Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 04.07.2024, Az.: 12 E 2743/24

Abschiebungsandrohung Asylverfahren; Durchführung der Abschiebung; Durchsuchung der Räume eines Dritten; Durchsuchungsanordnung; Erledigugng bei Asylfolgeantragsbescheid; Erledigung der Abschiebungsandrohung; Erledigung durch Abschiebung oder Ausreise

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
04.07.2024
Aktenzeichen
12 E 2743/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 20791
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2024:0704.12E2743.24.00

Amtlicher Leitsatz

Der Feststellung des Verwaltungsgerichts Bremen, dass nach dem Erlass eines Folgeantragsbescheids des Bundesamtes ohne Abschiebungsandrohung aus einer früheren asylrechtlichen Abschiebungsandrohung ncht mehr vollstreckt werden darf, folgt die Kammer nicht.

In der Verwaltungsrechtssache
Land Niedersachsen, vertreten durch die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen (LAB NI) - Standort Braunschweig -,
Boeselagerstraße 4, 38108 Braunschweig - -
- Antragstellerin -
betreffend
Herr C.,
B-Straße, B-Stadt
wegen Anordnung zur Durchsuchung einer Wohnung zur Durchführung einer Abschiebung
hat das Verwaltungsgericht Hannover - 12. Kammer - am 04.07.2024 beschlossen:

Tenor:

Es wird die Durchsuchung der Wohnung des Betroffenen C., D., E., sowie der zur Wohnung gehörenden Nebenräume am 09.07.2024, allerdings nicht vor 6.00 Uhr morgens, zum Zwecke der Ergreifung der Betroffenen F. G. und H. G. zur Durchführung ihrer Abschiebung angeordnet. Von der Anordnung nicht umfasst ist das Betreten der Wohnung ohne vorherige Ankündigung mittels Klingeln oder Klopfen.

Die Antragstellerin wird mit der Zustellung dieses Beschlusses an den Betroffenen C. im Rahmen der Durchsuchung im Wege der Amtshilfe beauftragt.

Gründe

Der Antrag der Antragstellerin vom 02.07.2024 ist zulässig.

Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet (vgl. BVerwG, Beschl. vom 19.10.2022 - 1 B 65.22 -, juris Rn. 3ff.; Nds. OVG, Beschl. vom 23.11.2022 - 13 ME 276/22 -, juris Rn. 2ff). Weiter ist die Antragstellerin auch die für die Durchführung der beabsichtigten Abschiebung der betroffenen Ausländerinnen zuständige Behörde (vgl. Nds. OVG, Beschl. vom 23.11.2022 - 13 ME 276/22 -, juris Rn. 14; VG Göttingen, Beschl. vom 27.04.2023 - 1 E 142/23 -, juris) und damit antragsberechtigt, § 58 Abs. 6 Satz 1 AufenthG. Darüber hinaus ist der Antrag statthaft, da für die von der Antragstellerin beabsichtigte Maßnahme eine richterliche Anordnung notwendig ist, § 58 Abs. 6 Satz 2, § 58 Abs. 8 Satz 1 AufenthG, und formgerecht, da er schriftlich und mit einer zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der beabsichtigten Durchsuchung ausreichenden Begründung gestellt worden ist (vgl. zu den Formerfordernissen VG Göttingen, Beschl. vom 27.04.2023 - 1 E 142/23 -, juris unter Bezugnahme auf VG Düsseldorf, Beschl. vom 16.11.2020 - 7 L 32/20 -, juris Rn. 20ff.).

Der Antrag ist auch begründet.

Rechtsgrundlage für die beantragte richterliche Durchsuchungsanordnung ist § 58 Abs. 8 Satz 1, Abs. 6 AufenthG. § 58 Abs. 6 AufenthG bestimmt, dass die die Abschiebung durchführende Behörde eine Durchsuchung der Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung vornehmen kann, soweit der Zweck der Abschiebung es erfordert (Satz 1). Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur zur Ergreifung des abzuschiebenden Ausländers zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass der Ausländer sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet (Satz 2). Die Wohnung umfasst die Wohn- und Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum (§ 58 Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 5 Satz 3 AufenthG).

Es ist die Durchsuchung der Wohnung des Betroffenen C. einschließlich der zur Wohnung gehörenden Nebenräume anzuordnen, da die Antragstellerin berechtigt ist, die betroffenen Ausländerinnen abzuschieben (1.), Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich die Betroffenen F. und H. G. auch tatsächlich in der zu durchsuchenden Wohnung des Betroffenen C. aufhalten (2.) und sich die Durchsuchung als verhältnismäßig erweist (3.).

1. Die Betroffenen F. und H. G., Mutter und Tochter, sind abzuschieben, § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Sie sind vollziehbar ausreisepflichtig, ihrer Pflicht zur freiwilligen Ausreise nicht nachgekommen und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht ist nicht gesichert.

Mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 21.10.2014 ist der Asylerstantrag von F. G. als offensichtlich unbegründet abgelehnt und es ist ihr die Abschiebung nach Mazedonien angedroht worden. Einen Aufenthaltstitel hat sie im Anschluss an das Asylverfahren nicht beantragt und ist in Folge dessen seit dem 18.11.2014 vollziehbar ausreisepflichtig, § 58 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Der Asylerstantrag von H. G. ist mit Bescheid des Bundesamtes vom 02.06.2017 als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden. Mit diesem Bescheid ist H. G. die Abschiebung angedroht worden. Auch sie hat im Anschluss an das Asylverfahren keinen Aufenthaltstitel beantragt und ist in Folge dessen vollziehbar ausreisepflichtig.

Die Abschiebungsandrohungen aus den Bundesamtsbescheiden vom 21.10.2014 (Erstbescheid F. G.) und 02.06.2017 (Erstbescheid H. G.) haben sich auch nicht erledigt oder verbraucht.

Gemäß § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG bedarf es, wenn ein Ausländer, nachdem eine in einem früheren Asylverfahren ergangene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist, einen Folgeantrag stellt, der nicht zur Durchführung eines weiteren Verfahrens führt, zum Vollzug der Abschiebung keiner erneuten Fristsetzung und Abschiebungsandrohung. Und gemäß § 71 Abs. 6 AsylG gilt Absatz 5 auch, wenn der Ausländer das Bundesgebiet zwischenzeitlich verlassen hatte. Dementsprechend kann weiterhin aus den genannten Abschiebungsandrohungen des Bundesamtes vollstreckt werden, obwohl die Betroffene F. G. bereits einmal am 14.04.2016 abgeschoben worden und seit dem Erlass des Bescheides vom 21.10.2014 auch mehrfach freiwillig, zuletzt zusammen mit ihrer Tochter H., ausgereist war. Nach dem § 71 Abs. 6 i.V.m. Abs. 5. AsylG zu entnehmenden Willen des Gesetzgebers stehen weder die Abschiebung noch die freiwilligen Ausreisen einem Rückgriff auf die zuvor erlassenen asylrechtlichen Abschiebungsandrohungen entgegen (vgl. auch VGH Ba.-Württ., Beschl. vom 17.11.2023 - 12 S 986/23 -, juris 2. Leitsatz und Rn. 16).

Der Feststellung des Verwaltungsgerichts Bremen (Urt. vom 22.08.2023 - 7 K 263/22 -, juris; vgl. auch VG Würzburg, Beschl. vom 27.04.2024 - W 4 E 23.30232 -, juris), dass nach dem Erlass eines Folgeantragsbescheids des Bundesamtes ohne Abschiebungsandrohung aus einer früheren asylrechtlichen Abschiebungsandrohung nicht mehr vollstreckt werden darf, folgt die Kammer nicht. Die Argumentation des Gerichts, dass der Ausländer ohne erneute Abschiebungsandrohung im Folgeantragsbescheid des Bundesamtes ohne wirksamen Rechtsbehelf gegen eine drohende Abschiebung sei, überzeugt nicht, da dem Ausländer in einer solchen Verfahrenskonstellation einstweiliger Rechtsschutz nach § 123 Abs. 1 VwGO sowohl gegen das Bundesamt als auch gegen die zuständige Ausländerbehörde - hinsichtlich der inlandsbezogenen Abschiebungshindernisse wie sie sich beispielsweise aus Art. 6 Abs. 1 GG ergeben - offensteht.

Die Betroffenen F. und H. G. halten sich spätestens seit dem 14.11.2023 wieder im Bundesgebiet auf und sind noch nicht wieder freiwillig ausgereist. Einen von ihnen am 15.11.2023 gestellten Asylfolgeantrag hat das Bundesamt mit Bescheid vom 21.11.2023 abgelehnt. Vorläufigen Rechtsschutz insoweit hat das Verwaltungsgericht I. mit Beschluss vom 03.01.2024 versagt. Mit Schreiben vom 12.03.2024 hat die Antragstellerin die Betroffenen auf ihre Ausreisepflicht nochmals hingewiesen und ihnen die Möglichkeit gegeben, zu Abschiebungshindernissen vorzutragen. Auch im Anschluss an dieses Schreiben sind die Betroffenen nicht ausgereist. Angaben zu Abschiebungshindernissen haben sie ebenfalls nicht gemacht. Seit dem 11.12.2023 haben sich die Betroffenen statt in der Aufnahmeeinrichtung am Standort I., der sie zugewiesen worden waren, offenbar durchgehend bei dem Sohn der Betroffenen F. G. in J. aufgehalten. Dies lässt sich den wiederholten Erlaubnissen zum vorübergehenden Verlassen der Aufnahmeeinrichtung zum Besuch des Sohnes entnehmen. In der Gesamtschau dieser Umstände lassen sich Anzeichen, dass die Betroffenen in Zukunft freiwillig ausreisen wollten, nicht erkennen.

Auch Duldungsgründe sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass zwischen der Betroffenen F. G. und ihrem erwachsenen Sohn eine besondere Beistandsgemeinschaft besteht.

2. Die Antragstellerin hat zudem glaubhaft gemacht, dass Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich die betroffenen Ausländerinnen auch tatsächlich in den zu durchsuchenden Räumen befinden.

Die beiden Betroffenen hatten vom 11.12. bis zum 22.12.2023, vom 22.12.2023 bis zum 22.01.2024, vom 12.03. bis zum 26.03.2024, ab dem 15.04.2024 und zuletzt vom 16.05. bis zum 12.06.2024 jeweils eine Erlaubnis zum vorübergehenden Verlassen der Aufnahmeeinrichtung am Standort I. zum Besuch des Sohnes, des Betroffenen C., dessen Wohnung nun durchsucht werden soll. Obwohl die Erlaubnis nach dem 12.06.2024 nicht weiter verlängert worden ist, haben sich die Betroffenen F. und H. G. in der Aufnahmeeinrichtung bisher nicht aufgehalten. Stattdessen hat die Sozialarbeiterin der Antragstellerin unter dem 02.07.2024 angegeben, dass sich die Betroffenen nach ihrem Wissen nach wie vor in J. aufhalten würden.

3. Schließlich stellt sich die begehrte Durchsuchungsanordnung mit der aus dem Tenor ersichtlichen Einschränkung der vorherigen Ankündigung auch als verhältnismäßig dar.

Dem Gewicht des Eingriffs und der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Schutzes der räumlichen Privatsphäre entspricht es, dass Art. 13 Abs. 2 GG die Anordnung einer Durchsuchung grundsätzlich dem Richter vorbehält und damit eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz vorsieht; der Richter darf die Wohnungsdurchsuchung nur anordnen, wenn er sich aufgrund einer eigenverantwortlichen Prüfung der Ermittlungen davon überzeugt hat, dass die Maßnahme verhältnismäßig ist (vgl. BVerfG, Beschl. vom 14.07.2016 - 2 BvR 2474/14 -, juris Rn. 18 m. w. N.). Dementsprechend erlaubt § 58 Abs. 6 AufenthG eine Durchsuchung auch nur, soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert.

Die Durchsuchung der Wohnung des Betroffenen C. erweist sich als zum Zwecke der Ergreifung der Betroffenen F. und H. G. geeignet, erforderlich und angemessen.

Die Durchsuchung der Wohnung D., E., ist geeignet, da genügend Anhaltspunkte bestehen, dass sich die Betroffenen F. und H. G. dort am 09.07.2024 aufhalten werden.

Die Durchsuchung der Wohnung des Betroffenen C. ist zur Durchführung der Abschiebung auch erforderlich.

Erforderlich ist eine Durchsuchung regelmäßig dann, wenn eine Vollstreckungsmaßnahme bereits einmal daran gescheitert ist, dass sich der Betroffene in seiner Wohnung verborgen gehalten hat, oder wenn aufgrund sonstiger Umstände konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die geplante Abschiebung scheitern könnte, weil man dem Betroffenen nicht habhaft wird (vgl. VG Dresden, Beschl. vom 01.07.2022 - 3 O 11/22 -, juris Rn. 13; VG Köln, Beschl. vom 15.09.2021 - 5 I 28/21 -, juris Rn. 31; VG Düsseldorf, Beschl. vom 04.03.2021 - 27 I 11/21 -, juris Rn. 59). Im Falle der Betroffenen F. und H. G. bestehen solche Anhaltspunkte, dass man ihrer ohne eine Durchsuchung der Wohnung des Sohnes nicht habhaft würde, da sie sich nach wie vor nicht in der Aufnahmeeinrichtung aufhalten, der sie zugewiesen worden sind, sondern in einer Privatwohnung, die ohne die beantragte Anordnung von der Antragstellerin nicht durchsucht werden kann. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass sich die Betroffenen am 09.07.2024 an der Tür zeigen würden, wenn die Mitarbeiter der Antragstellerin die Abschiebung ankündigen.

Die Durchsuchung der Wohnung des Betroffenen C. ist schließlich angemessen. Durch die Einschränkung, dass das Betreten der Wohnung durch Klingeln oder Klopfen angekündigt werden muss, ist insbesondere sichergestellt, dass die Kinder, die sich in der Wohnung aller Wahrscheinlichkeit nach aufhalten werden, nicht in unangemessenem Maße erschreckt werden. Ausweislich der Anträge der Betroffenen F. G., ihr den Besuch bei Sohn und Enkel zu erlauben, bewohnt der Betroffene C. die Wohnung mit seinem Kind. Außerdem ist die Betroffene H. G. gerade 7 Jahre alt und deshalb ebenfalls besonders schutzbedürftig.

Die Anordnung der Zustellung durch die Antragstellerin im Wege der Amtshilfe erfolgt nach § 56 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 168 Abs. 2 ZPO.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht (vgl. Nds. OVG, Beschl. vom 23.11.2022 - 13 ME 276/22 -, juris Rn. 10). Gerichtskosten fallen nicht an, da es an einem einschlägigen Gebührentatbestand fehlt. Die Auslagen der Antragstellerin sind nicht erstattungsfähig.