Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 12.08.2003, Az.: 12 B 2841/03

Antrag auf Erteilung einer Duldung eines Ausländers; Durchsetzung der Ausreisepflicht; Abwägung des Schutzgutes des Antragsstellers und des berechtigten öffentliche Interesse an der Ausreise

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
12.08.2003
Aktenzeichen
12 B 2841/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 30088
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2003:0812.12B2841.03.0A

Fundstellen

  • ANA-ZAR 2003, 11 (red. Leitsatz)
  • AUAS 2003, 247-249
  • InfAuslR 2003, 433-436 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZAR 2003, 11

Verfahrensgegenstand

Abschiebemaßnahmen (vorläufiger Rechtsschutz)

Prozessführer

Herrn B., Staatsangehörigkeit: serbisch-montenegrinisch,

Rechtsanwälte Hausin und andere, Cloppenburger Straße 391, 26133 Oldenburg,

Prozessgegner

Landkreis Oldenburg - Ausländeramt -,
vertreten durch den Landrat, Delmenhorster Str. 6, 27793 Wildeshausen,

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Oldenburg -12. Kammer -
am 12. August 2003
beschlossen:

Tenor:

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, bis zur Entscheidung des Antragsgegners über den Antrag auf Erteilung einer Duldung von der Durchsetzung der Ausreisepflicht des Antragstellers durch Abschiebung nach Serbien und Montenegro abzusehen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 2.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1

Das Begehren des Antragstellers, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO aufzugeben, bis zur Entscheidung des Antragsgegners über den Antrag auf Erteilung einer Duldung von der Durchsetzung der Ausreisepflicht des Antragstellers durch Abschiebung nach Serbien und Montenegro abzusehen, ist zulässig und begründet.

2

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn sowohl ein Anordnungsgrund (die Eilbedürftigkeit der begehrten Regelung) als auch ein Anordnungsanspruch (der materiell-rechtliche Anspruch auf die begehrte Regelung) hinreichend glaubhaft gemacht worden sind (§ 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).

3

Der erforderliche Anordnungsgrund liegt angesichts der am 13. August 2003 vorgesehenen Abschiebung des Antragstellers vor. Zudem hat er einen Anordnungsanspruch gegenüber dem Antragsgegner, von der vorgesehenen Abschiebung bis zur Entscheidung des Antragsgegners über den Antrag auf Erteilung einer Duldung abzusehen, hinreichend glaubhaft gemacht.

4

Zwar ist der Antragsteller derzeit vollziehbar ausreisepflichtig im Sinne des § 42 Abs. 1, 2 AuslG. Eine Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 S. 1 AsylVfG infolge eines Asylantrages ist entfallen. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte das Asylbegehren mit Bescheid vom 24. Januar 1989 ab. Auch das Asylfolgeverfahren auf Grund des Antrages vom 25. November 1999 blieb ohne Erfolg; die dagegen erhobene Klage wies das Gericht mit Urteil vom 10. April 2003 (Az.: 12 A 1711/02) rechtskräftig ab. Der Antragsgegner duldete bis zum 5. November 2002 den Aufenthalt des Antragstellers. Einer Abschiebung Ende 2002 entzog sich der Antragsteller, indem er vorgab, am 10. Januar 2003 freiwillig nach Podgorica (Montenegro) ausreisen zu wollen, anschließend aber untertauchte. Seit dem 20. Mai 2003 befindet sich der Antragsteller in Abschiebehaft.

5

Der Antragsteller hat indes den geltend gemachten Anspruch auf die begehrte zeitweise Aussetzung der Abschiebung in hinreichender Weise glaubhaft gemacht.

6

Gemäß § 55 Abs. 2 AuslG ist eine Duldung zu erteilen, wenn die Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist. Rechtlich unmöglich ist die Abschiebung, wenn sie aus rechtlichen Gründen nicht durchgeführt werden darf.

7

Ob dem Antragsteller bereits im Hinblick auf seine nicht eheliche Vaterschaft eines noch ungeborenen Kindes einer deutschen Staatsangehörigen aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen in Ansehung des Schutzes der Familie nach Art. 6 Abs. 1 und 2 GG zugute kommen (bejahend: VG Karlsruhe, Beschluss vom 15. August 2001 - 7 K 2060/01 -, InfAuslR 2002, 38; VG Greifswald, Beschluss vom 27. Januar 1997 - 2 B 3/97 -, juris, und Beschluss vom 24. Juni 1994 - 2 B 910/94 -, NVwZ-RR 1995, 543 = FamRZ 1995, 232; VG München, Beschluss vom 2. Dezember 1991 - M 7 E 91.4601 -, FamRZ 1992, 311; verneinend: Thüringer OVG, Beschluss vom 14. November 1997 - 3 ZEO 1229/97 - EzAR 632 Nr. 30; OVG Saarland, Beschluss vom 25. März 1993 - 3 W 9/93 -, juris; Beschluss vom 25. März 1991 - 3 W 20/91 -, juris, und Beschluss vom 25. Februar 1991 - 3 W 20/01 -, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. Januar 1991 - 18 B 9/91 -, FamRZ 1991, 250; Hailbronner, Kommentar zum Ausländerrecht, § 55 Rdnr. 12) kann die Kammer vorliegend offen lassen.

8

Der vorgesehenen Abschiebung des Antragstellers stehen bereits die Schutzpflichten des Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK - BGBl. II 1952, S. 686, 953 und 1954, S. 14) entgegen. Zwar stellen die einzelnen Normen der EMRK noch keine nach Art. 25 S. 2 GG dem AuslG vorgehenden allgemeinen Regeln des Völkerrechts dar. Jedoch ist die EMRK durch Zustimmungsgesetz vom 7. August 1952 gemäß Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG in innerstaatliches Recht übergeleitet worden und ist seither Bestandteil des positiven Rechts der Bundesrepublik Deutschland im Rang eines Bundesgesetzes (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. März 1987 - 2 BvR 740/81 -, BVerfGE 74, 358 [unter C I 1 a] m.w.N) mit unmittelbarer Wirkung neben dem Ausländergesetz und ergänzt dessen Regelungen (begünstigend) für den erfassten Personenkreis (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 23. Oktober 2002 - 11 S 1410/02 -, AuAS 2003, 64 - m.w.N.). Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung u.a. seines Privat- und Familienlebens. Ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, soweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die u.a. für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen notwendig ist.

9

In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ist geklärt, dass Art. 8 EMRK bei Eingriffen in den Schutzbereich des Privat- und Familienlebens die Rechtmäßigkeit einer Ausweisung oder einer Abschiebung an die Voraussetzung knüpft, dass diese nur zu einem der in Art. 8 Abs. 2 EMRK zugelassenen Ziele und nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeit erfolgen darf. Dem folgt auch das Bundesverwaltungsgericht (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1997 - 1 C 19.96 -, BVerwGE 106, 13). Dabei ist zu beachten, dass Art. 8 Abs. 1 EMRK eine Ausweisung oder Abschiebung nicht schlechthin untersagt, sondern er erfordert die Wahrung der Verhältnismäßigkeit zwischen den von der Ausländerbehörde verfolgten Zielen, die in Art. 8 Abs. 2 EMRK niedergelegt sind, einerseits mit den mit der Abschiebung verbundenen nachteiligen Folgen für den Ausländer andererseits. Dabei geht das Gericht davon aus, dass grundsätzlich die im AuslG vorgesehene Beendigung des Aufenthalts eines Asylbewerbers nach Abschluss eines Asylverfahrens und Durchsetzung seiner Ausreisepflicht regelmäßig verhältnismäßig im Sinne des Art. 8 EMRK ist. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), dass ein Staat das Recht hat, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Ausländern in sein Staatsgebiet zu kontrollieren (vgl. EGMR, Urteil vom 18. Februar 1991 - 31/1989/191/291 [Moustaquim] -, InfAuslR 1991, 149 und zuletzt Urteil vom 21. Dezember 2001 - 31465/96 [Sen] -, InfAuslR 2002, 334, m.w.N.). Eine abweichende Beurteilung im Hinblick auf den in Art. 8 Abs. 2 EMRK niedergelegten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung kommt nur in außergewöhnlichen Einzelfällen in Betracht, die entweder bezogen auf das (gesteigerte) Gewicht der Schutzgüter des Ausländers (Privat- und Familienleben) oder hinsichtlich der (geminderten) Bedeutung der öffentlichen Interessen (insbesondere öffentliche Sicherheit, Aufrechterhaltung der Ordnung, Verhütung von Straftaten, Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) erkennbare Besonderheiten aufweisen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 23. Oktober 2002, a.a.O. im Fall einer Ausweisung). Dabei ist jedoch stets eine Betrachtung des Einzelfalles geboten.

10

Die Abschiebung greift auf Grund ihrer Rechtsfolgen (insbesondere befristetes Wiedereinreiseverbot) in den Schutzbereich des Privat- und Familienlebens des Antragstellers ein. Nach der Rechtsprechung des BVerwG (Urteil vom 29. September 1998 - 1 C 8.96 -, InfAuslR 1999, 54 und Urteil vom 9. Dezember 1997, a.a.O.) und des EGMR (vgl. Urteil vom 18. Februar 1991, a.a.O.; Urteil vom 26. März 1992 - 55/1990/246/317 [Beldjoudi] -, InfAuslR 1994, 86; Urteil vom 13. Juli 1995 - 18/1994/465/564 [Nasri] -, InfAuslR 1996, 1; Urteil vom 19. Februar 1996 - 53/1995/559/645 [Gül] -, InfAuslR 1996, 245; Urteil vom 26. September 1997 - 85/1996/704/896 [Mehemi] -, InfAusIR 1997, 430; Urteil vom 2. August 2001 - 54273/00 [Boultif] -, InfAuslR 2001, 476 m.w.N. und Urteil vom 21. Dezember 2001, a.a.O.) kommt eine Verletzung des in Art. 8 Abs.2 EMRK verankerten Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei der Aufenthaltsbeendigung von Ausländern oder deren Familienangehörigen in Betracht, die auf Grund ihrer gesamten Entwicklung faktisch zu Inländern geworden sind und denen wegen der Besonderheiten des Falles ein Leben in dem Staat ihrer Staatsangehörigkeit, zu dem sie keinen Bezug mehr haben, nicht zuzumuten ist (vgl. auch Bay. VGH, Beschluss vom 25. Oktober 2000 - 24 CS 00.2611 -, InfAuslR 2001, 123). Insoweit kommt dem Schutzgut des Ausländers auf Wahrung seines Familien- und Privatlebens eine gegenüber dem Regelfall gesteigerte Bedeutung zu.

11

Vorliegend sind die Schutzgüter des Antragstellers höher zu bewerten als die vom Antragsgegner verfolgtenöffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts des Antragstellers.

12

Bezogen auf die Schutzgüter des Antragstellers ist zunächst festzustellen, dass er im Alter von sechs Jahren zusammen mit seinen Eltern bereits im April 1988 in die Bundesrepublik Deutschland einreiste und damit seine Kindheit im Inland verbrachte. Er hält sich bereits mehr als 15 Jahre hier auf. Sein 15-jähriger Bruder R. und seine 13-jährige Schwester R. sind in O. geboren. Seine im Juli 1991 ebenfalls in Oldenburg geborene Schwester V. ist infolge einer schweren Erkrankung (Mukoviscidose) im Juli dieses Jahres verstorben. Soweit ersichtlich, bestehen seine sozialen und familiären Bindungen allein in Deutschland. Alle engen Verwandten - seine Eltern und noch minderjährigen Geschwister - leben derzeit in W.. Die gesamte schulische und berufliche Ausbildung erhielt er in deutscher Sprache. Daher geht das Gericht auch entsprechend dem Vorbringen des Antragsstellers davon aus, dass er lediglich die Sprache seiner ethnischen Gruppe Romani sowie Deutsch spricht, nicht jedoch die serbische Sprache. Auch macht er - unwidersprochen - geltend, soziale und familiäre Bindungen in Serbien und Montenegro nicht zu haben. Gegenteiliges lässt sich auch dem Inhalt der Verwaltungsvorgänge nicht entnehmen. Zusammenfassend geht daher das Gericht davon aus, dass der Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland integriert ist und abgesehen von seiner serbisch-montenegrinischen Staatsangehörigkeit keine anderen Beziehungen zu Serbien und Montenegro hat. Mit der Abschiebung wäre mithin eine gravierende soziale Entwurzelung verbunden und es ist - insbesondere auf Grund der Sprachschwierigkeiten und als Alleinstehender - mit besonders schweren Anpassungsschwierigkeiten zu rechnen, da die soziale und wirtschaftliche Situation für Angehörige der Roma in Serbien und Montenegro ohnehin besonders schwierig ist.

13

Ob allein dadurch das Gewicht des Schutzgutes des Antragsstellers das berechtigte öffentliche Interesse an der auf Dauer gerichteten Beendigung des Aufenthalts eines nach Abschluss des Asylverfahrens ausreisepflichtigen Ausländers überwiegt, muss die Kammer nicht entscheiden, weil weitere Gesichtspunkte zu Gunsten des Antragstellers sprechen.

14

Das Gericht geht davon aus, dass der Antragssteller im Januar 2004 Vater eines deutschen Kindes wird. Hierzu liegen dem Gericht Erklärungen des Antragstellers unter dem 3. Juni 2003 und der werdenden Mutter, der 15-jährigen L. sowie deren Mutter als gesetzliche Vertreterin unter dem 16. und 23. Juni 2003 vor. Unabhängig von der Frage, ob diese Erklärungen derzeit für eine rechtlich verbindliche Vaterschaftsanerkennung ausreichend sind, haben sich keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Antragsteller tatsächlich nicht der Vater des ungeborenen Kindes ist. Soweit der Antragsgegner sich auf fernmündliche Erklärungen der Mutter der L. beruft, ihre Tochter habe eingestanden, dass auch ein anderer Mann Vater des Kindes sein könne, kommt dem nach den derzeitigen Erkenntnissen ein besonderes Gewicht nicht zu. Auf Vorhalt erklärte L. gegenüber dem Bevollmächtigen des Antragstellers, dass der Antragsteller tatsächlich der Vater des ungeborenen Kindes sei und sie dem widersprechende Angaben - auch gegenüber ihrer Mutter - nicht gemacht habe. Es gibt keine Anhaltspunkte, dass der Bevollmächtigte des Antragstellers diese Erklärung der L. unzutreffend wieder gegeben hat. Demgegenüber blieben die Bemühungen des Antragsgegners, eine gegenteilige Erklärung der L. zu erhalten, ohne Erfolg.

15

Nach der Rechtsprechung des BVerfG verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG enthaltene Wert entscheidende Grundsatznorm, nach der der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über Aufenthalt beendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Grundrechtsträgers aus Art. 6 GG, dass die zuständigen staatlichen Stellen bei der Entscheidung über Aufenthalt beendende Maßnahmen seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigt (BVerfG, Beschluss vom 30. Januar 2002 - 2 BvR 231/00 -, NVwZ 2002, 849 = InfAuslR 2002, 171 m.w.N.). Zwar kann die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis dann verfassungsrechtlich unbedenklich sein, wenn keine Lebensverhältnisse bestehen, die einen über die Aufrechterhaltung einer Begegnungsgemeinschaft hinausgehenden familienrechtlichen Schutz angezeigt erscheinen lassen (BVerfG, Beschluss vom 30. Januar 2002, a.a.O., m.w.N.). Besondere Lebensverhältnisse liegen insbesondere vor, wenn ein Kind auf die dauernde Anwesenheit eines nicht sorgeberechtigten Elternteils in seiner unmittelbaren Nähe angewiesen ist, wobei eine Hausgemeinschaft nicht erforderlich ist. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die Betreuung des Kindes auch durch andere Personen, etwa der Mutter, erbracht werden kann, weil der spezifische Erziehungsbeitrag eines Vaters eigenständige Bedeutung für die Entwicklung eines Kindes hat. Mit dem BVerfG verbietet sich bei der vorzunehmenden Bewertung der familiären Beziehungen eine schematische Einordnung und Qualifizierung als entweder aufenthaltsrechtlich grundsätzlich schutzwürdige Lebens- und Erziehungsgemeinschaft oder Beistandsgemeinschaft oder aber als bloße Begegnungsgemeinschaft ohne aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen. Dabei ist zu berücksichtigten, dass auch der persönliche Kontakt zwischen Elternteil und Kind in Ausübung des Umgangsrechts unabhängig vom Sorgerecht Ausdruck und Folge des natürlichen Elternrechts und der damit verbundenen Elternverantwortung ist und damit unter dem grundrechtlichen Schutz der Familie (Art. 6 GG) steht (BVerfG, Beschluss vom 30. Januar 2002, a.a.O., m.w.N.). Es kann derzeit auch nicht festgestellt werden, dass die familiären Beziehungen des Antragstellers zu seinem später geborenen Kind als unbedeutend zu bewerten sein werden, weil der Antragsteller etwa einen Erziehungsbeitrag tatsächlich nicht erbringen wird. Hierfür lassen sich derzeit keine tragfähigen Anhaltspunkte finden. Es mag sein, dass der Antragsteller in der Vergangenheit wiederholt versucht hat, durch Scheinehen mit einer deutschen Staatsangehörigen eine Abschiebung zu verhindern und dass diese Motivation - wie der Antragsgegner meint - auch bei der Zeugung des ungeborenen Kindes bestimmend gewesen ist. Dies führt indes nicht zu der Annahme, dass die familiären Beziehungen des Antragstellers zum Kind aus diesem Grunde nicht mehr grundrechtlich geschützt seien, sodass die Aufenthaltsbeendigung gerechtfertigt sei. Ebenso wenig kommt es entscheidend darauf an, ob der Antragsteller tatsächlich das (gemeinsame) Sorgerecht des ungeborenen Kindes übertragen bekommt. Maßgeblich ist allein, ob der Antragsteller nach der Geburt seines Kindes seiner elterlichen Verantwortung in einer tatsächlich gelebten Beziehung nachkommt.

16

Dementsprechend ist bei dem öffentlichen Interesse an der Durchsetzung der Ausreisepflicht des Antragstellers zu berücksichtigen, dass lediglich für den Zeitraum bis zur Geburt des Kindes im Januar 2004, mithin für die Dauer von fünf Monaten, ein beachtlichesöffentliches Interesse an der Abschiebung besteht. Unter Berücksichtigung der schwer wiegenden Folgen einer vorübergehenden Rückkehr nach Serbien und Montenegro für den allein stehenden Antragssteller kommt diesem öffentlichen Interesse aber eine geringere Bedeutung zu.

17

Auch soweit der Antragsgegner als öffentliches Interesse geltend macht, dass der Antragsteller wiederholt straffällig geworden sei, rechtfertigt dies im Rahmen der Interessenabwägung die Abschiebung des Antragstellers nicht. Hierzu trägt der Antragsgegner vor, dass in der zentralen Namenskartei der Staatsanwaltschaft O. fünf Eintragungen den Antragsteller betreffend vorlägen. Das Vorbringen erweist sich nicht als tragfähig. In den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners befindet sich ein Antrag der Staatsanwaltschaft O. vom 12. Juni 1997 auf Entscheidung im vereinfachten Jugendverfahren wegen Diebstahls geringwertiger Sachen sowie eine Anklageschrift der Staatsanwaltschaft O. vom 17. Dezember 1999, die dem Antragsteller einen Diebstahl vorwirft. Das Ergebnis der Verfolgung der vorgeworfenen Straftaten ist aus den Verwaltungsvorgängen nicht ersichtlich. Nach der Mitteilung der Staatsanwaltschaft O. vom 13. Juni 2001 ist der Antragsteller wegen Diebstahls oder Hehlerei (Entwendung einer Mofa) im März 2001 vom Amtsgericht O. mit Urteil vom 17. Mai 2001 zu einem Freizeitarrest verurteilt worden. Soweit eine Anzeige wegen Freiheitsberaubung, Nötigung und Körperverletzung zum Nachteil der L. im Juli 2003 vorliegt, erscheint fraglich, inwieweit der Antragsteller an der Tat konkret beteiligt gewesen ist und ob nach den bisherigen widersprüchlichen Angaben der L. hierauf eine Verurteilung erfolgen wird. Mithin ist der Antragsteller nicht wiederholt wegen besonders schwerer Straftaten verurteilt worden. Ein besonderes öffentliches Interesse an der Abschiebung des Antragstellers zur Verhinderung strafbarer Handlungen, welches die angeführten beachtlichen Interessen des Antragstellers auf Schutz seines Familien- und Privatlebens überwiegt, lässt sich hieraus nicht begründen.

18

Es mag auch sein, dass ein besonders dringliches öffentliches Interesse an der Abschiebung des erheblich straffällig gewordenen Vaters des Antragstellers besteht. Dies steht jedoch nicht in einem sachlichen Zusammenhang mit der beabsichtigten Abschiebung und den berechtigten Interessen des Antragstellers.

19

Zusammenfassend überwiegen nach den derzeitigen Erkenntnissen die schutzwürdigen Interessen des Antragstellers die öffentlichen Interessen an einer (vorübergehenden) Beendigung des Aufenthalts des Antragstellers in der Bundesrepublik Deutschland.

20

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

21

[...].

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert wird auf 2.000,00 EUR festgesetzt.

[D]ie Entscheidung über die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 20, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG, wonach der Streitwert nach der sich aus dem Antrag ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen ist. Das Gericht erachtet hier in Anlehnung an den sog. Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 1996, S. 653 ff.) für die begehrte Duldung (Abschiebeschutz) die Festsetzung des hälftigen Auffangwertes, mithin 2.000 EUR für ermessensgerecht.

Kalmer
Sonnemann
Hüsing