Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 18.04.2024, Az.: 12 B 1127/24

Ausschlussgrund; Gefahr für die Allgemeinheit; Prognoseentscheidung; Resolutionen des Sicherheitsrates; Schleusen von Menschen; Schleuserring; Widerruf der Flüchtlingseigenschaft; Wiederholungsgefahr; Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
18.04.2024
Aktenzeichen
12 B 1127/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 14552
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2024:0418.12B1127.24.00

Amtlicher Leitsatz

Bei einem Mitglied eines Schleuserrings lässt sich nicht in vergleichbarer Weise wie bei einem Mitglied einer terroristischen Vereinigung annehmen, dass er den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt und damit den Tatbestand des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG erfüllt hat.

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Ziffer 1. des Widerrufsbescheids des Bundesamtes vom 16.02.2024 wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen den Widerruf der ihm zuerkannten Flüchtlingseigenschaft.

Der Antragsteller ist am F. 1989 im Irak geboren, irakischer Staatsangehörigkeit und kurdischer Volkszugehörigkeit. Er ist verheiratet und hat vier minderjährige Kinder.

Mit Bescheid vom 25.03.2020 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) dem Antragsteller nach einer entsprechenden Verpflichtung durch ein Urteil des hiesigen Gerichts vom 27.01.2020 (12 A 1153/17) die Flüchtlingseigenschaft zu. Das Gericht war zu der Überzeugung gelangt, dass der Antragsteller sich vom islamischen Glauben abgewandt hatte und nunmehr Atheist ist und ihm aus diesem Grund Verfolgung durch die Familienangehörigen seiner Ehefrau droht.

Das Berufungsgericht in G., Belgien, verurteilte den Antragsteller am 10.03.2023 wegen des Schleusens von Menschen und des Umstands, dass es sich bei der Straftat um eine Beteiligung an der Haupt- oder Nebentätigkeit einer kriminellen Vereinigung gehandelt hat, rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und einer zusätzlichen Geldstrafe in Höhe von 224 Euro. Folgende Feststellungen hatte das Berufungsgericht getroffen:

Am 30.04.2022 wurden von der belgischen Verkehrspolizei zwei Fahrzeuge kontrolliert, von denen das eine dem Antragsteller gehörte und von einem Mittäter gefahren wurde und das zweite Fahrzeug vom Antragsteller gesteuert wurde. Dieses zweite Fahrzeug konnte einem Schleusernetzwerk zugeordnet werden, das gegen Bezahlung sogenannte "Small Boats" an belgischen oder französischen Stränden für Flüchtlinge versteckt, die den Ärmelkanal auf dem Seeweg überqueren wollen. Der Antragsteller und sein Mittäter transportierten ein für die Überfahrt bestimmtes Boot und die zugehörige Ausrüstung von Deutschland nach Frankreich in Richtung Küste. Weder Boot noch Motor waren für die Überquerung des Ärmelkanals geeignet und die Rettungswesten hatten keine geprüfte Qualität und waren nicht für den Einsatz auf See vorgesehen. Der PKW des Antragstellers war bereits zuvor bei einer Hin- und Rückfahrt im März und einer weiteren Hin- und Rückfahrt im April nach Frankreich in Belgien festgestellt worden. Der Mittäter des Antragstellers hatte zudem zugegeben, zusammen mit dem Antragsteller drei Fahrten zwischen Deutschland und Frankreich unternommen zu haben, um dort Boote abzuliefern. Die Autos waren in Deutschland von anderen Personen beladen worden und der Antragsteller und sein Mittäter hatten konkrete Anweisungen erhalten, wie sie sich bei den Fahrten und im Falle einer Polizeikontrolle verhalten sollten. Der Mittäter des Antragstellers hatte bei seiner Vernehmung angegeben, sich nicht zu seinen Auftraggebern äußern zu wollen, da er sie für gefährlich hielt. Das Gericht sah den Straftatbestand des Schleusens von Menschen innerhalb eines Schleusernetzwerks als vollendet und den erschwerenden Umstand der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung als erwiesen an. Auch den erschwerenden Umstand des Missbrauchs von Schutzbedürftigkeit sah das Gericht als gegeben an, ebenso wie den erschwerenden Umstand der vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Gefährdung der Leben der zu schleusenden Menschen.

Ab dem 30.04.2022 war der Antragsteller in G. in Haft, am 24.07.2023 wurde er nach Deutschland überstellt und dort auf freien Fuß gesetzt.

Das Bundesamt leitete nach Kenntnis des Strafurteils am 13.11.2023 ein Widerrufsverfahren ein und hörte den Antragsteller mit Schreiben vom 15.11.2023 dazu an; eine Äußerung des Antragstellers findet sich im Vorgang des Bundesamtes nicht.

Mit Bescheid vom 16.02.2024 widerrief das Bundesamt die mit Bescheid vom 25.03.2020 zuerkannte Flüchtlingseigenschaft. Weiterhin entschied das Bundesamt, den subsidiären Schutzstatus nicht zuzuerkennen und dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Zur Begründung führte es im Wesentlichen Folgendes aus: die Voraussetzungen für einen Widerruf lägen vor, da der Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft entfallen sei. Aus schwerwiegenden Gründen sei die Annahme gerechtfertigt, dass der Antragsteller den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt habe. Von diesem Ausschlusstatbestand würden auch Anstifter oder in sonstiger Weise Beteiligte an der Straftat erfasst. Handlungen im Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten würden den Ausschlusstatbestand erfüllen und stünden nach allgemeiner Ansicht der Gewährung internationalen Schutzes entgegen. In vergleichbarer Weise hätten sich die Vereinten Nationen auch zur Thematik der grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität und dem damit in einem engen Zusammenhang stehenden Phänomen des organisierten und gewerbsmäßigen Schleusens von Menschen geäußert, welches ein globales Problem darstelle, gegen das geeignete Maßnahmen ergriffen werden sollten. Sowohl die Individualrechte der Geschleusten als auch die Stabilität und Sicherheit der betroffenen Staaten seien gefährdet. Die durch Schleusungskriminalität gefährdeten Rechtsgüter und allgemeinen Zielsetzungen ließen sich "zwanglos" den in der Charta der Vereinten Nationen umrissenen allgemeinen Zielen und Grundsätzen zuordnen. Der Antragsteller sei innerhalb einer international agierenden Schleuserorganisation an der Schleusung von Flüchtlingen in unsicheren Schlauchbooten über den Ärmelkanal auf dem Seeweg beteiligt gewesen. Er habe bandenmäßig und aus Gewinnstreben gehandelt. Darüber hinaus sei die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu widerrufen, weil der Antragsteller eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeute, nachdem er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden sei. Dies sei der Fall, da man den Antragsteller wegen Schleusens von Menschen mit erschwerenden Umständen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt habe. Unerheblich sei, dass die Verurteilung in Belgien erfolgt sei. Auch sei unter Berücksichtigung aller Umstände eine konkret drohende Wiederholungsgefahr für Straftaten vergleichbarer Schwere zu bejahen. Dabei sei die dem Gesetz zugrundeliegende Wertung zu beachten, dass Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren bestraft würden, typischerweise mit einem hohen Wiederholungsrisiko verknüpft seien. Darüber hinaus ließe sich die Wiederholungsgefahr damit begründen, dass der Antragsteller innerhalb einer professionell und international agierenden kriminellen Organisation und aus persönlichem Gewinnstreben gehandelt habe. Auch künftig sei die Versuchung, sich auf solche Weise ein nicht unbeträchtliches Zusatzeinkommen zu verschaffen, nicht zu unterschätzen. Auch die dabei zum Ausdruck kommende kriminelle Energie, die im skrupellosen Vorgehen unter Missachtung der Leben der Geschleusten erkennbar sei, rechtfertige die Annahme einer hinreichend konkreten Wiederholungsgefahr. Dass der Antragsteller Familie habe, habe ihn nicht von seinen Schleusergeschäften abgehalten, weshalb nicht ersichtlich sei, dass ihn die Familie vor künftiger Straffälligkeit bewahren könne. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes lägen nicht vor, da auch insoweit entgegenstehe, dass der Antragsteller sich Handlungen habe zuschulden kommen lassen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderliefen. Der Antragsteller sei zudem von der Zuerkennung subsidiären Schutzes ausgeschlossen, da er eine schwere Straftat im Sinne des Gesetzes begangen habe. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Der Bescheid wurde am 29.02.2024 zur Post gegeben.

Der Antragsteller hat am 14.03.2024 Klage erhoben und um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.

Er trägt vor, soweit das Bundesamt ausführe, er habe sich nicht zur Sache geäußert, sei dies unzutreffend, denn er habe am 31.01.2024 eine Stellungnahme übersandt. Der Bescheid sei offenbar ohne Kenntnis seiner Äußerung verfasst worden. Seine Verurteilung in Belgien könne nicht zum Widerruf führen. Bei einer Verurteilung in Deutschland wäre das Strafmaß nicht so hoch ausgefallen. Er sei durch die Vorspiegelung falscher Sachverhalte in die strafbare Handlung hineingezogen worden. Er habe nicht bewusst den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt. Er sei auch zu keinem Zeitpunkt bewusst Teil einer grenzüberschreitenden organisierten Schleuserkriminalität gewesen. Hinzu komme, dass er zur Bewährung aus der Haft entlassen worden sei. Diese vorzeitige Entlassung zeige, dass sich sein Tatbeitrag im untersten Bereich strafbaren Handelns befunden habe. Er sei auch weder vor der Verurteilung noch nach seiner Freilassung straffällig geworden, von ihm gehe keine latente Gefahr aus. Dementsprechend bestehe auch keine Wiederholungsgefahr. Die Verurteilung sowie die Haftzeit habe er sich zur Mahnung dienen lassen. Auch sei er berufstätig und nehme für sich und seine Familie keine Sozialleistungen in Anspruch. Für den Fall des Widerrufs sei ihm aber zumindest subsidiärer Schutz zu gewähren oder ein Abschiebungsverbot auszusprechen. Die Gründe für die ihm gewährte Flüchtlingseigenschaft seien nach wie vor gegeben.

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Widerrufsbescheid des Bundesamtes vom 16.02.2024 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt unter Bezugnahme auf den angegriffenen Bescheid,

den Antrag abzulehnen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vom Bundesamt und der zuständigen Ausländerbehörde beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Widerruf seiner Flüchtlingszuerkennung in Ziffer 1. des Bescheides vom 16.02.2024 zulässig. Er ist nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG statthaft, da das Bundesamt seine Widerrufsentscheidung unter anderem auf § 73 Abs. 5 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG gestützt hat und die Anfechtungsklage - anders als hinsichtlich der Ablehnung der Gewährung subsidiären Schutzes sowie der Feststellung eines Abschiebungsverbots - insoweit keine aufschiebende Wirkung entfaltet.

Der Antrag ist auch begründet.

Die Widerrufsentscheidung des Bundesamtes erweist sich bei der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen summarischen Prüfung zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) als voraussichtlich rechtswidrig, sodass das Interesse des Antragstellers an der Suspendierung des Widerrufs der Flüchtlingsanerkennung das öffentliche Interesse an dessen Vollziehung überwiegt.

Als Rechtsgrundlage für die Widerrufsentscheidung kommt vorliegend lediglich § 73 Abs. 5 AsylG in Betracht. Danach ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu widerrufen, wenn der Ausländer von der Erteilung nach § 3 Abs. 2 bis 4 AsylG hätte ausgeschlossen werden müssen oder ausgeschlossen ist.

Das Bundesamt hat seine Widerrufsentscheidung auf § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und § 3 Abs. 4 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG gestützt. Die genannten Widerrufsgründe liegen jedoch nicht vor.

Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG ist ein Ausländer nicht Flüchtling im Sinne des Gesetzes, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.

Diese Ausschlussklausel setzt Art.12 Abs. 2 Buchst. c) der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) um, der wiederum auf dem in etwa gleichlautenden Art. 1 F Buchst. c) der Genfer Flüchtlingskonvention beruht. Die jeweils in Bezug genommenen Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen ergeben sich wiederum aus der Charta der Vereinten Nationen, in deren Präambel und den ersten zwei Artikeln die zentralen Ziele und Grundsätze des Staatenbündnisses aufgelistet sind. Sie umfassen die nationale Souveränität, die souveräne Gleichheit aller Mitglieder, die Wahrung der internationalen Sicherheit, die internationale Zusammenarbeit und die friedliche Schlichtung von Streitigkeiten zwischen den Mitgliedern und damit zunächst die grundlegenden Prinzipien der Beziehungen der Mitgliedsstaaten untereinander (vgl. https://www.bpb.de/themen/internationale-organisationen/vereinte-nationen/48577/ziele- und-grundsaetze-der-vereinten-nationen; Hailbronner, AsylG, Kommentar Stand April 2023, § 3 Rn. 65). Mit der Fortentwicklung des Völkerrechts sollen heute allerdings durch die Ausschlussklausel auch einzelne Täter erfasst werden, die Verbrechen begangen haben, welche den internationalen Frieden, die internationale Sicherheit sowie die friedlichen Beziehungen zwischen den Staaten beeinträchtigen oder ernsthafte und andauernde Menschenrechtsverletzungen zum Gegenstand haben. Allerdings können Einzelpersonen Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen, nur begehen, wenn sie in einem Staat oder einer staatsähnlichen Organisation eine gewisse Machtposition besitzen und zur Verletzung dieser Grundsätze durch den Staat unmittelbar beitragen (vgl. Marx, AsylG, Kommentar 11. Aufl. 2022, § 3 AsylG Rn. 37, 39 und 40). Nach der Rechtsprechung können allerdings darüber hinaus Zuwiderhandlungen im Sinne der Ausschlussklausel bei Aktivitäten des internationalen Terrorismus auch von Personen begangen werden, die keine Machtposition in einem Mitgliedsstaat der Vereinten Nationen oder in einer staatsähnlichen Organisation innehaben (BVerwG, Urt. vom 19.11.2013 - 10 C 26.12 -, juris Rn. 12 und Urt. vom 07.07.2011 - 10 C 26.10 -, BVerwGE 140, 114 Rn. 28; VG Ansbach, Urt. vom 19.01.2022 - AN 1 K 21.30046 -, juris Rn. 71; VG Berlin, Urt. vom 29.01.2019 - 37 K 98.18 A -, juris Rn. 30ff.).

Danach ist der Antragsteller nicht nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG vom Flüchtlingsschutz ausgeschlossen, denn weder hat er auf staatlicher Ebene oder in einer staatsähnlichen Organisation eine Machtposition innegehabt, noch ein Verbrechen begangen, welches den internationalen Frieden, die internationale Sicherheit oder die friedlichen Beziehungen zwischen den Staaten beeinträchtigt hat. Auch gehörte er nicht zu einer Organisation des internationalen Terrorismus. Schließlich lässt sich entgegen der Rechtsauffassung des Bundesamtes auch bei einem Mitglied eines Schleuserrings - wie es der Antragsteller nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in G. gewesen ist - der Tatbestand des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG nicht mit der Begründung annehmen, dass sich die Vereinten Nationen in vergleichbarer Weise zu dem internationalen Terrorismus auch zu dem Phänomen des organisierten und gewerbsmäßigen Schleusens von Menschen geäußert hätten.

Die Anwendung der Ausschlussklausel auf den internationalen Terrorismus beruht auf Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zu Antiterrormaßnahmen. Der Sicherheitsrat hat in zwei Resolutionen festgestellt, dass Handlungen des internationalen Terrorismus in einer allgemeinen Weise und unabhängig von der Beteiligung eines Staates den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen (EuGH, Urt. vom 09.11.2010 - C-57/09 und 101/09 -, juris Rn. 82ff.; nachfolgend BVerwG, Urt. vom 19.11.2013 - 10 C 26.12 -, juris Rn. 12 und Urt. vom 07.07.2011 - 10 C 26.10 -, BVerwGE 140, 114 Rn. 28; zuletzt VG Ansbach, Urt. vom 19.01.2022 - AN 1 K 21.30046 -, juris Rn. 71). In den UN-Resolutionen 1373 (2001) und 1377 (2001) ist explizit ausgeführt, "dass die Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus" und "die wissentliche Finanzierung und Planung terroristischer Handlungen sowie die Anstiftung dazu ebenfalls im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen" (vgl. Erwägungsgrund 22 zur RL 2004/83/EG). Entsprechend eindeutige Resolutionen in Bezug auf die Handlungen internationaler Schleuserringe hat der UN-Sicherheitsrat bisher nicht erlassen. Die Entscheidung eines Ausschusses des Sicherheitsrats vom 07.06.2018, angeführt vom Bundesamt in dem angefochtenen Widerrufsbescheid, betraf einen Einzelfall, in dem sechs Personen als Hauptverantwortliche für illegale Aktivitäten im Zusammenhang mit Menschenhandel und der Schleusung von Migranten mit Reiseverboten und dem Einfrieren von Vermögenswerten belegt worden waren (https://www.swp-berlin.org/en/publication/organisierte-kriminalitaet-auf-der-agenda-des-vn-sicherheitsrats). Darüberhinausgehende Feststellungen zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen enthielt die Entscheidung nicht. Auch die am 09.10.2015 zur Schleusung von Flüchtlingen in, durch und aus dem Hoheitsgebiet Libyens beschlossene Resolution 2240 (2015) (https://www.un.org/depts/german/sr/sr_15/sr2240.pdf) enthält keine eindeutige Aussage dazu, dass das Schleusen von Menschen den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderläuft. Selbiges gilt im Übrigen für das in der Resolution in Bezug genommene Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität und das dazu ergangene Zusatzprotokoll gegen die Schleusung von Migranten auf dem Land-, See- und Luftweg (abgedruckt im BGBl. II, 956, 1007, vgl. https://www.un.org/Depts/german/uebereinkommen/ar55025-dbgbl.pdf).

Auch auf den Ausschlussgrund des § 3 Abs. 4 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG lässt sich der Widerruf nicht stützen. Danach wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Ist ein Flüchtling rechtskräftig zu einer mindestens dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls weiter zu prüfen, ob diese Verurteilung die Annahme rechtfertigt, dass er tatsächlich eine Gefahr für die Allgemeinheit im Sinne des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG darstellt. Erforderlich ist insoweit, dass eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten ernsthaft droht. Zu den in die Prognoseentscheidung einzubeziehenden Umständen gehören insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung und das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts ebenso wie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zu dem maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BVerwG, Urt. vom 31.01.2013 - 10 C 17.12 -, juris Rn. 15 und Beschl. vom 12.10.2009 - 10 B 17.09 -, juris Rn. 4; VG Lüneburg, Beschl. vom 04.08.2023 - 3 B 31/23 -, n.v.). Dabei ist allerdings auch die der gesetzlichen Regelung zugrundeliegende Wertung zu beachten, dass Straftaten, die so schwerwiegend sind, dass sie zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren geführt haben, typischerweise mit einem hohen Wiederholungsrisiko verknüpft sind (vgl. BVerwG, Beschl. vom 12.10.2009 - 10 B 17.09 -, juris Rn. 4 und Urt. vom 16.11.2000 - 9 C 6.00 -, juris Rn. 16).

Diese Voraussetzungen sind hier voraussichtlich nicht erfüllt.

Zwar ist der Antragsteller durch das Berufungsgericht in G., Belgien, zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden und erfüllt auch eine Strafverurteilung, die nicht durch ein deutsches, sondern ein Gericht aus einem anderen EU-Mitgliedsstaat ausgesprochen wird, den Tatbestand des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG (VG Aachen, Urt. vom 22.02.2010 - 5 K 289/09.A -, juris).

Bei summarischer Prüfung rechtfertigt jedoch diese Verurteilung nicht die Annahme, dass der Antragsteller tatsächlich eine Gefahr für die Allgemeinheit im Sinne des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG darstellt. Es fehlt an der im Einzelfall notwendig festzustellenden Gefahr, dass bei dem Antragsteller eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten ernsthaft droht. Die der Vorschrift zugrundeliegenden Wertung, dass Straftaten, die so schwerwiegend sind, dass sie zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren geführt haben, typischerweise mit einem hohen Wiederholungsrisiko verknüpft sind, kann im Falle des Antragstellers für die anzustellende Prognoseentscheidung nicht das gleiche Gewicht haben wie in dem Fall einer Verurteilung in Deutschland, da sich für die Einzelrichterin nicht bemessen lässt, ob die vom Antragsteller begangenen Straftaten auch nach bundesdeutschem Strafrecht mit einer dreijährigen Freiheitsstrafe abgeurteilt worden wären. Zudem ist beim Bemessen der Schwere der Tat in den Blick zu nehmen, dass die belgischen Strafvollstreckungsbehörden nach der Verbüßung von knapp 15 Monaten Haft durch den Antragsteller von einer weiteren Strafvollstreckung abgesehen und den Antragsteller nach Deutschland überstellt haben. Soweit das Bundesamt die Annahme einer Wiederholungsgefahr darauf stützt, dass der Antragsteller innerhalb einer professionell und international agierenden kriminellen Organisation gehandelt habe, finden sich in dem Urteil des Berufungsgerichts in G. nicht genügend Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller in dem Schleuserring tatsächlich als ständiges Mitglied oder für eine längere Zeit agiert hatte. Festgestellt waren ausweislich des Urteils lediglich drei Fahrten des Antragstellers nach Frankreich in zwei Monaten, dass er tatsächlich häufiger für den Schleuserring Fahrten unternommen hat, kann dem Antragsteller nicht unterstellt werden. Darüber hinaus ist zu Gunsten des Antragstellers in die Prognose einzustellen, dass er angibt, er habe sich seine Verurteilung sowie die Haftzeit zur Mahnung dienen lassen. Dass insbesondere seine Haftzeit von knapp 15 Monaten bei dem Antragsteller einen Eindruck hinterlassen hat, der ihn von zukünftigen Straftaten abhält, liegt nicht fern, da der Antragsteller - seinem Vortrag entsprechend - bisher ohne Vorstrafen ist (letzte Abfrage des Bundeszentralregisters durch die zuständige Ausländerbehörde am 05.08.2023). Soweit das Bundesamt in seinem Bescheid die Annahme einer Wiederholungsgefahr dadurch gerechtfertigt sieht, dass in dem skrupellosen Vorgehen unter Missachtung der Leben der Geschleusten eine hohe kriminelle Energie des Antragstellers zum Ausdruck komme, ist dem entgegen zu halten, dass aus den Feststellungen des Berufungsgerichts in G. nicht eindeutig eine positive Kenntnis des Antragstellers von der schlechten Qualität und der Untauglichkeit des von ihm transportierten Materials für das offene Gewässer des Ärmelkanals hervorgeht. Zwar ist der Antragsteller durch das Gericht auch für den erschwerenden Umstand der vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Gefährdung der Leben der zu schleusenden Menschen verurteilt worden. In dem Urteil ist jedoch ausgeführt, dass die PKW des Antragstellers bzw. seines Mittäters von Dritten beladen worden waren und er und sein Mittäter die PKW beladen übernommen hatten. Schließlich genügen auch die Ausführungen des Bundesamtes, dass die Versuchung für den Antragsteller, sich zukünftig auf entsprechende Weise ein nicht unbeträchtliches Zusatzeinkommen zu verschaffen, nicht zu unterschätzen sei, nicht, um zu begründen, dass eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten ernsthaft droht. Immerhin verdient der Antragsteller nach eigenen Angaben genügend, um den Lebensunterhalt für seine inzwischen sechsköpfige Familie ohne die Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen sicherzustellen.

Auch die Voraussetzungen der weiteren Widerrufsgründe des § 3 Abs. 2 AsylG und § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 1 AufenthG liegen ersichtlich nicht vor.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).