Amtsgericht Göttingen
Urt. v. 25.02.2000, Az.: 26 C 231/99 (1204)

Ausgestaltung der haftungsrechtlichen Regulierung eines Verkehrsunfalls; Anforderungen an die Substantiierung der Kausalität zwischen einem Unfallereignis und einem behaupteten Halswirbelsäulen-Schleudertrauma

Bibliographie

Gericht
AG Göttingen
Datum
25.02.2000
Aktenzeichen
26 C 231/99 (1204)
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 33666
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGGOETT:2000:0225.26C231.99.1204.0A

In dem Rechtsstreit
...
hat das Amtsgericht Göttingen
auf die mündliche Verhandlung vom 04.02.2000
durch
die Richterin Koppe
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 40,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 09.04.1999 zu zahlen; im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe

1

Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß § 313 a ZPO abgesehen.

2

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

3

I.

Die Klägerin kann von den Beklagten gemäß §§ 823, 249 BGB die geltend gemachte Unkostenpauschale in Höhe von 40,00 DM verlangen. Unstreitig ist an ihrem Fahrzeug durch den vom Beklagten zu 1) verursachten Verkehrsunfall ein (leichter) Sachschaden entstanden. Damit steht der Klägerin ein Anspruch auf Ersatz dieses Sachschadens gegen die Beklagten zu. Davon erfasst ist die Unkostenpauschale. Dass die Klägerin den weiteren entstandenen Sachschaden mit vorliegender Klage nicht geltend macht, steht ihrem Anspruch auf Ersatz der Unkostenpauschale nicht entgegen.

4

II.

Dagegen hat die Klägerin keinen Anspruch auf Schmerzensgeld aus §§ 823, 847 BGB, § 3 PfIVG.

5

Der ihr obliegende Beweis, dass die von ihr behaupteten Verletzungen, die dem Schmerzensgeldanspruch zugrunde liegen, auf dem Unfallereignis vom 14.12.1998 beruhen, ist ihr nicht gelungen. Nach dem Parteivorbringen kann nicht festgestellt werden, dass das behauptete Halswirbelsäulen-Schleudertrauma und die damit verbundenen Beschwerden durch den Verkehrsunfall mit dem Beklagten zu 1) herbeigeführt wurden.

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Da die Beklagten die geltend gemachten körperlichen Beeinträchtigungen der Klägerin ausdrücklich als unfallbedingt bestreiten, muss die Klägerin gemäß § 286 ZPO den Vollbeweis für die Ursächlichkeit zwischen dem Betrieb des vom Beklagten zu 1) geführten Pkw und den von ihr vorgetragenen Verletzungen führen. D.h. es muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen, dass die Klägerin bei dem Unfall körperlich verletzt worden ist. Der Beweis ist nicht bereits dadurch erbracht, dass es unstreitig zwischen den von der Klägerin und dem Beklagten zu 1) geführten Fahrzeugen zur Kollision gekommen ist. Wenn auch bei schweren Unfällen, d.h. Unfällen, bei denen auf die beteiligten Personen und Fahrzeuge erhebliche Energien einwirken, im Wege des Anscheinsbeweises von einer primären körperlichen Verletzung der Fahrzeuginsassen ausgegangen werden kann, so dass für die Frage des Schadensausmaßes die Beweiserleichterungen des § 287 ZPO gelten, gilt dies für leichtere Unfälle, wie vorliegendem, nicht (vgl. OLG Düsseldorf, r + s 1997, 457, 458; a.A. mit nicht überzeugenden und nicht verallgemeinerungsfähigen Gründen LG Heidelberg DAR 1999, 75, 76 [LG Heidelberg 22.08.1996 - 1 S 62/95]).

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Unstreitig handelte es sich nur um einen leichten Auffahrunfall, bei dem nur geringer Sachschaden entstand. Nach dem nicht bestrittenen Ergebnis des von den Beklagten eingeholten Gutachtens der Dekra kann die Kollisionsgeschwindigkeit des Fahrzeugs des Beklagten auf ca. 10 bis max. 15 km/h eingegrenzt werden, so dass nach den Ermittlungen des Gutachters eine kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung des Fahrzeugs der Klägerin von 6,5 bis 10,4 km/h anzunehmen ist. Bei dieser ermittelten unfallbedingten Geschwindigkeitsänderung ist es aus medizinischer Sicht jedoch nicht wahrscheinlich, dass ein Schleudertraumata der Halswirbelsäule verursacht wird. Dies ist aus der Fachliteratur, auf die z.T. im Gutachten Bezug genommen wird, sowie auch aus Sachverständigengutachten in anderen Gerichtsverfahren, die diversen Gerichtsentscheidungen zugrunde liegen, bekannt. In der Literatur, die auch anderen Gerichtsentscheidungen zugrundegelegt ist, wird allgemein vertreten, dass Geschwindigkeitserhöhungen des angestoßenen Fahrzeugs von bis zu 10 km/h, 13 km/h bzw. 15 km/h in der Regel nicht geeignet sind, bei den Insassen ein Halswirbelsäulen-Schleudertraumata zu verursachen (vgl. LG Berlin, Urt. v. 18.10.1995, 24 O 541/93 m.w.N.: 15 km/h). Auch wenn bei einer - hier möglichen - Geschwindigkeitsänderung ab 10 km/h ein HWS-Schleudertrauma nicht ausgeschlossen ist, besteht jedenfalls in dem Bereich einer Geschwindigkeitsänderung zwischen 10 km/h bis 15 km/h keine ausreichend hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass diese Geschwindigkeitsänderung ein HWS-Schleudertrauma verursacht (siehe Studie Meyer/Weber/Castro, aufgeführt bei Löhle, HWS-Problematik, zfs 1997, 441, 445: Verletzungen möglich, hohe Wahrscheinlichkeit aber erst ab 15 km/h; Großer, Kollisionsdynamische Grundlagen und biomechanische Belastungsgrenzen zur Beurteilung der Verletzungsschwere von Pkw-Insassen, DAR 1995, 389, 396: Mittelwert von 13 km/h; AG Winsen zfs 1997, 15: Geschwindigkeitsänderung von bis 12 km/h genügt nicht; AG Kiel, zfs 1997, 15: Aufprallgeschwindigkeit von 5-19 km/h nicht ausreichend; AG Göttingen 26 C 361/98: Schädigungen der Halswirbelsäule erst ab einer Geschwindigkeitsänderung von 11-13 km/h zu erwarten).

8

Dass hier besondere Umstände vorlagen, etwa ein unüblicher Bewegungsablauf, von der Norm abweichende Kopfstützen o.ä., die hier trotz nur geringer Geschwindigkeitsänderung zur Verursachung eines HWS-Schleudertraumas führten, ist nicht vorgetragen. Die Einholung eines biomechanischen Gutachtens - das die Klägerin selbst auch nicht als Beweismittel angeboten hat - war daher nicht veranlasst.

9

Zwar hat der Arzt Dr. Heidbreder attestiert, dass die Klägerin ein HWS-Schleudertrauma erlitten hat. Aus diesem Attest vermag das Gericht jedoch nicht die Überzeugung zu gewinnen, dass diese Beschwerden objektiv festgestellt worden sind und auf dem Unfall beruhen. Denn es ist nicht nachvollziehbar, ob und wie der Arzt die Beschwerden und die Unfallursächlichkeit der Beschwerden geprüft hat. Zudem war es als behandelnder Arzt auch nicht primär seine Aufgabe, eine schadenrechtlich relevante Überprüfung zwischen Unfallereignis und Gesundheitsstörungen der Klägerin vorzunehmen. Äußere Verletzungen sind nicht festgestellt worden. Auch wenn es darauf nicht entscheidend ankommt, muss doch zur Überzeugung des Gerichts bewiesen werden, dass es - auch ohne objektivierbare Substanzverletzungen - zu einer Körperverletzung gekommen ist. Dies ist hier nicht der Fall. Das vorgelegte Attest enthält keine Aussagen zu aufgrund körperlicher Untersuchung oder mittels anderer Methoden (Röntgen, Kernspintomographie) verifizierten Feststellungen. Vielmehr sind die Atteste nur Belege dafür, dass der Arzt die Beschwerden aus therapeutischer Sicht als feststehend angesehen und seine Maßnahmen als medizinisch indiziert angesehen hat. Sie stellen nur eine Verdachtsdiagnose auf, taugen aber nicht als gutachterliche Aussage, die unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten beweiskräftig sein könnte (vgl. hierzu OLG Stuttgart, Urt. v. 19.03.1999, 2 U 150/98; auch Lemcke, Das "HWS-Schleudertrauma" aus juristischer Sicht, NZV 1996, 337, 339).

10

Zudem wäre, selbst wenn die Körperverletzung bewiesen wäre und der Klägerin im Rahmen der sog. haftungsausfüllenden Kausalität Beweiserleichterungen zugute kämen, aufgrund der nur geringen unfallbedingten Geschwindigkeitsänderung der Nachweis der Unfallursächlichkeit nicht erbracht, weil aus den bereits ausgeführten Gründen auch der nach § 287 ZPO erforderliche Wahrscheinlichkeitsgrad nicht erreicht wäre. Und zwar müsste festgestellt werden, dass zwischen den vorhandenen Beschwerden und dem Unfallereignis mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein ursächlicher Zusammenhang besteht (vgl. OLG Hamm DAR 1995, 74 [OLG Hamm 21.10.1994 - 9 U 85/94]).

11

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

Koppe