Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 03.05.2001, Az.: 14 U 226/00
Schmerzensgeldanspruch wegen der Folgen eines Verkehrsunfalls; Anscheinsbeweis bei einer Kollision mit einem in einer Kurve auf die Gegenfahrbahn geratenen Fahrzeug; Entfernung der Linse des rechten Auges infolge einer Augapfelprellung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 03.05.2001
- Aktenzeichen
- 14 U 226/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 31827
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2001:0503.14U226.00.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 24.08.2000 - AZ: 14 O 3640/99
Rechtsgrundlagen
- § 823 Abs. 1 BGB
- § 847 BGB
Der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle hat
auf die mündliche Verhandlung vom 10. April 2001
durch
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 24. August 2000 verkündete Urteil der 14. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wie folgt abgeändert:
- 1.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 10.000 DM zu zahlen nebst 4 % Zinsen seit dem 4. Januar 2000,
- 2.
es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtlichen zukünftigen materiellen Schaden sowie zukünftigen immateriellen Schaden, soweit dieser noch nicht sicher vorhersehbar ist, aus dem Verkehrsunfall vom 28. April 1998 in W. (N.) zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder Dritte übergegangen sind oderübergehen werden.
Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen die Beklagten.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Wert der Beschwer beträgt für die Beklagten 13.000 DM.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin ist begründet.
Die Klägerin kann von den Beklagten als Gesamtschuldnern auf Grund des Verkehrsunfalles vom 28. April 1998 gegen 10:15 Uhr in W.-N. gemäss § 823 Abs. 1, § 847 BGB Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 10.000 DM verlangen sowie die Feststellung, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr sämtlichen zukünftigen materiellen Schaden sowie zukünftigen immateriellen Schaden zu ersetzen, soweit dieser nicht auf Dritte übergeht.
I.
1.
Der Schmerzensgeldanspruch der Klägerin ergibt sich aus§ 823 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. § 847 BGB. Die Beklagte zu 1 hat den Unfall und die darauf beruhenden Verletzungen der Klägerin schuldhaft durch eine unerlaubte Handlung i.S. des § 823 BGB herbeigeführt, indem sie ihre Fahrweise nicht den Straßen- und Witterungsverhältnissen angepasst hat und in der Rechtskurve der H. Straße im Ortsteil W.-N. mit ihrem Fahrzeug auf die Gegenfahrbahn geriet und dort mit dem von dem Ehemann der Klägerin gesteuerten Pkw kollidierte.
Diese Kollision ist auf das alleinige Verschulden der Beklagten zu 1 zurückzuführen. Dieses Verschulden ergibt sich bereits nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises, wonach sich bei einem typischen Geschehensablauf, der nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hinweist und so sehr das Gepräge des Gewöhnlichen und Üblichen trägt, dass die besonderen individuellen Umstände in ihrer Bedeutung zurücktreten (BGH VersR 1978, 74 m.w.N.), der Schluss aufdrängt, dass die Beklagte zu 1 den Unfall durch eine fehlerhafte Fahrweise verschuldet hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann sich ein derartiger Anscheinsbeweis auch daraus ergeben, dass ein Fahrzeug in einer Kurve auf die Gegenfahrbahn gerät und dort mit einem Fahrzeug kollidiert, wobei regelmäßig die Ursache eine zu hohe Geschwindigkeit und/oder ein Fahrfehler des Fahrzeugführers sind. Grundsätzlich kann daher bei derartigen Unfällen von einem Anscheinsbeweis zu Lasten des Fahrzeugführers ausgegangen werden, der in der Kurve auf die Gegenfahrbahn gerät, jedenfalls ist die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises dann nicht ausgeschlossen, wenn die äußeren Anzeichen für ein Fehlverhalten des auf die Gegenfahrbahn gekommenen Fahrzeugführers sprechen.
Ernst zu nehmende Anhaltspunkte für eine andere von außen hinzutretende Unfallursache, die den Beweis des ersten Anscheins erschüttern könnten, sind nicht ausreichend deutlich erkennbar geworden. Die vom Senat in der mündlichen Verhandlung vom 10. April 2001 durchgeführte Beweisaufnahme hat keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Beklagte zu 1 auf Grund einer auf ihrer Fahrbahn in der Kurve befindlichen Ölspur oder Dieselkraftstoffspur auf die Gegenfahrbahn geraten ist. Die in der Berufungsinstanz erstmals benannten Zeugen H., K1, M. und W., die als örtliche Feuerwehr an der Unfallstelle eingesetzt waren, konnten das Vorhandensein einer Ölspur oder Dieselkraftstoffspur nicht bestätigen. Der Zeuge H. hat, als er an der Unfallstelle eingetroffen war, lediglich festgestellt, dass aus dem Fahrzeug der Beklagten zu 1 Brems- und Kühlflüssigkeit austrat, sodass die Fahrbahnoberfläche im Unfallbereich schmierig war. Diese Erscheinung beschränkte sich auch auf die unmittelbare Unfallstelle. Nach den Angaben des Zeugen H. war vor und hinter dem abgestreuten Bereich keine Verschmutzung feststellbar. Auf die Nachfrage des Sachverständigen B. hat der Zeuge H. eingeräumt, auf die Art der Verschmutzung nicht genau geachtet zu haben, seiner Ansicht nach hat es sich weniger um Dieselkraftstoff gehandelt. Der Zeuge K. konnte zu der Frage, ob Dieselkraftstoff oder Öl die Fahrbahn der Beklagten zu 1 verschmutzt hat, nichts sagen, da es seine Aufgabe war, eine Umleitung für die weiteren Fahrzeuge aufzubauen. Der Zeuge M. hatte nach eigener Bekundung fast keine Erinnerung mehr an den Unfall. An eine Ölspur auf der Fahrbahn der Beklagten zu 1 konnte er sich nicht erinnern. Lediglich unmittelbar unter dem Fahrzeug der Beklagten zu 1 hat er Flüssigkeit festgestellt. Der Zeuge W. hat bekundet, er habe die Motorhaube aufbrechen müssen, da der Motor des Fahrzeugs der Beklagten zu 2 noch in Betrieb gewesen sei. Aus dem Motorraum des Fahrzeugs der Beklagten zu 1 sei Flüssigkeit ausgetreten, Motoröl sei es jedoch nicht gewesen. Auch auf der Fahrbahn der Beklagten zu 1 habe er kein Öl festgestellt. Auf die Nachfrage des Sachverständigen B. hat der Zeuge W. bekundet, er habe wahrgenommen, dass es sich bei der Fahrbahnverschmutzung nicht um Dieselkraftstoff gehandelt habe. Der Zeuge K2., der als Polizeibeamter am Unfallort eingesetzt war, hat entgegen seiner Aussage vor dem Landgericht seine Darstellung vor dem Senat abgeschwächt. Nach der Aussage des Zeugen K2. ist er von der Beklagten zu 1 darauf hingewiesen worden, dass sich auf ihrer Fahrbahn eine Ölspur befinde. Er habe sich diese Spur auch angesehen, sie sei farbenprächtig gewesen und habe eine gerade, nicht verwischte Spur dargestellt. Als der Pkw der Beklagten zu 1 angehoben worden sei, sei aus dem Motorraum eine grüne Flüssigkeit ausgetreten. Nach der Aussage des Zeugen W., dem Ehemann der Klägerin, trat aus dem Motorraum des Fahrzeugs der Beklagten zu 1 Flüssigkeit aus. Der Zeuge hat auf der Fahrspur der Beklagten eine Ölspur nicht festgestellt. Maßgeblich für die vom Senat gewonnene Überzeugung, dass der Unfall auf das alleinige Verschulden der Beklagten zu 1 zurückzuführen ist, war jedoch das in der mündlichen Verhandlung vom 10. April 2001 vor dem Senat mündlich erstattete Gutachten des Sachverständigen B. Auf Grund der Zeugenvernehmung ist der Sachverständige davon ausgegangen, dass die Fahrbahn - entgegen den Angaben in der polizeilichen Unfallaufnahme - feucht war, es jedoch nicht mehr geregnet hat. Zu der Frage, welche Flüssigkeit auf der Fahrbahn der Beklagten vorhanden gewesen sein kann, hat der Sachverständige erklärt, er gehe davon aus, dass aus dem Bremszylinder Flüssigkeit ausgetreten sei, da das linke Vorderrad des Fahrzeugs der Beklagten bei dem Unfall abgerissen worden sei. Andererseits sei der Bremsflüssigkeitsbehälter noch gefüllt gewesen, wie sich aus den in der Akte befindlichen Fotos ergebe. Die Menge der durch den Unfall ausgetretenen Bremsflüssigkeit habe sich deswegen in Grenzen gehalten. Im Gegensatz hierzu sei die Kühlflüssigkeit mit 6,5 l schnell und plötzlich auf die Fahrbahn gelangt. Normalerweise breite sich diese Kühlflüssigkeit nicht schnell aus, hier sei jedoch zu berücksichtigen, dass die Fahrbahnoberfläche feucht gewesen sei, sodass ein feuchter Untergrund vorhanden gewesen sei, auf dem sich die Kühlflüssigkeit schnell habe verbreiten können. Zudem sei die Kühlflüssigkeit heiß gewesen, was ebenfalls vorteilhaft für eine schnelle Verbreitung gewesen sei. Auf Grund der Fahrbahnneigung habe die Kühlflüssigkeit jedoch dazu tendiert, nicht auf die ursprüngliche Fahrbahn der Beklagten zu 1 zu fließen, sondern in die Gegenrichtung. Es könne jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die Reifen von nachfolgenden Fahrzeugen das Medium mitgenommen hätten, wobei jedoch nur von einer begrenzten Mitnahmekapazität der Reifen auszugehen sei. Der Sachverständige hat in seinem mündlichen Gutachten nicht ausgeschlossen, dass ein drittes Fahrzeug vor dem Unfall die Kurve durchfahren und auf Grund der Fliehkraft dabei Dieselkraftstoff aus einem offenen Tank verloren haben kann. Nach den Ausführungen des Sachverständigen kann es sich bei dem ausgetretenen Dieselkraftstoff jedoch nur um eine geringe Menge gehandelt haben. Es wäre auch keine Streifenbildung aufgetreten, da auf Grund der Fahrbahnneigung der Verbreitungseffekt des Dieselkraftstoffes zur Richtungsfahrbahn der Beklagten zu 1 gering gewesen wäre. Zudem wäre eine Geruchsbelästigung erheblich gewesen, keiner der vernommenen Zeugen hätte jedoch etwas von dem typischen Geruch des Dieselkraftstoffs gesagt. Der Sachverständige ist weiterhin davon ausgegangen, dass das von dem Ehemann der Klägerin gesteuerte Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt nicht gestanden hat. Zu diesem Ergebnis ist der Sachverständige gekommen, da die Ehefrau sonst nicht mit dem Kopf gegen den Holm des Fahrzeuges geprallt wäre und auch nicht beide Airbags des klägerischen Fahrzeugs ausgelöst worden wären. Auch zu einem Abriss des Rades des Fahrzeugs der Beklagten zu 1 wäre es nicht gekommen. Der Sachverständige ist von einer Kollisionsgeschwindigkeit des klägerischen Fahrzeugs von 30 km/h ausgegangen. Auf Grund seiner Kenntnis der Unfallstelle hat der Sachverständige ausgeführt, die Kurve sei gefahrlos mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h zu durchfahren und zwar auch bei feuchter Fahrbahn. Die Stellung der Fahrzeuge spricht allerdings nach den Ausführungen des Sachverständigen dafür, dass die Beklagte zu 1 auf Grund eines Bremsmanövers auf die Gegenfahrbahn geraten ist. Nach den Ausführungen des Sachverständigen hätte sich das Fahrzeug der Beklagten zu 1 im Uhrzeigersinn drehen müssen, wenn es ungebremst in die Kurve hineingefahren und auf Grund der Fahrbahnbeschaffenheit aus dieser herausgetragen worden wäre. Mit der Fahrzeugfront zuerst gerät ein Fahrzeug nach den Ausführungen des Sachverständigen beim Durchfahren der Kurve nur dann zuerst über die Mittellinie, wenn das Fahrzeug abgebremst wird. Auf Grund der Unfallspuren ist der Sachverständige davon ausgegangen, dass die Beklagte zu 1 ihr Fahrzeug bereits abgebremst hat, bevor sie den Bereich einsehen konnte, der später von der Feuerwehr abgestreut worden ist. Der Sachverständige war auch der Ansicht, den in den Akten befindlichen Fotos eine Blockierspur auf der Fahrbahn entnehmen zu können. Das starke Heraustragen des Fahrzeugs der Beklagten aus der Kurve spricht nach den Ausführungen des Sachverständigen für ein starkes Abbremsen des Fahrzeugs der Beklagten, was darauf hindeutet, dass die Beklagte zu 1 zu spät auf die Kurve reagiert hat. Angesichts der Streifberührung der Fahrzeuge muss die Beklagte zu 1 nach den Ausführungen des Sachverständigen auch deutlich über 50 km/h gefahren sein, was für diese Kurve eine zu hohe Geschwindigkeit gewesen ist.
Auf Grund dieser Beweisaufnahme steht fest, dass die Beklagte zu 1 den Unfall allein verursacht hat, indem sie mit unangepasster Geschwindigkeit in die Kurve hineingefahren ist und ihr Fahrzeug dann stark abgebremst hat, sodass sie aus der Kurve herausgetragen wurde und auf die Gegenfahrbahn geraten ist, sodass es zur Streifkollision mit dem Fahrzeug des Ehemannes der Klägerin gekommen ist. Ernst zu nehmende Anhaltspunkte für das Vorhandensein von Öl oder Dieselkraftstoff auf der Fahrbahn der Beklagten zu 1 habe die Beweisaufnahme nicht ergeben, sodass der für das Verschulden der Beklagten zu 1 sprechende Anscheinsbeweis nicht erschüttert ist.
2.
Die Klägerin hatte bei dem Unfall eine Augapfelprellung erlitten, in deren Folge die Linse des rechten Auges entfernt werden musste. Zudem hat sich die Klägerin eine Virusinfektion am Auge zugezogen. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen (Schmerzensgeldtabelle, Hacks/Ring/Böhm, 19. Aufl., Nr. 753, 771, 777, insbesondere 1317, 1328 und 1350) hält der Senat ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 DM für angemessen.
II.
Auch dem Feststellungsantrag der Klägerin war stattzugeben. In Anbetracht der erlittenen Verletzungen, der Entfernung der Linse des rechten Auges sind Folgeschäden nicht auszuschließen. Hinsichtlich des materiellen Schadens hat die Klägerin in der Berufungsinstanz unwidersprochen vorgetragen, die Beklagte zu 2 habe bislang nur den bisher bezifferten Schaden ersetzt. Hinsichtlich einer berufsmindernden Schädigung haben die Beklagten mit Schriftsatz vom 1. Februar 2000 vortragen lassen, diese sei nicht eingetreten. Da diese Frage zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschließend beurteilt werden kann, ist auch der Feststellungsantrag hinsichtlich der materiellen Schäden begründet.
III.
Die Zinsforderung ergibt sich aus den §§ 284, 286, 288 BGB.
Die Nebenentscheidungen im Übrigen folgen aus§ 708 Nr. 10, §§ 711, 713, § 546 Abs. 2 ZPO.