Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 25.08.2003, Az.: 11 A 1616/03

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
25.08.2003
Aktenzeichen
11 A 1616/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 40753
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2003:0825.11A1616.03.0A

Amtlicher Leitsatz

Für die Ausweisung eines illegal beschäftigten Ausländers ist die Behörde seines Aufenthaltsortes zuständig.

Eine ausweisungsrechtlich relevante illegale Erwerbstätigkeit eines Ausländers und nicht nur ein Gefälligkeitsverhältnis ist dann gegeben, wenn der Ausländer als Konkurrenz zu legal Beschäftigten am Wirtschaftsleben teilnimmt.

Tenor:

  1. ...

Tatbestand

1

Der 1962 geborene Kläger ist polnischer Staatsangehöriger. Er kam im August 2002 als Besucher in das Bundesgebiet und wohnte bei seiner Schwägerin und ihrem Ehemann im Landkreis Ammerland. Bei einer Kontrolle am 9. September 2002 wurde er auf einer Baustelle in Wilhelmshaven bei Ausübung von Fliesenlegerarbeiten angetroffen. Die Stadt Wilhelmshaven wies ihn mit Bescheid vom gleichen Tag wegen unerlaubter Erwerbstätigkeit unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus der Bundesrepublik aus. Der Kläger legte dagegen Widerspruch ein und erhielt vom Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 23. Oktober 2002 vorläufigen Rechtschutz (11 B 3882/02), weil das Gericht Bedenken gegen die örtliche Zuständigkeit der Stadt Wilhelmshaven hatte. Die Stadt Wilhelmshaven hob daraufhin ihren Ausweisungsbescheid mit Bescheid vom 20. November 2002 auf.

2

Der Verwaltungsvorgang wurde an den Beklagten gegeben, in dessen Kreisgebiet der Kläger sich bei seiner Schwägerin und ihrem Ehemann aufgehalten hat. Der Beklagte wies den Kläger mit Bescheid vom 28. März 2003 aus der Bundesrepublik aus und drohte ihm für den Fall, dass er sich noch oder wieder in Deutschland befinde die Abschiebung nach Polen an. Der Kläger legte auch gegen diese Verfügung Widerspruch ein. Er habe keine unerlaubte Erwerbstätigkeit ausgeübt. Es habe sich um ein reines Gefälligkeitsverhältnis gehandelt. Ein guter Bekannter seiner Gastgeber baue in Wilhelmshaven ein Eigenheim. Zunächst habe dieser versucht, Fliesenlegerarbeiten selbst auszuüben. Als ihm dies auch unter Anleitung des Klägers nicht gelungen sei, habe der Kläger die Arbeiten durchgeführt, was durchaus einige Tage in Anspruch genommen habe. Ein Entgelt sei nicht vereinbart und auch nicht gezahlt worden. Abgesehen davon, dass schon nach deutschem Ausländerrecht eine Ausweisung nicht zulässig sei, verstoßen sie auch gegen das Assoziierungsabkommen mit der Republik Polen. Mangels eines Arbeitgebers habe der Kläger nicht als Arbeitnehmer gearbeitet, sondern sei selbstständig tätig geworden, wenn man überhaupt eine Erwerbstätigkeit annehme. Selbstständige genössen jedoch weitgehende Freizügigkeit, die nicht durch Ausweisungsverfügungen eingeschränkt werden dürfe. Die Bezirksregierung Weser-Ems wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 23. April 2003 zurück. Der Kläger sei erwerbstätig im Sinne von § 12 DVAuslG gewesen und habe deshalb ohne vorheriges Visum nicht einreisen dürfen. Es bestehe ein erhebliches öffentliches Interesse an der Unterbindung illegaler Beschäftigung von Ausländern in der Bundesrepublik.

3

Am 2. Mai 2003 hat der Kläger Klage erhoben. Er bezieht sich auf sein bisheriges Vorbringen, dass die Ausweisung materiell rechtswidrig sei und macht ergänzend geltend, dass auch die formelle Rechtmäßigkeit zweifelhaft sei, weil der Kläger wegen seines nur auf kurze Dauer angelegten Aufenthalts keinen gewöhnlichen Aufenthalt habe begründen können, an den der Beklagte für seine örtliche Zuständigkeit hätte anknüpfen können.

4

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 28. März 2003 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Weser-Ems vom 23. April 2003 aufzuheben.

5

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

6

Er bezieht sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide und führt vertiefend aus, die örtliche Zuständigkeit ergebe sich daraus, dass der Kläger bei seiner Schwägerin im Kreisgebiet für die Dauer seines Aufenthalts gewohnt habe. Für die Qualifikation der Tätigkeit als Erwerbstätigkeit sei es unerheblich, ob ein Entgelt vereinbart oder gezahlt worden sei. Das Niederlassungsrecht polnischer Staatsangehöriger nach europäischen Vorschriften finde keine Anwendung. Der Kläger sei zum Zwecke der Arbeitsaufnahme ohne die entsprechende Aufenthaltsgenehmigung in die Bundesrepublik eingereist und habe damit gegen aufenthaltsrechtliche Vorschriften verstoßen.

7

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf den Inhalt der Prozessakte sowie auf die vorgelegten Verwaltungsvorgänge und auf die Gerichtsakte 11 B 3882/02.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 28. März 2003 und der dazu ergangene Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Weser-Ems vom 23. April 2003 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Ausweisung findet ihre Rechtsgrundlage in § 45 AuslG i.V.m. § 46 Nr. 2 AuslG.

9

Die Verfügung ist formell rechtmäßig. Insbesondere ist der Beklagte örtlich für das Einschreiten gegen den Kläger zuständig. Wie bereits in dem Aussetzungsbeschluss vom 23. Oktober 2002 (11 B 3882/02) ausgeführt wurde, enthält das AuslG keine Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit. Es ist deshalb ergänzend auf entweder das VwVfG zurückzugreifen oder - soweit es sich um Maßnahmen zur Gefahrenabwehr handelt - auf das NGefAG. Auch wenn man annimmt, dass ein großer Teil des Ausländerrechts z.B. Familiennachzug, Wiederkehr und unbefristete Aufenthaltserlaubnis nicht zur Gefahrenabwehr im klassischen Sinne gehören, so zählen doch die Ausweisung und sonstige Maßnahmen zur Beendigung des Aufenthalts zum Ordnungsrecht im weiteren Sinne (Renner, Ausländerrecht in Deutschland, § 44 Anm. 85). Die örtliche Zuständigkeit für eine Ausweisung kann sich deshalb aus § 100 Abs. 1 Satz 2 NGefAG ergeben (Nds. Oberverwaltungsgericht, Beschl. v. 5.10.1998 - 11 M 4532/98 -, Nds. Rechtspflege 1999, 89).

10

Weder aus § 100 Abs. 1 Satz 2 NGefAG noch aus § 3 Abs. 1 Nr. 3 a VwVfG lassen sich Bedenken gegen die örtliche Zuständigkeit des Beklagten herleiten. Auch wenn der Beklagte nicht ausschließlich zuständig ist, so kann er doch neben anderen Behörden örtlich zuständig sein (Nds. OVG a.a.O.). Insbesondere aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum gewöhnlichen Aufenthalt, an dem bei Entscheidungen gegen Ausländer anzuknüpfen ist (Urt. v. 4. Juni 1997, 1 C 25.96, NVwZ-RR 1997, 751) ergibt sich etwas gegen die örtliche Zuständigkeit des Beklagten. Das Bundesverwaltungsgericht hat den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts für die Fälle definiert, wenn sich jemand länger als sechs Monate an einem Ort aufhält. Da ein Tourist diese Voraussetzungen in der Regel niemals erfüllt, kommt es hier darauf an, wo die örtliche Verbindung am ausgeprägtesten ist. Das ist der Ort, an dem der Ausländer mit vorübergehenden Aufenthalt in der Bundesrepublik sich im Wesentlichen aufhält. Der Kläger wohnte bei seiner Schwägerin im Kreisgebiet. Zum Beklagten bestehen deshalb hinreichende örtliche Verbindungen. Es muss u.a. auch verhindert werden, dass verschiedene Behörden möglicherweise widerstreitende Entscheidungen - bzgl. eines Ausländers treffen. Die Tätigkeit in Wilhelmshaven und das dortige Aufgreifen waren rein zufällig. Auch wenn sich dadurch örtliche Beziehungen zu der Ausländerbehörde hätten entwickeln können, schließen sie die auf jeden Fall gegebene kumulative Zuständigkeit des Beklagten für ausländerbehördliche Maßnahmen gegen den Kläger nicht aus.

11

Die Verfügung ist auch materiell rechtmäßig. Die Behörden sind zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger nicht unerheblich gegen Rechtsvorschriften verstoßen hat. Zu den Vorschriften, die durch die Drohung mit der Ausweisung geschützt werden sollen, gehören die Bestimmungen des Ausländerrechts, aber auch Regelungen des Steuer-, Gewerbe-, Arbeits- und Sozialrechts. Der Kläger hat gegen ausländerrechtliche Vorschriften verstoßen, weil er in der Bundesrepublik eine Erwerbstätigkeit im Sinne von § 12 DVAuslG ausgeübt hat. Als polnischer Staatsangehöriger war er gem. § 1 DVAuslG vom Erfordernis der Aufenthaltsgenehmigung nur dann befreit, wenn er keine Erwerbstätigkeit aufnahm. Für eine Einreise zum Zwecke der Erwerbstätigkeit ist ein vorheriges Visum erforderlich. Der Begriff der Erwerbstätigkeit ist in § 12 Abs. 1 DVAuslG definiert. Davon ist jede selbstständige, aber auch unselbstständige Tätigkeit erfasst. Deshalb bedarf es hier keiner näheren Darlegung, ob der Kläger einem Arbeitnehmer oder einem Selbstständigen gleichzustellen ist. Entscheiden ist, dass für die Tätigkeit ein Entgelt üblich ist. Ob ein Entgelt gezahlt oder vereinbart worden ist, ist dagegen unerheblich. Es braucht hier auch nicht entschieden zu werden, ob gelegentliche und zeitlich geringfügige Gefälligkeitstätigkeiten unter § 12 Abs. 1 DVAuslG fallen. Die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit geht über diesen Rahmen von Freundschaftsdiensten gegenüber Gastgebern und Freunden weit hinaus. Zum einen ist der Kläger nicht für seine Gastgeber tätig geworden. Er hat auf einer Baustelle eines wie auch immer mit seinen Gastgebern bekannten Fremden gearbeitet. Zum anderen handelte er sich um eine Arbeit, die mehr als einen Tag in Anspruch genommen hat. Es geht um eine durchaus anspruchsvolle Tätigkeit, die über die allgemein vielleicht üblichen Hilfstätigkeiten für einen Gastgeber in dessen Haus oder vielleicht auch Gewerbe hinausgehen.

12

An der Einhaltung dieser Vorschriften über die Steuerung des Zuzuges von Ausländern, die erwerbstätig sind, besteht ein großes Interesse. Insbesondere besteht diese Interesse, wenn es sich um Arbeiten handelt, die von wirtschaftlicher Bedeutung sind und mit denen der Ausländer in Wettbewerb zu anderen Erwerbstätigen steht. Das ist hier der Fall. Die Tätigkeit des Klägers ist eine erhebliche Beteiligung am Wirtschaftleben, die auch im Verhältnis zu erwerbstätigen Deutschen oder Ausländern, die zur Ausübung handwerklicher Arbeiten berechtigt sind, ins Gewicht fällt.

13

Die Ausweisung ist nicht die zwingende Folge des Rechtsverstoß, sondern steht im Ermessen der Behörde, dass diese sachgerecht unter Beachtung des § 40 VwVfG auszuüben hat. Auch in dieser Hinsicht bestehen keine Bedenken. Auch wenn der Kläger rügt, dass es sich bei der Begründung zumindest im Ausgangsbescheid im Wesentlichen um Textbausteine oder um vorformulierte Absätze handelt, begründet dies keinen relevanten Ermessensfehler. Es handelt sich bei diesen Vorgängen um häufig wiederkehrende Vorgänge, die gleichartig und mit gleicher Argumentation entschieden werden können und auch müssen.

14

Auch unter Berücksichtigung schutzwürdiger Einzelinteressen des Klägers war es sachgerecht, nicht nur eine Ausreiseaufforderung zu erlassen, sondern ihn auszuweisen mit der Folge, dass er für eine gewisse Zeit nicht in die Bundesrepublik zurückkehren darf. Die Dauer der Wirkungen der Ausweisung sind auf Antrag zu befristen. Darüber ist hier jedoch nicht zu entscheiden. Deshalb kann auch offen bleiben, ob die im Erlass des MI vom 27. Mai 1999 vorgesehene Frist von vier Jahren bei Ausweisungen nach § 46 AuslG unbesehen auch auf den vom Kläger begangenen Verstoß angewendet werden kann.

15

Vorschriften des Assoziationsrechtes stehen der Ausweisung des Klägers nicht entgegen. Das Assoziierungsabkommen mit Polen vom 16. Dezember 19991 (zitiert nach EuGH, Urteil vom 20. November 2001, InfAuslR 2002, 57 [EuGH 20.11.2001 - C 268/99]) gewährt polnischen Staatsangehörigen sowohl als Arbeitnehmer als auch als selbstständig Tätiger gewisse Niederlassungsrechte. Insbesondere ist in Art. 44 Abs. 3 und 4 des Assoziierungsabkommens geregelt, dass die Mitgliedsstaaten polnischen Staatsangehörigen das Recht auf Aufnahme und Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeiten gewähren und sie dabei nicht weniger günstig behandeln als eigene Gesellschaften und Staatsangehörige. Ein Recht auf visumsfreie Einreise zur Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit lässt sich daraus nicht herleiten. Auch wenn der EuGH (Urteil vom 27. September 2001 - C 63/99 - InfAuslR 2001, 484) entschieden hat, dass das Niederlassungsrecht als Nebenrecht das Einreise- und Aufenthaltsrecht voraussetze, ist dieses Recht nicht schrankenlos gewährleistet. Vielmehr ist seine Ausübung durch die Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaates über die Einreise, Aufenthalt und Niederlassung der fremden Staatsangehörigen beschränkt. Insbesondere steht das Abkommen grundsätzlich einer Regelung vorheriger Kontrollen nicht entgegen, nach der die Erteilung einer Einreise- und Aufenthaltsgenehmigung durch die Zuwanderungsbehörden voraussetzt, dass der Antragsteller seine wirkliche Absicht nachweist, eine selbständige Tätigkeit aufzunehmen. Somit kann der Kläger auch unter Berücksichtigung des Assoziierungsabkommens und der dazu ergangen Rechtsprechung seiner Ausweisung keine Rechte entgegenhalten.

16

Weil der Kläger ausreisepflichtig ist, kann ihm gem. §§ 49, 50 AuslG die Abschiebung angedroht werden.

17

...