Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 08.10.2004, Az.: 2 ME 1143/04
Auswahlentscheidung; Bestenauslese; Bewerbungsverfahrensanspruch; dienstliche Beurteilung; Konkurrentenverfahren; Verfahrensfehler
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 08.10.2004
- Aktenzeichen
- 2 ME 1143/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 50747
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 29.06.2004 - AZ: 3 B 148/04
Rechtsgrundlagen
- Art 33 Abs 2 GG
- § 8 Abs 1 S 1 BG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zur Transparenz des Beurteilungsverfahrens beim Bewerbungsverfahrensanspruch.
Gründe
Die Beschwerde, mit der sich der Antragsteller gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 29. Juni 2004 wendet, in der es das Verwaltungsgericht abgelehnt hat, zu Gunsten des Antragstellers eine einstweilige Anordnung zur Sicherung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs auf Freihaltung der von der Antragsgegnerin für den Beigeladenen vorgesehenen (Beförderungs-)Planstelle nach A 9 BBesO („Amtsinspektor im JVD/aufsichtsführender Beamter im Abteilungsdienst“) zu erlassen, hat Erfolg. Denn entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Beschluss hat der Antragsteller einen Anspruch auf Erlass der von ihm beantragten einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO, weil der Antragsteller glaubhaft gemacht hat (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. den §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO), dass sein Anspruch auf verfahrens- und ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung bei der Besetzung der umstrittenen Beförderungsstelle verletzt und sicherungsbedürftig ist. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Die Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin bei der Entscheidung darüber, welchem von mehreren hier für die umstrittene Planstelle nach A 9 BBesO in Betracht kommenden Bewerbern sie diese Beförderungsstelle übertragen will, unterliegt als Akt wertender Erkenntnis lediglich einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Die verwaltungsgerichtliche Nachprüfung hat sich darauf zu beschränken, ob die Antragsgegnerin den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat oder ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet hat, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (st. Rspr. des Bundesverwaltungsgerichts, s. z. B. Urt. v. 22.9.1988 - BVerwG 2 C 35.86 -, BVerwGE 80, 224(225) und des Nds. OVG, s. etwa Beschl. v. 30.1.2003 - 5 ME 24/03 - u. Beschl. v. 5.6.2003 - 2 ME 123/03 -, NdsVBl. 2003, 238 = NordÖR 2003, 311(312f.) m. w. Nachw.).
Die von dem Antragsteller angefochtene Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin leidet an einem derartigen Mangel; denn die ihr zu Grunde liegende (maßgebliche, s. BVerwG, Urt. v. 19.12.2002 - BVerwG 2 C 31.01 -, BayVBl. 2003, 533) aktuelle dienstliche Beurteilung des Beigeladenen vom 18. Februar/29. März 2004, in der dieser besser als der Antragsteller in seiner dienstlichen Beurteilung vom 31. Dezember 2003/17. März 2004 beurteilt worden ist, ist verfahrensfehlerhaft zustande gekommen und kann nicht Grundlage einer ordnungsgemäßen Auswahlentscheidung - zu Gunsten des Beigeladenen und zu Lasten des Antragstellers - sein, was der Antragsteller entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts auch in diesem Verfahren mit Erfolg rügen kann.
Dem Verwaltungsgericht ist allerdings darin beizupflichten, dass nach den hier maßgeblichen Beurteilungsrichtlinien (Richtlinien für die dienstliche Beurteilung von Beamtinnen und Beamten in Justizvollzugseinrichtungen, AV des Nds. Justizministeriums v. 19.5.1995, Nds. Rpfl. 1995, 192, geändert durch AV v. 14.1.1999, Nds. Rpfl. S. 100 - Richtl. -), und zwar nach den Tz. 4.2 und 4.3 Richtl., die von zwei Vorgesetzten des zu beurteilenden Beamten zu erstellende dienstliche Beurteilung dem Dienstvorgesetzten - hier dem Leiter der Antragsgegnerin, Ltd. Regierungsdirektor C. - nicht nur zur Schlusszeichnung vorzulegen ist (Tz. 4.2 Satz 3 Richtl.), sondern dass der Dienstvorgesetzte ggf. auch das Recht hat, selbst eine neue, dann maßgebliche Beurteilung zu fertigen, wenn er - wie hier - mit der von den beiden Vorgesetzten erarbeiteten gemeinsamen Beurteilung nicht einverstanden ist (Tz. 4.3 Satz 1 und Satz 2 Richtl.); die von den Vorgesetzten erstellte gemeinsame Beurteilung wird dann nur als Beurteilungsbeitrag behandelt (Tz. 4.3. Satz 1 a. E. Richtl.). Die Beurteilungsrichtlinien sehen aber für diesen Fall zusätzlich vor (Tz. 4.3 Satz 2, 2. HS Richtl.), dass der Dienstvorgesetzte, will er in seiner neuen Beurteilung von der gemeinsamen Beurteilung der Vorgesetzten wie hier - der Beigeladene war nach dem Schreiben des Amtsinspektors im JVD D. in der ursprünglichen Beurteilung seiner Vorgesetzten unter dem 26. Januar 2004 lediglich im Durchschnitt mit 4,25 Punkten gegenüber 4,55 Punkten in der Beurteilung seines Dienstvorgesetzten beurteilt worden - abweichen, dass der Dienstvorgesetzte diese Abweichungen mit den Vorgesetzten erörtert, auch ist die gemeinsame Beurteilung der Vorgesetzten, die nunmehr den Charakter eines Beurteilungsbeitrages erhalten hat, zu eröffnen und zur Personalakte des beurteilten Beamten zu nehmen (Tz. 4.3. Satz 3 Richtl.).
Diese Verfahrensvorschriften der Beurteilungsrichtlinien sind bei der Erstellung der dienstlichen Beurteilung des Beigeladenen vom 18. Februar/29. März 2004 nicht eingehalten worden. Dass der Dienstvorgesetzte, Ltd. Regierungsdirektor C., die von ihm vorgenommene und für die hier interessierende Auswahlentscheidung ausschlaggebende Anhebung des arithmetischen Mittels der Einzelbewertungen und des Gesamturteils - nunmehr auf 4,55 Punkte bzw. den Skalenpunkt 5 („über den Anforderungen“; s. Tz. 3.3 Richtl.) - in der von ihm erstellten dienstlichen Beurteilung mit den beiden Vorgesetzten des Beigeladenen, Amtsfrau E. und Amtsinspektor D., erörtert hat, lässt sich den vorgelegten Akten nicht entnehmen; vielmehr räumt die Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 12. August 2004 ein, dass hierauf wie bei ihr insbesondere bei einer Verbesserung der Gesamtnote seitens des Dienstvorgesetzten üblich verzichtet worden ist. Dass Amtsfrau E. die dienstliche Beurteilung vom 18. Februar/29. März 2004 abgezeichnet und dass Amtsinspektor D. nach seinem Schreiben vom 15. März 2004 von der neuen Beurteilung durch den Dienstvorgesetzten vor der Eröffnung der Beurteilung an den Beigeladenen (am 29. März 2004) Kenntnis hatte, vermag die in den Beurteilungsrichtlinien vorgeschriebene Erörterung der Abweichung zwischen den Beurteilenden (Vorgesetzte und Dienstvorgesetzter) nicht zu ersetzen. Denn eine Erörterung, insbesondere wenn es wie hier um die Abänderung und Verwerfung einer bereits von den beiden unmittelbaren Vorgesetzten des Beamten getroffenen gemeinsamen Beurteilung geht, soll nach dem erkennbaren Zusammenhang der Beurteilungsvorschriften dazu dienen, dass die Vorgesetzten ihre unterschiedlichen Standpunkte diskutieren und aufeinander Einfluss nehmen, so dass nicht nur die Vorgesetzten, sondern auch der Dienstvorgesetzte seinen in der neuen Beurteilung eingenommenen Standpunkt (kritisch) überdenkt und ggf. wieder ändert.
Bei der dienstlichen Beurteilung des Beigeladenen ist auch insoweit gegen die Beurteilungsrichtlinien verstoßen worden, als entgegen der Bestimmung der Tz. 4.3 Satz 3 Richtl. die von den Vorgesetzten unter dem 26. Januar 2004 erstellte Beurteilung, die nunmehr, d. h. nach der Erstellung einer neuen Beurteilung durch den Dienstvorgesetzten als Beurteilungsbeitrag zu behandeln ist, weder dem Beigeladenen eröffnet noch zu seiner Personalakte genommen worden ist.
Die aufgezeigten Verstöße gegen das bei der Erstellung der dienstlichen Beurteilung des Beigeladenen vorgeschriebene Beurteilungsverfahren wirken sich - im Wesentlichen - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Beschluss auch auf die Rechtsstellung des Antragstellers, und zwar auf seinen Anspruch auf verfahrensfehlerfreie Auswahlentscheidung aus. Allerdings gilt dies nicht - insoweit ist dem angefochtenen Beschluss beizustimmen - , soweit dem Beigeladenen nach dem Kenntnisstand dieses Eilverfahrens verfahrensfehlerhaft die von seinen Vorgesetzten erstellte Beurteilung von 26. Januar 2004 nicht als Beurteilungsbeitrag eröffnet worden ist; denn insoweit können nur Rechte des Beigeladenen, nicht aber des Antragstellers betroffen sein. Anders verhält es sich aber, soweit die Beurteilung vom 26. Januar 2004 (als Beurteilungsbeitrag) nicht zur Personalakte des Beigeladenen gelangt ist und soweit die in Tz. 4.3 Satz 2, 2. HS Richtl. vorgeschriebene Erörterung zwischen dem Dienstvorgesetzten und den Vorgesetzten des Beigeladenen unterblieben ist. Denn insoweit ist zumindest auch das Recht des Antragstellers als Mitbewerber auf ein ordnungsgemäßes Auswahlverfahren, welches auch das ordnungsgemäße (verfahrensfehlerfrei) Zustandekommen der dienstlichen Beurteilung des Beigeladenen umfasst, verletzt worden; denn andernfalls würde entgegen dem Leistungsprinzip der Bestenauslese, bei dem Eignung, Befähigung sowie fachliche Leistung der Konkurrenten anhand ordnungsgemäß, d. h. verfahrensfehlerfrei zustande gekommener Beurteilungen zu bewerten und zu vergleichen sind (vgl. Art. 33 Abs. 2 GG, § 8 Abs. 1 Satz 1 NBG), nicht der am besten qualifizierte Beamte befördert. Das in den Beurteilungsrichtlinien vorgeschriebene Gebot der Erörterung von Abweichungen zwischen den Vorgesetzten und dem Dienstvorgesetzten (mit der Möglichkeit der gegenseitigen Beeinflussung und auch der Möglichkeit einer Abänderung der von dem Dienstvorgesetzten erstellten neuen Beurteilung, s. o.) und insbesondere die Pflicht, die von den Vorgesetzten gemeinsam erstellte Beurteilung, die nunmehr den Charakter eines Beurteilungsbeitrages hat, zur Personalakte des Beurteilten zu nehmen, dient auch den Interessen des im Auswahlverfahren unterlegenen Konkurrenten. Dies wird in besonderem Maße bei der Pflicht zur Aufnahme auch des Beurteilungsbeitrages in die Personalakte deutlich. Denn hierdurch wird auch für den unterlegenen Konkurrenten sowie im Falle eines Rechtsstreits für das Gericht die notwendige Transparenz des Beurteilungsverfahrens geschaffen, weil sich erst in Kenntnis der (abweichenden) Beurteilungsbeiträge der Vorgesetzten mit der erforderlichen Sicherheit - unter Wahrung des vom Gericht zu beachtenden Beurteilungsspielraumes - feststellen lässt, ob der Dienstvorgesetzte die für die Auswahlentscheidung entscheidende Beurteilung des für die Beförderungsstelle Ausgewählten fehlerfrei erstellt hat.
Kann daher schon aufgrund der als Beurteilungsbeitrag zu wertenden fehlenden Beurteilung vom 26. Januar 2004 nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand nicht festgestellt werden, ob der Beigeladene zu Recht als qualifiziertester Beamter von der Antragsgegnerin für den umstrittenen Dienstposten ausgewählt worden ist und ist weiter davon auszugehen, dass es als offen anzusehen ist, ob der Antragsteller, der in der durchschnittlichen Bewertung der Einzelmerkmale mit der Punktzahl 4,28 den von dem Beigeladenen in der Beurteilung vom 26. Januar 2004 erzielten Wert von 4,25 Punkten (geringfügig) übertroffen hatte und sich im Übrigen bei gleicher Eignung zusätzlich auf seine Schwerbehinderteneigenschaft mit Erfolg berufen könnte (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.2.1990 - BVerwG 1 WB 36.98 -, BVerwGE 86, 244(250) u. Senat, Beschl. v. 14.4.2003 - 2 ME 129/03 -, NdsVBl. 2004, 44 = NVwZ-RR 2004, 434), in einem zweiten Auswahlverfahren, dem eine verfahrensfehlerfrei zustande gekommene Beurteilung des Beigeladenen zu Grunde liegt, anstelle des Beigeladenen ausgewählt werden könnte, so ergibt sich hieraus, dass es zur Sicherung des Bewerbungsverfahrensanspruchs des Antragstellers erforderlich ist, ihm den beantragten einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.9.2002 - 2 BvR 857/02 -, DVBl. 2002, 1633 = ZBR 2002, 427 = DÖD 2003, 17(18); Senat, Beschl. v. 9.2.2000 - 2 M 4517/99 -).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 52 Abs. 5 Satz 2 i. V. m. Satz 1 Nr. 1, 53 Abs. 3 Nr. 1, 72 Nr. 1, 2. HS GKG (i. d. F. des Art. 1 KostRMG v. 5.5.2004, BGBl. I S. 718), wobei die erst zum 1. August 2004 wirksam gewordene Besoldungserhöhung (BBVAnpG 2003/2004 v. 10.9.2003, BGBl. I S. 1798) hier nach § 47 Abs. 2 Satz 1 GKG nicht zu berücksichtigen ist.
Der Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO nicht anfechtbar.