Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 12.10.2004, Az.: 8 LA 228/04

Bediensteter; Berufung; Drittschutz; Entscheidungsbefugnis; Flüchtlingsanerkennung; Flüchtlingseigenschaft; Widerruf; Übertragung der Entscheidungsbefugnis

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
12.10.2004
Aktenzeichen
8 LA 228/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 50745
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 03.08.2004 - AZ: 5 A 284/04

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Nach § 73 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG darf auch ein vom Leiter des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge generell beauftragter Bediensteter über den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung entscheiden.

Ein etwaiger Verstoss gegen § 73 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG führt nicht zum Erfolg einer gegen den Widerrufsbescheid gerichteten Anfechtungsklage.

Gründe

1

Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg, weil der von der Klägerin geltend gemachte Berufungszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) nicht vorliegt.

2

Dass die auf den Seiten 1 bis 3 der Antragsschrift aufgeworfenen Fragen der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung verleihen, hat der Senat zu gleichlautenden Fragen bereits mit mehreren Beschlüssen vom 6. Juli 2004 - 8 LA 145/04 - und vom 6. August 2004 - 8 LA 193 bis 197/04 - ausgeführt. Auf diese Beschlüsse, die dem Bevollmächtigten der Klägerin bekannt sind, wird Bezug genommen, da in der Antragsschrift insoweit kein erneuter Klärungsbedarf aufgezeigt wird.

3

Die Berufung kann auch nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG wegen grundsätzlicher Bedeutung der auf Seite 4 der Antragsschrift aufgeworfenen Frage zugelassen werden, "ob die generelle Praxis der Beklagten, einen Bediensteten des Bundesamtes über den Widerruf der Flüchtlingseigenschaft entscheiden zu lassen, mit § 73 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG in Einklang steht".

4

Eine Rechtssache ist nur dann grundsätzlich bedeutsam, wenn sie eine höchstrichterlich oder obergerichtlich bislang noch nicht beantwortete Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf (vgl. GK.-AsylVfG, § 78 Rn. 88 ff.; Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, § 78 AsylVfG Rn. 140 jeweils m. w. N.). Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache ist daher nur dann im Sinne des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG dargelegt, wenn eine derartige Frage bezeichnet und darüber hinaus erläutert worden ist, warum sie im angestrebten Berufungsverfahren sowohl entscheidungserheblich als auch klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren. Des Weiteren muss substantiiert dargetan werden, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als im angefochtenen Urteil zu entscheiden sein könnte (vgl. GK-AsylVfG, § 78 Rn. 591 ff. m. w. N.).

5

Nach diesen Grundsätzen kann die Berufung schon deshalb nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der o.a. Frage zugelassen werden, weil die Klägerin nicht erläutert hat, warum die aufgeworfene Frage im angestrebten Berufungsverfahren sowohl entscheidungserheblich als auch klärungsbedürftig wäre.

6

Im Übrigen kommt der aufgeworfenen Frage auch keine grundsätzliche Bedeutung zu. Sie lässt sich nämlich ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens beantworten und ist zudem nicht entscheidungserheblich. Daher kann offen bleiben, ob die von der Klägerin behauptete “generelle Praxis der Beklagten, einen Bediensteten des Bundesamtes über den Widerruf der Flüchtlingseigenschaft entscheiden zu lassen“, überhaupt besteht.

7

Nach § 73 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG entscheidet über den Widerruf und die Rücknahme der Leiter des Bundesamtes oder ein von ihm beauftragter Bediensteter. Bereits aus dem Wortlaut der Bestimmung ergibt sich eindeutig, dass die Entscheidung über den Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter und der Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen (Flüchtlingsanerkennung), nicht ausschließlich dem Leiter des Bundesamtes obliegt, sondern diese Aufgabe auch von den Bediensteten wahrgenommen werden kann, die vom Leiter des Bundesamtes damit beauftragt worden sind. Dies gilt für das gesamte Widerrufsverfahren und nicht lediglich für die Durchführung eines solchen Verfahrens nach gesonderter vorheriger Entscheidung durch den Leiter des Bundesamtes über die Verfahrenseinleitung. Der Sinn und Zweck der Bestimmung steht einer generellen Übertragung der Entscheidungsbefugnis, ob eine Flüchtlingsanerkennung widerrufen werden soll, an einen Bediensteten des Bundesamtes nicht entgegen. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, eine sowohl einheitliche als auch zügige Verfahrensweise zu ermöglichen. Bei einer Vielzahl von Widerrufsverfahren, die etwa bei einer generellen Verbesserung der Verhältnisse im Herkunftsland und einem dadurch bedingten Wegfall der Voraussetzungen für eine Gruppenverfolgung durchzuführen sind, ist daher die Übertragung der Entscheidungsbefugnis vom Leiter des Bundesamtes auf einzelne von ihm beauftragte Bedienstete nach dem Sinn und Zweck der Norm geradezu geboten. Anders könnte die Masse der Verfahren nicht bewältigt werden. Die einheitliche Behandlung vergleichbarer Sachverhalte wird durch die Weisungsgebundenheit des jeweils beauftragten Bediensteten sichergestellt.

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Im Übrigen wäre ein etwaiger Verstoß gegen § 73 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG für das vorliegende Verfahren auch unerheblich. Voraussetzung für den Erfolg einer Anfechtungsklage ist nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, dass der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Die verletzte Rechtsvorschrift muss mit anderen Worten dem Kläger gegenüber Schutzfunktion haben (vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Kommentar, § 113 Rn. 11; Senatsbeschl. v. 6.9.2004 - 8 LA 212/04 -). Die Vorgabe, dass über den Widerruf und die Rücknahme der Leiter des Bundesamtes oder ein von ihm beauftragter Bediensteter entscheidet, besteht jedoch ausschließlich im öffentlichen Interesse an dem effektiven und einheitlichen Vollzug des Asylverfahrensgesetzes und hat daher gegenüber den Betroffenen keine Schutzfunktion. Mangels subjektiv-rechtlichen Einschlags des § 73 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG wären daher selbst bei einem Verstoß gegen diese Bestimmung die Voraussetzungen für einen Erfolg einer Anfechtungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht gegeben.

9

Schließlich ist vorliegend die Asylberechtigung, nicht aber die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen (Flüchtlingsanerkennung), widerrufen worden, so dass auch deshalb die o.a. Frage zur Zulässigkeit des Widerrufs der Flüchtlingseigenschaft unerheblich ist.