Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 03.07.2024, Az.: 2 A 1297/24

Schleusen von Menschen; Schmuggel; Widerruf Flüchtlingseigenschaft; Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen; Widerruf der Flüchtlingseigenschaft wegen Schleusens von Menschen

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
03.07.2024
Aktenzeichen
2 A 1297/24
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 20497
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2024:0703.2A1297.24.00

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 7. März 2024 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf der ihm zuerkannten Flüchtlingseigenschaft.

Der 1992 geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger, zugehörig zur Volksgruppe der Kurden und geschieden. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 22. Dezember 2015 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zu.

Am E. 2023 verurteilte das Amtsgericht F. den Kläger wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in fünf Fällen, davon in zwei Fällen mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. In dem Urteil stellte das Amtsgericht u.a. fest, dass der Kläger im Auftrag einer Schleuserorganisation mehrere Fahrten durchführte und Personen ohne Reisepass und Aufenthaltstitel mit einem Pkw über die Grenze von Österreich in die Bundesrepublik Deutschland beförderte. Teilweise befanden sich die Personen im Kofferraum des Pkw ohne Rückhaltesysteme zur Sicherung. Der Kläger erhielt für die jeweiligen Beförderungen Geldbeträge.

Das Bundesamt leitete nach Kenntnis des Strafurteils ein Widerrufsverfahren ein und hörte den Kläger mit Schreiben vom 17. Januar 2024 dazu an. Daraufhin legitimierte sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers und begehrte Akteneinsicht. Nach gewährter Akteneinsicht erfolgte keine Äußerung des Klägers bzw. des Prozessbevollmächtigen zum beabsichtigen Widerruf.

Mit Bescheid vom 7. März 2024 widerrief das Bundesamt die mit Bescheid vom 22. Dezember 2015 zuerkannte Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1 des Bescheides). Des Weiteren erkannte das Bundesamt unter Ziffer 2 des Bescheides den subsidiären Schutzstatus nicht zu, stellte unter Ziffer 3 des Bescheides aber fest, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (im Folgenden: AufenthG) hinsichtlich Syrien vorliegt.

Zur Begründung wurde u. a. ausgeführt, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf nach § 73 Abs. 5 Asylgesetz (im Folgenden: AsylG) vorlägen, da der Ausschlusstatbestand des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG erfüllt sei. Danach entfalle der Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt sei, dass der Ausländer den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt habe. Von diesem Ausschlusstatbestand seien gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylG auch Anstifter oder in sonstiger Weise Beteiligte an der Straftat erfasst. Die hier maßgeblichen Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen seien in der Präambel und den Art. 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen in allgemeiner Weise dargelegt und fänden gegebenenfalls eine weitere Konkretisierung in Resolutionen des Sicherheitsrates und Entschließungen der Vereinten Nationen zu verschiedenen Kriminalitäts- und Themenbereichen (z.B. Terrorismus, Ehrenmorde, Piraterie, organisierte Kriminalität). So erfüllten Handlungen im Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten den Ausschlusstatbestand und stünden nach allgemeiner Ansicht der Gewährung internationalen Schutzes entgegen. In vergleichbarer Weise hätten sich die Vereinten Nationen auch zur Thematik der grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität und dem damit in einem engen Zusammenhang stehenden Phänomen des organisierten und gewerbsmäßigen Menschenschmuggels geäußert, welcher sich ob seiner Dimensionen und der damit regelmäßig verbundenen schwerwiegenden Auswirkungen als globales Problem darstelle und mit erheblichen Risiken sowohl für die geschleusten Migranten als auch für die von solchen illegalen Ein- und Durchreisen betroffenen Länder verbunden sei. Dementsprechend werde eine solche grenzüberschreitende organisierte Schleusungskriminalität als schwere Kriminalität begriffen, gegen die die Mitgliedstaaten, vergleichbar dem Phänomen des internationalen Terrorismus, geeignete Maßnahmen ergreifen sollten. Dies ergebe sich zum einen daraus, dass der Ausschuss des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen am 7. Juni 2018 erstmals Individuen wegen Menschenhandels auf eine Sanktionsliste gesetzt habe. Zum anderen sei ein Zuwiderhandeln gegen Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen durch Akte des organisierten grenzüberschreitenden Menschenschmuggels den spezifischen Entschließungen und Verlautbarungen der Vereinten Nationen unzweifelhaft zu entnehmen. Das Bundesamt berief sich dafür auf die United Nations Convention against Transnational Organized Crime vom 15. November 2000 und das damit zusammenhängende Protocol against the Smuggling of Migrants by Land, Sea and Air. Weiter führte es aus, dass die durch Schleusungskriminalität betroffenen oder gefährdeten individuellen Rechtsgüter und allgemeinen Zielsetzungen sich zwanglos den in der Charta der Vereinten Nationen umrissenen allgemeinen Zielen und Grundsätzen zuordnen ließen, etwa unter den Gesichtspunkten der Wahrung der internationalen Sicherheit, der Achtung und Schutz der Menschenrechte, der Entwicklung und Einhaltung des Völkerrechts oder der Achtung der nationalen Souveränität von Staaten.

Auch die Handlungen des Klägers stellten ein Zuwiderhandeln gegen die Grundsätze der Vereinten Nationen dar. Nach den Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts Passau habe er sich der gewerbsmäßigen Einschleusung von Ausländern schuldig gemacht - in zwei Fällen mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung - und dabei im Auftrag einer Schleuserorganisation gehandelt. Durch die Schleusung habe er die entsprechenden Einreisebestimmungen und -mechanismen umgangen und ausgehebelt. In dem im Strafurteil festgestellten Verhalten liege ein Zuwiderhandeln gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen. Dementsprechend sei nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG auch die Zuerkennung des subsidiären Schutzes ausgeschlossen. Angesicht der sehr schlechten wirtschaftlichen Lage in Syrien und der mitunter stark eingeschränkten Grundversorgung und den Möglichkeiten zur Überlebenssicherung sei jedoch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen.

Gegen diesen Bescheid, zugestellt am 15. März 2024, hat der Kläger am 25. März 2024 Klage erhoben und einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt. Auf Letzteren hat das Gericht mit Beschluss vom 7. Mai 2024 - 2 B 1302/24 - die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet.

Eine Klage- oder Antragsbegründung liegt nicht vor.

Der Kläger beantragt wörtlich,

die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 7. März 2024 aufzuheben,

hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, ihm den subsidiären Schutz zuzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung zunächst auf den angegriffenen Bescheid und führt u. a. ergänzend nochmals aus, dass ein Zuwiderhandeln gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen auch im Bereich der organisierten Kriminalität und des - thematisch auch von den Vereinten Nationen dort angelehnten - organisierten Schmuggelns von Flüchtlingen vorläge. Insoweit seien diese Bereiche entsprechend den obergerichtlichen Grundsätzen zu Terrororganisationen und der sich daraus ergebenden zentralen Feststellung, dass ein Zuwiderhandeln auch von einzelnen Privaten oder nichtstaatlichen Organisationen verwirklicht werden könne, einzuordnen. Solche "Zuwiderhandlungen" wie bei Terrororganisationen ließen sich auch aus anderen Resolutionen des Sicherheitsrates oder anderen Entschließungen der Vereinten Nationen zu verschiedensten Kriminalitäts- und Themenbereichen (z.B. Terrorismus, Ehrenmorde, Piraterie, organisierte Kriminalität, Folter) erschließen, die im Lichte der Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen getroffen worden seien. Feststellungen, Wertungen und Entschließungen zu solchen Problemfeldern würden durch den Sicherheitsrat oder die Vollversammlung auch in Ansehung der allgemeinen Ziele und Grundsätze getroffen. Im Rückschluss sei davon auszugehen, dass mit den inkriminierten Handlungen regelmäßig auch ein Zuwiderhandeln gegen diese Ziele und Grundsätze verbunden sei, auch wenn dies in den Resolutionen oder sonstigen Entschließungen so nicht ausdrücklich formuliert sein sollte. Allein die Befassung mit diesen Phänomenen und die dabei regelmäßig erfolgende Bewertung und Verurteilung solcher Handlungen bis hin zur Aufforderung zum Tätigwerden durch die Vereinten Nationen zeige, dass die inkriminierten Handlungen gegen zentrale Interessen der Staatengemeinschaft wirken, eine übergreifende Dimension aufweisen und wegen ihrer Bedeutung einer staatenübergreifenden Lösung bedürfen würden. Die Frage des Vorliegens eines Zuwiderhandelns gegen Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen habe sich auch schon in der Vergangenheit im Kontext von anderen Deklarationen und Resolutionen gestellt, ohne dass in diesen Dokumenten ein Zuwiderhandeln gegen Ziele und Grundsätze jeweils explizit benannt gewesen wäre. Daraus sei zu ersehen, dass es für die Bewertung als ein solches "Zuwiderhandeln" grundsätzlich weder einer ausdrücklichen Nennung im Dokument der Vereinten Nationen, noch einer spezifischen Bestätigung durch ein Gremium der Vereinten Nationen bedürfe. Zur Thematik der grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität und dem damit in einem engen Zusammenhang stehenden Phänomen des organisierten und gewerbsmäßigen Menschenschmuggels seien neben den im streitgegenständlichen Bescheid angeführten Dokumenten auch die vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen legitimierten Eingriffsmaßnahmen hinsichtlich der spezifischen Situation im Mittelmeer und in Libyen zu beachten. Diese seien gemäß Kapitel 7 der Charta der Vereinten Nationen getroffen und seit 2015 wiederholt verlängert und explizit unter dem Gesichtspunkt der Wahrung des Friedens und der internationalen Sicherheit beschlossen worden ("Maintenance of international peace and security"). Im Übrigen ergebe sich aus der organisierten Schleusungskriminalität ein erhebliches Gefahren- und Bedrohungspotenzial für Staaten und Gesellschaften. Die organisierte Schleusungskriminalität beeinträchtige also in jedem Falle auch die zentralen Ziele des Friedens und der Sicherheit und stelle dementsprechend ein Zuwiderhandeln gegen Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen dar.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Einzelrichterin (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte gemäß § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (im Folgenden: VwGO) mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

II. Die Klage hat Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.

Die Klage ist zulässig. Die Einzelrichterin versteht den wörtlich gestellten Hauptantrag, die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 7. März 2024 aufzuheben, bei verständiger Auslegung des Klagebegehrens (§ 88 VwGO) dahingehend, dass lediglich die Aufhebung begehrt wird; eine solche Aufhebung kann durch das Gericht unmittelbar ohne eine entsprechende Verpflichtung der Beklagten ausgesprochen werden.

Die Klage ist zudem bereits hinsichtlich des Hauptantrages begründet.

Der Bescheid des Bundesamtes vom 7. März 2024 erweist sich zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG) als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für die in Ziffer 1 des Bescheides getroffene Widerrufsentscheidung ist vorliegend § 73 Abs. 5 AsylG. Danach ist die Anerkennung als Asylberechtigter oder die Zuerkennung des internationalen Schutzes zurückzunehmen oder zu widerrufen, wenn der Ausländer von der Erteilung nach § 3 Abs. 2 bis 4 oder nach § 4 Abs. 2 oder 3 AsylG hätte ausgeschlossen werden müssen oder ausgeschlossen ist.

Das Bundesamt stützt seine Widerrufsentscheidung auf § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Satz 2 AsylG. Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG ist ein Ausländer nicht Flüchtling im Sinne des Gesetzes, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat, was nach Satz 2 auch für Anstifter oder in sonstiger Weise Beteiligte gilt.

Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor.

Der Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG setzt den gleichlautenden Art. 12 Abs. 2 lit. c der Richtlinie 2011/95/EU (vormals Richtlinie 2004/83/EG) - sog. QualifikationsRL - um. Art. 12 Abs. 2 lit. c QualifikationsRL entspricht wiederum im Wesentlichen Art. 1 F lit. c der Genfer Flüchtlingskonvention (im Folgenden: GFK) (siehe EuGH, Urteil vom 31. Januar 2017 - C-573/14 -, juris Rn. 43; Marx, AsylG, 11. Aufl., § 3 Rn. 35). Nach dem 31. Erwägungsgrund der QualifikationsRL (vormals 22. Erwägungsgrund) sind Handlungen im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen in der Präambel und in den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen dargelegt. Im Erwägungsgrund wird zudem explizit auf die Resolutionen der Vereinten Nationen zu Antiterrormaßnahmen verwiesen, worin erklärt wird, dass die "Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen" und dass die "wissentliche Finanzierung und Planung terroristischer Handlungen sowie die Anstiftung dazu ebenfalls im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen" (vgl. auch EuGH, Urteil vom 31. Januar 2017 - C-573/14 -, juris Rn. 45; BVerwG, Urteil vom 19. November 2013 - 10 C 26.12 -, juris Rn. 12). Erforderlich für eine unter den Ausschlussgrund fallende Handlung ist, dass diese in einem allgemein anerkannten internationalen Übereinkommen der Vereinten Nationen in Form einer Resolution, Erklärung oder eines Abkommens als den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nation zuwiderlaufend erklärt wird. Dazu zählen z.B. Verbrechen, die den internationalen Frieden, die internationale Sicherheit sowie die friedlichen Beziehungen zwischen den Staaten beeinträchtigen, sowie ernsthafte und andauernde Verletzungen der Menschenrechte. Allerdings ist die Ausschlussklausel kein Auffangtatbestand für Handlungen, die nicht unter Art. 1 F lit. a und lit. b GFK bzw. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 AsylG fallen. Der Entstehungsgeschichte des Art. 1 F lit. c GFK - welche auch zur Auslegung des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG heranzuziehen ist - lässt sich entnehmen, dass der Ausschlussgrund nach der Genfer Flüchtlingskonvention ursprünglich auf Personen zielt, die einen Bezug zum Staat haben und eine gewisse Machtposition besitzen (z.B. Staatsoberhäupter, Minister oder hohe Beamte). Beweggrund für den Ausschlussgrund nach der Genfer Flüchtlingskonvention war es zu verhindern, dass ein Staat ein ehemaliges Staatoberhaupt aus einem anderem Staat aufnehmen muss, welches ursprünglich als Verfolger agiert und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat und nunmehr, bspw. wegen eines Regierungswechsels, selbst zum Flüchtling wurde. Der Kreis der Verantwortlichen soll daher eng gezogen werden. Zwar kann der Täterkreis auch auf Einzelpersonen erstreckt werden, die in einer staatsähnlichen Organisation über eine staatliche Verantwortlichkeit vergleichbare Machtposition verfügen. Eine Anwendung auf den Drogenhandel oder den Menschhandel sieht der UNHCR aber als verfehlt an. Auch sieht z.B. die kanadische Rechtsprechung den Anwendungsbereich der Ausschlussklausel des Art. 1 F lit. c GFK im Bereich des Drogenhandels als nicht erfüllt an, da dieser zwar ein überaus ernsthaftes Problem darstellt und die Vereinten Nationen hiergegen auch außergewöhnliche Anstrengungen unternommen haben, es sich dabei aber nicht um eine ernsthafte und andauernde Verletzung von Menschenrechten handelt. Lediglich für den Bereich des internationalen Terrorismus stuft die Rechtsprechung die Zugehörigkeit zu einer internationalen Terrororganisation unabhängig von der Beteiligung eines Staates als den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufend i.S.v. Art. 12 Abs. 2 lit. c QualifikationsRL bzw. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG ein (zum Vorstehenden: Marx, AsylG, 11. Aufl., § 3 Rn. 36 ff. m. w. N.; vgl. auch Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl., § 3 AsylG Rn. 9 zu anhaltende Menschenrechtsverletzungen und Handlungen, die von der internationalen Gemeinschaft eindeutig als Zuwiderhandlungen gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen identifiziert und akzeptiert wurden, unter Bezugnahme auf den UK Supreme Court).

Nach diesem Maßstab kann der Widerruf der Flüchtlingseigenschaft auf Grundlage der hier vorliegenden strafgerichtlich festgestellten gewerbsmäßigen Einschleusung von Ausländern nicht als den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufend eingestuft werden. Der Kläger hat weder eine staatliche oder staatsähnliche Machtposition ausgefüllt noch hat er Handlungen im Bereich des internationalen Terrorismus begangen. Das gewerbsmäßige Einschleusen von Ausländern läuft - entgegen den Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid und im Klageverfahren - nicht den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwider.

Soweit sich das Bundesamt bzw. die Beklagte dafür zunächst auf die Resolutionen der Vereinten Nationen zu Antiterrormaßnahmen und die dazu ergangene Rechtsprechung beruft, trägt dieser Vergleich nicht. Zwar haben der Europäische Gerichtshof und das Bundesverwaltungsgericht im Hinblick auf die Zugehörigkeit zu einer internationalen Terrororganisation die Ausschlussklausel des Art. 12 Abs. 2 lit. c QualifikationsRL bzw. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG bejaht und dabei die Handlungen unabhängig von der Beteiligung eines Staates als den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufend eingestuft (siehe EuGH, Urteil vom 9. November 2010 - C-57/09 und C-101/09 -, juris Rn. 82 ff.; BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2011 - 10 C 26.10 -, juris Rn. 28). Allerdings ist Grundlage dieser Rechtsprechung der 31. Erwägungsgrund der QualifikationsRL (vormals 22. Erwägungsgrund). Dieser Erwägungsgrund führt explizit an, dass Handlungen im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen "unter anderem in den Resolutionen der Vereinten Nationen zu Antiterrormaßnahmen verankert [sind], in denen erklärt wird, dass die ,Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen' und dass die ,wissentliche Finanzierung und Planung terroristischer Handlungen sowie die Anstiftung dazu ebenfalls im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen' ". Der Art. 12 Abs. 2 lit. c QualifikationsRL - und damit auch der § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG - ist insoweit vor dem Hintergrund dieses Erwägungsgrundes auszulegen. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nimmt dabei insbesondere auf die Resolutionen zu 1373 (2001) und 1377 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen Bezug. Letzteren ist zu entnehmen, dass der Sicherheitsrat von dem Grundsatz ausgeht, dass Handlungen im Bereich des internationalen Terrorismus in einer allgemeinen Weise und unabhängig von der Beteiligung eines Staates den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen. So ist in der Resolution zu 1373 (2001) u. a. wörtlich festgehalten, "dass diese Handlungen [Anm.: die Terroranschläge vom 11. September 2001], wie jede Handlung des internationalen Terrorismus, eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellen". Damit haben die Vereinten Nationen wortwörtlich die Ziele aus Art. 1 Nr. 1 der Charta der Vereinten Nationen, namentlich Weltfrieden und internationale Sicherheit, benannt.

Eine gleichlautende und eindeutige Bezugnahme auf die Ziele der Vereinten Nationen für den Bereich der Schleusertätigkeit fehlt aber bislang. Zwar haben die Vereinten Nationen ein Übereinkommen gegen grenzüberschreitende organisierte Kriminalität mit einem Zusatzprotokoll gegen die Schleusung von Migranten auf dem Land-, See- und Luftweg erlassen (Protocol against the Smuggling of Migrants by Land, Sea and Air, supplementing the United Nations Convention against Transnational Organized Crime vom 15.11.2000). Darin findet sich aber keine eindeutige Aussage, dass die Schleusertätigkeit gegen die Ziele und Grundsätze in der Präambel oder in Art. 1 oder 2 der Charta der Vereinten Nationen verstößt; vielmehr zielt das Zusatzprotokoll auf den Schutz der eingeschleusten Migranten. Auch die vom Bundesamt angeführte Entscheidung eines Ausschusses des Sicherheitsrats aus dem Jahr 2018 betraf nur einen Einzelfall, ohne dass dabei ein generelles Zuwiderlaufen des Menschenschleusens gegen die Ziele und Grundsätze festgestellt wurde. Ebenso führt die Resolution Nr. 30-1 Strengthening international cooperation in addressing the smuggling of migrants aus dem Jahr 2021 von der Commission on Crime Prevention and Criminal Justice lediglich allgemein aus und enthält keine solche explizite Feststellung wie in den Resolutionen zu den Antiterrormaßnahmen. Auch den im Klageverfahren von der Beklagten angeführten Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen in Bezug auf die spezifische Situation im Mittelmeer und in Libyen lässt sich eine solche explizite Feststellung nicht entnehmen. Soweit die Beklagte anführt, dass diese Resolutionen unter dem Gesichtspunkt der Wahrung des Friedens und der internationalen Sicherheit beschlossen worden seien, trifft dies zwar zu (siehe z.B. Resolution 2698 (2023)). Die dabei enthaltene Textpassage "Mindful of its primary responsibility for the maintenance of international peace and security under the Charter of the United Nations", auf die die Beklagte dabei vermeintlich abzielt, drückt dabei aber lediglich aus, dass der Sicherheitsrat sich den Zielen und Grundsätzen der Charter der Vereinten Nationen bewusst ist. Er wird hingegen nicht festgehalten, dass das Menschenschleusen explizit - wie Handlungen im Bereich des internationalen Terrorismus - diesen Zielen und Grundsätzen widerspricht. Zwar haben die Vereinten Nationen - ähnlich wie beim Drogenhandel - die Problematik des Menschenschleusens erkannt und wollen dem durch die jeweiligen Übereinkommen und Handlungen entgegenwirken. Dies erkennt auch die Beklagte zutreffend. Dass die Vereinten Nationen dabei solche Übereinkommen und Handlungen auch in Ansehung der allgemeinen Ziele und Grundsätze treffen, gebietet - entgegen der Auffassung der Beklagten im Klageverfahren - aber keinen Rückschluss darauf, dass mit den inkriminierten Handlungen regelmäßig auch ein Zuwiderhandeln gegen diese Ziele und Grundsätze verbunden sei, auch wenn dies in den Resolutionen oder sonstigen Entschließungen so nicht ausdrücklich formuliert sein sollte. Denn dass die Vereinten Nationen solche Übereinkommen und Handlungen in Ansehung ihrer allgemeinen Ziele und Grundsätze vornehmen, ist denknotwenig. Für die Vereinten Nationen sind deren Ziele und Grundsätze in der Charta gerade Grundlage und Maßstab jeglichen Handelns. Insoweit könnte jede Resolution, jedes Übereinkommen oder jede Handlung der Vereinten Nationen unter dem Aspekt betrachtet werden, dass alle Handlungen, die dagegen verstießen, den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen würde. Damit wäre der Anwendungsbereich des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG uferlos. Die Regelung stellt aber - wie bereits ausgeführt - gerade keinen Auffangtatbestand dar. Dies ist von besonderer Bedeutung, da ansonsten das Recht auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, welches hohe Voraussetzungen hat, die positiv vorliegen müssen (vgl. § 3 Abs. 1 AsylG), durch eine weite Auslegung von Ausschlussgründen unterlaufen werden würde. Insoweit ist auch bei einem Widerruf einer bereits zuerkannten Flüchtlingseigenschaft - wie hier - zu berücksichtigen, dass dieser Widerruf nicht auf eine zu weite Auslegung von Ausschlussgründen gestützt werden darf, um das "starke Recht" der Flüchtlingseigenschaft auszuhöhlen.

Soweit die Beklagte im Klageverfahren darlegt, dass sich bereits in der Vergangenheit die Frage des Vorliegens eines Zuwiderhandelns gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen im Kontext anderer Deklarationen und Resolutionen gestellt habe, ohne dass in diesen Dokumenten ein Zuwiderhandeln gegen Ziele und Grundsätze jeweils explizit benannt gewesen wäre, führt dies zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung. Denn einerseits betreffen die von der Beklagten angeführten Dokumente schon nicht das organisierte Menschenschleusen. Andererseits kann daraus auch nicht eine allgemeingültige Feststellung entnommen werden. Dies zeigt der Vergleich zu dem Bereich des internationalen Terrorismus. Es wurde lange Zeit diskutiert, ob insbesondere vor dem Hintergrund der Resolution 1373 (2001) eine auf den Bereich des internationalen Terrorismus ausgeweitete Anwendung von Art. 1 F lit. c GFK (und mithin mittelbar auch der aktuellen Regelung des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG) angenommen werden könne. So hat bereits im Jahr 2002 das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (Urteil vom 6. Dezember 2002 - 10 A 10089/02 -, juris Rn. 42) dazu erklärt, dass sich die allgemein vertretene Auffassung (z.B. vom UNHCR), den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen könne nur ein Inhaber von staatlicher Macht durch Mitwirkung an einer Verletzung dieser Ziele und Grundsätze durch seinen Staat zuwiderhandeln, nicht mehr aufrechterhalten lasse. Demgegenüber hat noch im Jahr 2007 das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 27. März 2007 - 8 A 5118/05.A -, juris Rn. 137 ff.) eine solche ausgeweitete Anwendung von Art. 1 F lit. c GFK verneint. Erst durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes im Jahr 2010 (Urteil vom 9. November 2010 - C-57/09 und C-101/09 -, juris Rn. 82 ff.) wurde der Anwendungsbereich von Art. 12 Abs. 2 lit. QualifikationsRL auf den Bereich des internationalen Terrorismus in einer allgemeiner Weise und unabhängig von der Beteiligung eines Staates ausgeweitet. Dem hat sich das Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2011 (Urteil vom 7. Juli 2011 - 10 C 26.10 -, juris Rn. 28) angeschlossen und höchstrichterlich die Diskussion geklärt. Diese lange Diskussion zeigt, dass - entgegen den Ausführungen der Beklagten - eine bloße Diskussion in der Vergangenheit nicht einen Rückschluss auf eine etwaige Ausweitung des Anwendungsbereichs von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG aufzwingt. Vielmehr muss anhand von Auslegung der dem § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG zugrundeliegenden internationalen Bestimmungen, d.h. Art. 12 Abs. 2 lit. c QualifikationsRL und Art. 1 F lit. c GFK, ermittelt werden, ob eine Ausweitung erfolgen kann. Für den Bereich des internationalen Terrorismus war dies ausnahmsweise aufgrund des 31. Erwägungsgrundes und der entsprechenden Resolutionen zu den Antiterrormaßnahmen, welche explizit ein Zuwiderlaufen gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen erklären, zu bejahen. Für den Bereich des Menschenschleusens fehlt dies aber.

Im entscheidungserheblichen Zeitpunkt ist mithin kein Akt der Vereinten Nationen ersichtlich, der in vergleichbarer Weise wie die Resolutionen zu den Antiterrormaßnahmen das Menschenschleusen als Zuwiderlaufen gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen (z.B. als eine ernsthafte und andauernde Verletzung von Menschenrechten) erklärt (im Ergebnis so auch VG Hannover, Beschluss vom 18. April 2024 - 12 B 1127/24 -, juris). Der insoweit restriktiv auszulegende Anwendungsbereich des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG ist nicht erfüllt.

Da andere Widerrufsgründe nicht ersichtlich sind, erweist sich die in Ziffer 1 des Bescheides getroffene Widerrufsentscheidung als rechtswidrig und ist aufzuheben. Die getroffenen Entscheidungen in Ziffer 2 und 3 des Bescheides sind ebenfalls aufzuheben, weil die Notwendigkeit ihres Erlasses durch die Aufhebung von Ziffer 1 entfällt.

Da bereits der Hauptantrag Erfolg hat, muss über den Hilfsantrag nicht mehr entschieden werden.

III. Die Kostenentscheidung ergeht nach § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).