Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 05.07.2012, Az.: L 11 AS 759/11

Vorliegen eines Rechtsschutzinteresses bei der isolierten Anfechtung eines Widerspruchsbescheides im sozialgerichtlichen Verfahren; Grundsätze zur Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Rechtsanwaltes

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
05.07.2012
Aktenzeichen
L 11 AS 759/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 23435
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2012:0705.L11AS759.11.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Braunschweig - 17.06.2011 - AZ: S 55 AS 948/08

Fundstelle

  • Breith. 2013, 360-365

Redaktioneller Leitsatz

1. § 79 Abs. 2 VwGO ist auch im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend anwendbar.

2. Wird aufgrund einer im Widerspruchsverfahren erfolgten Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift im sich anschließenden Klageverfahren ausschließlich der Widerspruchsbescheid angefochten, liegt bei gebundenen Verwaltungsentscheidungen das für diese Anfechtungsklage erforderliche Rechtsschutzinteresse nur dann vor, wenn in der Sache eine andere, d.h. für den Betroffenen günstigere Entscheidung zumindest möglich erscheint.

3. Eine Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Rechtsanwaltes oder sonstigen Bevollmächtigten (§ 63 Abs. 3 S. 2 SGB X) ist für das Widerspruchsverfahren nur zu treffen, wenn eine (zumindest teilweise) positive Kostengrundentscheidung getroffen worden ist. [Amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 17. Juni 2011 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte erstattet den Klägern die notwendigen außergerichtlichen Kosten auch des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die isolierte Aufhebung eines Widerspruchsbescheides.

2

Den Klägern waren mit bestandskräftigem Bescheid vom 23. Oktober 2006 für die Zeit vom 1. Oktober 2006 bis 31. März 2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) i.H.v. 341,90 Euro (Oktober 2006) bzw. 825,24 Euro (November 2006 bis März 2007) gewährt worden. Hiervon entfielen durchgängig insgesamt 151,24 Euro auf die Kosten der Unterkunft (KdU) und Heizung. Insoweit hatten die Kläger gegenüber dem Beklagten angegeben, in einem eigenen Haus (Jahr der Fertigstellung: 2000) mit 154 qm Wohnfläche zu leben. Die Grundstücksfläche betrage 997 qm. Als Kosten gaben sie an: Wasser/Abwasser 19,- Euro GEZ 51,48 Euro Strom 140,- Euro Sonstiges (z.B. Grundsteuer, Müllabfuhr, Gebäudeversicherung u.s.w.) 51,- Euro (vierteljährlich) Heizkosten (laufende Abschläge für Gas) 140,- Euro Heizung (feste Brennstoffe wie Kohle, Koks, Holz u.ä.) 200,- Euro (jährlich)

3

Ausweislich des Aktenvermerks vom 10. Oktober 2006 (Bl. 42 VA) berücksichtigte der Beklagte bei den zu übernehmenden KdU folgende monatliche Beträge:

Grundsteuer

27,36 Euro

Abfallentsorgung

17,- Euro

Wasser/Abwasser

19,- Euro

Gebäudeversicherung

19,58 Euro

Schornsteinreinigung

4,30 Euro

Heizkosten

64,- Euro

Summe:

151,24 Euro

4

Am 2. April 2007 beantragten die Kläger durch ihren Bevollmächtigten, Rechtsanwalt H., die Rücknahme des die Leistungsgewährung von Oktober 2006 bis März 2007 betreffenden Bescheides vom 23. Oktober 2006, gemäß § 44 Sozialgesetzbuch 10. Buch (SGB X). Sie begründeten diesen Antrag wörtlich wie folgt: "Es besteht Anspruch auf die Regelleistung in gesetzlicher Höhe". Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 9. Mai 2007 ab.

5

Im Widerspruchsverfahren (Widerspruch vom 12. Juni 2007) legte der Bevollmächtigte der Kläger auf Aufforderung des Beklagten eine von den Klägern am 10. April 2007 unterschriebene Vollmacht vor, die wörtlich u.a. folgende handschriftliche Eintragung enthielt: "Antrag v. 02.04.2007 Rücknahme + Widers.".

6

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 4. April 2008 zurück und führte zur Begründung aus, dass der Widerspruch mangels Vorlage einer sich auf das Widerspruchsverfahren erstreckenden Vollmacht unzulässig sei. Die Vollmacht sei am 10. April 2007 unterschrieben worden, während der angefochtene Bescheid erst am 9. Mai 2007 ergangen sei. Die Kläger hätten zum Zeitpunkt der Vollmachtserteilung noch gar keine Kenntnis von dem angefochtenen Bescheid haben können und dementsprechend auch keine Vollmacht für dessen Anfechtung erteilen können.

7

Hiergegen haben die Kläger am 30. April 2008 beim Sozialgericht (SG) Braunschweig Klage eingelegt und beantragt, den Widerspruchsbescheid aufzuheben. Hilfsweise haben sie beantragt, die tatsächlichen KdU in gesetzlicher Höhe zu übernehmen und für Oktober 2006 einen weiteren Freibetrag von 2,88 Euro zu zahlen.

8

Das SG hat dem Hauptantrag der Klage stattgegeben und den Widerspruchsbescheid vom 4. April 2008 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Bevollmächtigte der Kläger seine Bevollmächtigung hinreichend nachgewiesen habe. Die Vollmacht vom 10. April 2007 habe sich ausdrücklich auf den Rücknahmeantrag vom 2. April 2007 bezogen. Mit den unter Nr. 2) der Vollmacht enthaltenen Buchstaben "Widers." sei "Widerspruch" gemeint gewesen, so dass sich die Vollmacht auch auf das Widerspruchsverfahren erstreckt habe. Eine Vollmacht für das Widerspruchsverfahren könne bereits vor Erlass des anzufechtenden Bescheides erteilt werden (Urteil vom 17. Juni 2011). Gegen das ihm am 22. Juli 2011 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 10. August 2011 Berufung eingelegt. Das SG habe die Trennung zwischen Verwaltungsverfahren einerseits und Vor-/Widerspruchsverfahren andererseits verkannt. Da es sich hierbei um zwei in sich geschlossene Verwaltungsvorgänge handele, sei jeweils eine gesonderte Vollmacht vorzulegen (vgl. Bundessozialgericht - BSG, Urteil vom 15. August 1991 - 12 RK 39/90).

9

Dem schriftlichen Vorbringen des Beklagten lässt sich folgender Antrag entnehmen,

10

das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 17. Juni 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

11

Dem schriftlichen Vorbringen der Kläger lässt sich folgender Antrag entnehmen,

12

die Berufung zurückzuweisen.

13

Die Kläger halten den Vortrag des Beklagten "nach Prüfung der Rechtsprechung und Literatur" für "nicht geeignet, die Berufung als begründet anzusehen".

14

Mit richterlicher Verfügung vom 6. März 2012 haben die Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zu einer Entscheidung nach § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhalten.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens wird auf die vom Beklagten vorgelegten und die Kläger betreffenden Verwaltungsvorgänge sowie die erst- und zweitinstanzliche Gerichtsakte verwiesen. Sie sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe

16

Der Senat entscheidet über die Berufung durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 SGG, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält. Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise vorab angehört worden.

17

Die Berufung des Beklagten ist unabhängig vom Streitwert zulässig, da das SG die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen hat. Die Berufung ist jedoch unbegründet.

18

Das SG hat zutreffend eine ausreichende Bevollmächtigung von Rechtsanwalt H. für das Widerspruchsverfahren angenommen. Die von beiden Klägern am 10. April 2007 unterschriebene Vollmacht erstreckte sich aufgrund der dort unter 2) enthaltenen Zusätze (" ... Antrag vom 02.04.2007 Rücknahme + Widers. ") ausdrücklich auch auf einen (möglichen) Widerspruch gegen den auf den Überprüfungsantrag ergehenden Bescheid. Damit liegen die Voraussetzungen einer ausreichenden Bevollmächtigung vor - und zwar auch nach der vom Beklagten zitierten Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 15. August 1991 - 12 RK 39/90, vgl. dort: Rn 12f.). Weshalb der Beklagte meint, dass diese Entscheidung seine Rechtsauffassung stützt, ist für den Senat nicht nachvollziehbar. Entgegen der Auffassung des Beklagten war eine Bevollmächtigung zur Einlegung des Widerspruchs auch nicht erst nach Erlass der anzufechtenden Entscheidung möglich (hier: Bescheid vom 9. Mai 2007). Eine Vollmacht kann vielmehr bereits von Anfang an auch für etwaige Rechtsmittel erteilt werden - wie in dem vom Bevollmächtigten der Kläger und in dieser oder ähnlicher Form auch von praktisch sämtlichen Rechtsanwälten verwendeten Vollmachtsformular vorgesehen. Welchen rechtlichen Bedenken dies unterliegen soll ist weder für den Senat erkennbar noch vom Beklagten vorgetragen worden.

19

Das SG hat rechtsfehlerfrei lediglich den Widerspruchsbescheid aufgehoben. Die prozessualen Voraussetzungen für eine solche isolierte Aufhebung lagen vor, nachdem die Kläger ihren Klageantrag (Hauptantrag) ausdrücklich auf eine solche isolierte Aufhebung des Widerspruchsbescheides beschränkt hatten.

20

Nach § 79 Abs 2 S 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann der Widerspruchsbescheid alleiniger Gegenstand der Anfechtungsklage sein, wenn und soweit er gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbständige Beschwer enthält. Als eine zusätzliche Beschwer gilt auch die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift, sofern der Widerspruchsbescheid auf dieser Verletzung beruht. Diese Vorschrift ist auch im sozialgerichtlichen Verfahren anwendbar (ständige Rechtsprechung des BSG vgl. etwa: Urteil vom 23. Februar 1972 - 3 RK 66/72, BSGE 35, 224, 226 [BSG 23.02.1973 - 3 RK 66/72]; Urteil vom 15. August 1996 - 9 RV 10/95 - SozR 3-1300 § 24 Nr 13, Rn 14; vgl. zusammenfassend: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 95 Rn 3ff. mit umfangreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und Schrifttum).

21

Durch die Verwerfung des Widerspruchs als unzulässig hat der Beklagte einen wesentlichen Verfahrensfehler begangen, da der Bevollmächtigte der Kläger - wie bereits ausgeführt - hinreichend bevollmächtigt war und der Beklagte im Widerspruchsverfahren dementsprechend eine materiellrechtliche Entscheidung hätte treffen müssen. Dies ist im Widerspruchsbescheid nicht geschehen, auch nicht etwa hilfsweise oder in Form eines ergänzenden Hinweises zur materiellen Rechtslage.

22

Die Kläger verfügten über das für die isolierte Anfechtung eines Widerspruchsbescheides erforderliche Rechtsschutzinteresse.

23

Da die isolierte Aufhebung eines Widerspruchsbescheides in aller Regel nicht zu einer Beendigung des Streits in der Sache, sondern lediglich zu einem erneuten Tätigwerden der Verwaltung (Erlass eines neuen Widerspruchsbescheides) und u.U. sogar zu einem weiteren Klageverfahren führt, sind an das Rechtsschutzinteresse einer solchen Anfechtungsklage besondere Anforderungen zu stellen. Schließlich zielt das eigentliche Rechtsschutzbegehren nicht lediglich auf einen prozessualen Teilerfolg (isolierte Aufhebung des Widerspruchsbescheides), sondern auf eine positive Sachentscheidung (vgl. hierzu ausführlich: Behrend in: Hennig, SGG, Stand April 2012, § 95 Rn 18 - 20).

24

Bei der Anfechtung von Entscheidungen, die entweder im Ermessen des Leistungsträgers, einen Beurteilungsspielraum betreffen oder von Zweckmäßigkeitserwägungen abhängen, ist ein solches Rechtsschutzinteresse in aller Regel ohne weitere Einzelfallprüfung als gegeben anzusehen (vgl. hierzu etwa: BVerwG, Urteil vom 5. November 1975 - VI C 4.74, BVerwGE 49, 307; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO., § 95 Rn 3e m.w.N.). Dagegen ist in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten, welche Anforderungen an das Rechtsschutzinteresse bei einer isolierten Anfechtung des Widerspruchsbescheides zu stellen sind, wenn eine gebundene Verwaltungsentscheidung betroffen ist. Teilweise wird hierfür ein Rechtsschutzinteresse generell verneint, da in diesen Fällen das Gericht auch in der Sache "durchentscheiden" könnte (etwa: BVerwG, aaO.; Behrend in: Hennig, SGG, Stand April 2012, § 95 Rn 18 - 20; Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmannn/Pietzner, VwGO, Stand 2011, § 79 Rn 15; Brenner in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Auflage 2010, § 79 Rn 51; wohl auch: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO., § 95 Rn 3e). Eine andere Auffassung hält dagegen auch bei gebundenen Verwaltungsentscheidungen ein entsprechendes Rechtsschutzinteresse ausnahmslos für gegeben (so für den Fall der fehlerhaften Verwerfung eines Widerspruchs als unzulässig: LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30. September 2010 - L 1 AL 122/09, NZS 2011, 196). In diese Richtung gehend hat das BSG bei einer unterbliebenen Anhörung ein Rechtsschutzbedürfnis für die isolierte Aufhebung des Widerspruchsbescheides ausdrücklich bejaht (Urteil vom 25. März 1999 - B 9 SB 14/97 R, SozR 3-1300 § 24 Nr 14; verneinend dagegen: BVerwG, Beschluss vom 19. Mai 1999 - 8 B 61/99, NVwZ 1999, 1218). Eine vermittelnde Auffassung hält bei gebundenen Verwaltungsentscheidungen das erforderliche Rechtsschutzinteresse nur dann für gegeben, wenn der für den Betroffenen negative Widerspruchsbescheid auf dem Verfahrensfehler zumindest beruhen kann, also in der Sache eine andere (d.h. für den Betroffenen günstigere Entscheidung) zumindest möglich erscheint (so etwa: OVG Münster, Urteil vom 5. Juni 1976 - III A 1087/73, VerwRspr 27, 761; Hintz in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck'scher Online-Kommentar (BeckOK), Edition 25, Stand März 2012, § 95 Rn 3; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Auflage 2005, § 79 Rn 12; Schenke, JZ 1996, 998, 1011; wohl auch: Binder in: Lüdtke, SGG, 3. Auflage 2008, § 95 Rn 7 sowie Rn 10 (kommt insbesondere, aber nicht ausschließlich bei Ermessensentscheidungen in Betracht)).

25

Der Senat schließt sich der zuletzt genannten vermittelnden Auffassung an. Soweit nämlich auch bei Aufhebung des Widerspruchsbescheides in der Sache (d.h. materiell-rechtlich) zweifelsfrei keine für den Betroffenen günstigere Entscheidung in Betracht kommt und dementsprechend auch ein weiteres Widerspruchsverfahren im Ergebnis erfolglos bleiben muss, fehlt es an einem Rechtsschutzinteresse für die isolierte Anfechtung des Widerspruchsbescheides. Erscheint eine günstigere Entscheidung dagegen zumindest als möglich, hat der Betroffene Anspruch auf eine inhaltliche (d.h. materiell-rechtliche) Entscheidung im Widerspruchsverfahren durch die Behörde. Hierfür spricht zunächst, dass der Geltungsbereich des § 79 Abs 2 S 1 und 2 VwGO nach seinem Wortlaut nicht auf Ermessensentscheidungen begrenzt ist. Auch ist das Widerspruchsverfahren in aller Regel für den Betroffenen der einfachere und günstigere Weg der Rechtsverfolgung. Durch die Verweigerung einer inhaltlichen Entscheidung im Widerspruchsverfahren wird dem Betroffenen die Chance genommen, dass die Behörde sein Anliegen nochmals prüft und möglicherweise eine abweichende Entscheidung trifft. Der Betroffene wird somit vorschnell ins Klageverfahren "gedrängt". Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass das BSG auch bei gebundenen Verwaltungsentscheidungen gerade nicht ein Rechtsschutzbedürfnis für die isolierte Anfechtung des Widerspruch generell verneint hat (vgl. für den Fall der unterbliebenen Anhörung: Urteil vom 25. März 1999 - B 9 SB 14/97 R, SozR 3-1300 § 24 Nr 14) und das Schrifttum - soweit ersichtlich - dem allgemein gefolgt ist (vgl. etwa: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO., § 95 Rn 32; Behrend, aaO., § 95 Rn 20; Binder, aaO., § 95 Rn 9; Breitkreuz in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 1. Auflage 2009, § 95 Rn 8). Damit würde die generelle Verneinung eines Rechtsschutzinteresses an der isolierten Anfechtung eines als gebundene Entscheidung ergehenden Verwaltungsaktes im Widerspruch zur Rechtsprechung des BSG stehen.

26

Im vorliegenden Fall erscheint eine andere Entscheidung über die Höhe der KdU als zumindest möglich. Schließlich erfolgte die Entscheidung über die KdU im Bescheid vom 23. Oktober 2006 im Rahmen einer Erstbewilligung von Leistungen nach dem SGB II. Kostensenkungsaufforderungen waren zum damaligen Zeitpunkt noch nicht ergangen. Dementsprechend war der Beklagte verpflichtet, die Aufwendungen für die Unterkunft, soweit sie tatbestandlich unter § 22 SGB II (in den in den Jahren 2006/2007 geltenden Fassungen) fielen, zunächst in voller Höhe - und nicht etwa begrenzt auf die angemessenen KdU - zu übernehmen. Dies ist jedoch hinsichtlich der Heizkosten für feste Brennstoffe, für die die Kläger im streitbefangenen Zeitraum 200,- Euro jährlich (= 16,67 Euro monatlich) aufgewendet haben, unterblieben. Der Beklagte hat als Heizkosten lediglich die von den Klägern nachgewiesenen Gas-Abschläge i.H.v. 64,- pro Monat berücksichtigt (anstelle des von den Klägern geltend gemachten, jedoch auch die Stromabschläge enthaltenen Gesamtbetrages von 140,- Euro). Hinsichtlich der zusätzlich verbrauchten festen Brennstoffe hätte der Beklagte Nachweise über die tatsächlich erfolgten Aufwendungen anfordern und - bei entsprechendem Nachweis durch die Kläger - weitere Leistungen i.H.v. 16,67 Euro pro Monat gewähren müssen. Damit kann im vorliegenden Fall die Möglichkeit einer für die Kläger günstigeren Widerspruchsentscheidung nicht von vornherein verneint werden, so dass ein Rechtsschutzbedürfnis für die isolierte Anfechtung des Widerspruchsbescheides besteht.

27

Das SG hat in dem angefochtenen Urteil das Vorliegen eines ausreichenden Rechtsschutzinteresses für die isolierte Anfechtung des Widerspruchsbescheides nicht geprüft. Dies wäre jedoch - wie bereits dargelegt - erforderlich gewesen. Schließlich hätte bei fehlendem diesbezüglichen Rechtsschutzinteresse der Hauptantrag der Kläger (gerichtet auf die isolierte Aufhebung des Widerspruchsbescheides) abgewiesen und sodann - entsprechend dem Hilfsantrag - in der Sache entschieden werden müssen.

28

Der Beklagte wird darauf hingewiesen, dass nicht nachvollzogen werden kann, weshalb er im angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 4. August 2008 - wie auch in einer Vielzahl anderer dem Senat bekannter Widerspruchsbescheide - trotz der dort getroffenen negativen Kostengrundentscheidung noch eine (inhaltliche) Entscheidung darüber getroffen hat, ob die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Widerspruchverfahren erforderlich war. Eine solche Entscheidung ist schließlich nur dann erforderlich und entfaltet nur Rechtswirkung, wenn im Widerspruchsverfahren eine (zumindest teilweise) positive Kostengrundentscheidung getroffen worden ist (BVerwG, Urteil vom 15. November 2007 - 2 C 29/06, NVwZ 2008, 324; Heße in: BeckOK, § 63 SGB X Rn 33a). Wird dagegen - wie vorliegend und in einer Vielzahl weiterer dem Senat bekannter Fälle - eine Kostenerstattung für das Widerspruchsverfahren bereits dem Grunde nach abgelehnt, besteht keinerlei Anlass für eine Entscheidung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Widerspruchsverfahren. Sollte der Widerspruchsführer (bzw. dessen Bevollmächtigter) einen solchen Antrag ausdrücklich stellen und damit auf dessen Bescheidung bestehen, wäre dieser Antrag als unzulässig zu verwerfen (mangels eines Kostenanspruchs dem Grunde nach). Die Verfahrensweise des Beklagten, auch bei negativer Kostenentscheidung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes zu entscheiden, eröffnet lediglich denjenigen (Prozess-)Bevollmächtigten weitere Rechtsschutzmöglichkeiten, die - möglicherweise mutwillig - Ansatzpunkte für weitere Rechtsmittel suchen.

29

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

30

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 SGG) liegen nicht vor.