Amtsgericht Göttingen
Urt. v. 05.05.2000, Az.: 2 C 217/99

Fortführung des Familiennamens; Schutz vor Namensmissbrauch; Notwendigkeit einer Namensaberkennung

Bibliographie

Gericht
AG Göttingen
Datum
05.05.2000
Aktenzeichen
2 C 217/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 23462
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGGOETT:2000:0505.2C217.99.0A

Verfahrensgegenstand

Unterlassen der Namensfortführung nach Eheaufhebung

Prozessführer

Frau C. K., H. Str. , ... A.,

Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt H. M. S., B.str. , T., Geschäftszeichen: ...

Prozessgegner

Herr T. K., P.-B. , G.,

Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwältin A. B., H. , R.,

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Der Anwendungsbereich des Unterlassungsanspruchs gem. 1004 BGB ist wegen der gesetzgeberischen Intention durch Abschaffung des früheren familienrechtlichen Untersagungsanspruchs auf krasse Einzelfälle beschränkt, in denen aus Zumutbarkeits- und Verwirkungsgrundsätzen das persönlichkeitsrechtlich geschützte Recht auf Namensfortführung hinter den Schutz vor Namensmissbrauch zurücktritt.

  2. 1.

    Eine generelle Ausnahme vom Prinzip der Namensfortführung in Fällen der Eheaufhebung wegen Irrtums über eine wesentliche persönliche Eigenschaft ist gesetzlich nicht vorgesehen. Ausnahmen sind auf diejenigen Fälle zu beschränken, in denen besondere Umstände hinzutreten, die über den Irrtum als Eheaufhebungsgrund hinausgehen und die eine Namensfortführung deshalb als unzumutbar erscheinen lassen.

In dem Rechtsstreit
hat das Amtsgericht Göttingen
auf die mündliche Verhandlung vom 05.05.2000
durch
den Richter Scherrer
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.)

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. 2.)

    Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

  3. 3.)

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 1.300 DM abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Art und Höhe leistet.

  4. 4.)

    Der Streitwert wird auf 9.000 DM festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Fortführung ihres Ehenamens durch den transsexuellen Beklagten nach Aufhebung der Ehe. Die Parteien gingen im Jahre 1992 die Ehe ein. Hierbei nahm der Beklagte den Namen der Klägerin als Ehenamen an. Aus der Ehe ging 1993 ein gemeinsamer Sohn hervor. Die Ehe wurde rechtskräftig am 11.11.1997 vom Amtsgericht Saarburg (3 F 142/97) wegen eines Irrtums der Klägerin über den Transsexualismus des Beklagten, als eine wesentliche persönliche Eigenschaft des Beklagten, gemäß dem damals noch geltenden § 32 Abs. 1 EheG aufgehoben. Der Beklagte hatte in diesem Eheaufhebungsverfahren an Eides statt versichert, dass er bereits zum Zeitpunkt der Eheschließung Kenntnis von seiner Transsexualität hatte, seine Frau hiervon allerdings erst Ende 1996 informiert gehabt habe. Der gemeinsamen Sohn Laurin Raban lebt seit der Trennung der Parteien bei der Klägerin, die das Sorgerecht hat.

2

Der Beklagte wurde von der Klägerin mit Schreiben vom 21.06.1999 unter Fristsetzung aufgefordert, den gemeinsamen Familiennamen abzulegen. Dieser Aufforderung ist der Kläger nicht nachgekommen.

3

Die Klägerin behauptet, der Beklagte habe sie vor der Eheschließung nicht über seine Transsexualität aufgeklärt, was der Beklagte, entgegen seinem Vorbringen in dem Eheaufhebungsverfahren, nunmehr bestreitet. Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Fortführung des Namens aufgrund dieser Täuschung die Ausnutzung einer unrechtmäßig erworbenen Rechtsstellung und ihr nicht zumutbar sei. Die Klägerin behauptet, dass der Beklagte seine transsexuellen Neigungen z.B. durch das Tragen von Nagellack in der Kneipenszene zur Schau trüge. Unstreitig ist, dass der Beklagte derzeit keine Geschlechtsumwandlung beabsichtigt und in der Öffentlichkeit keine Frauenkleider trägt. Sie habe bereits offenen Spott von Kollegen aufgrund der Namensgleichheit ertragen müssen. Sie behauptet weiter, dass eine Namensverbindung mit dem transsexuellen Beklagten für ihre Berufsausübung äusserst schädlich sei. Die Klägerin ist Diplom-Psychologin und seit Jahren als Angestellte und freiberuflich für diverse Unternehmen im Personalbereich tätig.

4

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, den Ehenamen "Kersten" durch Erklärung gegenüber dem Standesamt bei der Stadt Göttingen abzulegen und die Fortführung dieses Namens zu unterlassen.

5

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

6

Der Beklagte behauptet, dass seine Transsexualität nicht zum Scheitern der Ehe geführt habe. Diese sei einvernehmlich als Eheaufhebungsgrund lediglich vorgeschoben worden, um eine schnelle und unproblematische rechtliche Trennung der Ehegatten zu ermöglichen. Hätte er gewusst, dass die Klägerin diese vorgeschobene Begründung dazu nutzen würde, ihm seinen neu erworbenen Familiennamen streitig zu machen, hätte er sich darauf nicht eingelassen. Er meint, es sei ihm nicht zuzumuten, den Namen "Kersten" nach nunmehr 8 Jahren wieder aufzugeben. Über den Namen sei er mit seinem Sohn verbunden. Unstreitig ist der Beklagte seit 1992 selbständig unter dem Namen Kersten als Finanzberater tätig. Der Beklagte behauptet, ihm würde wirtschaftlicher Schaden durch die Aufgabe des Namens entstehen.

7

Nach Schluß der mündlichen Verhandlung reichte sowohl die Prozeßbevollmächtigte des Beklagten mit Datum vom 15.5.2000 als auch der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin mit Datum vom 23.6.2000 weitere Schriftstätze ein.

Entscheidungsgründe

8

Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch, dem Beklagten die Fortführung seines Familiennamens zu untersagen.

9

Die Ehe der Parteien wurde durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Saarburg am 11.11.1997 gemäß dem damals noch gültigem § 32 Abs. 1 EheG aufgehoben. Die Rechtsfolgen der Aufhebung richten sich daher ebenfalls nach dem damals noch gültigem § 37 EheG. Dieser verweist auf die scheidungsrechtlichen Folgen der Ehe und damit auf das in § 1355 Abs. 5 BGB festgehaltene Prinzip der Namensfortführung. Ob dieses Prinzip auch bei Eheaufhebungen nach Inkrafttreten des neuen § 1318 BGB zum 1.7.1998 gilt ist umstritten (dagegen Staudinger-Hübner/Voppel, 13. Aufl., § 1355 Rn. 80; MüKo- Müller-Gindullis, 4. Aufl., § 1318 Rn. 15 mwN auch hinsichtlich der Gegenmeinungen), kann hier jedoch daher offenbleiben.

10

Das Recht der Namensaberkennung ist als scheidungsrechtliche Folge bereits durch das 1. Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts vom 14.6.1976 (BGBl. I 1976, 1421) im Zuge des Übergangs vom scheidungsrechtlichen Verschuldens zum Zerüttungsprinzip beseitigt worden. Ein Unterlassungsanspruch könnte sich daher allenfalls auf §§ 1004, 12 BGB als allgemeiner Namensschutzanspruch ergeben. Der Anwendungsbereich dieses Unterlassungsanspruchs ist wegen der gesetzgeberischen Intention durch Abschaffung des früheren familienrechtlichen Untersagungsanspruchs auf krasse Einzelfälle beschränkt, in denen aus Zumutbarkeits- und Verwirkungsgrundsätzen das persönlichkeitsrechtlich geschützte Recht auf Namensfortführung hinter den Schutz vor Namensmißbrauch zurücktritt (vgl. OLG Braunschweig, NJW 1979, 1463, 1464 [OLG Braunschweig 16.11.1978 - 2 W 48/78]; Palandt-Diederichsen, 52. Aufl., § 1355 Rn. 20; Palandt-Diederichsen, 58. Aufl., § 1318 Rn. 4 "im Fall der eigenen Gutgläubigkeit"; MüKO- Müller-Gindullis, 4. Aufl., § 1355 BGB Rn. 28 mwN; Soergel-Hohloch, Nachtrag: 6. Lfg. (Oktober 1994), § 1355 nF Rn. 43; anders dagegen noch Soergel-Lange, § 1355 Rn. 27: keine Verwirkung "... auch nicht in schweren Fällen").

11

Die von der Klägerin dargelegten Gründe können das Gericht nach Abwägung der beiderseitigen Interessen und Beeinträchtigungen letztlich nicht von der Notwendigkeit einer Namensaberkennung überzeugen.

12

Die Klägerin behauptet, der Beklagte habe sie bei Eheschließung nicht über seine Transsexualität aufgeklärt, und daher den Ehenamen durch eine arglistige Täuschung erworben. Diese Behauptung ist für sich allein nicht geeignet, das Gericht von einem unzumutbarem Namensmißbrauch zu überzeugen. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Beklagte unstreitig die Ehe nicht bereits in der Absicht einging, den neu erworbenen Ehenamen in unlauterer Weise zu mißbrauchen. Zwar ist streitig, ob der Beklagte bei Eheschließung seine Transsexualität verschwiegen hat. Einer Beweisaufnahme bedurfte es diesbezüglich jedoch nicht. Selbst wenn er seine Ehefrau in diesem Punkt getäuscht haben sollte, so hat er dies unstreitig nicht getan, um den Geburtsnamen der Klägerin zu mißbrauchen, etwa um Namensverwechslungen hervorzurufen und unter einem neuen Namen als Vorbestrafter weiter ungestört Straftaten zu begehen (vgl. OLG Braunschweig NJW 1979, 1463 [OLG Braunschweig 16.11.1978 - 2 W 48/78]). In dem fehlendem Zweckzusammenhang zwischen Täuschung und Namenserwerb unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem der Entscheidung des OLG Braunschweig vom 16.11.1978 (NJW 1979, 1463 [OLG Braunschweig 16.11.1978 - 2 W 48/78]) zugrunde liegenden Fall. Die behauptete Täuschung allein genügt nach Ansicht des Gerichts nicht, um einen Unterlassungsanspruch der Klägerin zu begründen. Im Regelfall der Eheaufhebung tritt, wie erläutert, jedenfalls nach dem hier anzuwendem Recht, das Prinzip der Namensfortführung ein. Eine generelle Ausnahme für die Fälle der Eheaufhebung wegen Irrtums über eine wesentliche persönliche Eigenschaft ist gesetzlich nicht vorgesehen. Ausnahmen sind daher nach Ansicht des Gerichts auf Fälle zu beschränken, in denen besondere Umstände hinzutreten, die über den Irrtum als Eheaufhebungsgrund hinausgehen und die eine Namensfortführung deshalb als unzumutbar erscheinen lassen.

13

Die Klägerin hat jedoch keine ausreichenden Gründe dargelegt, die die Namensfortführung durch den Beklagten als eine unzumutbare Härte erscheinen lassen, selbst wenn er bei Eingehung der Ehe seine Transsexualität bewußt verschwiegen haben sollte. Die Klägerin konnte nicht substanziiert darlegen, dass ihr die erlittenen Nachteile aufgrund der Namensfortführung durch den Beklagten nicht zumutbar sind.

14

Die Klägerin meint, dass der Transsexualismus ihres ehemaligen Ehemannes ihr in gesellschaftlicher und beruflicher Hinsicht schade. Die Klägerin trägt dazu vor, dass sie schon Spott von Kollegen und Nachbarn über sich ergehen lassen mußte und fürchte, durch die Namensgleichheit auch in Zukunft mit dem transsexuellen Beklagten in Verbindung gebracht zu werden. Die psychologisch geschulte Klägerin hat jedoch nicht näher dargelegt in welcher Weise sie psychologischen Druck erfährt, dem sie nicht gewachsen ist. Abgesehen davon, dass die Klägerin ihren Vortrag zu wenig substanziiert hat, stellt der von ihr pauschal behauptete Kollegenspott nach Ansicht des Gerichts keine unzumutbare Belastung für die Klägerin dar. Auch nach einer Namensänderung wäre der Beklagte jedoch bei den Kollegen und Nachbarn immer noch als der "Ex-Mann" der Klägerin und Vater ihres Sohnes bekannt. Die Ablegung des Ehenamens würde die Klägerin in dieser Hinsicht gegenüber "eingeweihten" Personen nicht entlasten. Die Klägerin konnte nicht substantiiert darlegen, inwieweit sie aufgrund der Namensgleichheit mit dem Beklagten beruflichen oder wirtschaftlichen Nachteile zu befürchten hat, die über den Spott der Kollegen hinausgehen.

15

Es ist auch nicht vorgetragen worden, dass der Beklagte als transsexuelle Person weithin bekannt oder geradezu berühmt ist. Dritte, die mit der Familiengeschichte der Klägerin nicht vertraut sind, können daher allein über den Namen keine Verbindung zwischen der Klägerin und den transsexuellen Neigungen des Beklagten herstellen. Dabei spielt ebenfalls eine Rolle, dass der Familienname "Kersten" nach der Lebensanschauung nicht derartig einmalig und einprägsam erscheint, dass die Klägerin im sozialen Kontakt sofort mit dem "Transsexuellen Kersten" in Verbindung gebracht würde. Daher führt auch die von der Klägerin ohne Beweisantritt behauptete Tatsache, dass der Beklagte bei Kneipenbesuchen durch Nagellack als Transsexueller zu erkennen sei, nicht zu der Annahme eines unzumutbarem Namensmißbrauchs. Die Klägerin hat nicht behauptet, dass der Beklagte in der Kneipenszene seinen Familiennamen in ungewöhnlicher Weise hervorhebt, um eine Verbindung zu der Klägerin herzustellen. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Parteien mittlerweile aufgrund ihrer verschiedenen Wohnorte nicht mehr in derselben Kneipenszene verkehren. Soweit die Klägerin bezüglich des öffentlichen Auftretens des Beklagten in dem Schriftsatz vom 23.6.2000 neue Tatsachen und Beweismittel vorträgt, konnten diese nicht mehr berücksichtigt werden, weil der Schriftsatz erst nach Schluß der mündlichen Verhandlung bei Gericht eingegangen ist (§ 296 a ZPO).

16

Unstreitig ist, dass auch die Familie der Klägerin Interesse an der Ablegung des Ehenamens durch den Beklagten geäußert hat. Die Klägerin hat allerdings nicht substanziiert dazu vorgetragen, ob und inwiefern sie diesbezüglich unter einem unzumutbarem Druck steht.

17

Der Beklagte dagegen hat ein schutzwürdiges Interesse daran, den Ehenamen fortzuführen, auch wenn er die Klägerin bei Eingehung der Ehe nicht über seine Transsexualität aufgeklärt haben sollte. Der angenommene Ehename wird ebenso wie der Geburtsname als Teil der Persönlichkeit durch § 12 BGB rechtlich geschützt. Unstreitig ist der Beklagte seit 1992 unter diesem Namen selbständig geschäftlich als Finanz- und Vermögensberater tätig. Es liegt daher auf der Hand, dass eine Namensänderung direkte wirtschaftliche Konsequenzen für den Beklagten hätte. Auch im übrigen sozialen Leben begründet die langjährige Gewöhnung an den Namen ein schützenswertes Interesse. Es besteht auch deshalb ein starkes schutzwürdiges Interesse des Beklagten an der Fortführung des Ehenamens, weil er über ihn mit dem gemeinsamen ehelichen Sohn verbunden ist. Das Sorgerecht wurde zwar der Klägerin zuerkannt, jedoch besteht weiterhin regelmäßiger Besuchskontakt.

18

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

19

Der Streitwert wurde gem. § 12 Abs. 2 GKG, § 3 ZPO festgesetzt.

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert wird auf 9.000 DM festgesetzt.

Scherrer Richter