Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 17.11.1998, Az.: VI 592/96 Ki

Voraussetzungen der Gewährung von Kindergeld; Änderung der Anspruchsvoraussetzungen der Steuervergütung; Aufhebung der Festsetzung des Kindergeldes mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
17.11.1998
Aktenzeichen
VI 592/96 Ki
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1998, 18742
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1998:1117.VI592.96KI.0A

Verfahrensgegenstand

Kindergeldfestsetzung und Rückforderung

Amtlicher Leitsatz

Verhältnisse i.S.d. § 70 II EStG umfassen nicht die Änderung der Anspruchsvoraussetzungen der Steuervergütung.

In dem Rechtsstreit
hat der VI. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 17. November 1998,
an der mitgewirkt haben:
Präsident des Finanzgerichts ... als Vorsitzender ...
Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtlicher Richter ... Kaufmann
ehrenamtlicher Richter ... Facharzt für Innere Medizin
für Recht erkannt:

Tenor:

Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 24. Juli 1996 wird aufgehoben. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu erstattenden Kosten abwenden, sofern nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob Kindergeld für den Zeitraum vom 1. Januar 1996 bis 30 Juni 1996 in Höhe von 1.200 DM zurückgefordert werden durfte.

2

Der Kläger erhielt für seine am 25. Juni 1976 geborene Tochter ... Kindergeld, da sie zunächst als arbeitsloses Kind der Arbeitsvermittlung uneingeschränkt zur Verfügung stand. Am 8. Mai 1995 teilte sie dem Beklagten mit, schwanger zu sein. Die Entbindung erfolge voraussichtlich am 23. Mai 1995. Im Anschluss an den gesetzlichen Erziehungsurlaub werde sie sich wieder der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stellen.

3

Am 20. Juni 1995 erfuhr der Beklagte, dass die Tochter des Klägers am 16. Juni 1995 entbunden hatte. Ihr wurde für die Zeit vom 16. Juni 1995 bis 15. Juni 1996 Erziehungsgeld bewilligt. Den Bewilligungsbescheid legte der Kläger dem Beklagten am 23. Oktober 1995 vor.

4

Der Beklagte gewährte daraufhin für die Zeit vom Juni 1995 bis Juni 1996 Kindergeld durch Bescheid vom 22. Juni 1995. Die Kindergeldfestsetzung für Januar bis Juni 1996 hob er durch Bescheid vom 24. Juli 1996 gemäß § 70 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) wieder auf und forderte den Kläger zur Erstattung des Betrages von 1.200 DM auf. Den Einspruch wies der Beklagte durch Entscheidung vom 10. September 1996 als unbegründet zurück.

5

Mit seiner hiergegen erhobenen Klage begehrt der Kläger die Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Zur Begründung trägt er im wesentlich vor, die Rückforderung des Kindergeldes sowie die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung sei rechtswidrig. Seine Tochter beziehe Hilfe zum Lebensunterhalt vom Sozialamt der Stadt. Das erhaltene Kindergeld habe er jeweils an seine Tochter weitergeleitet, so dass dieses vom Sozialamt bei der Festsetzung der Sozialhilfe berücksichtigt worden sei. Weder er noch seine Tochter seien deshalb durch die Kindergeldzahlungen bereichert.

6

Zudem fehle es an einer Änderungsnorm. Der vom Beklagten zur Begründung angeführte § 70 Abs. 2 EStG sei nicht einschlägig, da eine Änderung der Verhältnisse nur vorliege, wenn sich die persönlichen Lebensumstände verändert hätten. Eine Änderung der Rechtslage falle nicht hierunter.

7

Der Kläger beantragt,

den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 24. Juli 1996 aufzuheben.

8

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Er ist der Auffassung, die Klage sei unbegründet. Nach der bis zum 31. Dezember 1995 geltenden Rechtslage sei Kindergeld gemäß § 2 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 2 Abs. 4 Satz 3 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) rechtmäßig bewilligt worden. Ab Januar 1996 seien die kindergeldrechtlichen Voraussetzungen jedoch nicht mehr erfüllt, da gemäß § 32 Abs. 4 Nr. 1 EStG erforderlich sei, dass arbeitslose Kinder der Arbeitsvermittlung tatsächlich zur Verfügung stünden. Die Übergangsvorschrift des § 78 Abs. 3 EStG greife nicht ein, weil eine Bewilligung nicht nach § 2 Abs. 2 BKGG erfolgt sei.

10

Die Aufhebung des Bescheides habe gemäß § 70 Abs. 2 EStG rechtmäßig erfolgen können, da eine Änderung der Verhältnisse, nämlich rechtlicher Natur, am 1. Januar 1996 eingetreten sei. Durch die Gesetzesänderung sei eine Gleichstellung kleinkindbetreuender Personen mit Arbeitslosen entfallen. Demzufolge sei durch die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ein Erstattungsanspruch in Höhe von 1.200 DM entstanden.

Entscheidungsgründe

11

Die Klage ist begründet. Der Beklagte durfte mangels Rechtsgrundlage den Bescheid vom 22. Juni 1995 nicht teilweise aufheben. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 24. Juli 1996 war daher aufzuheben.

12

Die im Streitfall allein als Rechtsgrundlage in Betracht kommende Änderungsnorm des § 70 Abs. 2 EStG greift nach ihren tatbestandlichen Voraussetzungen nicht ein. Gemäß § 70 Abs. 2 EStG ist die Festsetzung des Kindergeldes mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben oder zu ändern, soweit in den Verhältnissen, die für die Zahlung des Kindergeldes erheblich sind, Änderungen eintreten.

13

Eine Änderung der Verhältnisse tritt nach Auffassung des Senats nur ein, soweit eine Änderung der persönlichen Verhältnisse, d.h. der tatsächlichen oder auch der personenbezogenen rechtlichen Lebensumstände, welche den Anspruchsberechtigten oder sein Kind betreffen, eintreten. Eine Veränderung der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen führt hingegen nicht zu einer Veränderung in den persönlichen Verhältnissen. Unter Verhältnissen sind folglich diejenigen Umstände zu verstehen, die für eine Subsumtion unter die materielle Rechtslage maßgeblich sind.

14

Hierfür spricht nicht nur der Wortlaut der Norm. Denn Verhältnis wird allgemein als Umstände, äußere Zustände oder bestimmende Gegebenheiten verstanden (vgl. Meyers Deutsches Wörterbuch, Stichwort: Verhältnis). Hierfür spricht auch der Sinn der Regelung, für Dauerverwaltungsakte eine Änderungsmöglichkeit für die Zukunft zu schaffen, wenn die Anspruchsvoraussetzungen durch Änderung des bestimmenden Sachverhaltes entfallen sind.

15

In Literatur und Rechtsprechung wird § 70 Abs. 2 EStG zumeist auch im vorgenannten Sinne verstanden (vgl. FG Köln, EFG 1998, 213; Blümich/Heuermann, EStG, § 70 Rz. 38; Frotscher/Dürr, EStG, § 70, Rz. 12 f.; Herrmann/Heuer/Raupach/Bergkemper, EStG, § 70 Rz. 13; anderer Ansicht Seewald/Felix in Kirchhof/Söhn, EStG,§ 70 Rz. C 8; FG Düssedorf, EFG 1998, 1072).

16

Im Streitfall ist danach keine Änderung der Verhältnisse eingetreten, da sich die Tochter des Klägers bereits seit Juni 1995 in Erziehungsurlaub befand und deshalb der Arbeitsvermittlung nicht tatsächlich zur Verfügung stand. An diesem Zustand hat sich auch für die Zeit vom 1. Januar 1996 bis 30. Juni 1996 nichts geändert.

17

Die Änderung der Anspruchsvoraussetzungen durch Einführung der §§ 62 f. EStG ab dem 1. Januar 1996 bewirkte - wie ausgeführtkeine Änderung der maßgeblichen Verhältnisse. Würde man der Rechtsauffassung des Beklagten gleichwohl folgen, lägen im Streitfall die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 EStG ebenfalls nicht vor. Denn nach dem Zeitpunkt der erstmaligen Anwendbarkeit der Norm haben sich die Anspruchsvoraussetzungen nicht geändert. Die anspruchsbegründenden Vorschriften der §§ 62, 63 EStG wurden gemeinsam mit § 70 Abs. 2 EStG in das Einkommensteuerrecht aufgenommen. Zum Zeitpunkt der erstmaligen Anwendbarkeit des § 70 Abs. 2 EStG galt deshalb bereits die geänderte Rechtslage, so dass die Abweichung zum Rechtszustand bei Geltung des Bundeskindergeldgesetzes nicht mehr eintreten konnte.

18

Aus diesem Grund war der angefochtene Verwaltungsakt aufzuheben.

19

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf § 151 Abs. 1 und 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen, weil die Frage, was unter einer Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 70 Abs. 2 EStG zu verstehen ist, grundsätzliche Bedeutung hat.