Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 16.11.1998, Az.: III 588/96
Definition des Begriffs "Spekulationsgeschäft"; Steuerliche Berücksichtigung der zivilrechtlichen Rückwirkung einer Genehmigung
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 16.11.1998
- Aktenzeichen
- III 588/96
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1998, 18649
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1998:1116.III588.96.0A
Rechtsgrundlagen
- § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG
- § 2 Abs. 1 Nr. 7 EStG
- § 22 Nr. 2 EStG
Verfahrensgegenstand
Spekulationsfrist bei ausstehender Genehmigung für ein Grundstücksgeschäft
Einkommensteuer 1994
Der III. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat
mit Einverständnis der Beteiligten nach § 79 a FGO
durch
den Berichterstatter Richter am Finanzgericht ...
nach mündlicher Verhandlung
in der Sitzung vom 16. November 1998
für Recht erkannt:
Tenor:
Unter Abänderung des Einkommensteuerbescheids vom 22. Januar 1996 in der Fassung des Einspruchsbescheids vom 11. November 1996 und des. Änderungsbescheids vom 9. April 1997 wird die Einkommensteuer 1994 auf 25.430 DM herabgesetzt.
Der Beklagte trägt die Kosten.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höbe der an die Kläger zu erstattenden Kosten abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit leisten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Gegenstand des Verfahrens sind der Einkommensteuerbescheid 1994 vom 22. Januar 1996 in der Fassung des Einspruchsbescheids vom 11. November 1996 und des Änderungsbescheids 1994 vom 9. April 1997; diesen haben die Kläger gem. § 68 FGO fristgerecht, wie das Gericht festgestellt hat, zum Gegenstand des Klageverfahrens gemacht.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Verkauf einer Eigentumswohnung innerhalb der Zweijahresfrist des § 23 Einkommensteuergesetz (EStG) erfolgt ist und deshalb ein einkommensteuerpflichtiger Spekulationsgewinn entstanden ist.
Mit notariellem Kaufvertrag vom 2. Juli 1992 erwarb die Klägerin eine Eigentumswohnung in B. Die Anschaffungskosten betrugen 105.000 DM. Mit notariellem Vertrag vom 7. Juni 1994 veräußerte die Klägerin diese Eigentumswohnung an die Eheleute K. Diese traten in der Beurkundungsverhandlung persönlich nicht auf. Für sie handelte als vollmachtlose Vertreterin die Notariatsangestellte des Notars, Frau B. Der vereinbarte Kaufpreis betrug 165.000 DM. Den Eheleuten K. war als Erwerbern der notarielle Kaufvertrag vorher inhaltlich bekannt geworden. Sie genehmigten diesen mit notariell beurkundeter Erklärung am 8. Juli 1994.
Der Beurkundungstermin wurde seinerzeit nur deshalb auf den 7. Juni 1994 gelegt, weil die Klägerin sonst extra von ihrem neuen Wohnort L. hätte anreisen müssen. Die Kläger waren nämlich bereits am 15. Juni 1994 aus ihrer früheren Wohnung ausgezogen. DieÜbergabe der geräumten Wohnung sollte erst am 15. Juli 1994 erfolgen. Den Erwerbern K. wäre ein späterer Vertragsschluss deshalb auch recht gewesen. Diese besaßen kein Interesse an einer Rückwirkung ihrer Genehmigungserklärung.
Da die Kläger von der Bedeutung der Spekulationsfrist erfahren hatten, holten sie beim Finanzamt ... in der Lohnsteuerabteilung eine Auskunft des Sachbearbeiters S. telefonisch ein. Der Kläger teilte dem Sachbearbeiter die geplanten Modalitäten des Vertragsabschlusses, so wie er durchgeführt worden ist, mit. Der Sachbearbeiter S. erteilte daraufhin die Auskunft, dass der Vertrag erst nach Genehmigung durch die Käufer wirksam werde, sofern die Genehmigung nach Ablauf der zweijährigen Spekulationsfrist erteilt werde. Eine ähnliche Auskunft erhielt die Klägerin vom Notarvertreter Rechtsanwalt ... R.
Nachdem die Kläger gegen den Einkommensteuerbescheid für 1994 vom 22. Januar 1996 wegen der Nichtberücksichtigung von Werbungskosten Einspruch eingelegt hatten, erfuhr das Finanzamt während des Vorverfahrens von dem Grundstücksgeschäft. Nach einer entsprechenden Ankündigung erfasste es den aus dem Grundstücksgeschäft entstandenen Gewinn von 51.870 DM im Einspruchsbescheid vom 11. November 1996, in dem es gleichzeitig die mit dem Einspruch geltend gemachten Werbungskosten anerkannte.
Dagegen wenden sich die Kläger und machen mit ihrer Klage geltend:
Der bei der Klägerin erfasste Gewinn aus der Veräußerung der Eigentumswohnung unterliege nicht der Steuerpflicht nach § 23 EStG. Mangels eindeutiger Regelungen im Kaufvertrag und in der Genehmigungserklärung selbst bedürften die Parteierklärungen wegen einer Rückwirkung der Auslegung. Dabei sei auf die Interessenlage sowie die im Zusammenhang mit der Beurkundung stehenden Erklärungen der Parteien auszugehen. Es habe weder im Interesse der Klägerin noch im Interesse der Käufer gelegen, der Genehmigung eine Rückwirkung zuzuschreiben. Die Kläger hätten vielmehr klargestellt, dass sie vor Ablauf der Spekulationsfrist keine rechtliche Bindung eingehen wollten. Auch die Käufer hätten kein Interesse an einem rechtswirksamen Kaufvertragsabschluss vor dem Zeitpunkt der Genehmigungserklärung am 8. Juli 1994 gehabt. Die Übergabe der geräumten Wohnung sollte auch erst zum 15. Juli 1994 erfolgen, was dafür spreche, dass den Käufern auch ein späterer Vertragsabschluss genehm gewesen wäre. Im Ergebnis hätten die Vertragspartner deshalb nicht innerhalb der Spekulationsfrist Verhältnisse geschaffen, die wirtschaftlich einem Kaufvertrag gleichstehen oder wirtschaftlich Eigentum übergehen ließen. Hier sei beim Vertragsabschluss am 7. Juni 1994 eine vollmachtlose Notariatsangestellte für die Käufer aufgetreten. Für die Klägerin sei zu diesem Zeitpunkt nicht sicher gewesen, dass die Käufer den Vertragsabschlussüberhaupt genehmigen würden. Bis zur Abgabe der Genehmigungserklärung am 8. Juli 1994 sei das Rechtsgeschäft damit schwebend unwirksam gewesen und habe eine definitive Individualisierung der Käufer gefehlt. Insoweit weiche der vorliegende Sachverhalt wesentlich von dem ab, der dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 15. Dezember 1993 X R 49/91 (BStBl II 1994, 687) zugrunde gelegen habe. Im übrigen erscheine es treuwidrig, wenn das Finanzamt entgegen der Auskunft des Steuerbeamten S. nunmehr eine Rückwirkung der Genehmigung annehmen wolle.
Desweiteren habe das Finanzamt einen zu hohen Spekulationsgewinn angesetzt, weil weiterer anschaffungsnaher Aufwand in Höhe von 5.921 DM aufgrund des Einbaus einer Einbauküche in die Eigentumswohnung entstanden sei.
Wegen dieses Einwands gegen die Höhe des Spekulationsgewinns hat das Finanzamt die weiteren Aufwendungen gewinnmindernd berücksichtigt in seinem Änderungsbescheid vom 9. April 1997. Diesen Änderungsbescheid haben die Kläger gem. § 68 Finanzgerichtsordnung (FGO) fristgerecht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.
Die Kläger beantragen,
die Einkommensteuer für 1994 um die auf den Spekulationsgewinn von 45.949 DM entfallende Einkommensteuer zu mindern, hilfsweise für den Fall des Unterliegens die Revision zuzulassen.
Das beklagte Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen, hilfsweise für den Fall des Unterliegens die Revision zuzulassen.
Zur Begründung seines Antrags trägt das Finanzamt vor: Spekulationsgeschäfte seien Veräußerungsgeschäfte, bei denen im Falle von Grundstücken der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zwei Jahre betrage. Bei der Berechnung dieses Zeitraums sei in aller Regel vom Zeitpunkt des Abschlusses der schuldrechtlichen Verträge auszugehen. Zeitpunkt der Veräußerung sei deshalb beim Verkauf eines Grundstücks grundsätzlich der Zeitpunkt des Abschlusses des notariellen Kaufvertrages. Hier habe der Eintritt der für die Beseitigung der schwebenden Unwirksamkeit des Kaufvertrags erforderlichen Bedingung - die noch ausstehende Genehmigung der Käufer - nicht im Belieben der Klägerin gestanden. Diese habe vielmehr durch das bindende Kaufangebot alles getan, was für den Abschluss eines wirksamen Kaufvertrages mit den Erwerbern notwendig und möglich gewesen sei. Dann liege aber kein Grund vor, der bürgerlich-rechtlichen Rückwirkung der Genehmigung die steuerliche Anerkennung zu versagen. Die Anwendung des § 23 EStG entfalle auch nicht deshalb, weil die Klägerin das Vorliegen einer Spekulationsabsicht bei der Veräußerung des Wohnungseigentums bestreite.
Das Finanzamt verhalte sich auch nicht treuwidrig, wenn es der Auskunft des Sachbearbeiters S. keine Bedeutung zukommen lasse. Verbindliche Auskünfte seien schriftlich zu erteilen; das sei hier nicht geschehen. Eine telefonisch erteilte Auskunft könne nur dann Bindungswirkung nach Treu und Glauben entfalten, wenn zweifelsfrei feststehe, dass der Sachverhalt und die steuerliche Frage zutreffend dargelegt seien, von dem Auskunft erteilenden Beamten richtig verstanden worden sei und dass dieser für die spätere Bearbeitung des Steuerfalls sachlich zuständig sei. Unklarheiten im Sachverhalt gingen zu Lasten dessen, der sich auf die Verbindlichkeit der Auskunft berufe. Hier könne die telefonische Auskunft schon deshalb keine Bindungswirkung entfalten, weil der die Auskunft erteilende Beamte für die Bearbeitung der Einkommensteuerveranlagung 1994 nicht zuständig gewesen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten - insbesondere auch hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten - wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Einkommensteuerakte 1994 (St.-Nr. ...) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Das Finanzamt hat hier zu Unrecht im Verkauf der Eigentumswohnung ein Spekulationsgeschäft im Sinne von § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG gesehen, das der Einkommensteuer unterliegt. Spekulationsgeschäfte sind Veräußerungsgeschäfte, bei denen - wenn Gegenstand Grundstücke sind - der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zwei Jahre beträgt (§§ 2 Abs. 1 Nr. 7, 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Nr. 1 a EStG). Für die Berechnung des Zeitraums zwischen Anschaffung und Veräußerung sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs grundsätzlich die Zeitpunkte des Abschlusses der obligatorischen Verträge maßgebend (vgl. BFH-Urteile vom 30. November 1976 VIII R 202/72, BStBl II 1977, 384; vom 8. Dezember 1981 VIII R 125/79, BStBl II 1982, 618).
Diese Voraussetzungen haben nicht vorgelegen, obwohl die notariellen schuldrechtlichen Verträge innerhalb des Zeitraums von zwei Jahren, der Spekulationsfrist, beurkundet worden sind. Der Vertrag vom 7. Juni 1994 über den Verkauf der Wohnung war nämlich zu diesem Zeitpunkt für die Vertragspartner noch nicht bindend, weil für die Erwerber eine vollmachtlose Vertreterin, die Notariatsgehilfin B., auf getreten war. Der Vertrag war somit zu dieser Zeit schwebend unwirksam (§ 177 Abs. 1 BGB). Die rechtliche Bindung zu dem Kaufvertrag trat für beide Vertragsseiten erst am 8. Juli 1994 mit dessen Genehmigung durch die Käufer Kaupat ein (§§ 182 Abs. 1, 184 Abs. 1 BGB). Zu diesem Zeitpunkt war die zweijährige Spekulationsfrist, die mit Abschluss des Kaufvertrages vom 2. Juli 1992 begann, bereits verstrichen.
Die zivilrechtliche Rückwirkung der Genehmigung ist steuerlich nicht zu berücksichtigen, das Gericht folgt insoweit den Ausführungen im Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 17. Juli 1985 6 K 88/84 (DStZ 1986 Seite 126). Daraus folgt nicht die steuerrechtliche Rückwirkung in dem Sinn, dass nunmehr auf den Zeitpunkt des früheren Abschlusses des Kaufvertrages am 7. Juni 1994 abzustellen wäre. Danach kommt es in Fällen wie hier erst mit Abgabe der Genehmigungserkärung zu einer steuerlich rechtswirksamen Bindung der Vertragspartner; denn diese Erklärung wirkt nicht zurück, sondern vom Tage der Erklärung an (vgl. BFH-Urteil vom 2. Februar 1982 VIII R 59/80, BStBl II 1982, 390). Einer zeitlichen Rückwirkung bedarf es imübrigen auch deshalb nicht, weil die Vertragserfüllung erst in der Zukunft mit Beginn der Übergabe am 15. Juli 1994 beginnen sollte.
Die festgesetzte Steuer ist dementsprechend ohne Ansatz des Spekulationsgewinns von 45.949 DM herabzusetzen. Das zu versteuernde Einkommen von bisher 155.944 DM verringert sich auf einen Betrag von 109.995 DM. Nach der Splittingtabelle ergibt sich danach die festzusetzende Einkommensteuer mit 25.430 DM.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m.§§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Das Gericht hat nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO die Revision zugelassen, weil Widersprüche zwischen den Urteilen des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 17. Juli 1985 6 K 88/84 a.a.O. und des Finanzgerichts Berlin vom 16. Oktober 1973 V 68/73 (EFG 1974, 203) bestehen. Im Hinblick auf das BFH-Urteil vom 2. Februar 1982 VIII R 59/81 a.a.O. erscheint eine weitere Klärung angebracht.
Gegen dieses Urteil ist die Revision zugelassen worden.