Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 10.07.2012, Az.: L 7 AS 776/11
Fiktion der Klagerücknahme im sozialgerichtlichen Verfahren
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 10.07.2012
- Aktenzeichen
- L 7 AS 776/11
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2012, 34581
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2012:0710.L7AS776.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Lüneburg - 07.10.2011 - AZ: S 36 AS 221/11
Rechtsgrundlagen
- § 102 Abs. 2 SGG
- § 159 SGG
Redaktioneller Leitsatz
Die Fiktion der Klagerücknahme nach § 102 Abs. 2 SGG tritt nicht ein, wenn der Kläger seine Klage begründet hat und erwarten kann, dass das Sozialgericht darüber entscheidet. [Amtlich veröffentlichte Entscheidung]
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 7. Oktober 2011 aufgehoben und die Sache an das Sozialgericht Lüneburg zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der erstinstanzlichen Entscheidung des Sozialgerichts Lüneburg vorbehalten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch des Klägers auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum vom 1. Juli 2009 bis zum 31. März 2010 streitig. Mit der Berufung wendet sich der Kläger gegen die Feststellung der Erledigung des Klageverfahrens durch eine fiktive Klagerücknahme.
Der 1948 geborene Kläger stand mit seiner Ehefrau F. und seiner am 14. Februar 1991 geborenen Tochter G. bei dem Beklagten im Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Die Familie bewohnte ein 150 qm großes Eigenheim in H., wofür im Jahre 2009 Darlehenszinsen in Höhe von 1.827,84 EUR (Darlehen 7490/60833), 2.299,00 EUR (Darlehen 7490/608325) und 3.118,66 EUR (Darlehen 7490/608341) aufzubringen waren.
Auf den Fortzahlungsantrag bewilligte der Beklagte dem Kläger und seiner Bedarfsgemeinschaft mit Bescheid vom 06. November 2009 Leistungen für die Zeit vom 12. Oktober 2009 bis 31. März 2010 in Höhe von monatlich 933,07 EUR vorläufig. Für die Zeit bis 11. Oktober 2009 lehnte der Beklagte einen Anspruch mangels Hilfebedürftigkeit mit Bescheid vom 9. November 2009 ab. Am 17. November 2009 legte der damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers gegen den Bescheid vom 06. November 2009 Widerspruch ein. Mit Bescheiden vom 03. und 10. Februar 2010 änderte der Beklagte die Bewilligung und gewährte vorläufig monatliche Leistungen in Höhe von 1.035,10 EUR. Gegen den Änderungsbescheid vom 10. Februar 2010 erhob der Kläger mit am 1. März 2010 eingegangenem Schreiben vom 27. Februar 2010 ebenfalls Widerspruch.
Mit Widerspruchsbescheid vom 08. März 2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, dass Darlehenszinsen lediglich in Höhe von 259,80 EUR monatlich zu berücksichtigen seien, weil der Kläger im Übrigen lediglich Zinsen bedient habe, welche aus den vorherigen Jahren stammten. Für übrige jährlich anfallende Kosten werde ein monatlicher Betrag von 97,71 EUR anerkannt. Monatliche Heizkosten seien in Höhe von 130,50 EUR zu berücksichtigen, dies entspreche dem Höchstsatz von 1,45 EUR x 90 qm für eine aus vier Personen bestehende Haushaltsgemeinschaft. Der Kläger zahle einen monatlichen Abschlag von 180,00 EUR an den Energieversorger für Heizgas; hierin seien auch die Kosten der Warmwasserbereitung enthalten, die zur Regelleistung zählten. Insgesamt finde ein Betrag von monatlich 488,10 EUR als angemessene Kosten der Unterkunft und Heizung Berücksichtigung. Davon werde bis Ende Dezember 2009 drei Viertel übernommen, weil die weitere Tochter des Klägers, I. (geboren am 8. Juni 1984), noch bei ihren Eltern gewohnt habe und nicht Mitglied der Bedarfsgemeinschaft gewesen sei.
Am 25. März 2010 hat der Kläger hiergegen Klage bei dem Sozialgericht (SG) Lüneburg erhoben und zugleich zahlreiche Unterlagen eingereicht. Er ist der Ansicht, der Beklagte müsse die vollen Hausnebenkosten für das Eigenheim und die gesamten Hypothekenzinsen anerkennen. Ferner seien Leistungen bereits ab dem 01. Juli 2009 zu gewähren.
Mit Verfügung vom 15. Juli 2010 hat die Kammer dem Kläger aufgegeben, die Klage bis zum 15. August 2010 zu begründen. Daran ist mit Verfügungen vom 21. September und 14. Oktober 2010 erinnert worden. Mit gerichtlicher Verfügung vom 05. November 2010 wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass nach § 102 Abs. 2 und 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Klage als zurückgenommen gelte, wenn er das gerichtliche Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Gleichzeitig wurde ihm aufgegeben, das Verfahren durch Einreichung einer Klagebegründung zu betreiben. Die gerichtliche Verfügung wurde mit dem vollen Namen der zuständigen Richterin unterzeichnet und ausweislich der Postzustellungsurkunde am 10. November 2010 durch Einlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt. Am 16. Februar 2011 hat das SG das Weglegen des Verfahrens verfügt, da das Verfahren durch Zurücknahme (nach Betreibensaufforderung) erledigt worden sei.
Hiergegen wandte sich der Kläger mit Schriftsatz vom 20. Februar 2011 und beantragte, das Verfahren fortzuführen. Nur weil das SG drei Monate nichts von ihm gehört habe, könne das Verfahren noch lange nicht als zurückgenommen gelten. Er habe Wichtigeres zutun, als sich ständig mit dem SG auseinanderzusetzen und sich zu wiederholen. Die Klagebegründung habe schon bei der einstweiligen Anordnung beigelegen.
Das SG hat nach Anhörung der Beteiligten zum beabsichtigten Verfahren mit Gerichtsbescheid vom 07. Juli 2011 festgestellt, dass die Klage als zurückgenommen gelte. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klage nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG als zurückgenommen gelte, nachdem der Kläger das Verfahren trotz Aufforderungen des Gerichts länger als drei Monate nach der ihm am 10. November 2009 zugestellten Betreibensaufforderung nicht betrieben habe. Zum Zeitpunkt der Betreibensaufforderung hätten Anhaltspunkte für den Wegfall des Rechtsschutzinteresse des Klägers vorgelegen, weil dieser jeweils auf die Verfügungen der Kammer vom 15. Juli, 21. September und 14. Oktober 2010 das Verfahren nicht mit Vorlage der geforderten Klagebegründung betrieben, sondern in keiner Weise auf die Anfragen der Kammer reagiert habe. Die Rücknahmefiktion trete mit Ablauf der Drei-Monats-Frist ein, ohne dass es einer Entscheidung des Gerichts bedürfe.
Gegen den am 09. Juli 2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger mit am 08. August 2011 eingegangenem Schriftsatz vom 05. August 2011 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren in der Sache weiterverfolgt. Er beanspruche die Nachzahlung und Anerkennung der Leistungszahlung vom 01. Juli 2009 an. Dieses sei von der Krankenkasse und auch von der Gemeinde H. für den Wohngeldanspruch anerkannt worden. Ferner seien seit Oktober 2009 die Nebenkosten für das Haus falsch berechnet worden, so dass der Kläger nicht mehr in der Lage gewesen sei, auch nur die Zinsen für die Hypotheken zu bezahlen.
Der Kläger beantragt seinem schriftsätzlichen Vorbringen nach sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 07. Juli 2011 aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 06. November 2009 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 03. und 10. Februar 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. März 2010 abzuändern und
den Beklagten zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 01. Juli 2009 bis zum 31. März 2010 höhere Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung der vollen Hausnebenkosten und der gesamten Hypothekenzinsen als tatsächliche Kosten der Unterkunft und Heizung zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (Bände III bis V) verwiesen. Diese lagen vor und waren Gegenstand der Beratung und Entscheidung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist im Sinne der Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das SG Lüneburg begründet.
1. Der Senat sieht mit Blick auf die angefochtene Entscheidung und das Ergebnis des Berufungsverfahrens davon ab, der Frage näher nachzugehen, inwieweit vorliegend eine Erweiterung des Aktivrubrums um die weiteren Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (die Ehefrau und die Tochter G., vgl. § 7 Abs. 3 Nr. 3a, Nr. 4 SGB II) zweckmäßig und möglich wäre.
2. Gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG kann das Landessozialgericht (LSG) als Berufungsinstanz durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn dieses (zu Unrecht) die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache zu entscheiden. Eine solche Konstellation ist vorliegend gegeben. Das SG hat zu Unrecht festgestellt, dass das Klageverfahren durch Fiktion der Rücknahme der Klage beendet sei und daher weitere Feststellungen in der Sache nicht getroffen. Entgegen der Auffassung des SG liegen die Voraussetzungen für eine fiktive Klagerücknahme nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG nicht vor.
Gemäß § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG gilt die Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Nach Satz 3 der Vorschrift ist der Kläger in der Aufforderung unter anderem auf die sich nach Satz 1 ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen. Gemäß § 102 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 2 SGG erledigt die (fiktive) Klagerücknahme den Rechtsstreit in der Hauptsache.
Die Voraussetzungen, die danach an eine wirksame Betreibensaufforderung zu stellen sind, um das Verfahren nach Fristablauf wegen Nichtbetreibens als erledigt betrachten zu können, liegen entgegen der Auffassung des SG nicht vor.
a) Eine Rücknahmefiktion setzt zunächst den Ablauf einer zuvor vom Gericht gesetzten Frist zum Betreiben des Verfahrens voraus. Ob eine in diesem Sinne wirksame Fristsetzung vorliegend erfolgt ist, kann nicht abschließend beurteilt werden. In der Akte befindet sich keine Abschrift der Betreibensaufforderung, aus der sich ergibt, in welcher Form diese an die Beteiligten gegangen war. Wenn die Betreibensaufforderung Wirkungen für die Beteiligten erzeugen soll, muss sie vom zuständigen Richter verfügt und mit vollem Namen unterzeichnet werden. Ein den Namen abkürzendes Handzeichen genügt als Unterschrift nicht; eine Unterzeichnung "Auf Anordnung" durch Justizangestellte reicht nicht aus (BSG, Urteil 01.07.2010 - B 13 R 58/08 R = juris Rdnr. 48, 49; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 30.08.2011 - L 9 AS 61/10 = juris Rdnr. 24; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Auflage 2011, Kapitel 7 Rdnr. 170a = Seite 292). Die Formstrenge folgt aus den einschneidenden Rechtsfolgen einer (erfolglosen) Betreibensaufforderung. Erst die Beifügung der vollen Unterschrift des Richters macht deutlich, dass es sich bei dem unterzeichneten Text nicht lediglich um einen Entwurf handelt und dass der Unterzeichnende nicht von einer Routineverfügung ausgeht. Deshalb muss sie nicht nur vom zuständigen Richter verfügt und unterschrieben sein, sondern auch die gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SGG zuzustellende Ausfertigung beziehungsweise beglaubigte Abschrift diesen Umstand erkennen lassen, das heißt durch Wiedergabe des vollen Namens des Richters ausweisen, dass die Betreibensaufforderung von ihm stammt (BSG, Urteil vom 01.07.2010 - B 13 R 58/09 R = juris Rdnr. 49; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 30.08.2011 - L 9 AS 61/10 = juris Rdnr. 24). Zwar wurde vorliegend die Betreibensaufforderung des SG vom 05. November 2010 mit vollem Namenszug der zuständigen Richterin verfügt, in der Akte befindet sich jedoch keine Abschrift, aus der sich ergibt, dass dies auch so gegenüber dem Kläger erkennbar war. Ob dies tatsächlich erfolgt ist, kann im Ergebnis hier dahinstehen, da die Voraussetzungen für eine Betreibensaufforderung im Sinne des § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG im Übrigen nicht vorgelegen haben. Es bestand bereits kein Anlass für eine Betreibensaufforderung des SG.
b) § 102 Abs. 2 SGG ermöglicht die Fiktion der Klagerücknahme und kommt in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht, in denen sachlich begründete Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses des Klägers vorliegen (vgl. Beschluss des Senats vom 08.02.2011 - L 7 AS 1012/09 B; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 102 Rdnr. 8a m. w. N.). Die Vorschrift unterliegt keinen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken; die Auslegung und Anwendung der Norm darf wegen ihrer weitreichenden Konsequenzen jedoch nur vor dem Hintergrund ihres strengen Ausnahmecharakters erfolgen und ist daher aus verfassungsrechtlichen Gründen eng auszulegen (vgl. Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschluss vom 27.10.1998 - 2 BvR 2662/95; BSG, Urteil vom 01.07.2010 - B 13 R 74/09 R = juris m. w. N.; LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 16.12.2011 - L 3 AS 74/10 = juris Rdnr. 21). Denn der durch Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) gewährleistete Rechtsschutz gilt nicht nur für den Weg zu den Gerichten, sondern auch innerhalb des jeweiligen eingeleiteten Verfahrens, wobei der gerichtlichen Durchsetzung des materiellen Anspruchs nicht unangemessen hohe verfahrensrechtliche Hindernisse in den Weg gelegt werden dürfen. Zwar setzt jede an einen Antrag gebundene Entscheidung ein Rechtsschutzbedürfnis voraus, und ein Gericht kann im Einzelfall von einem Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses ausgehen, wenn das Verhalten eines Verfahrensbeteiligten Anlass zu der Annahme bietet, dass ihm an einer Sachentscheidung nicht mehr gelegen ist (BVerfG aaO.). Es muss aber im Zeitpunkt der Betreibensaufforderung das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal erfüllt sein, das nach dem prozessualen Verhalten des Klägers hinreichender Anlass bestand, von einem Wegfall des Rechtsschutzinteresses auszugehen (BSG, Urteil vom 01.07.2010, B 13 R 58/09 R = juris; Beschluss des Senats vom 08.02.2011 - L 7 AS 1012/09 B; LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 16.12.2011 - L 3 AS 74/10 = juris Rdnr. 21). Hinreichend konkrete Zweifel an einem Fortbestand des Rechtsschutzinteresses können sich etwa aus dem fallbezogenen Verhalten des jeweiligen Klägers, aber auch daraus ergeben, dass er prozessuale Mitwirkungspflichten verletzt hat. Stets muss sich daraus aber der Schluss auf den Wegfall des Rechtsschutzinteresses, also auf ein Desinteresse des Klägers an der weiteren Verfolgung seines Begehrens ableiten lassen. Erst wenn feststeht, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der Betreibensaufforderung sachlich begründete Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses des Klägers bestehen, die den späteren Eintritt der Fiktion als gerechtfertigt erscheinen lassen, ist weiter zu prüfen, ob der Kläger innerhalb der Drei-Monats-Frist substantiiert dargetan hat, dass und warum das Rechtsschutzbedürfnis trotz des Zweifels an dem Fortbestehen, aus dem sich die Betreibsaufforderung ergeben hat, nicht entfallen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.05.1993 - 2 BvR 1972/92; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 30.08.2011 - L 9 AS 61/10 = juris Rdnr. 28).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze waren vorliegend zum Zeitpunkt des Erlasses der Betreibensaufforderungen keine sachlich begründeten Anhaltspunkte für den Wegfall des Rechtsschutzinteresses gegeben, die den späteren Eintritt der Klagerücknahmefiktion gemäß § 102 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Satz 2 SGG als gerechtfertigt erscheinen lassen.
Der Kläger hatte bereits mit der Einreichung der Klageschrift alles getan, was nach den Vorschriften des SGG von ihm erwartet wurde. Nach § 92 Abs. 1 Satz 1 SGG muss die Klage lediglich den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Begehrens bezeichnen. Neben der Bezeichnung des Klägers und des Beklagten hatte der Kläger darüber hinaus insbesondere auch den streitgegenständlichen Bescheid vom 06. November 2009 sowie den Widerspruchsbescheid vom 08. März 2010 neben diversen weiteren Unterlagen der Klageschrift beigefügt, einen konkreten Antrag formuliert und sein Begehren - die Zahlung von Leistungen bereits ab dem 01. Juli 2009 und insbesondere die Berücksichtigung der Hypothekenzinsen und der Hausnebenkosten im Rahmen der Kosten für Unterkunft und Heizung - deutlich gemacht. Mehr verlangt § 91 Abs. 1 SGG vom Kläger nicht.
Mangels hinreichend konkreter Zweifel an einem Fortbestand des Rechtsschutzinteresses bestand daher schon kein Anlass für eine Betreibensaufforderung des SG, so dass die Klage bereits aus diesem Grund nicht im Sinne des § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG als zurückgenommen gilt.
c) Im Übrigen entspricht auch die Betreibensaufforderung des SG nicht dem oben dargestellten verfassungsrechtlichen Anforderungen. Soweit das SG den Kläger mit der Betreibensaufforderung vom 05. November 2009 schlicht dazu aufgefordert hat, das gerichtliche Verfahren durch Einreichung einer Klagebegründung zu betreiben, reicht dies nicht aus, um Zweifel an dem fortbestehenden Rechtsschutzinteresse des Klägers zu hegen. Denn eine Begründungspflicht ergibt sich aus § 92 Abs. 1 Satz 4 SGG ("sollen") nicht. Vielmehr ist nur das Unterlassen solcher prozessualen Mitwirkungshandlungen erheblich, die für die Feststellung von entscheidungserheblichen Tatsachen bedeutsam sind, die also für das Gericht nach seiner Rechtsansicht notwendig sind, um den Sachverhalt zu klären und eine Sachentscheidung zu treffen (vgl. BSG, Urteil vom 01.07.2010 - B 13 R 74/09 R = juris m. w. N.; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.05.2011 - L 13 SB 32/11 = juris Rdnr. 24). Diesen Anforderungen genügt die pauschale Aufforderung des SG vom 05. November 2010, die Klage zu begründen, nicht. Das SG hat insoweit nicht dargelegt, welche konkreten Mitwirkungshandlungen des Klägers erforderlich sind, um den Rechtsstreit entscheiden zu können (vgl. hierzu Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 12.04.2001 - 8 W 2/01) und somit die Anforderungen an die prozessualen Mitwirkungspflichten des Klägers überspannt.
Liegen mithin die Voraussetzungen für eine wirksame Verfahrenseinstellung aufgrund einer Erledigung des Rechtsstreits infolge fiktiver Klagerücknahme gemäß § 102 Abs. 2 SGG nicht vor, ist die Klage zu Unrecht durch das SG abgewiesen worden, ohne dass es in der Sache selbst entschieden hätte.
Im Rahmen des dem Senat gemäß § 159 Abs. 1 SGG zustehenden Ermessens macht er von seinem Recht Gebrauch, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache an das SG zurückzuverweisen. Vorliegend haben die Interessen der Beteiligten an einer zügigen Sachentscheidung unter Verlust einer Instanz hinter denen am Erhalt von zwei Instanzen zurückzutreten. Das Verfahren ist erst elf Monate bei dem Berufungsgericht anhängig und sollte daher zunächst durch das SG einer Entscheidung in der Sache zugeführt werden. Bei seiner erneuten Entscheidung wird das SG die Rechtsauffassung des Senats zur Fehlerhaftigkeit der Betreibensaufforderung vom 05. November 2010 und einer daraus resultierenden vermeintlichen Erledigung des Rechtsstreits zugrunde zu legen haben.
3. Das zurückverweisende Urteils des Senats enthält keine Kostenentscheidung, weil diese der Entscheidung des SG vorbehalten bleibt (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012 § 159 Rdnr. 5).
4. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.