweisungstatbestandes aus, ohne dass es auf die Zulässigkeit der Ausweisung im Einzelfall und das Eingreifen eines besonderen Ausweisungsschutzes ankommt (GK-AuslR, a.a.O., § 7 AuslG Rn. 47 m.w.N.).
Vorliegend hat der Kläger folgende Ausweisungstatbestände verwirklicht:
1. Er hat sich nach Durchführung seines Asylverfahrens ohne die erforderliche Aufenthaltsgenehmigung im Bundesgebiet aufgehalten. Wegen dieses Verstoßes ist er durch das Amtsgericht T. unter Anwendung von §§ 3 Abs. 1 S. 1, 55 Abs. 1, 92 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AuslG bestraft worden. Das Urteil ist am 27.02.2002 rechtskräftig geworden. Die Tilgungsfrist beträgt gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 1 a des Bundeszentralregistergesetzes fünf Jahre und ist damit noch nicht abgelaufen.
2. Die Kammer glaubt dem Kläger nicht, dass er seinen Pass nach seiner Einreise in das Bundesgebiet in den Iran zurückgeschickt hat. Sie bewertet den entsprechenden Vortrag des Klägers als Schutzbehauptung und geht davon aus, dass er tatsächlich während seines gesamten Aufenthaltes im Besitz seines Passes gewesen ist. Der Vortrag des Klägers ist in diesem Zusammenhang auch deshalb unglaubhaft, weil er gegenüber dem Bundesamt im Asylverfahren wahrheitswidrig am 06.08.1998 geäußert hatte: „Nie im Leben habe ich einen regulären iranischen Reisepass besessen“ (Bl. 12 BA B). Infolgedessen hat er gegen § 40 Abs. 1 AuslG verstoßen, wonach der Ausländer verpflichtet ist, seinen Pass auf Verlangen den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden vorzulegen, auszuhändigen und vorübergehend zu überlassen, soweit dies zur Durchführung oder Sicherung von Maßnahmen nach diesem Gesetz erforderlich ist. Der Kläger hat gegenüber der Ausländerstelle der Stadt T. immer wieder behauptet, er sei nicht im Besitz eines Passes, und hat dadurch die Überlassung dieses Passes verweigert. Er hat insoweit gemäß § 93 Abs. 2 Nr. 1 AuslG ordnungswidrig gehandelt. Der Verstoß ist nicht als geringfügig anzusehen, da das Verhalten im Hinblick auf die Praxis des Schlepper-Unwesens und die damit einhergehende Umgehung des Sichtvermerksverfahrens bzw. auf die Folge, dass - wie im vorliegenden Fall - der Ausländer nicht in sein Heimatland abgeschoben werden kann, die öffentliche Sicherheit und Ordnung beeinträchtigt (vgl. VG Berlin, Beschl. v. 12.08.2002 - 21 A 323.01 -, juris). Sollte der Kläger entgegen der Annahme der Kammer nicht im Besitz seines Passes gewesen sein, so hätte er dauerhaft gegen § 4 Abs. 1 AuslG (Passpflicht) verstoßen.
3. Der Kläger hat sich gegenüber der Ausländerstelle der Stadt T. hartnäckig geweigert, die Formulare zur Beantragung von Passersatzpapieren auszufüllen, und damit gegen seine ausländerrechtlichen Mitwirkungspflichten verstoßen. Es handelt sich insoweit weder um einen vereinzelten noch um einen geringfügigen Verstoß (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 17.08.2001 - 11 MA 2457/01 -, InfAuslR 2002, 13).
4. Der Kläger ist außerdem i.S.v. § 8 Abs. 1 Nr. 1 AuslG unerlaubt in das Bundesgebiet eingereist. Er hat vorgetragen, er habe das in seinem Pass befindliche Schengen-Touristenvisum gekauft. Über die genauen Umstände der Visumserteilung hat das Gericht keine Erkenntnisse. Nach den gesamten Umständen und insbesondere dem Verhalten des Klägers im Bundesgebiet ist das Gericht jedoch davon überzeugt, dass der Kläger sich nicht zu einem touristischen Aufenthalt nach Frankreich begeben wollte, sondern von vorn herein die Absicht hatte, auf Dauer im Bundesgebiet zu bleiben. Für einen solchen Daueraufenthalt hätte es der Einholung eines Visums im Heimatland und mit Zustimmung der für den vorgesehenen Aufenthaltsort zuständigen Ausländerbehörde bedurft (§ 3 Abs. 1 und Abs. 3 AuslG, § 11 Abs. 1 Nr. 1 der Durchführungsverordnung zum Ausländergesetz). Dieser Tatbestand unterfällt der Vorschrift des § 8 Abs. 1 Nr. 1 AuslG. Die Vorschrift findet für die Einreise visumspflichtiger Personen mit unzureichendem Visum Anwendung, wenn diese Personen keine unzutreffenden Angaben im Sichtvermerksantrag gemacht haben, aber eine über das Visum nach Aufenthaltsdauer und/oder -zweck hinausreichende Absicht bereits bei der Einreise verfolgten; demgegenüber kommt Nr. 2 der Vorschrift als Spezialregelung zu Nr. 1 zum Zuge, wenn unzutreffende Angaben gemacht wurden, worüber hier keine Erkenntnisse bestehen (vgl. zur Abgrenzung der Alternativen des § 8 Abs. 1 AuslG: GK-AuslR, a.a.O., § 8 AuslG Rn. 41).
Die Erteilung eines Aufenthaltstitels kommt daher in Anwendung von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG grundsätzlich nicht in Betracht. Allerdings ist im Rahmen der Prüfung, ob eine Ausnahme von der Regel des § 5 Abs. 1 AufenthG gegeben ist, höherrangiges Recht zu beachten. Ein Ausnahmefall liegt deshalb vor, wenn die Versagung mit verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen nicht vereinbar wäre. Als eine solche Wertentscheidung kommt insbesondere der Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG in Betracht (vgl. GK-AuslR, a.a.O., § 7 AuslG Rn. 41 m.w.N.). Vorliegend ist dabei zu berücksichtigen, dass im Zusammenhang mit der Einreise und dem Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet zwar Ausweisungsgründe vorliegen, die auch noch nicht „verbraucht“ sind, dass jedoch der Schwerpunkt der Verwirklichung der Ausweisungstatbestände vor der Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen liegt und dem Kläger seit etwa zweieinhalb Jahren keine weiteren Rechtsverletzungen vorzuwerfen sind. Auch hat die Kammer keine Anhaltspunkte dafür, dass zwischen dem Kläger und seiner Ehefrau keine intakte eheliche Lebensgemeinschaft besteht. Angesichts der hohen Bedeutung des Schutzguts des Art. 6 Abs. 1 GG gelangt das Gericht zu dem Schluss, dass im Fall des Klägers eine Ausnahme von der Regel anzunehmen ist.
Gemäß § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis des Weiteren voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist; dies ist vorliegend - wie bereits ausgeführt - nicht der Fall. Hiervon kann gemäß § 5 Abs. 2 S. 2 AufenthG abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG sind erfüllt (s. o.). Über die Frage, ob von der Voraussetzung des § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG abgesehen werden kann, hat die Ausländerbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Soweit der Behörde Ermessen eingeräumt ist, ist es dem Gericht im Rahmen der Überprüfung ihrer Entscheidungen verwehrt, sein eigenes Ermessen an Stelle des behördlichen Ermessens zu setzen. Das Gericht überprüft vielmehr lediglich, ob die Behörde die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von diesem in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 114 S. 1 VwGO). Anderes gilt, wenn angesichts der besonderen Umstände des zu entscheidenden Falles nur eine einzige Entscheidung ermessensfehlerfrei sein könnte und das Ermessen der Behörde infolgedessen „auf Null“ reduziert ist.
Die Kammer verneint die Frage, ob vorliegend im Rahmen der Prüfung gemäß § 5 Abs. 2 S. 2 AufenthG deshalb eine Ermessensreduzierung „auf Null“ zu bejahen ist, weil auf der Tatbestandsseite eine Ausnahme von der Regel des § 5 Abs. 1 AufenthG gegeben ist. In der Literatur wird zum Verhältnis der genannten Regelungen die Auffassung vertreten, einwanderungspolitische Belange, wie sie hier durch die Beklagte ausschließlich geltend gemacht werden, könnten unter den Begriff der „Interessen der Bundesrepublik“ subsumiert werden, seien aber im Rahmen der Entscheidung, ob eine atypischer, von der Regel abweichender Ausnahmefall vorliege, den schützenswerten Individualinteressen des Ausländers gegenüber zu stellen und unter Gewichtung der eventuell widerstreitenden Interessen abzuwägen. Ergebe sich danach, dass eine Ausnahme von der Regel vorliege, so sei eine unter einwanderungspolitischen Gesichtspunkten versagende Ermessensentscheidung auf der Rechtsfolgeseite willkürfrei in der Regel nicht mehr denkbar. Fallbezogen seien die einwanderungspolitischen Interessen, die auf der Ermessensseite zu berücksichtigen seien, stets mit den auf der Tatbestandsseite zugrunde gelegten identisch (GK-AuslR, a.a.O., § 7 AuslG Rn. 79). Das Gericht lässt offen, ob dieser Auffassung zu folgen ist. Selbst wenn man sich ihr anschließt, führt dies nicht ohne Weiteres zu einer Ermessensreduktion „auf Null“, denn auch dann - dies bringt die Verwendung der Formulierung „in der Regel“ im obigen Zitat zum Ausdruck - erscheinen letztlich noch Fallkonstellationen denkbar, in denen die Behörde die Frage, ob von der Voraussetzung des § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG abgesehen werden kann, rechtsfehlerfrei verneint.
Allerdings erfordert eine solche Entscheidung eine ausführliche und überzeugende Auseinandersetzung mit allen in Betracht kommenden Belangen. Diesem Erfordernis genügt die Begründung des angefochtenen Bescheides der Beklagten vom 21.02.2003 nicht. Die Beklagte hat in dem Bescheid darauf abgestellt, dass im Hinblick auf die über Jahre hinweg vollzogenen Verstöße des Klägers gegen Rechtsvorschriften das öffentliche Interesse an der Versagung der Aufenthaltserlaubnis gegenüber den privaten Interessen des Klägers an ihrer Erteilung überwiege. Dabei hat sie in äußerst knapper Form ausgeführt, angesichts der kurzen und noch kinderlos gebliebenen Ehe sei es gerechtfertigt, den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abzulehnen. Diese Ermessenserwägungen reichen insbesondere angesichts des seit dem Erlass des Bescheides verstrichenen Zeitraums nicht aus, um - bezogen auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung - eine Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu begründen. In die auf derzeitiger Erkenntnisgrundlage zu treffende Entscheidung werden vielmehr - wie bereits bei der Frage der Abweichung von der Regel des § 5 Abs. 1 AufenthG - die hohe Bedeutung des Schutzgutes des Art. 6 GG, das Gewicht der Ausweisungsgründe sowie der Umstand einzustellen sein, dass der Kläger nunmehr über einen längeren Zeitraum nicht mehr gegen Rechtsvorschriften verstoßen hat und sich durch das Erlernen der deutschen Sprache und die Aufnahme von Arbeit um Integration bemüht. Die für den Kläger sprechenden Umstände werden umfassend mit den öffentlichen Interessen abzuwägen sein, wobei auch die mit Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes eingetretene Rechtsänderung und insbesondere das Verhältnis der Ermessensentscheidung gemäß § 5 Abs. 2 AufenthG zur Frage der Abweichung von der Regel des § 5 Abs. 1 AufenthG zu berücksichtigen sein wird. Schließlich wird auch die Frage aufzuwerfen sein, wie lange der Kläger von seiner Ehefrau getrennt wäre, würde er in sein Heimatland ausreisen, um das Visumverfahren zu betreiben, und ob damit zu rechnen wäre, dass der iranische Staat ihm bei einer Rückkehr nach Deutschland Schwierigkeiten bereiten würde. Da der Bescheid der Beklagten eine Abwägung aller einzustellenden Belange nicht in der erforderlichen Weise enthält, ist er wegen einer Unterschreitung des eingeräumten Ermessens aufzuheben und die Beklagte ist zur erneuten Entscheidung über den Antrag des Klägers zu verpflichten (§ 113 Abs. 5 S. 2 VwGO). Sofern sie eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, wird sie weiteres Ermessen hinsichtlich des Umfangs der Befristung des Aufenthaltstitels auszuüben haben.
Soweit der Kläger mit dem Hauptantrag eine gerichtliche Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis beantragt hat, ist die Sache aus den bereits genannten Gründen nicht im Sinne von § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO spruchreif und bleibt die Klage ohne Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 S. 1 VwGO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht in Anwendung von § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Kammer lässt die Berufung gemäß § 124 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu, da sie der Frage des Verhältnisses der Ermessensentscheidung gemäß § 5 Abs. 2 AufenthG zur Annahme einer Abweichung von der Regel des § 5 Abs. 1 AufenthG grundsätzliche Bedeutung beimisst.