Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 10.07.2012, Az.: L 7 AS 883/11
Grundsicherung; Kosten der Unterkunft und Heizung; Angemessenheitsprüfung; Bundesweiter Heizkostenspiegel; Kommunale Berechnungsprogramme
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 10.07.2012
- Aktenzeichen
- L 7 AS 883/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 21843
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2012:0710.L7AS883.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Lüneburg - AZ: S 19 AS 1527/10
Rechtsgrundlage
- § 22 Abs. 1 S.1 SGB II
Redaktioneller Leitsatz
1. Aus dem "bundesweiten Heizspiegel", der seit 2005 jährlich veröffentlich wird, ergeben sich Vergleichswerte, um angemessene Aufwendungen für die regelmäßigen Heizkosten bei Empfängern von SGB II-Leistungen zu bestimmen.
2. Es besteht jedoch keine Verpflichtung zur Anwendung des bundesweiten Heizspiegels, jedenfalls soweit für den jeweiligen Ort ein kommunaler Heizspiegel besteht, der auf validen und belastbaren Daten und deren methodischer und systematischer Auswertung beruht.
3. Einzelfallbezogen ist das für das von der Stadt Heilbronn entworfene Berechnungsprogramm Heikos 2.0 nicht gegeben, soweit es um die angemessenen Heizkosten im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGGin der Kommunae Walsrode/Nierdersachsen geht.
Tenor:
Der Beklagte erstattet dem Kläger die Hälfte seiner außergerichtlichen Kosten im Berufungsverfahren.
Gründe
I. Zwischen den Beteiligten war die Übernahme einer Nachzahlung für die Heiz- und Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2008 streitig. Nach Erledigung der Hauptsache ist nunmehr auf Antrag des Klägers über die Kosten zu entscheiden.
Der 1979 geborene Kläger steht im laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) beim Beklagten. Er bewohnt in einem mit einer Gesamtfläche von 431,33 qm großen Gebäude in D. eine Wohnung im Erdgeschoss Mitte bestehend aus 1 Zimmer, Küche, Flur, Bad und WC mit einer Wohnfläche von 36,29 qm. Er zahlt monatlich eine Miete von 162,00 EUR, einen Nebenkostenabschlag von 57,38 EUR sowie einen Heizkostenabschlag von 56,00 EUR. Die Wohnung wird mit einer Gaszentralheizung beheizt.
Im Dezember 2009 legte der Kläger die Betriebskostenabrechnung des Vermieters vom 24. September 2009 für das Jahr 2008 mit einer Nachzahlung in Höhe von 360,62 EUR vor. Danach verbrauchte der Kläger 2008 insgesamt Heizkosten einschließlich Warmwasserkosten und Gebühren/Nebenkosten in Höhe von 739,62 EUR. An Nebenkosten waren 621,00 EUR angefallen. Der Nachzahlungsbetrag ergab sich aus den auf den Kläger umlegbaren Kosten in Höhe von 1.360,62 EUR abzüglich der Vorauszahlung in Höhe von 1.044,00 EUR.
Mit Bescheid vom 9. Juli 2010 lehnte der Beklagte die Übernahme der Nachforderung ab und verlangte vom Kläger im Wege eines Widerrufes gemäß § 47 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) die Erstattung eines Heiz- und Nebenkostenguthabens in Höhe von 4,99 EUR. Dabei legte er für die Heizkosten eine Obergrenze von 1,10 EUR pro qm (x 36,29 qm x 12 Monate = 479,03 EUR) zugrunde. Durch Widerspruchsbescheid vom 31. August 2010 half der Beklagte teilweise ab, forderte den Betrag von 4,99 EUR nicht mehr zurück, gewährte stattdessen eine Nachzahlung in Höhe von 97,26 EUR und wies im Übrigen den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Beklagte erkannte nunmehr angemessene Heizkosten nach Abzug der Warmwasserpauschale für das gesamte Jahr 2008 in Höhe von 586,01 EUR an, zog die gewährten Abschläge in Höhe von 416,46 EUR ab und verrechnete die Differenz von 169,55 EUR mit der Überzahlung bei den Nebenkosten in Höhe von 760,56 EUR, so dass sich ein Nachzahlungsbetrag zugunsten des Klägers in Höhe von 97,26 EUR ergab.
Mit der am 27. September 2010 erhobenen Klage hat der Kläger im Antrag eine Nachzahlung von 219,36 EUR bzw. in der Begründung in Höhe von 149,94 EUR geltend gemacht. Nach dem bundesweiten Heizspiegel seien angemessene Heizkosten von 677,10 EUR (37 qm x 18,30 EUR) zugrunde zulegen. Ausweislich der Heizkostenabrechnung seien bei ihm nach Abzug des Warmwasseranteils reine Heizkosten von 636,66 EUR angefallen. Sein Heizkostenverbrauch für das Jahr 2008 liege deshalb unter den Werten des bundesweiten Heizkostenspiegels.
Demgegenüber hat der Beklagte geltend gemacht, nicht der bundesweite Heizspiegel, sondern das von der Stadt Heilbronn entwickelte Berechnungsprogramm Heikos 2.0 sei heranzuziehen. Zum einen sei der Urheber des bundesweiten Heizspiegels der Auffassung, dass der bundesweite Heizspiegel zur Beurteilung der Angemessenheit von Heizkosten von Arbeitslosengeld II-Empfängern ungeeignet sei. Zum zweiten schließe das BSG die Anwendung anderer Berechnungsprogramme nicht aus. Nach der Bedienungsanleitung der Stadt Heilbronn für das Berechnungssystem Heikos 2.0 berücksichtige das Programm folgende Faktoren: Baulicher Zustand, Alter, Größe und Wärmedämmung der Unterkunft, Art der Energiequelle, individuelle Energiepreise, klimatische Bedingungen, Wirkungsgrad der Heizungsanlage und persönliche Bedürfnisse des Hilfebedürftigen. Die Forschungsstelle für Energiewirtschaft eV in München habe den durchschnittlichen Heizwärmebedarf in Westdeutschland nach Gebäudealter und Gebäudetyp (spezifischer Wärmeverbrauch) sowie Jahresnutzungsgrade und Heizsysteme in deutschen Haushalten ermittelt. Dabei würden bestimmten Baualtersklassen und Gebäudetypen bestimmte Dämmwerte zugeordnet. Im Interesse der Verwaltungspraktikabilität seien dann 27 Fallgruppen gebildet worden. Die klimatischen Bedingungen drückten sich in Gradtagszahlen aus, die die Differenz zwischen Innen- und Außentemperatur wiedergäben. Dabei werde von einer durchschnittlichen Raumtemperatur von 20 Grad Celsius und einer Nachtabsenkung von 22:00 bis 06:00 Uhr ausgegangen. Dadurch solle der durch Bauart und -alter bedingte, in Westdeutschland geltende spezifische Wärmeverbrauch den meteorologischen Bedingungen des jeweiligen Abrechnungszeitraumes und der jeweiligen Örtlichkeit angepasst werden. Sollten Hilfebedürftige aufgrund ihrer persönlichen Verhältnisse aus medizinischen Gründen eine erhöhte Raumtemperatur benötigen, erhöhe sich der Energieverbrauch pro ein Grad Raumtemperatur um 6 Prozent. Das alternative Berechnungsprogramm der Stadt Heilbronn sei deshalb im besonderen Maße geeignet, die Angemessenheitsgrenzen festzulegen, weil dort die einzelnen Bemessungsfaktoren und deren Wechselwirkung untereinander besser berücksichtigt würden, wie zwischenzeitlich auch die vom BSG zitierte Kommentarstelle eingesehen habe. Dagegen sei die generelle Orientierung an der Obergrenze zu extrem hohen Heizwerten - ohne die individuellen örtlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen - nicht sachgerecht, gehe zu Lasten der Umwelt und wirke der Verpflichtung des Hilfebedürftigen zum sparsamen Heizen entgegen.
Das Sozialgericht (SG) Lüneburg hat mit Urteil vom 18. August 2011 die angegriffenen Bescheide geändert und den Beklagten verurteilt, dem Kläger weitere 143,82 EUR nachzuzahlen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Das SG hat ausgehend vom bundesweiten Heizspiegel für das Abrechnungsjahr 2008 eine Höchstgrenze von 810,00 EUR (16,20 EUR x fiktive Wohnungsgröße von 50 qm) festgesetzt. Die Angemessenheitsgrenze liege oberhalb der tatsächlichen Heizkosten des Klägers. Von der Nachzahlung aus der Betriebskostenabrechnung 2008 in Höhe von 316,62 EUR seien deshalb die Warmwasseranteile in Höhe von 75,54 EUR sowie die bereits von dem Beklagten gezahlten 97,26 EUR abzuziehen, so dass die ausgeurteilte Restforderung von 143,82 EUR offen sei. Das SG hat die Berufung zugelassen.
Gegen dieses Urteil hat der Beklagte am 13. September 2011 Berufung eingelegt. Er trägt vor, die Rechtsprechung des BSG schließe andere Möglichkeiten zur Prüfung der Angemessenheit von Heizkosten nicht aus, die ihm zum Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht bekannt gewesen seien (z. B. das hier angewandte Berechnungsprogramm Heikos 2.0 nach dem Heilbronner-Modell), wenn diese die vom BSG selbstgenannten Kriterien besser umsetzen könnten (z. B. klimatische Bedingungen, ständig wechselnde Energiepreise des Energieträgers, typischer Gebäudestandard, technischer Standard der Heizungsanlage). Vielmehr habe das BSG in seiner Rechtsprechung betont, dass für die Prüfung der Angemessenheit von Heizkosten die Heranziehung eines Heizspiegels möglich sei; zwingend sei die Anwendung eines Heizspiegels jedoch nicht.
Am Vorabend der angesetzten mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht hat der Beklagte die Berufung zurückgenommen. Daraufhin hat der Kläger beantragt, dem Beklagten die Verfahrenskosten aufzuerlegen.
II. Auf Antrag des Klägers entscheidet der Senat gemäß § 193 Abs. 1 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss über die Kostenerstattung, wenn das Verfahren - wie vorliegend - anders als durch Urteil beendet wird. Dabei sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels maßgebend in die Billigkeitsprüfung einzubeziehen. Der Senat hat sich für die getroffene Kostenquotelung von folgenden Überlegungen leiten lassen:
1.) Streitgegenstand war der Bescheid des Beklagten vom 9. Juli 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2010, mit dem für den Monat September 2009 eine Leistungskorrektur zugunsten des Klägers in Höhe von 97,26 EUR vorgenommen wurde. Anlass hierzu war die vorgelegte Betriebskostenabrechnung 2008 vom 24. September 2009. Mit der Geltendmachung der Betriebskostennachforderung durch den Vermieter in Höhe von 316,62 EUR ist eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten (§ 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II i. V. m. § 330 Abs. 3 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - SGB III - und § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X -). § 22 Abs.1 SGB II erfasst nämlich neben laufenden, auch einmalige Kosten für Unterkunft und Heizung (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 - B 4 AS 49/07 R -, SozR 4-4200 § 22 Nr. 16). Soweit eine Nachforderung in einer Summe fällig wird, ist sie als tatsächlicher, aktueller Bedarf im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu berücksichtigen, nicht aber auf längere Zeiträume zu verteilen; Nachzahlungen gehören demzufolge zum aktuellen Bedarf im Fälligkeitsmonat (BSG, Urteil vom 22. März 2010 - B 4 AS 62/09 R -, SozR 4-4200, § 22 Nr. 38). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der ursprüngliche Bewilligungsbescheid für den Monat September 2009 ist nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II aufzuheben, weil die Änderung zugunsten des Klägers erfolgt ist.
2.) Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Bereits aus der Gesetzesformulierung wird deutlich, dass zunächst für die erstattungsfähigen Heizkosten dieselben rechtlichen Voraussetzungen und Anforderungen gelten, wie für die Unterkunft. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist daher bei der Angemessenheitsprüfung von Heizkosten ein konkret-individueller Maßstab anzulegen, wobei allgemeine Pauschalen bzw. Richtwerte, die nicht auf einer schlüssigen Datengrundlage basieren, keine Aussagekraft besitzen. Lediglich die Bildung einer Bruttowarmmiete ist unzulässig; die Angemessenheitsprüfung der Heizkosten hat deshalb getrennt von der Prüfung der Angemessenheit der Unterkunftskosten zu erfolgen (BSG, Urteil vom 2. Juli 2009 - B 14 AS 33/08 R).
Die Bestimmung von Angemessenheitskosten ist auch inhaltlich wesentlich schwieriger als bei der Kaltmiete. Die Aufwendungen für die Heizung hängen nämlich von unterschiedlichen Faktoren ab, die am wenigstens vom Verhalten der SGB II-Leistungsempfänger beeinflusst werden können. Entscheidend sind der bautechnische Zustand der Heizungsanlage sowie die Wärmeisolierung und der Wärmeverlust in der einzelnen Wohnung bzw. im gesamten Gebäude, ferner die Lage der Wohnung in einem konkreten geographischen Umfeld, die meteorologischen und witterungsbedingten Verhältnisse. Von Bedeutung sind schließlich die Familiengröße und die Zusammensetzung der Bedarfsgemeinschaft und insbesondere die konkrete Nutzung und die Anwesenheitszeiten in der Wohnung.
3.) Im Hinblick auf diese erheblichen Schwierigkeiten hat sich das BSG für einen Lösungsweg entschieden, indem die tatsächlich anfallenden Kosten als angemessen anzusehen sind, soweit diese nicht einen Grenzwert überschreiten, der angemessenes Heizen indiziert (BSG, Urteil vom 2. Juli 2009 - B 14 AS 36/08 R -, Rdz. 22; BSG, Urteil vom 13. April 2011 - B 14 AS 32/09 R -, Rdz. 38). Ein Rückgriff auf einen weniger differenzierten Wert (etwa auf Durchschnittswerte aller Verbraucher bezogen auf den jeweiligen örtlichen Bereich oder auf das Bundesgebiet) würde demgegenüber eine Pauschalierung von Kosten der Heizung bedeuten, die nach § 27 Nr. 1 SGB II dem Verordnungsgeber vorbehalten ist (BSG, Urteil vom 2. Juli 2009, Rdz. 19). Nach dieser Rechtsprechung können sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Heizkosten unangemessen hoch sind, wenn die tatsächlich anfallenden Heizkosten die durchschnittlich aufgewandten Kosten aller Verbraucher für eine Wohnung der den abstrakten Angemessenheitskriterien entsprechenden Größe signifikant überschreiten. Zur Bestimmung eines solchen Grenzwertes hält es das BSG für den Regelfall einer mit Öl, Erdgas oder Fernwärme beheizten Wohnung für möglich, den von der co2-online gGmbH in Kooperation mit dem Deutschen Mieterbund und dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit geförderten "bundesweiten Heizspiegel" - mangels für den Einzelfall aussagekräftiger kommunaler Werte - heranzuziehen.
4.) Der Senat teilt diese Rechtsprechung und sieht darin ein geeignetes Mittel für die Bestimmung der Angemessenheit von Heizkosten. Aus dem "bundesweiten Heizspiegel", der auf bundesweit erhobenen Heizdaten von rund 63.000 zentral beheizten Wohngebäuden basiert, was hinreichend repräsentativ ist, und der seit 2005 jährlich veröffentlich wird, ergeben sich Vergleichswerte je nach Energieart und gestaffelt nach der von der jeweiligen Heizungsanlage zu beheizenden Wohnfläche, die hinsichtlich des Energieverbrauchs zwischen "optimal", "durchschnittlich", "erhöht" und "extrem hoch" unterscheiden. Der Grenzwert, der hier zugrunde zulegen ist, ist das Produkt aus dem Wert, der auf "extrem hohe" Heizkosten bezogen auf den jeweiligen Energieträger und die Größe der Wohnung hindeutet (rechte Spalte), und dem Wert, der sich für den Haushalt des Hilfebedürftigen als abstrakt angemessene Wohnfläche nach den Ausführungsbestimmungen der Länder zu § 10 Abs. 1 Wohnraumförderungsgesetz bzw. § 5 Abs. 2 Wohnungsbindungsgesetz ergibt. Das bedeutet, dass der Grundsicherungsempfänger im Regelfall die tatsächlichen Heizkosten nur bis zur Obergrenze aus dem Produkt des Wertes für extrem hohe Heizkosten mit der angemessenen Wohnfläche (in Quadratmeter) geltend machen kann (BSG, Urteil vom 2. Juli 2009, Rdz. 22). Das Zurückgreifen auf die ungünstige Verbrauchskategorie des extrem hohen Energieverbrauchs ist deshalb erforderlich, weil die Heizkosten in der Regel von Faktoren abhängen, die dem Einfluss des Leistungsempfängers weitgehend entzogen sind. Es kommt hinzu, dass Empfänger von SGB II-Leistungen, deren angemessene Aufwendungen für die Unterkunft sich an Wohnungen des unteren Marktsegmentes orientieren, typischerweise älteren Wohnraum mit einem unterdurchschnittlichen Energiestandard nutzen müssen.
5.) Dem Beklagten ist zuzugeben, dass keine Verpflichtung zur Anwendung des bundesweiten Heizspiegels besteht und eine solche auch nicht vom BSG vorgeschrieben worden ist. So hat der Senat selbst in einer anderen Konstellation in Erwägung gezogen, im Hinblick auf eine konkrete Beschaffenheit der Wohnung bzw. deren Nutzung höhere Kosten als der ungünstigsten Verbrauchskategorie als angemessen anzusehen (vgl. auch LSG Sachsen-Anhalt, 25. März 2011 - L 5 AS 427/10 B ER). Der bundesweite Heizspiegel wird verdrängt, soweit für den jeweiligen Ort ein kommunaler Heizspiegel besteht, der auf validen und belastbaren Daten und Datenauswertungsmethoden basiert. Derartiges ist aber im vorliegenden Fall nicht feststellbar.
6.) Das von der Stadt Heilbronn entworfene Berechnungsprogramm Heikos 2.0 stellt keinen kommunalen Heizspiegel für die Stadt D. dar und ist zur Bestimmung der angemessenen Heizkosten im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGG untauglich.
a) Es ist grundsätzlich zu begrüßen, wenn ein kommunaler Träger eine konkret-individuelle Angemessenheitsgrenze anhand eines schlüssigen Konzepts ermittelt, in welches vor Ort repräsentativ erhobene Daten zum Heizwärmebedarf nach Gebäudealter, Gebäudetyp und Nutzungsgrade einzelner Heizungssysteme einbezieht, klimatische Bedingungen, Energiequellen und konkrete Preise des örtlichen Energieversorgers berücksichtigt. Diesen Anforderungen genügt jedoch das vom Beklagten angewandte Berechnungsprogramm Heikos 2.0 nicht. Es ist insbesondere nicht zulässig, eine Angemessenheitsobergrenze anhand von Durchschnittswerten für einzelne Berechnungsposten zu bilden. So legt die Berechnungsmethode der Stadt Heilbronn für einige Berechnungselemente (Baualter, Wärmedämmung, Wirkungsgrade der Heizungsanlage) einen von der Forschungsstelle für Energiewirtschaft e. V. ermittelten durchschnittlichen Heizwärmebedarf in Westdeutschland sowie durchschnittliche Jahresnutzungsgrade der Heizsysteme in deutschen Haushalten zugrunde. Dabei werden aber die konkreten Verhältnisse (Fläche der Fenster, Lage der Wohnung im Haus, Fläche der Außenwände, Dämmwert der Fenster usw., des zu beurteilenden Haushalts) in keinster Weise berücksichtigt.
b) Die Stadt Heilbronn hat ferner bei der Festsetzung der Gradtagszahlen eine durchschnittliche Raumtemperatur von 20 Grad Celsius und eine Nachtabsenkung von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr zugrunde gelegt. Dies impliziert die Schlussfolgerung, dass bei einer höheren Raumtemperatur das Berechnungsprogramm grundsätzlich von einem unangemessenen Heizverhalten ausgeht. Dieser Ansatz lässt vor allem unberücksichtigt, dass der konkrete Zustand der Wohnung bzw. individuelle Lebensverhältnisse der Leistungsempfänger höhere Temperaturen bedingen, ohne dass automatisch ein unangemessenes Heizverhalten angenommen werden darf. Überhaupt bestehen erhebliche Zweifel, ob Gradtagszahlen ein zuverlässiges Berechnungselement für die Angemessenheit von Heizkosten darstellen. Es handelt sich nämlich nur um die Bildung von Mittelwerten für die jeweiligen Jahrestage aus Erfahrungen der letzten 20 Jahre, die nach dem durchschnittlichen Heizverhalten je nach Temperatur unterscheiden. Als Durchschnittsberechnung werden die Gradtagszahlen herangezogen, um einen ungefähren Verbrauchswert bei Nutzung der Heizungsanlage nur für einige Monate im Jahr zu bestimmen (§ 9b Abs. 2 Heizkostenverordnung). Die Gradtagstabelle dient folglich bei Teilabrechnung als Hilfsmittel zur Bestimmung der Heizkosten, die nicht durch technische Geräte festgestellt werden (können). Für die Bestimmung eines individuell angemessenen Heizverhaltens in einer bestimmten Wohnung sind die Gradtagszahlen allein ungeeignet.
c) Das BSG hat in den oben zitierten Entscheidungen hervorgehoben, dass der Wohnraum von SGB II-Leistungsbeziehern typischerweise eher einen unterdurchschnittlichen Energiestandard aufweist. Würden folglich die als angemessen angesehenen Heizkosten auf Gradtagszahlen bzw. auf andere Durchschnittswerte begrenzt, würde dem Leistungsberechtigten ein überdurchschnittliches Energiesparverhalten abverlangt. Dieser normative Maßstab ist jedoch dem § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II nicht zu entnehmen. Es gilt, was der Senat bereits zur Angemessenheitsgrenze bei Unterkunftskosten betont hat, dass der Ansatz mit Durchschnittswerten außer Acht lässt, dass auch die über dem Durchschnittswert liegenden Heizwärmebedarfswerte in die Ermittlung des Durchschnittswertes als repräsentative Daten einfließen. Genauso wie überteuerte Wohnungen bei der Angemessenheitsprüfung außer Acht bleiben müssen, ist auch in diesem Zusammenhang zu fordern, dass die Datenbank um Heizwärmebedarfswerte, die offensichtlich als untypisch und unangemessen ("Ausreißer") angesehen werden können, zu bereinigen ist.
7.) Der vom BSG eingeschlagene Lösungsweg wird nicht mit dem Argument erschüttert (worauf der Beklagte hinweist), dass der Herausgeber des bundesweiten Heizspiegels, die co2-online gemeinnützige GmbH, den bundesweiten Heizspiegel zur Beurteilung der Angemessenheit von Heizkosten von Arbeitslosengeld II-Empfängern als ungeeignet ansieht, weil der Heizspiegel nur deshalb entwickelt worden sei, um Hauseigentümer zu Energiesparinvestitionen zu motivieren. Wie aus der eingereichten Stellungnahme (Blatt 25 Gerichtsakte) unverkennbar ist, dürfte die Äußerung der co2-online gGmbH nicht unwesentlich dadurch beeinflusst worden sein, dass sie statt des kostenlos im Internet abrufbaren bundesweiten Heizspiegels lieber ihre kostenpflichtigen Heizgutachten vermarkten möchte. Der Beklagte und die co2-online gGmbH verkennen jedenfalls die prozessuale Bedeutung und die Tragweite der BSG-Rechtsprechung. Diese hat nicht bundesweit und pauschalierend die Angemessenheitsgrenzen für die Heizkosten festgestellt. Vielmehr hat das BSG mangels für den Einzelfall aussagekräftigerer anderer Datenbanken in Anlehnung an den bundesweiten Heizspiegel einen Grenzwert genannt, der unangemessenes Heizen indiziert. Dabei erfolgte die Orientierung an den "recht großzügigen Grenzwerten" (so ausdrücklich: Krauß in: Hauck/Noftz, SGB II-Kommentar, Stand: September 2009, § 22 Rdz. 88) deshalb, um die zahlreichen vom Leistungsempfänger nicht beeinflussbaren Faktoren der Heizkosten in einer möglichst rechtsbefriedigenden Weise erfassen zu können. Es darf nicht übersehen werden, dass die hohen Verbrauchswerte des bundesweiten Heizspiegels nicht nur tendenziell unwirtschaftliches und unökologisches Heizverhalten fördern, sondern auch die Interessen der Grundsicherungsträger berücksichtigen, weil die Instanzrechtsprechung bis zu der Entscheidung des BSG im Jahre 2009 überwiegend die tatsächlichen Kosten als angemessen betrachtet hat, soweit die Behörde im konkreten Fall ein unwirtschaftliches Heizverhalten nachgewiesen hätte, was ihr jedoch kaum gelingen konnte (vgl. Berlit in: LPK-SGB II, 4. Auflage, § 22 Rdn. 95 bis 98). Die Rechtspraxis hat sich danach am bundesweiten Heizspiegel orientiert und - bis auf große Ausnahmen - die Leistungsträger haben diese Rechtsprechung akzeptiert. Ausweislich der Homepage www.heizspiegel.de haben ferner diverse kommunale Träger eigene kommunale Heizspiegel auf der Basis des bundesweiten Heizspiegels beschlossen. Trotz gewisser Mängel des bundesweiten Heizspiegels hält es der Senat bei dieser Entwicklung nicht für geboten, die (möglicherweise unvollkommene) Berechnung nach dem bundesweiten Heizspiegel durch ein anderes Berechnungsprogramm (sei dies genauso gut oder genauso schlecht) zu ersetzen.
8.) Ob die Anwendung des bundesweiten Heizspiegels im Falle des Klägers dazu führt, dass er vom Beklagten eine höhere Erstattung verlangen kann, als im Widerspruchsbescheid vom 31. August 2010 festgesetzt, kann nach Aktenlage nicht mit Sicherheit festgestellt werden.
a) Auszugehen ist von dem Heizspiegel 2009 mit den Vergleichswerten für das Abrechnungsjahr 2008. Da die Wohnung des Klägers mit Gas beheizt wird und in einem Haus mit einer Heizungsfläche von 431,33 qm liegt, beträgt der Verbrauchswert in der Spalte für Gebäudefläche zwischen 251 und 500 qm bei den extrem hohen Kosten 16,20 EUR pro qm. Dieser Verbrauchswert ist mit der tatsächlichen Wohnfläche der Wohnung des Klägers (36,29 qm) zu multiplizieren, so dass sich eine Höchstgrenze von 587,89 EUR ergibt. Hiervon sind die Anteile für die Warmwasserbereitung abzuziehen (BSG, Urteil vom 13. April 2011 - B 14 AS 32/09 R, Rdz. 39). Zwar weist die Jahresabrechnung 2008 entsprechend § 9 Abs. 2 Heizkostenverordnung Warmwasserkosten in Höhe von 112,31 EUR aus. Diese Kosten sind jedoch nicht durch eine technische Einrichtung ermittelt worden und bleiben deshalb unbeachtlich (BSG, Urteil vom 24. November 2011 - B 14 AS 121/10 R -). Maßgebend ist der Anteil, der für die Warmwasserbereitung im Rahmen der Haushaltsenergie in der Regelleistung enthalten ist (BSG, SozR 4-4200, § 22 Nr. 5). Der Gesamtabzug für die Warmwasserbereitung im Jahre 2008 beträgt demnach 75,54 EUR (6 Monate x 6,26 EUR und 6 Monate x 6,33 EUR). Abzuziehen ist ferner die im Widerspruchsbescheid anerkannte und durch Änderungsbescheid vom 14. September 2010 erfolgte Nachzahlung für September 2010 in Höhe von 97,26 EUR. Ungeklärt ist aber die Höhe der vom Beklagten für das Jahr 2008 bereits gewährten Heizungskosten, weil der vorgelegte Aktenauszug den Bewilligungsvorgang erst ab 1. Juni 2009 enthält und das prozessuale Vorbringen des Beklagten unklar ist, zudem für Januar 2010 zusätzlich eine Verrechnung mit dem Guthaben bezüglich der Nebenkosten erfolgen sollte.
b) Die vom SG vertretene Auffassung, der aus dem im bundesweiten Heizspiegel ermittelte Wert von 16,20 EUR sei mit der maximal zulässigen Wohnfläche nach dem Niedersächsischen Ausführungsbestimmungen zu § 10 Abs. 1 Wohnraumförderungsgesetz (für Alleinstehende: 50 qm) zu multiplizieren, teilt der Senat nicht. Vermutlich ist dieser Rechenschritt vor dem Hintergrund vollzogen worden, dass das BSG in beiden Urteilen vom 2. Juli 2009 den Grenzwert in der Tat unter Zugrundelegung einer abstrakt angemessenen Wohnfläche nach den Ausführungsbestimmungen der Länder zu § 10 Abs. 1 Wohnraumförderungsgesetz befürwortet hat. Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass die dortigen Kläger jeweils eine größere Wohnfläche bewohnten, als nach den landesrechtlichen Richtlinien zulässig. In diesem Zusammenhang wollte das BSG hervorheben, dass nicht die tatsächliche (unangemessene) Wohnfläche mit dem extrem hohen Verbrauchswert multipliziert werden sollte, sondern dass mit dieser Lösung die Vergleichbarkeit der Heizkosten mit denen einer typischer Weise angemessenen Wohnung ermöglicht werden sollte. Im späteren Urteil vom 13. April 2011 - B 14 AS 32/09 R - (dort Rdn. 38) ist folgerichtig nicht mehr von einer fiktiven Wohnfläche die Rede. Das deckt sich mit dem im Urteil vom 2. Juli 2009 aufgestellten Grundsatz, dass der Grundsicherungsempfänger im Regelfall die tatsächlichen Heizkosten nur bis zur Obergrenze aus dem Produkt des Wertes für extrem hohe Heizkosten mit der angemessenen Wohnfläche (in Quadratmeter) geltend machen kann.
c) Die angemessene Wohnfläche im Falle des Klägers ist die von ihm tatsächlich bewohnte von 36,29 qm. Es ist kein Grund ersichtlich, einem Leistungsempfänger, der eine kleinere Unterkunft bewohnt als nach den landesrechtlichen Bauförderungsrichtlinien maximal förderungsfähig, über die bereits für die Wahl der extrem hohen Verbrauchswerte maßgeblichen Erwägungen hinaus ein noch unwirtschaftliches und unökologisches Heizverhalten zuzubilligen, nur weil er den Grundsicherungsträger mit einer niedrigeren Miete belastet. Genauso wenig wie bei den Unterkunftskosten stellen heranzuziehende Tabellenwerte bei der Prüfung der Angemessenheit von Kosten ein Budget dar, welches bei Beschränkung der Wohnfläche anderweitig ausgeschöpft werden dürfte. Eine Hilfeleistung nach fiktiven Bedarfen ist dem SGB II fremd. Würde nicht die tatsächliche Wohnfläche, sondern eine fiktive Höchstgrenze zugrunde gelegt werden, käme das einer Pauschalierung der Angemessenheitsprüfung von Kosten der Heizung gleich, die nach Feststellung des BSG im Streitzeitpunkt allein dem Verordnungsgeber nach § 27 Nr. 1 SGB II vorbehalten war.
9.) Ob das Rechtsmittel des Beklagten bei Anwendung des bundesweiten Heizspiegels im vollen Umfange durchdringt, weil der noch offene Unterschiedsbetrag die bereits gewährten Abschläge übersteigt, oder ob die Klageforderung teilweise begründet ist, braucht nach Erledigung der Hauptsache nicht mehr geklärt zu werden. Bei dieser Sach- und Rechtslage entspricht es der Billigkeit, den Beklagten mit der Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers im zweiten Rechtszug zu belasten.
10.) Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht anfechtbar.