Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 25.07.2024, Az.: 10 A 1254/23

Betretungsrecht; Ex-ante; Tierhalterpflichten; Tierschutz

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
25.07.2024
Aktenzeichen
10 A 1254/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 20283
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGMAGDE:2023:0703.S6R283.22.00

Amtlicher Leitsatz

Besteht die gegenwärtige Gefahr, dass eine Wohnungsinhaberin, die zugleich Halterin von Heimtieren ist, sich im handlungsunfähigen Zustand oder sonst in einer hilflosen Lage befindet und ihre Tierhalterpflichten nicht wahrnimmt, kann das Betreten ihrer Wohnung zu Kontrollzwecken sowohl nach allgemeinem Gefahrenabwehrrecht als auch nach Tierschutzrecht gerechtfertigt sein.

In der Verwaltungsrechtssache
Frau A.,
B-Straße, C-Stadt
- Antragstellerin -
Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt D.,
E-Straße, F-Stadt
gegen
Polizeidirektion G.
vertreten durch den Polizeipräsidenten,
H-Straße, I-Stadt
- Antragsgegnerin -
wegen Polizeirecht, Betreten einer Wohnung
- isolierter Prozesskostenhilfeantrag -
hat das Verwaltungsgericht Hannover - 10. Kammer - am 25.07.2024 durch die Einzelrichterin beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt Prozesskostenhilfe für eine beabsichtige Klage, mit der festgestellt werden soll, dass das Betreten ihrer Wohnung durch Polizeibeamtinnen rechtswidrig war.

Am 13.01.2023 kontaktierte der Vermieter der Antragstellerin die Antragsgegnerin. Er teilte mit, er mache sich Sorgen um die Antragstellerin. Der Stromanbieter habe ihr den Strom abgestellt. Er habe sich deswegen mit ihr in Verbindung setzen wollen, um eine Regelung für die Stromversorgung zu finden. Dies sei auch deswegen notwendig, weil ihr kleiner Sohn mit ihr in der Wohnung lebe. Seine Versuche der Kontaktaufnahme durch das Hindurchschieben von Zetteln unter ihrer Wohnungstür seien gescheitert. Die Antragstellerin wie auch ihren Sohn habe er das letzte Mal vor Tagen gesehen, was sehr untypisch sei. Andere Bewohner des Hauses hätten sich bereits über üblen Geruch aus der Wohnung beschwert.

Daraufhin ermittelten die diensthabenden Polizeibeamtinnen zunächst eine Handynummer der Antragstellerin und kontaktierten sie telefonisch, wobei sie den Anruf der Polizei nicht beantwortete. Daraufhin begaben sich die Polizeibeamtinnen zu der Wohnanschrift der Antragstellerin. Vor Ort stellten sie fest, dass auf mehrfaches Klingeln hin niemand öffnete. Daher riefen sie den Vermieter der Antragstellerin an und betraten mit dessen Hilfe zunächst das Treppenhaus des Hauses.

Die eingesetzten Beamtinnen gaben an, der zur Wohnung gehörende Briefkasten sei nicht geleert gewesen. Bereits im Hausflur hätten sie einen strengen Geruch wahrgenommen, der sich vor der Wohnung der Antragstellerin verstärkt habe. Die Antragstellerin hält dem entgegen, ihre Tochter könne bezeugen, dass es in der Wohnung und im Flur nicht übel gerochen habe.

Sodann klopften die Beamtinnen an die Wohnungstür und riefen sowohl nach der Antragstellerin als auch nach ihrem Sohn. Sie nahmen Geräusche, Schritte und Kratzen an der Tür, in der Wohnung wahr, die sie aufgrund der Angaben des Vermieters auf die Haustiere der Antragstellerin zurückführten. Sie kündigten an, dass sie die Tür öffnen würden, da sich die Polizei Sorgen mache. Zwischen 09:00 Uhr und 10:00 Uhr betraten die Polizeibeamtinnen sodann mithilfe eines Zweitschlüssels des Vermieters die Wohnung. Sie trafen darin weder die Antragstellerin noch ihren Sohn an, sondern nur drei Katzen und einen Hund.

Die eingesetzten Beamtinnen berichteten, der Vermieter habe die Wohnung nicht betreten, sondern vor der Tür gewartet. Das Katzenklo sei mit Streu und Kot überfüllt gewesen, das Laminat aufgequollen, klebrig und feucht. Auch vor dem Katzenklo und im Badezimmer hätten sich Kotablagerungen befunden. In der Küche habe eine Packung mit Katzennassfutter gelegen, welches durch eine der Katzen verteidigt worden sei. Die anderen Katzen seien augenscheinlich hungrig gewesen und hätten versucht, die Beamtinnen auf sich aufmerksam zu machen. Näpfe mit Futter für die Tiere seien nicht feststellbar gewesen. Auch Hundefutter sei nicht aufzufinden gewesen. Die Wohnung habe sich insgesamt in einem verwahrlosten Zustand befunden.

Die Antragstellerin bestreitet die Angaben zum Zustand der Wohnung. Drei Zeugen könnten aussagen, dass dieser nicht wie beschrieben gewesen sei. Der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin sei außerdem eine halbe Stunde nach dem Polizeieinsatz in der Wohnung gewesen und habe dort Fotos angefertigt. Das von der Polizei verständigte Jugendamt und das Veterinäramt seien im Anschluss ebenfalls in der Wohnung gewesen und hätten die Darstellung der Polizeibeamtinnen nicht bestätigen können. Insbesondere habe das Veterinäramt die Katzen bei der Antragstellerin belassen, was dafür spreche, dass die Haltung nicht zu beanstanden gewesen sei.

Nachdem die Polizeibeamtinnen die Antragstellerin und ihren Sohn nicht angetroffen hatten, erklärte der Vermieter der Antragstellerin, die Tochter der Antragstellerin, die jedoch Hausverbot in dem Gebäude habe, sei vermutlich mit einem Mieter aus dem zweiten Obergeschoss liiert. Daraufhin begaben sich die Polizeibeamtinnen zu der Wohnungstür dieses Mieters, welche durch die Antragstellerin geöffnet wurde. Sie gab an, vergangene Nacht mit ihrem Sohn in der oberen Wohnung übernachtet zu haben. Die Tiere habe sie noch am Morgen gefüttert und ihr Sohn sei in der Schule.

Der Vermieter der Antragstellerin kündigte ihr noch am selben Tag fristlos. In seinem Kündigungsschreiben führte er unter anderem aus, nachdem er die Polizei verständigt habe, habe diese vermutet, dass sich verstorbene Menschen oder Tiere in der Wohnung befänden. Er selbst habe die Wohnung nicht betreten, einen Teil der Verschmutzungen jedoch schon von der Wohnungstür aus gesehen.

Die Antragstellerin folgert aus den detaillierten Beschreibungen des Zustands der Wohnung von Seiten des Vermieters, dass dieser doch von den Polizeibeamtinnen in die Wohnung gelassen worden sei.

Die Antragstellerin hat am 02.02.2023 einen (isolierten) Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellt und den Entwurf einer Klageschrift beigefügt. Sie kündigt an, die noch nicht erhobene Klage wie folgt zu begründen:

Die fristlose Kündigung ihrer Wohnung sei eine direkte Folge des Polizeieinsatzes gewesen. Zudem habe sie mehrere Tage unter Schlaflosigkeit und Panikattacken gelitten, weswegen sie anstrebe, Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Sie habe sich am Tag des Polizeieinsatzes in bester körperlicher Gesundheit befunden und sei auch von mehreren Personen gesehen worden. Die Polizei sei selbst nicht von einer Gefahr von Leib und Leben ausgegangen, da sie ohne Blaulicht und Martinshorn und auch ohne Hinzuziehung ärztlicher Hilfe am Einsatzort erschienen sei. Es sei merkwürdig, dass sich der besorgte Vermieter bei der Polizei gemeldet habe, obwohl er gewusst habe, dass in der Wohnung im zweiten Stock der zukünftige Schwiegersohn der Antragstellerin gewohnt habe. Mildere Mittel, wie ein Anruf in der Schule des Sohnes, der Besuch der oberen Wohnung oder die Ermittlung des gesamten Sachverhaltes, hätten zur Verfügung gestanden, seien aber nicht genutzt worden. Die Betretung der Wohnung durch die Polizei sei nicht durch sachliche Anhaltspunkte gerechtfertigt und hätte ebenso jeden Urlauber treffen können, der sich einige Tage nicht in seiner Wohnung aufhalte. Vermutlich seien die Beamtinnen mit dem Vermieter oder anderen Bewohnern des Hauses bekannt.

Die Antragstellerin beabsichtigt, im Falle der Klageerhebung zu beantragen, festzustellen, dass das Eindringen in ihre Wohnung am 13.01.2023 in dem Zeitraum zwischen 09:00 Uhr und 10:00 Uhr durch die Polizeibeamtinnen der Antragsgegnerin rechtswidrig gewesen ist.

Die Antragstellerin beantragt,

ihr für die erste Instanz Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihr zur vorläufig unentgeltlichen Wahrnehmung ihrer Rechte ihren Prozessbevollmächtigten als Rechtsanwalt beizuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie führt zur Begründung aus, dass eine Klage gegen die polizeilichen Maßnahmen vom 13.01.2023 zulässig, aber unbegründet wäre. Das Betreten der Wohnung der Antragstellerin sei aus einer ex-ante-Perspektive zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr erforderlich gewesen.

Aufgrund der Angaben des Vermieters, des abgestellten Stroms und des vollen Briefkastens, weil die Beamten keine menschlichen Lebenszeichen aus der Wohnung erhalten hätten und auch aufgrund des strengen Geruchs habe der Verdacht bestanden, dass sich eine leblose Person in der Wohnung befand und somit eine gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben der Antragstellerin oder ihres Sohnes bestand. Die Beamten seien nicht verpflichtet gewesen, einen Rettungswagen hinzuzuziehen, bevor sie sich selbst ein Bild von der Lage verschafft hatten. Dass der Lebensgefährte der Tochter der Antragstellerin im oberen Geschoss wohnte, sei den Beamtinnen zum Zeitpunkt der Maßnahme noch nicht bekannt gewesen. Die Beamtinnen hätten sämtliche ihnen zur Verfügung stehende mildere Mittel ausgeschöpft und keinerlei Schäden an der Wohnung verursacht.

Die Antragsgegnerin habe den Angaben des Vermieters nachgehen und den Sachverhalt aufklären müssen, auch wenn diese Angaben möglicherweise nur ein Vorwand gewesen sein, um einen Kündigungsgrund gegen die Antragstellerin zu konstruieren. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme spiele die dem Polizeieinsatz nachfolgende Kündigung ferner keine Rolle. Sofern Veterinäramt und Jugendamt keine entsprechenden Feststellungen in der Wohnung getroffen hätten, könne dies daran liegen, dass die Antragstellerin die Beanstandungen infolge des Polizeieinsatzes beseitigt habe.

Das Veterinäramt des Landkreises J-Stadt erteilte auf gerichtliche Anfrage hin die Auskunft, dass Mitarbeiter am 09.02.2023 eine unangekündigte Kontrolle der Tierhaltung bei der Antragstellerin durchgeführt hätten. Bei der Kontrolle seien drei Katzen, davon ein Kater, und ein Hund vorgefunden worden. Der Ernährungs- und Pflegezustand des Hundes sei nicht zu beanstanden und dem Alter von 13 Jahren entsprechend gewesen. Eine der Katzen sei abgemagert gewesen und habe struppiges Fell aufgewiesen. Der Zustand der anderen beiden Katzen habe nicht abschließend beurteilt werden können, da die Antragstellerin sich geweigert habe, die Kontrolle fortzusetzen. Die Mitarbeiter hätten bemängelt, dass der unkastrierte Kater gemeinsam mit den beiden Katzen in der Wohnung gehalten wurde. In der Wohnung hätten die Mitarbeiter einen starken Zigarettengeruch wahrgenommen. Die Bodenbeläge (PVC und Laminat) seien aufgequollen und marode gewesen, was auf eine wiederholte und länger anhaltende Verschmutzung mit Urin hinweisen könne. Die Antragstellerin habe den Zustand der Böden bei der Kontrolle damit begründet, dass die Wohnung älter und dementsprechend teilweise renovierungsbedürftig sei. In Folge der abgebrochenen Kontrolle sei beabsichtigt gewesen, der Tierhalterin anzuordnen, alle gehaltenen Katzen einem Tierarzt vorzustellen. Zu der beabsichtigten Anordnung nach §16a TierSchG sei die Antragstellerin schriftlich angehört worden. Ihr Rechtsanwalt habe daraufhin mitgeteilt, dass die Katzen regelmäßig beim Tierarzt seien und entsprechende Befunde übermittelt werden sollten, sodass der Landkreis von der kostenpflichtigen Festsetzung der Anordnung Abstand genommen habe. Eine Tierarztrechnung sei jedoch erst verspätet und nur unvollständig vorgelegt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist nicht begründet.

Prozesskostenhilfe erhält gemäß §§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Im vorliegenden Fall bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Die (noch nicht erhobene) Klage wäre zulässig. Es kann dahinstehen, ob in Bezug auf die begehrte Feststellung die Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO oder die Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog statthaft ist. Das für beide Klagearten gleichermaßen erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben. Es folgt aus dem Gesichtspunkt der Rehabilitation, weil in ein besonders gewichtiges Grundrecht, den Schutz der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG), eingegriffen worden ist. Auch bei - wie hier - in der Vergangenheit liegenden Maßnahmen ist das (Fortsetzungs-)Feststellungsinteresse insbesondere bei tiefgreifenden Grundrechtseingriffen zu bejahen, wenn eine gerichtliche Entscheidung vor Beendigung der in die Grundrechte eingreifenden Maßnahme nicht zu erlangen war (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.01.2017 - 1 BvR 1259/16 -, juris Rn. 14).

Die Klage wäre aber unbegründet. Das Betreten der Wohnung der Antragstellerin ist rechtmäßig gewesen.

1. Das Gericht lässt offen, ob das Betreten der Wohnung der Antragstellerin hier bereits auf § 24 Abs. 2 Nr. 3 NPOG oder jedenfalls auf § 16 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b TierSchG gestützt werden konnte.

Nach § 24 Abs. 2 Nr. 3 NPOG können die Verwaltungsbehörden und die Polizei eine Wohnung ohne Einwilligung der Inhaberin oder des Inhabers betreten und durchsuchen, wenn dies zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für Sachen von bedeutendem Wert erforderlich ist. Gemäß Art. 13 Abs. 1 GG ist die Wohnung unverletzlich. Beschränkungen des Art. 13 Abs. 1 GG in Form des Betretens oder Durchsuchens einer Wohnung durch die Polizei sind nur unter engen Voraussetzungen zulässig und rechtmäßig. Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden (vgl. Art. 13 Abs. 2 GG). Eingriffe und Beschränkungen dürfen im Übrigen nur unter den Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 7 GG vorgenommen werden. In Niedersachsen regeln §§ 24 und 25 NPOG die Voraussetzungen für das Betreten und Durchsuchen einer Wohnung. Diese Voraussetzungen lagen hier vor.

Nach § 16 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b TierSchG dürfen Personen, die von der zuständigen Behörde beauftragt sind, zum Zwecke der Aufsicht über die in Absatz 1 bezeichneten Personen und Einrichtungen und im Rahmen des Absatzes 2 zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung Wohnräume des Auskunftspflichtigen betreten, besichtigen sowie zur Dokumentation Bildaufzeichnungen, mit Ausnahme von Bildaufzeichnungen von Personen, anfertigen. Nach § 16 Abs. 2 TierSchG haben u.a. natürliche Personen der zuständigen Behörde auf Verlangen die Auskünfte zu erteilen, die zur Durchführung der der Behörde durch dieses Gesetz übertragenen Aufgaben erforderlich sind. Die Überwachungsmaßnahmen nach § 16 Abs. 3 TierSchG treffen damit jeden, der möglicherweise Adressat einer tierschutzrechtlichen Anordnung, insbesondere nach § 16a TierSchG, werden kann, insbesondere auch jeden privaten Tierhalter (VG Würzburg, Urteil vom 06.05.2019 - W 8 K 18.1027 -, juris Rn. 21). Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 NPOG wird die Polizei wird in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 tätig, soweit die Gefahrenabwehr durch die Verwaltungsbehörden nicht oder nicht rechtzeitig möglich erscheint. Auch diese Voraussetzungen waren zum Zeitpunkt der polizeilichen Maßnahme erfüllt.

a. Das Betreten der Wohnung durch die diensthabenden Polizeibeamtinnen ist formell rechtmäßig gewesen.

aa. Die zusätzlichen Voraussetzungen des § 25 NPOG, die für Durchsuchungen von Wohnungen gelten, sind auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil die Wohnung der Antragstellerin nur betreten, nicht aber durchsucht worden ist. Das Betreten einer Wohnung ist das Eintreten, Verweilen und Besichtigen in dem Sinne eines "Wenigers" im Verhältnis zu einer Durchsuchung (vgl. Neuhäuser in: BeckOK PolR Nds, 29. Ed. 1.11.2023, NPOG § 24 Rn. 26). Die Durchsuchung erschöpft sich nicht in einem Betreten der Wohnung, sondern umfasst als zweites Element die Vornahme von Handlungen in den Räumen (BVerfG, Beschluss vom 16.06.1987 - 1 BvR 1202/84 -, juris Rn. 26). Kennzeichnend für die Durchsuchung ist die Absicht, etwas nicht klar zutage Liegendes, vielleicht Verborgenes aufzudecken oder ein Geheimnis zu lüften, mithin das Ausforschen eines für die freie Entfaltung der Persönlichkeit wesentlichen Lebensbereichs, das unter Umständen bis in die Intimsphäre des Betroffenen dringen kann. Demgemäß macht die beim Betreten einer Wohnung unvermeidliche Kenntnisnahme von Personen, Sachen und Zuständen den Eingriff in die Wohnungsfreiheit noch nicht zu einer Durchsuchung (BVerwG, Urteil vom 25.08.2004 - 6 C 26/03 -, juris Rn. 24).

Die Beamtinnen haben im vorliegenden Fall die Wohnung der Antragstellerin lediglich besichtigt und dabei überprüft, ob sich in den Räumlichkeiten hilfsbedürftige Personen befanden. Auch den Zustand der in der Wohnung befindlichen Tiere haben sie festgestellt und dokumentiert, ohne zu diesem Zweck ausforschende Tätigkeiten vorzunehmen.

bb. Die Polizeibeamtinnen waren auch formell zuständig für die Wahrnehmung des Betretungsrechts nach § 16 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b TierSchG. Die Geräusche der Tiere hinter der Wohnungstür, der strenge Geruch sowie die nach Angaben des Vermieters bereits mehrtägige Abwesenheit bzw. fehlende Ansprechbarkeit der Tierhalterin bildeten eine hinreichende Tatsachengrundlage für die Annahme, dass sich der Zustand der Tiere bei einem weiteren Zuwarten auf die Verfügbarkeit der Veterinärbehörden verschlechtern könnte und damit der erste Zugriff durch die Polizeibeamtinnen nach § 1 Abs. 2 Satz 1 NPOG angezeigt war.

b. Das Betreten der Wohnung war auch materiell rechtmäßig. Aus der ex-ante-Perspektive lag zu dem Zeitpunkt, zu dem die Polizeibeamtinnen die Wohnung betreten haben, sowohl eine gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben der Antragstellerin und ihres Sohnes als auch eine dringende Gefahr der Verletzung einer tierschutzrechtlichen Norm zum Schutz der Haustiere der Antragstellerin vor.

aa. Eine gegenwärtige Gefahr liegt nach § 2 Nr. 2 NPOG vor, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder bei der diese Einwirkung unmittelbar oder in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht. Eine objektive Gefahr muss dabei nicht bestehen, sondern es genügt vielmehr, dass bei objektiver Betrachtung im Zeitpunkt der polizeilichen Maßnahme (ex-ante-Sicht) eine Sachlage gegeben war, die die Annahme einer drohenden Gefahr rechtfertigte, auch wenn sich dies im Nachhinein nicht bestätigt (OLG Braunschweig, Beschluss vom 30.08.2018 - 1 W 114/17 -, juris Rn. 24). Aufgrund der Angaben des Vermieters der Antragstellerin konnten die Polizeibeamtinnen annehmen, dass die Antragstellerin selbst sowie ihr Sohn sich am Morgen des 13.01.2023 in einer hilflosen Lage befanden, dass die Einwirkung eines schädigenden Ereignisses also bereits begonnen hatte. Die Antragstellerin war für die Beamtinnen weder telefonisch noch vor Ort erreichbar. Der Vermieter hatte ihr bereits vor mehreren Tagen den Strom abgestellt. Weitere Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin ihre Wohnung möglicherweise nicht mehr verlassen oder instandhalten konnte, waren der überfüllte Briefkasten und der üble Geruch im Hausflur bzw. insbesondere vor der Wohnungstür. Zwar bestreitet die Antragstellerin diese Feststellungen. Allerdings erklären sich die Schilderungen plausibel aus den weiteren Beobachtungen der Beamtinnen über Urin und Kot der Tiere der Antragstellerin, welche in der Wohnung verteilt waren. Für das Gericht bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Polizeibeamtinnen wahrheitswidrige Aussagen über die Geruchsbelastung oder den Zustand der Wohnung hätten tätigen sowie grundlos Veterinäramt und Jugendamt hätten informieren sollen. Zudem bestätigte der Fachdienst Veterinärwesen des Landkreises J-Stadt in seiner Stellungnahme vom 08.07.2024, dass der Bodenbelag in der Wohnung, mutmaßlich wegen langanhaltender oder wiederholter Verschmutzung mit Urin, noch am 09.02.2023 aufgequollen und marode gewesen sei. Der Vortrag der Antragstellerin, dass die Beamtinnen mit dem Vermieter bekannt seien und deswegen ihren Einsatz zu seinen Gunsten durchführen oder nicht wahrheitsgemäß dokumentieren sollten, ist als Behauptung ins Blaue hinein unbeachtlich.

Dass die Antragstellerin sich in einer Wohnung im oberen Stockwerk und ihr Sohn sich in der Schule aufhielt, sind Umstände, die den Polizeibeamtinnen am Morgen des 13.02.2023 noch nicht bekannt und für sie in der Situation auch nicht erkennbar waren. Rückblickend erscheint es durchaus möglich, dass der Vermieter die vermeintliche Gefahrenlage konstruiert hat, um Einblick in die Wohnung der Antragstellerin zu erhalten und mit deren schlechtem Zustand eine Kündigung des Mietvertrags rechtfertigen zu können. Diese mögliche Motivation war für die Beamtinnen jedoch nicht ersichtlich. Ferner ist zu berücksichtigen, dass, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist, die Anforderungen, die an eine Wahrscheinlichkeit gestellt werden können, umso geringer sind (Ullrich in: BeckOK PolR Nds, 29. Ed. 1.11.2023, NPOG § 2 Rn. 77). Hier bestand eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Antragstellerin in ihrer Wohnung einen Unfall gehabt oder aus anderen Gründen das Bewusstsein verloren hatte und deswegen nicht mehr imstande war, sich mit ihrem Vermieter wegen der Abschaltung des Stroms auseinanderzusetzen oder auf den Telefonanruf, das Klingeln und Rufen der Beamtinnen zu reagieren. Dieses Szenario mussten die Beamtinnen ernstnehmen, selbst wenn möglicherweise Anhaltspunkte für eine unlautere Absicht des Vermieters bestanden.

bb. Auch im Hinblick auf die Tiere der Antragstellerin war eine dringende Gefahr anzunehmen. Eine dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 16 Abs. 3 TierSchG liegt vor, wenn sich aus konkreten Anhaltspunkten die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht bloß die entfernte Möglichkeit, ergibt, dass in den betroffenen Räumen die Verletzung einer tierschutzrechtlichen Norm entweder bereits stattfindet oder für die Zukunft unmittelbar bevorsteht (OVG des Saarlandes, Beschluss vom 07.07.2015 - 1 B 101/15 -, juris Rn. 18). Wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, muss das Tier nach § 2 Nr. 1 TierSchG seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen. Zu einer angemessenen Ernährung eines Tieres zählt insbesondere die Deckung seines physiologischen Bedarfs an Nahrungsstoffen. Wenn ein Tierhalter seinem Tier nicht regelmäßig Futter und Wasser in ausreichender Menge und angemessener Qualität zur Verfügung stellt, liegt darin ein Verstoß gegen § 2 Nr. 1 TierSchG (Hirt in: Hirt/Maisack/Moritz/Felde, 4. Aufl. 2023, TierSchG § 2 Rn. 16 f.). Ebenfalls verstößt der Tierhalter gegen seine Pflicht zur angemessenen Pflege seines Tieres, wenn es ihm nicht gelingt, stets saubere und hygienisch einwandfreie Verhältnisse zu schaffen, um den Tieren ein würdiges Leben zu ermöglichen und den Ausbruch bzw. die Verbreitung von Infektionskrankheiten zu vermeiden (vgl. VG Augsburg, Beschluss vom 23.09.2011 - Au 2 S 11.773 -, juris Rn. 26).

Der Vermieter der Antragstellerin hatte die Beamtinnen darüber informiert, dass die Antragstellerin mehrere Katzen sowie einen Hund hielt. Aus dem Inneren der Wohnung konnten die Beamtinnen Geräusche der Tiere wahrnehmen. Zudem war die Antragstellerin als Tierhalterin nach den Angaben ihres Vermieters seit mehreren Tagen nicht erreichbar. Aus diesen Erkenntnissen sowie aus dem üblen Geruch aus dem Inneren der Wohnung ließ sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit darauf schließen, dass die Tiere derzeit unter unhygienischen Bedingungen lebten und dass sie auch länger nicht mehr mit Futter und Wasser versorgt worden waren, weil die Antragstellerin dazu nicht imstande oder nicht bereit war. Diese Annahmen bestätigten sich schließlich auch durch die Feststellungen der Beamtinnen im Inneren der Wohnung. Die Katzen bettelten sie um Futter an bzw. verteidigten eine verschlossene Futterpackung, während der Hund gänzlich unversorgt und Hundefutter in den Räumlichkeiten nicht vorhanden war. Die Angabe der Antragstellerin, sie habe die Tiere am selben Morgen noch gefüttert, ist angesichts des beschriebenen Verhaltens der Tiere und der fehlenden Futternäpfe unglaubhaft und als Schutzbehauptung zu bewerten. Auch die Mitarbeiter des von den Beamtinnen verständigten Veterinäramtes stellten bei ihrem Kontrolltermin am 09.02.2023, also knapp einen Monat nach der polizeilichen Maßnahme, noch fest, dass sich die drei Katzen in einem schlechten Ernährungszustand befanden. Nachdem die Antragstellerin keine abschließende Begutachtung ihrer Tiere zuließ, forderten die Mitarbeiter des Landkreises J-Stadt sie auf, die drei Katzen einem Tierarzt vorzustellen. Ihrer Zusage, der Veterinärbehörde entsprechende veterinärmedizinische Befunde zu übermitteln, ist die Antragstellerin erst verspätet und auch nicht vollständig nachgekommen.

c. Die Beamtinnen haben ihre Entscheidung zum Betreten der Wohnung der Antragstellerin ferner nach pflichtgemäßem Ermessen und insbesondere unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit getroffen. Ermessensfehler sind nicht feststellbar. Mildere Mittel wie insbesondere eine Befragung sämtlicher Nachbarn zum Verbleib der Antragstellerin oder die Ermittlung der Schule ihres Sohnes und eine Kontaktaufnahme mit dieser wären nicht ebenso wirksam gewesen, um der Gefahr für Leib und Leben der Antragstellerin und ihres Sohnes sowie ihrer Haustiere zu begegnen. Derartige Ermittlungen hätten zu einer Zeitverzögerung geführt, welche die Beamtinnen angesichts der wahrscheinlich hilflosen Lage der Antragstellerin, ihres Sohnes und ihrer Tiere nicht in Kauf nehmen mussten. Außerdem wäre von der Befragung der Nachbarn sowie der Schule des Sohnes der Antragstellerin auch eine gewisse Prangerwirkung im sozialen Umfeld der Antragstellerin ausgegangen.

Dass der Vermieter der Antragstellerin infolge des Polizeieinsatzes fristlos gekündigt hat, ist ein Umstand, den die Antragsgegnerin nicht beeinflussen konnte. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beamtinnen den Vermieter, wie von der Antragstellerin vermutet, tatsächlich in die Wohnung gelassen haben. Zwar beschrieb dieser in seinem Kündigungsschreiben den schlechten Zustand der Katzentoilette, allerdings stand diese ausweislich des Protokolls des Polizeieinsatzes nicht in der Küche, sondern im Flur der Wohnung, sodass sie auch von der Eingangstür aus zu sehen war.

Nach alledem bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung der Antragstellerin keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Dörr