Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 12.11.1998, Az.: V 111/95

Steueränderungsbescheid als Gegenstand des Einspruchsverfahrens ; Verspäteter Einspruch gegen die geänderte Steuerfestsetzung

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
12.11.1998
Aktenzeichen
V 111/95
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1998, 18741
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1998:1112.V111.95.0A

Fundstelle

  • DStRE 2000, 384-385

Verfahrensgegenstand

Umsatzsteuer 1988 und 1989

Amtlicher Leitsatz

Ein Steueränderungsbescheid wird auch dann Gegenstand des Einspruchsverfahrens, wenn der Einspruch gegen die geänderte Steuerfestsetzung verspätet eingelegt worden ist.

In dem Rechtsstreit
hat der V. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung
vom 12. November 1998,
an der mitgewirkt haben:
Vizepräsidentin ... des Finanzgerichts ...
Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtlicher Richter ...
ehrenamtlicher Richter ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Der Einspruchsbescheid vom 28. Februar 1995 wird, soweit er die Jahre 1988 und 1989 betrifft, aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistungoder Hinterlegung in Höhe der zu erstattenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit leistet.

Tatbestand

1

Die Klägerin betrieb Spielhallen. In den Spielhallen waren Spielgeräte mit Gewinnmöglichkeit aufgestellt. Die Umsätze aus diesen Spielgeräten ermittelte sie unter Anwendung des von dem Beklagten vorgegebenen Vervielfältigers und erklärte die Umsätze entsprechend in ihren Umsatzsteuererklärungen 1987 vom 6. März 1989, 1988 vom 22. Januar 1990 und 1989 vom 29. Oktober 1990.

2

Mit Schreiben vom 10. Juli 1992 legte die Klägerin gegen die Umsatzsteuerbescheide 1987 bis 1990 Einspruch ein und beantragte, die Entscheidung über die Einsprüche bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung über die Bemessungsgrundlage der Umsätze aus Spielgeräten mit Gewinnmöglichkeiten zurückzustellen. Mit Bescheiden vom 26. August 1992 hob der Beklagte den Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 3 Abgabenordnung (AO) für 1987 bis 1989 auf. Mit Schreiben vom 17. November 1994 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass ihre Einsprüche als Anträge auf Änderung gemäß § 164 Abs. 2 AO anzusehen seien. Der Beklagte verwarf die Einsprüche mit Bescheid vom 28. Februar 1995 als unzulässig, da sie verspätet eingelegt worden seien.

3

Die dagegen erhobene Klage richtet sich gegen die Umsatzsteuerfestsetzungen 1988 und 1989.

4

Die Klägerin macht geltend, die Einsprüche seien zulässig, da die Bundesrepublik Deutschland die EG-Richtlinie falsch umgesetzt habe und sich der Beklagte aufgrund der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Emmott in einem solchen Fall nicht auf Rechtsmittelfristen berufen könne. Im übrigen seien die Einsprüche als Änderungsanträge nach § 164 Abs. 2 AO anzusehen.

5

Die Klägerin beantragt,

die Einspruchsentscheidung vom 28. Februar 1995 aufzuheben,

6

hilfsweise,

die Umsatzsteuer 1988 auf 11.528,00 DM und die Umsatzsteuer 1989 auf 60.216,80 DM herabzusetzen.

7

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Der Beklagte macht geltend, die Klägerin habe dem Wortlaut nach eindeutig Einspruch eingelegt. Für eine Auslegung des Einspruchs als Antrag auf Änderung nach § 164 Abs. 2 AO gebe es deshalb keine Möglichkeit. Der Einspruch sei verspätet, da er nichtinnerhalb der Rechtsmittelfrist von einem Monat eingelegt wordensei. Gegen den Bescheid über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung habe die Klägerin keinen Einspruch eingelegt. Die Verwerfung des Einspruchs als unzulässig sei daher rechtmäßig.

9

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Finanzgerichtsakte verwiesen. Dem Gericht haben die Steuerakten zu Steuernummer vorgelegen.

Entscheidungsgründe

10

Die Klage ist begründet. Der Einspruchsbescheid vom 28. Februar 1995 ist rechtswidrig und war daher aufzuheben.

11

Bei den von der Klägerin am 22. Januar 1990 für 1988 und am 29. Oktober 1990 für 1989 abgegebenen Umsatzsteuererklärungen handelt es sich gemäß §§ 150, 167 AO um Steueranmeldungen, die gemäß § 168 Satz 1 AO einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehen. Gemäß § 355 Abs. 1 Satz 2 AO ist ein Einspruch gegen eine Steueranmeldung innerhalb eines Monatsnach Eingang der Steueranmeldung bei der Finanzbehörde einzulegen. Die von der Klägerin mit Schreiben vom 10. Juli 1992 eingelegten Einsprüche waren daher zunächst unzulässig, da sie nicht innerhalb der Einspruchsfrist eingelegt worden waren. Der Einspruch wurde jedoch zulässig, nachdem der Beklagte mit Bescheiden vom 26. August 1992 die Vorbehalte der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 3 AO aufgehoben hat. Denn nach § 365 Abs. 3 AO in der für die Streitjahre geltenden Fassung wurde der Änderungsbescheid kraft Gesetzes Gegenstand des Rechtsbehelfsverfahrens. Dies gilt auch für den Fall, dass während des Rechtsbehelfsverfahrens ein vorläufiger Bescheid, der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht, durch einen endgültigen Bescheid ersetzt wird (vgl. BFH, Urteil vom 24. Januar 1990 I R 55/85, BStBl II 1991, 147 [148]). Ein erneuter Einspruch ist nicht zulässig (vgl. Klein/Brockmeier, AO, § 365 Anm. 4 m.w.N.). Gemäß § 367 Abs. 2 Satz 1 AO hätte der Beklagte die Umsatzsteuerfestsetzung danachin vollem Umfang erneut prüfen und die im Zeitpunkt der Entscheidung über den Einspruch zugrunde liegende Rechtslage berücksichtigen müssen (BFH-Urteil vom 28. November 1989 VIII R 40/84, BStBl II 1990, 561 [563 unter Ziffer 2 a]). Da der Beklagte in seiner Einspruchsentscheidung eine materielle Rechtsprüfung nicht vorgenommen und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in der Rechtssache Glawe vom 5. Mai 1994 (Az.: C 38/93, BStBl II 1994, 548 ff.) nicht berücksichtigt, sondern die Einsprüche als unzulässig verworfen hat, sind sie rechtswidrig und waren aufzuheben.

12

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

13

Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).