Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 14.04.2005, Az.: 2 A 55/04

Abschiebungshindernis; Abschiebungsschutz; Abschiebungsverbot; Asylbewerberleistungen; Asylfolgeantrag; Asylfolgerechtsstreit; Aufenthaltsgestattung; ausländerrechtlicher Status; Ausreisepflicht; Duldung; fehlender Pass; rechtlicher Grund; rechtsgrundsätzlich; Rechtskraft; rückwirkender Anspruch; Sozialhilfeleistungen; Stellung des Asylfolgeantrages; Syrien; tatsächliche Unmöglichkeit; tatsächlicher Grund; Unmöglichkeit der Ausreise; Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
14.04.2005
Aktenzeichen
2 A 55/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 50685
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 14.01.2004 - AZ: 2 A 2343/02

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Obsiegt der Ausländer im Asylfolgerechtsstreit, hat er für die Dauer dieses Rechtsstreits gleichwohl keinen Leistungsanspruch gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG, den er rückwirkend geltend machen könnte.

Tatbestand:

1

Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Gewährung von Leistungen nach § 2 AsylbLG.

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Der am ... in K. geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er reiste am 18.06.2000 in das Bundesgebiet ein. Sein am 22.06.2000 gestellter Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 04.10.2000 abgelehnt. Die dagegen erhobene Klage war erfolglos (Urteil der Kammer vom 02.03.2001 - 2 A 2257/00 -). Fortan erhielt der Kläger vom Beklagten Duldungen. Auf seinen Asylfolgeantrag vom 10.06.2002 entschied das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 04.12.2002, dass ein weiteres Asylverfahren nicht durchgeführt wird. Durch Urteil vom 14.01.2004 (2 A 2343/02) verpflichtete das erkennende Gericht die Bundesrepublik Deutschland festzustellen, dass in der Person des Klägers die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, weil er sich in asylerheblicher Weise exilpolitisch betätigt hatte. Das Urteil ist seit dem 19.02.2004 rechtskräftig.

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Der namens und im Auftrag des Beklagten handelnde Flecken L. gewährte dem Kläger auf dessen Antrag hin seit dem 22.08.2000 Grundleistungen nach §§ 1, 3 AsylblG. Nachdem sich der Kläger im April 2002 geweigert hatte, bei der syrischen Botschaft die Ausstellung eines Passes zu beantragen, kürzte der Flecken L. die Leistungen an ihn in Anwendung von § 1 a Nr. 2 AsylbLG, machte diese Entscheidung jedoch mit Bescheid vom 19.07.2002 wieder rückgängig.

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Mit Bescheid vom 18.08.2003 teilte der Flecken L. dem Kläger mit, er habe von Amts wegen geprüft, ob ihm nach Ablauf von 3 Jahren Leistungen nach § 2 AsylbLG zustehen würden, verneine dies jedoch, da nicht feststehe, dass in seinem Fall ein Asylfolgeverfahren durchgeführt würde. Den dagegen von dem Kläger am 28.08.2003 eingelegten Widerspruch wies die Bezirksregierung Braunschweig mit Widerspruchsbescheid vom 07.01.2004 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus: Der Kläger sei nicht im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung; seine Ausreisepflicht sei vollziehbar, die Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen mithin auch während des laufenden Asylfolgeverfahrens möglich; erst wenn feststehe, dass ein weiteres Asylverfahren durchgeführt werde, stünden rechtliche Gründe der Abschiebung des Klägers in seinen Heimatstaat entgegen; dies sei auch in einem Erlass des Nds. Innenministeriums vom 04.05.2001 so geregelt; dass humanitäre oder persönliche Gründe der Ausreise des Klägers bzw. seiner Abschiebung entgegenstünden, sei nicht ersichtlich.

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Der Kläger hat am 09.02.2004 Klage erhoben. Er trägt vor: Seit dem 14.01.2004 stehe sein Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach § 2 AsylbLG schon wegen des Urteils der Kammer in dem Verfahren 2 A 2343/02 fest; solche Leistungen stünden ihm jedoch bereits seit dem 22.08.2003 zu, denn es lasse sich rückwirkend feststellen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorgelegen hätten; die Leistungsbehörde sei dabei nicht an die Vorgaben der Ausländerbehörde gebunden, sondern habe diese Voraussetzungen selbständig zu prüfen; der Kläger könne auch nicht darauf verwiesen werden, er hätte Eilrechtsschutz gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 04.12.2002 in Anspruch nehmen können, denn der Beklagte habe keinerlei Anstalten gemacht, ihn abzuschieben, und mithin sei die Beantragung von Eilrechtsschutz nicht nötig gewesen; vor einer entsprechenden Mitteilung des Bundesamtes nach § 71 Abs. 5 S. 2 AsylVfG stünden rechtliche Gründe sowohl der freiwilligen Ausreise als auch der Abschiebung des Klägers nach Syrien entgegen, das folge aus der Entscheidungsprärogative des Bundesamtes; der Kläger könne sich außerdem auf humanitäre Gründe berufen.

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Der Kläger beantragt,

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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Flecken L. vom 18.08.2003 und des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 07.01.2004 zu verpflichten, ihm für den Zeitraum vom 22.08.2003 bis zum 07.01.2004 Leistungen gemäß § 2 AsylbLG unter Anrechnung bereits getätigter Leistungen nach §§ 1, 3 des Gesetzes zu gewähren,

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sowie die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Verfahren für notwendig zu erklären.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er macht geltend: Bis zum Erlass des Urteils in der Sache 2 A 2343/02 hätten weder der freiwilligen Ausreise des Klägers noch seiner Abschiebung nach Syrien rechtliche Gründe entgegengestanden; eine rückwirkende Beurteilung des Falles unter Berücksichtigung der Urteilsgründe sei nicht möglich; weder der Asylfolgeantrag des Klägers noch seine Klage gegen die ablehnende Entscheidung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hätten aufschiebende Wirkung gehabt; von einer Abschiebung des Klägers in dieser Zeit sei auch nicht etwa aus rechtlichen Gründen abgesehen worden, sondern wegen fehlender Passersatzpapiere; aus welchen Gründen er keinen Eilrechtsschutz gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 04.12.2002 gesucht habe, sei unerheblich.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und auf die Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie des Flecken L. Bezug genommen. Die Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet. Dem Kläger stehen für den streitbefangenen Zeitraum keine höheren Leistungen nach dem AsylbLG als die ihm bereits gewährten zu.

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Gemäß § 2 Abs. 1 des Gesetzes (in der Fassung vom 05.08.1997 - BGBl I Seite 2022, zuletzt geändert mit Gesetz vom 20.06.2002 - BGBl I Seite 1946 -) ist abweichend von den §§ 3 bis 7 das Bundessozialhilfegesetz auf Leistungsberechtigte entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten, frühestens beginnend ab 01.06.1997, Leistungen nach § 3 erhalten haben, wenn die Ausreise nicht erfolgen kann und aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, weil humanitäre, rechtliche oder persönliche Gründe oder das öffentliche Interesse entgegenstehen. Auf diese Vorschrift beruft sich der Kläger. Er hatte am 22.08.2003 für insgesamt 36 Monate Grundleistungen nach § 3 AsylbLG erhalten, allerdings liegen die übrigen Voraussetzungen für die Leistungsgewährung nicht vor.

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Der Kläger macht zur Begründung seines Anspruchs allein geltend, dass in dem streitigen Zeitraum noch nicht endgültig über seinen Asylfolgeantrag vom 10.06.2002, in dem er sich auf seine exilpolitische Betätigung als Nachfluchtgrund berufen hat, entschieden war, und dass das Gericht später festgestellt hat, ein solcher Nachfluchtgrund - der seine Abschiebung nach Syrien verbot - habe tatsächlich vorgelegen. Diese Überlegung führt jedoch nicht zum Erfolg der Klage.

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Nach rechtskräftiger Beendigung seines ersten Asylverfahrens wurde dem Kläger keine Aufenthaltsgenehmigung, sondern nur eine Duldung erteilt; mithin war er vollziehbar ausreisepflichtig (§ 42 Abs. 2 AuslG). Seine Abschiebung, die im Bescheid des Bundesamtes vom 04.10.2000 angedroht war, scheiterte lediglich an einem fehlenden Pass und fehlenden Passersatzpapieren. Die Passlosigkeit als solche stellt allerdings (unabhängig davon, ob der Ausländer sie beseitigen kann oder nicht) weder einen humanitären noch einen rechtlichen oder persönlichen Grund für die Unmöglichkeit der Ausreise bzw. Abschiebung dar; es handelt sich lediglich um einen tatsächlichen Grund, der gemäß § 55 Abs. 2 AuslG zur Erteilung einer Duldung führt. Das hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 03.06.2003 - 5 C 32.02 - (DVBl 2004, Seite 56) rechtsgrundsätzlich unter Abänderung einer entgegenstehenden Entscheidung des OVG Lüneburg entschieden. Dem folgt das Gericht. Die Stellung des Asylfolgeantrages am 10.06.2002 (§ 71 AsylVfG) änderte an der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht des Klägers zunächst grundsätzlich nichts. Erst wenn ein weiteres Asylverfahren durchgeführt wird, ist dem Ausländer der Aufenthalt fortan gestattet (§ 55 AsylVfG). Dazu ist es hier nicht gekommen, da das Gericht das Bundesamt nicht nur zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens, sondern unmittelbar zur Feststellung von Abschiebungshindernissen verpflichtet hat. Zwar darf gemäß § 71 Abs. 5 S. 2 AsylVfG die Abschiebung in dem Fall, dass innerhalb von 2 Jahren nach Eintritt der Vollziehbarkeit einer Abschiebungsandrohung ein weiteres Asylverfahren nicht durchgeführt wird, erst nach einer entsprechenden Mitteilung des Bundesamtes über diesen Sachverhalt vollzogen werden; ob zwischen der Antragstellung und dieser Mitteilung (die hier Anfang Dezember 2002 erfolgt ist) die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 AsylbLG vorgelegen haben, bedarf in diesem Verfahren aber keiner Entscheidung, weil erst über eine Leistungsverpflichtung des Beklagten ab dem 22.08.2003 gestritten wird.

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Erst mit der Rechtskraft des Urteils vom 14.01.2004 stand fest, dass eine Abschiebung des Klägers nach Syrien nicht erfolgen durfte, dass also - nunmehr - ein rechtlicher Grund im Sinne von § 2 Abs. 1 AsylbLG vorlag. Der Kläger hätte - möglicherweise - einen solchen rechtlichen Grund schon früher schaffen können, wenn er sich nach der Ablehnung seines Asylfolgeantrages um einstweiligen Rechtsschutz gegen die Vollziehung der Abschiebungsandrohung aus dem Bescheid des Bundesamtes vom 04.10.2000 bemüht hätte (worauf in dem von dem Beklagten eingeführten Erlass des Nds. Innenministeriums vom 04.05.2001 zutreffend abgestellt wird); ein derartiger Antrag ist jedoch nicht gestellt worden. Dass er nicht gestellt wurde, weil die Abschiebung des Klägers aus tatsächlichen Gründen nicht erfolgen konnte, gibt für die Beantwortung der Frage, ob rechtliche Gründe seiner Aufenthaltsbeendigung entgegen standen, nichts her. Der Kläger kann schließlich auch nicht verlangen, dass der Beklagte als Leistungsbehörde in eigener Beurteilung der Rechtslage - wie später das Gericht - zu dem Ergebnis hätte kommen müssen, dass dem Kläger Abschiebungsschutz zu gewähren war. Die Leistungsbehörde ist zwar nicht an die Feststellung der Ausländerbehörde zu den Gründen, aus denen eine Duldung erteilt worden ist, gebunden, aber an den ausländerrechtlichen Status dieser Person, den im vorliegenden Fall - wie ausgeführt - nur das Bundesamt bzw. das erkennende Gericht ändern konnte (vgl. auch dazu BVerwG, Urteil vom 03.06.2003, a.a.O.).

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Abgesehen von einer dem Kläger in seinem Heimatland drohenden politischen Verfolgung und seiner Passlosigkeit liegen ersichtlich keine humanitären oder persönlichen Gründe vor, die einer Ausreise bzw. Abschiebung des Klägers im streitbefangenen Zeitraum entgegenstanden. Der Kläger behauptet lediglich, er könne sich auf humanitäre Gründe berufen, benennt sie aber nicht. Humanitäre und/oder persönliche Gründe in diesem Sinne sind beispielsweise anzunehmen, wenn eine ärztliche Behandlung in Deutschland erforderlich ist, eine lebensgefährliche Erkrankung oder eine fortgeschrittene Schwangerschaft besteht, die Vollendung einer Ausbildung unmittelbar bevorsteht oder die persönlichen oder finanziellen Angelegenheiten im Falle des Todes eines nahestehenden Verwandten zu klären sind. Sie sind allesamt vorübergehender Natur (vgl. GK-AsylbLG, a.a.O., RN 33, 35). Auch das öffentliche Interesse stand offenbar weder einer Ausreise des Klägers noch seiner Abschiebung im streitbefangenen Zeitraum entgegen.

19

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 S. 2 VwGO. Da der Kläger in die Kosten verurteilt wird, ist über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren (§ 162 Abs. 2 S. 2 VwGO) nicht zu befinden.

20

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.