Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 25.07.2012, Az.: L 1 KR 253/10
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 25.07.2012
- Aktenzeichen
- L 1 KR 253/10
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2012, 44349
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG - 03.05.2010 - AZ: S 19 KR 1021/09
Tenor:
Die Beklagte wird unter Abänderung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Hannover vom 3. Mai 2010 verurteilt, an die Klägerin den sich aus dem Ergebnis der Prüfung des Entlassungsberichts, der Pflegedokumentation, der Patientenkurve und dem Operationsbericht des stationären Aufenthalts von Werner K. vom 4. Dezember bis 6. Dezember 2005 ergebenden Rückforderungsbetrag nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt im Wege der Stufenklage die Herausgabe von medizinischen Unterlagen an den Medizinischen Dienst des Bundeseisenbahnvermögens Berlin (MD-BEV) sowie entsprechend dem Ergebnis der Prüfung ggf. die Erstattung überzahlter Rechnungsbeträge.
Der bei der Klägerin versicherte Werner K., geboren 7. Juli 1936, befand sich vom 4. Dezember bis 6. Dezember 2005 im Krankenhaus der Beklagten in stationärer Behandlung. Die Kosten wurden von der Klägerin in voller Höhe beglichen. Im Rahmen einer nachträglichen Rechnungsprüfung stellte die Klägerin nach ihrem Vorbringen Kodierauffälligkeiten fest und beauftragte den MD-BEV mit der Überprüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung (Kodierung) des Krankenhausfalles. Mit Schreiben vom 29. Juni 2009 beantragte der MD-BEV bei der Beklagten die Überlassung des Entlassungsberichts, der Pflegedokumentation sowie der Patientenkurve und des Operationsberichts für den Versicherten. Dies verweigerte die Beklagte mit Schreiben vom 8. Juli 2009, da die Sechs-Wochenfrist nach § 275 Abs. 1c Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch (SGB V) bereits abgelaufen sei. Anschließend forderte die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 17. Juli und 25. August 2009 auf, die entsprechenden Unterlagen an den MD-BEV zu übersenden. Dem folgte die Beklagte nicht.
Die Klägerin hat am 16. Dezember 2009 Stufenklage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben, auf Herausgabe der Unterlagen an den MD und Zahlung eines eventuellen Rückforderungsbetrages (nebst Zinsen), der sich aus dem Ergebnis der Prüfung ergebe. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass die neu in das Gesetz aufgenommene Regelung in § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V für diesen Behandlungsfall noch nicht gelte und weitere gesetzliche oder vertragliche Fristen zur Überprüfung einer Abrechnung über den stationären Aufenthalt nicht ersichtlich seien. Die Klägerin berief sich hierzu auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG).
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, sie sei nach mehr als 3,5 Jahren nach Rechnungsstellung nicht mehr verpflichtet, die Unterlagen vorzulegen. Dies folge aus § 275 SGB V, der auch in seiner Neufassung nur das normiere, was bei Einführung des davor geltenden § 275 SGB V vom Gesetzgeber gewollt gewesen sei. Es solle nämlich innerhalb einer relativ kurzen Frist Rechtsfrieden eintreten und der Tatsache Rechnung getragen werden, dass ggf. Nachfragen hinsichtlich der Behandlung bei den behandelnden Ärzten nach Ablauf einer gewissen Zeit gar nicht mehr möglich seien. Da der Gesetzgeber habe feststellen müssen, dass die Klägerin und andere Krankenversicherungen eine besondere Eilbedürftigkeit nicht an den Tag legten, sei die Vorschrift des § 275 SGB V dahingehend ergänzt worden, dass innerhalb der ersten sechs Wochen nach Beendigung der medizinischen Maßnahme die Überprüfung zu erfolgen habe. Dies bedeute im Umkehrschluss, dass danach der Rechtsfrieden eintrete und die berechneten und gezahlten Leistungen nicht mehr im Nachhinein beanstandet werden dürften.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 3. Mai 2010 entschieden und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin den Entlassungsbericht, die Pflegedokumentation, sowie die Patientenkurve und den Operationsbericht aus dem stationären Aufenthalt von K., Werner, geboren 7. Juli 1936 im Zeitraum 4. Dezember 2005 bis 6. Dezember 2005 an den MD-BEV herauszugeben.
Der Antrag der Klägerin zu 2. - die Beklagte hinsichtlich eines Rückforderungsbetrages zu verurteilen - sei unzulässig.
Zur Begründung seiner Entscheidung führte das SG u.a. aus, die Beklagte könne sich nicht auf die sechswöchige Ausschlussfrist des § 275 Abs. 1c SGB V berufen, denn diese Vorschrift, die mit Wirkung zum 1. April 2007 eingeführt worden sei, habe in dem streitbefangenen Zeitraum noch nicht gegolten. Nach der Rechtsprechung des BSG spreche nichts für eine Rückwirkung der Regelung (Urteil vom 16. Dezember 2008 - B 1 KN 3/08 KR R). Insbesondere lasse sich eine Rückwirkung auch nicht aus den Gesetzesmaterialien herleiten, auch nicht im Sinne einer Klarstellung einer bereits seit jeher geltenden Rechtslage. Der Antrag zu 2. sei als unzulässig zu verwerfen, denn die Klägerin sei insoweit nicht rechtsschutzbedürftig. Es sei offen, ob aus der Rechnungsprüfung überhaupt Rückforderungsansprüche resultierten - und wenn - ob die Beklagte diesen entgegen trete.
Die Beklagte hat gegen diesen ihr am 6. Mai 2010 zugestellten Gerichtsbescheid am 2. Juni 2010 Berufung vor dem SG Hannover eingelegt. Sie trägt vor, das SG habe die Argumentation der Beklagten nicht richtig nachvollzogen. Es gehe ihr darum, den Sinn und Zweck des ursprünglich geschaffenen § 275 SGB V zu hinterfragen. Den diesbezüglichen Vorschriften sei immanent, dass eine Überprüfung nicht aus dem Zeitpunkt der nachträglichen Auffassung, sondern bezogen auf den Zeitpunkt zu erfolgen habe, zu dem die Institution die Behandlung durchgeführt habe (ex tunc). Auch dem Sinn und Zweck des vormaligen § 275 SGB V sei immanent, die Überprüfung unverzüglich durchzuführen. Eine Überprüfungsabsicht nach 3,5 Jahren, wo normalerweise auch schon sehr viele Behandler bei der Institution gar nicht mehr tätig seien und somit auch nicht mehr nachträglich befragt werden könnten, sei unzulässig.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 3. Mai 2010 abzuändern und die Klage abzuweisen sowie die Anschlussberufung zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen sowie die Beklagte und Berufungsklägerin unter Änderung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Hannover vom 3. Mai 2010 zu verurteilen, an die Klägerin den sich aus dem Ergebnis der Prüfung des Entlassungsberichts, der Pflegedokumentation, der Patientenkurve und dem Operationsbericht des stationären Aufenthalts von Werner K. vom 4. Dezember bis 6. Dezember 2005 ergebenden Rückforderungsbetrag nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.
Nach ihrer Auffassung sei die Entscheidung des SG soweit zutreffend, als der Klägerin nicht die Versäumung der Frist des § 275 Abs. 1c SGB V entgegen gehalten werden könne. § 275 Abs. 1c SGB V sei nach eindeutigem Wortlaut des Übergangsrechts mangels einer abweichenden gesetzlichen Bestimmung gemäß Art. 46 Abs. 1 GKV-WSG am 1. April 2007 in Kraft getreten. Der zeitliche Anwendungsbereich der Regelung bestimme sich nach den allgemeinen für das intertemporale Sozialrecht geltenden Grundsätzen, weil das Gesetz keine ausdrückliche Übergangsregelung für Krankenhausbehandlung enthalte, die vor dem 1. April 2007 begonnen haben (BSG, Urteil vom 22. Juni 2010 - B 1 KR 29/09 R). Der Klägerin stehe deshalb der Anspruch auf Herausgabe von Behandlungsunterlagen nach § 276 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V zu.
Auch der von ihr erhobene Antrag im Wege der unselbstständigen Anschlussberufung die Beklagte zu verurteilen, den sich aus der Prüfung der Unterlagen ergebenden Rückforderungsanspruch nach Verurteilung zu leisten, sei zulässig. Die Klägerin verweist hierzu auf die in Literatur und Rechtsprechung vertretene Auffassung, die überwiegend von einer Zulässigkeit der Stufenklage ausgingen.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist nach §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 SGG) und damit zulässig.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Die Klage ist entsprechend einer Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG zulässig, weil es sich um einen Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis handelt, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt. Ein Vorverfahren war mithin nicht durchzuführen und die Einhaltung einer Klagefrist nicht geboten (ständige Rechtsprechung des BSG; vgl. u.a. Urteil vom 16. Dezember 2008 - B 1 KN 1/07 KR R; B 1 KN 2/08 KR R sowie Urteil vom 17. Mai 2000 - B 3 KR 33/99 R - zitiert nach Juris).
Der Anspruch auf Herausgabe von medizinischen Unterlagen an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ist auch nur von der Klägerin geltend zu machen, sie ist insoweit klagebefugt. Eine Krankenkasse ist im Verhältnis zum Krankenhausträger allein aus dem Versorgungsvertrag (§ 109 SGB V) und den einzelnen Behandlungsverträgen Schuldnerin der Vergütungsansprüche und Gläubigerin der Erstattungsansprüche bei Überzahlungen. Sie ist bei der Prüfung von Krankenhausrechnungen "Herrin" des Begutachtungsauftrages an den MDK. In diesem Rahmen entscheidet sie nach Maßgabe der §§ 275 ff. SGB V, ob und in welcher konkreten Fragestellung sie den MDK bei der Klärung einer medizinischen Frage einschaltet. Sie kann den Begutachtungsauftrag jederzeit ändern, ergänzen oder beenden, wenn sie dies aufgrund neuer Erkenntnisse für angezeigt hält. Deshalb entscheidet sie auch darüber, ob und mit welchen Mitteln vorgegangen werden soll, wenn der MDK mitteilt, ein anderer Beteiligter verweigere die Erteilung erbetener Auskünfte, die erbetene Einsichtnahme in medizinische Unterlagen oder deren - stets nur vorübergehende - Herausgabe bzw. sonstige Formen der Zusammenarbeit. Vor diesem Hintergrund hat nur die Krankenkasse selbst im Rahmen einer beantragten Begutachtung die Möglichkeit, den Anspruch gegenüber dem Leistungserbringer auf Herausgabe von Unterlagen an den zuständigen MDK aus eigenem Recht und in eigenem Namen gerichtlich geltend zu machen (vgl. BSG SozR 4-2500 § 276 Nr. 1 Rdnr. 15 - zitiert nach Juris). Die Klägerin ist danach berechtigt, die Herausgabe der ärztlichen Unterlagen an den MD-BEV gerichtlich durchzusetzen.
Der Anspruch der Klägerin ist auch begründet, denn das Krankenhaus hat im Rahmen der wechselseitigen Leistungsbeziehungen zur Krankenkasse diejenigen Angaben zu machen und Unterlagen beizubringen, die zur Beurteilung der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit im Einzelfall erforderlich sind (BSG, Urteil vom 22. April 2009 - B 3 KR 24/07 R = SozR 4-2500 § 109 Nr. 18 Rdnr. 14 - zitiert nach Juris -). Rechtsgrundlage der Auskunftsverpflichtung ist nach der genannten Entscheidung des BSG § 100 Abs. 1 Satz 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Danach ist das Krankenhaus verpflichtet, dem Leistungsträger "im Einzelfall auf Verlangen Auskunft zu erteilen, soweit es für die Durchführung von dessen Aufgaben nach diesem Gesetzbuch erforderlich" ist und entweder der Betroffene eingewilligt hat (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB X) oder dies gesetzlich zugelassen ist (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB X); ausgenommen hiervon sind nach § 100 Abs. 2 SGB X nur Angaben, die den Arzt oder ihm nahe stehende Personen der Gefahr aussetzen würden, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.
Für den hier zu beurteilenden Streitfall galten im entsprechenden Zeitraum die Auskunftspflichten im Verhältnis zu den Krankenkassen, die sich insbesondere aus § 284 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und 7 SGB V ergeben. Danach war die Erhebung von Sozialdaten für die Zwecke der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zugelassen, soweit sie nach Maßgabe der Prüfaufträge von Krankenkasse und MDK u.a. für die "Prüfung der Leistungspflicht und die Gewährung von Leistungen an Versicherte" und für die "Beteiligung des Medizinischen Dienstes" erforderlich waren. Nach der genannten Rechtsprechung des BSG (a.a.O., Rdnr. 16 ff.) können im Rahmen eines bis zu dreistufigen Prüfungsverfahrens Auskunfts- und Mitwirkungspflichten wie folgt bestehen:
Es bestehe auf einer ersten Stufe die Pflicht, der Krankenkasse bei Krankenhausbehandlung u.a. den Grund der Aufnahme sowie Einweisungsdiagnose und die Aufnahmediagnose zu übermitteln (§ 301 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V). Hiermit sei aus datenschutzrechtlichen Gründen abschließend und enumerativ aufgelistet, welche Angaben der Krankenkasse bei einer Krankenhausbehandlung ihrer Versicherten auf jeden Fall zu übermitteln seien.
Darüber hinaus könne eine vertraglich vereinbarte Pflicht des Krankenhauses aus einem Krankenhausvertrag bestehen.
Soweit sich danach aufgrund der vorgenannten Angaben nach § 301 SGB V oder eines Kurzberichtes die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung oder weitere Abrechnungsvoraussetzungen nicht erschließen ließen, sei auf der zweiten Stufe der Sachverhaltserhebung ein Prüfverfahren nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V einzuleiten. Danach sei beim MDK eine gutachtliche Stellungnahme einzuholen, wenn die vom Krankenhaus erteilten Informationen zur Prüfung insbesondere von Voraussetzung, Art und Umfang der Krankenhausbehandlung nicht ausreichten. Dazu seien dem MDK nach § 276 Abs. 1 Satz 1 SGB V die zur Begutachtung erforderlichen Unterlagen vorzulegen.
Im Rahmen einer nach diesen Voraussetzungen ordnungsgemäß eingeleiteten Prüfung habe das Krankenhaus schließlich auf der dritten Stufe der Sachverhaltserhebung dem MDK auch über die Anzeige nach § 301 SGB V und den Kurzbericht hinaus aller weiteren Angaben zu erteilen und Unterlagen vorzulegen, die im Einzelfall zur Beantwortung der Anfrage der Krankenkasse benötigt würden. Rechtsgrundlage hierfür sei § 276 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V (vgl. BSG, a.a.O. Rdnr. 16 bis 20 - zitiert nach Juris -).
Die Klägerin hat das Prüfungsverfahren entsprechend § 275 Abs. 1 Satz Nr. 1 SGB V eingeleitet. In Anwendung der Rechtsprechung der BSG ergibt sich damit aus § 276 Abs. 2 SGB V die Pflicht der Beklagten, die anforderten ärztlichen Unterlagen der Klägerin zur Weiterleitung an den MD vorzulegen. (vgl. BSG a.a.O., Rdnr. 20 u.H.a. BSGE 90, 1 = SozR 3-2500 § 112 Nr. 3).
Die Auffassung des erkennenden Senats steht auch im Einklang mit der neuen Rechtsprechung des BSG zur Herausgabe von Krankenunterlagen nach der mit Wirkung vom 1. April 2007 eingeführten Vorschrift des § 275 Abs. 1c SGB V (Urteil vom 16. Mai 2012 - B 3 KR 14/11 R = SGb 2012, 393). In den Entscheidungsgründen (a.a.O.) führt das BSG aus, dass, wenn sich auf der "Dritten Stufe" der Sachverhaltserhebung kein abschließendes Ergebnis finden lasse, Rechtsgrundlage für die Herausgabe der Unterlagen § 276 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 SGB V (hier i.d.F. des GKV-WSG) sei. Danach gelte: "Haben die Krankenkassen nach § 275 Abs. 1 bis 3 eine gutachtliche Stellungnahme der Prüfung durch den Medizinischen Dienst veranlasst, sind die Leistungserbringer verpflichtet, Sozialdaten auf Anforderung des Medizinischen Dienstes unmittelbar an diesen zu übermitteln, soweit dies für die gutachtliche Stellungnahme und Prüfung erforderlich ist". Auf dieser Grundlage sei der MDK ermächtigt, die erforderlichen Sozialdaten beim Krankenhaus anzufordern (vgl. BSGE 90, 1 = SozR 3-2500 § 112 Nr. 3); das Krankenhaus sei zu deren Vorlage verpflichtet, weil allein durch die Angaben gemäß § 301 SGB V und einen etwaigen Kurzbericht eine zuverlässige Beurteilung der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit oder anderer Fragen der Abrechnung nicht möglich sei (BSG, a.a.O. Rdnr. 21 - zitiert nach Juris).
Die nunmehr in § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V geregelte Prüfungsfrist steht der Herausgabepflicht der medizinischen Unterlagen seitens der Beklagten nicht entgegen, denn diese ist erst durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom 26. März 2007 (BGBl I 378) zum 1. April 2007 in Kraft getreten und deshalb auf den vorliegenden Streitfall nicht anzuwenden. Darauf hat die Klägerin zutreffend hingewiesen (vgl. BSG, Urteil vom 28. Februar 2007 - B 3 KR 12/06 R -).
Dem Begehren der Klägerin stehen auch sonstige Rechte nicht entgegen; insbesondere nicht die Einrede der Verjährung, denn vorliegend gilt eine vierjährige Verjährungsfrist (vgl. BSG SozR 4-2500 § 276 Nr. 1 Rdnr. 25; Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 25. April 2008 - L 1 B 198/08 KR - zitiert nach Juris), die hier erst am 31. Dezember 2009 ablief. Die Klägerin hatte ihr Begehren gegenüber der Beklagten aber bereits im Juli 2009 und damit rechtzeitig geltend gemacht.
Der Herausgabe der Unterlagen steht auch nicht der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen. Dieser Grundsatz kann zwar im Zusammenhang mit Streitigkeiten über die Korrektur von Schlussrechnungen eine entscheidende Bedeutung erlangen (vgl. BSG, Urteil vom 8. September 2009 - B 1 KR 11/09 R, Rdnr. 21 - zitiert nach Juris). Hier handelt es sich jedoch nicht um einen Streit über die Korrekturen an einer Schlussrechnung, durch die beim Empfänger ein Vertrauen darauf erzeugt wird, der Fall sei nunmehr endgültig abgeschlossen. Vielmehr handelt es sich um die Grundprüfung der Erforderlichkeit von Krankenhausbehandlung, und es ist der Anspruch dem Grunde nach zu beurteilen. Für diese Prüfung gilt, wie oben ausgeführt, für die Zeit vor dem 1. April 2007 grundsätzlich die vierjährige Verjährungsfrist. Die Klägerin hat im vorliegenden Fall auch nichts getan, was einen besonderen Vertrauenstatbestand bei der Beklagten hätte hervorrufen können. Allein das Ausschöpfen der Verjährungsfrist reicht dazu nicht aus.
Soweit das BSG diesem Grundsatz in Gestalt des Beschleunigungsgebots auch bei der Prüfung der Erforderlichkeit der Behandlung Bedeutung beigemessen hat (vgl. etwa BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 - B 1 KN 3/08 KR Rdnr. 37, Urteil vom 16. Mai 2012 - B 3 KR 14/11 R Rdnr. 23 - (zitiert nach Juris), mag sich dies wegen der durch den Zeitablauf eingetretenen Beweisschwierigkeiten im Ergebnis zu Lasten der Klägerin auswirken und es ihr unmöglich machen, die für einen Rückzahlungsanspruch notwendigen Feststellungen zu treffen. Dies entbindet die Beklagte nach Auffassung des Senats jedoch innerhalb der vierjährigen Verjährungsfrist nicht von der Verpflichtung, die angeforderten Unterlagen vorzulegen, um überhaupt eine Prüfung zu ermöglichen. Der Senat sieht sich nicht in der Lage nach objektiven Kriterien eine Art Ausschlussfrist unterhalb der Verjährungsfrist zu postulieren, ab der ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot die Konsequenz hat, dass eine Übersendung der Krankenunterlagen generell verweigert werden kann.
Auch unter Geltung des § 275 Abs. 1c SGB V ab April 2007 greift die dort normierte Ausschlussfrist nach der Rechtsprechung des BSG ist im Übrigen erst auf der dritten Stufe des Prüfverfahrens (BSG, Urteil vom 16. Mai 2012 - B 3 KR 14/11 R, Rdnr. 22 - zitiert nach Juris). Ohne die von der Klägerin angeforderten Unterlagen lässt sich jedoch bereits nicht feststellen, ob die Beklagte ihrer Informationspflicht nach der ersten Stufe, so wie das BSG sie im eben genannten Urteil verstanden hat, hinreichend nachgekommen ist. Ob die Beklagte im Hinblick auf das Bescheunigungsgebot, auf das auch in dem bereits zitierten Urteil des BSG vom 16. Mai 2012 Bezug genommen wird (BSG aaO. Rdnr. 23) möglicherweise berechtigt sein könnte, eine weitergehende Mitwirkung zu verweigern, bedarf keiner Erörterung, denn sie verweigert im vorliegenden Fall von vornherein jegliche Kooperation.
Auf die Anschlussberufung der Klägerin war der Gerichtsbescheid des SG Hannover zu ändern, denn die Stufenklage ist hier nach § 202 SGG i.V.m. § 254 Zivilprozessordnung (ZPO) zulässig (vgl. Urteil des BSG vom 28. Februar 2007 - B 3 KR 12/06 R). Die Klägerin kann nach Herausgabe der ärztlichen Unterlagen und Beurteilung durch den MDK evtl. bestehende Rückforderungsansprüche im Rahmen der Stufenklage verfolgen. Die Beklagte war deshalb entsprechend zu verurteilen. Vorliegend ist es ausnahmsweise entbehrlich anzugeben, ob und ggf. in welcher Höhe eine Erstattungsforderung gegenüber der Beklagten geltend gemacht werden kann. Denn der als zweite Stufe der Klage unbeziffert gestellte Antrag auf Erstattung einer etwaigen Überzahlung setzt eine Entscheidung über das Herausgabeverlagen voraus und steht daher mit diesem in einem untrennbaren Zusammenhang. Abweichend von § 92 Satz 1 SGG, wonach die Klage einen bestimmten Antrag enthalten soll, darf in diesem Fall der in seiner Höhe noch nicht feststehende Rückzahlungsanspruch bis zur Entscheidung über den Herausgabeanspruch unbeziffert bleiben (vgl. BSG a.a.O.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 63 Abs. 2, § 52 Abs. 1 und § 47 Abs. 1 Gerichtskostengesetz.
Der Senat hat die Revision zugelassen, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.