Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 24.01.2001, Az.: 6 A 531/00
Ehefrau; Musiker; Sippenhaft; Syrien; Sänger; Tradition
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 24.01.2001
- Aktenzeichen
- 6 A 531/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 39289
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 51 Abs 1 AuslG
- § 53 Abs 6 AuslG
Tenor:
Der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 30. Oktober 2000 wird hinsichtlich der unter Nr. 2 getroffenen Feststellung aufgehoben.
Die Beklagte und die Beigeladene tragen die außergerichtlichen Kosten des Klägers je zur Hälfte sowie ihre jeweiligen außergerichtlichen Kosten selbst. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Vollstreckungsschuldner können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils festgesetzten Vollstreckungsbetrages abwenden, sofern nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in jeweils derselben Höhe leistet.
Tatbestand:
Die Beigeladene ist syrische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit. Sie reiste nach eigenen Angaben am 26. August 2000 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte ihre Anerkennung als Asylberechtigte.
Zur Begründung dieses Begehrens trug sie vor:
Sie habe bis zu ihrer Ausreise aus Syrien im Dorf Bir Kenes gewohnt. Am 23. Juli 2000 sei sie mit Hilfe von Schleppern nach Beirut gebracht worden. Vor einem islamischen Geistlichen habe sie mit ihrem Mann die Ehe geschlossen und sei mit ihm am 26. August 2000 von Beirut nach Frankfurt geflogen. Unterlagen über die Eheschließung habe sie nicht; es seien nur zwei libanesische Zeugen anwesend gewesen. In Syrien sei sie elf Jahre lang zur Schule gegangen und besitze einen mittleren Schulabschluss. Dann habe sie im Familienhaushalt die Hausarbeit gemacht. Dort hätten noch ihre Mutter, drei Brüder und eine Schwester gelebt. Sie sei hier hergekommen, weil auch ihr Mann nach Deutschland gekommen sei. Probleme habe sie selbst in Syrien nicht gehabt. Politisch sei sie nicht aktiv gewesen. Vor ihrer Ausreise sei ihr Ehemann einige Male zu ihr nach Hause gekommen und habe dann über seine Eltern um ihre Hand angehalten. Ihr Bruder sei gegen die Ehe gewesen. Ihr Mann habe sie sozusagen entführt. Deshalb würde sie bei einer Rückkehr große Probleme mit ihren Angehörigen bekommen. Man würde sie töten, weil sie unerlaubt einen Mann geheiratet habe. Ihr älterer Bruder habe darüber zu bestimmen, wen sie heirate. Dies sei in ihrem Kulturkreis so. Ihr Bruder habe ihr gesagt, dass ihr Mann als kurdischer Sänger von den Behörden beobachtet werde und Schwierigkeiten bekommen würde, die dann auch sie haben würde. Außerdem seien Sänger untreu.
Mit Bescheid vom 30. Oktober 2000 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag als unbegründet ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG gegeben seien.
Mit einem weiteren Bescheid vom gleichen Tage hatte das Bundesamt in Bezug auf den Ehemann der Beigeladenen den Asylantrag ebenfalls als unbegründet abgelehnt und festgestellt, dass die Voraussetzungen eines Schutzes vor Abschiebung nach Syrien gemäß § 51 Abs. 1 AuslG vorlägen. Der Ehemann der Beigeladenen hatte in seinem Asylverfahren vorgetragen, als in Syrien bekannter Musiker wiederholt Repressionen, Inhaftierungen und Misshandlungen durch die syrischen Sicherheitskräfte ausgesetzt gewesen zu sein und wegen einer ihm drohenden erneuten Festnahme das Heimatland am 24. Juni 2000 verlassen zu haben. Der Sicherheitsdienst habe bei seiner Familie und den Bekannten nach ihm gesucht, in seiner Wohnung eine Hausdurchsuchung durchgeführt und Material, wahrscheinlich Unterlagen von verschiedenen kurdischen Parteien, mitgenommen. Er habe verschiedene Musikkassetten herausgegeben; die erste sei im Jahre 1991 erschienen und die letzte im Jahr 2000. Ab dem Jahr 1999 sei ihm aufgegeben worden, nicht mehr auf Festen zu singe. Außerdem habe man ihn verschiedentlich vorgeladen. Wenn er dennoch an Festen als Sänger teilgenommen habe, habe man ihn festgenommen, geohrfeigt und geschlagen. Auf die Intervention von Zuschauern habe man ihn dann wieder freigelassen.
Gegen den am 03. November 2000 zugestellten Bescheid, mit dem über den Asylantrag der Beigeladenen befunden worden ist, hat der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten am 08. November 2000 Klage erhoben.
Zur Begründung der Klage trägt er vor:
Zwar sei im Einzelfall für nahe Angehörige eines politisch Verfolgten die Gefahr einer Sippenhaft nicht auszuschließen, wenn der Verfolgte aus der Sicht des syrischen Staates als gefährlicher Regimegegner einzustufen sei. Das sei hier nicht zu erkennen. Der Ehemann der Beigeladenen sei lediglich mit künstlerisch-kulturellen Aktivitäten in den Blick des syrischen Staates geraten und als solcher nicht als "gefährlicher" Regimegegner anzusehen. Zudem finde eine Sippenhaft gegenüber Angehörigen eines als gefährlich eingestuften Regimegegners nur ausnahmsweise statt. Anhaltspunkte dafür, dass ein solcher Ausnahmefall hier vorliege, seien nicht zu erkennen. Die Beigeladene sei erst seit kurzem mit ihrem Ehemann verheiratet; die Eheschließung habe zudem im Ausland stattgefunden. Unter dem Gesichtspunkt einer Verfolgung der Beigeladenen wegen ihrer kurdischen Volkszugehörigkeit erweise sich der Bescheid ebenfalls nicht als rechtmäßig. Schließlich finde auch die Vorschrift des § 26 AsylVfG keine Anwendung, wenn einem Ehegatten lediglich ein Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG gewährt worden sei.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes vom 30. Oktober 2000 aufzuheben, soweit darin die Feststellung eines Abschiebungsschutzes nach § 51 Abs. 1 AuslG getroffen worden ist.
Die Beklagte hat einen Klageantrag nicht gestellt; sie entgegnet:
Der Ehemann der Beigeladenen sei aufgrund seines Bekanntheitsgrades als gefährlicher Regimegegner anzusehen. In Bezug auf die Beigeladene könne ausnahmsweise von einer sippenhaftähnlichen Gefahr ausgegangen werden.
Die Beigeladene beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor:
Zwar treffe es zu, dass sie erst seit kurzem verheiratet und dass die Ehe im Ausland geschlossen worden sei; trotzdem wäre sie im Falle einer Rückkehr nach Syrien gefährdet. Die Beziehungen zu ihrem Ehemann hätten vor vier Jahren begonnen und seien vielen Menschen bekannt geworden. Ihr Mann habe viele Lieder auch ihr gewidmet. Man könne deshalb vermuten, dass die Behörden von ihrer Ehe erfahren hätten. Außerdem habe ihre Familie nach ihrer Flucht bei der Polizei eine Anzeige erstattet wie Freunde aus Syrien ihnen telefonisch mitgeteilt hätten. Schließlich bestehe auch seitens ihrer eigenen Familie die Gefahr einer Tötung, weil sie gegen die Traditionen und ohne Einverständnis der Familie ihrem Mann gefolgt sei.
Die Beigeladene ist zu ihrem Asylvorbringen informatorisch angehört worden; hinsichtlich ihrer Angaben wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, auf die die Beigeladene und ihren Ehemann betreffenden Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie auf die den Beteiligten bekannte Liste der Erkenntnismittel zu Asylverfahren von Ausländern aus Syrien verwiesen. Diese Unterlagen waren ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand des Verfahrens.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Die Beigeladene hat keinen Anspruch auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 30. Oktober 2000 ist deshalb hinsichtlich der unter Nr. 2 getroffenen Feststellung aufzuheben.
Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sind denen des Art. 16a Abs. 1 GG gleich, soweit es die Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale betrifft. Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte haben politisch Verfolgte (Art. 16 a Abs. 1 GG). Dieses Individualgrundrecht kann in Anspruch nehmen, wer bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland politische Verfolgung (erneut oder erstmals) zu befürchten hat. Politische Verfolgung liegt vor, wenn dem Einzelnen durch den Heimatstaat oder durch Maßnahmen Dritter, die diesem Staat zurechenbar sind, in Anknüpfung an seine politische Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder für ihn unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden oder unmittelbar drohen, die ihn nach ihrer Intensität und Schwere aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen (BVerfG, Beschl. vom 10.07.1989, BVerfGE 80, 315, 333). Dabei beschränkt sich der asylrechtliche Schutz nicht auf die Rechtsgüter Leib und Leben, sondern erfasst auch Einschränkungen der persönlichen Freiheit; die hierin eingeschlossenen Rechte der freien Religionsausübung und ungehinderten beruflichen und wirtschaftlichen Betätigung lösen einen Asylanspruch indessen nur aus, wenn deren Beeinträchtigung nach ihrer Intensität und Schwere zugleich die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Herkunftsstaates allgemein hinzunehmen haben (BVerfG, Beschl. vom 24.06.1992 - 2 BvR 176/92 u.a., S. 12 f. des Abdrucks unter Hinweis auf BVerfGE 76, 143, 158). Die Gefahr eigener politischer Verfolgung kann sich auch aus gegen Dritte gerichteten Verfolgungsmaßnahmen ergeben, wenn der Asylbewerber sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und auch im Übrigen vergleichbaren Lage befindet, so dass seine (etwaige) Nichtbetroffenheit von ausgrenzenden Rechtsverletzungen eher als zulässig anzusehen ist (BVerfG, Beschl. vom 23.01.1991, BVerfGE 83, 216, 230). Eine solche sog. mittelbare Gruppenverfolgung liegt danach typischerweise vor bei Massenausschreitungen (Pogromen), die das ganze Land oder große Teile desselben erfassen, aber etwa auch dann, wenn unbedeutende oder kleine Minderheiten mit solcher Härte, Ausdauer und Unnachsichtigkeit verfolgt werden, dass jeder Angehörige dieser Minderheit sich ständig der Gefährdung an Leib, Leben oder persönlicher Freiheit ausgesetzt sieht, wobei allerdings nicht ein ganzes Land gewissermaßen flächendeckend erfasst sein muss (BVerfG, Beschl. vom 23.01.1991, BVerfGE 83, 216, 232). Auch ohne Pogrome und diesen vergleichbare Massenausschreitungen liegt eine mittelbare Gruppenverfolgung immer dann vor, wenn die Verfolgungsschläge, von denen die Angehörigen einer Gruppe betroffen werden, so dicht und eng gestreut fallen, dass für jedes Gruppenmitglied die Furcht begründet ist, in eigener Person Opfer der Übergriffe zu werden (BVerwG, Beschl. vom 24.09.1992, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 156; Urt. vom 05.07.1994, BVerwGE 96, 200, 203). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urt. vom 02.08.1983, BVerwGE 67, 317 m. w. N.) wird eine solche von nichtstaatlicher Seite, insbesondere von Privatpersonen oder nichtstaatlichen Organisationen ausgehende Verfolgung dem Staat zugerechnet, wenn dieser die Verfolgung billigt oder fördert, ferner wenn er nicht willens oder - trotz vorhandener Gebietsgewalt - nicht in der Lage ist, die Betroffenen gegen Übergriffe Privater zu schützen. Dabei besteht die Zurechenbarkeit begründende Schutzunfähigkeit oder Schutzunwilligkeit nicht bereits dann, wenn in dem zu beurteilenden Einzelfall effektiver staatlicher Schutz nicht geleistet worden ist. Kein Staat vermag einen schlechthin perfekten lückenlosen Schutz zu gewährleisten und sicherzustellen, dass Fehlverhalten, Fehlentscheidungen oder "Pannen" sonstiger Art bei der Erfüllung der ihm zukommenden Aufgaben der Wahrung des öffentlichen Friedens nicht vorkommen. Deshalb schließt weder Lückenhaftigkeit des Systems staatlicher Schutzgewährung überhaupt noch die im Einzelfall von dem Betroffenen erfahrene Schutzversagung als solche schon staatliche Schutzbereitschaft oder Schutzfähigkeit aus. Vielmehr sind Übergriffe Privater dem Staat als mittelbare Verfolgung dann zuzurechnen, wenn er gegen Verfolgungsmaßnahmen Privater grundsätzlich keinen effektiven Schutz gewährt. Umgekehrt ist eine grundsätzliche Schutzbereitschaft des Staates zu bejahen, wenn die zum Schutz der Bevölkerung bestellten (Polizei-) Behörden bei Übergriffen Privater zur Schutzgewährung ohne Ansehen der Person verpflichtet und dazu von der Regierung auch landesweit angehalten sind, vorkommende Fälle von Schutzverweigerung mithin ein von der Regierung nicht gewolltes Fehlverhalten der Handelnden in Einzelfällen sind (BVerwG, Urt. vom 05.07.1994, InfAuslR 1995, 24 [BVerwG 05.07.1994 - BVerwG 9 C 1.94]).
Da das Asylgrundrecht auf dem Zufluchtgedanken beruht und von seinem Tatbestand her grundsätzlich den Ursachenzusammenhang von Verfolgung/Flucht/Asyl voraussetzt (BVerfG, Beschl. vom 26.11.1986, BVerfGE 74, 51, 60; Beschl. vom 10.07.1989, BVerfGE 80, 344), ist ferner von maßgeblicher Bedeutung, ob der Asylbewerber vorverfolgt oder unverfolgt ausgereist ist. Ist der Asylsuchende wegen erlittener oder unmittelbar bevorstehender politischer Verfolgung ausgereist und war ihm auch ein Ausweichen innerhalb seines Heimatstaates wegen Fehlens einer inländischen Fluchtalternative unzumutbar, ist er als Asylberechtigter anzuerkennen, sofern die fluchtbegründenden Umstände im maßgeblichen Zeitpunkt fortbestehen. Er ist ferner anzuerkennen, wenn diese zwar entfallen sind, aber an seiner Sicherheit vor abermals einsetzender Verfolgung bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat ernsthafte Zweifel bestehen. Hat der Asylsuchende seinen Heimatstaat hingegen unverfolgt verlassen, kann er nur dann anerkannt werden, wenn ihm politische Verfolgung aufgrund eines asylerheblichen Nachfluchttatbestandes mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (BVerfG, Beschl. vom 26.11.1986, aaO., 64 f.; Beschl. vom 10.07.1989, aaO., 344; BVerwG, Urt. vom 20.11.1990, BVerwGE 87, 152; Urt. vom 23.07.1991, DVBl. 1991, 1089). Für die Annahme einer drohenden Verfolgung ist entscheidend, ob aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat unzumutbar erscheint (BVerwG, Urt. vom 05.11.1991, BVerwGE 89, 162, 169). Die dazu erforderliche Zukunftsprognose hat auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abzustellen (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) und muss auf einen absehbaren Zeitraum ausgerichtet sein (BVerwG, Urt. vom 03.12.1985, EZAR 202 Nr. 6). Sie hat die vom Asylbewerber geschilderten Ereignisse zu würdigen und insbesondere auch den politischen Charakter der Verfolgungsmaßnahme festzustellen (§§ 15, 25, 74 Abs. 2 AsylVfG). Bei der Darstellung der allgemeinen Umstände im Herkunftsland genügt es, dass die vorgetragenen Tatsachen die nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer Verfolgung ergeben (BVerwG, Urt. vom 23.11.1982, BVerwGE 66, 237). Die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung kann schließlich nur festgestellt werden, wenn sich das Gericht in vollem Umfang die Überzeugung von der Wahrheit des von dem Asylbewerber behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals verschafft, wobei allerdings der sachtypische Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerstaat bei der Auswahl der Beweismittel und bei der Würdigung des Vortrags und der Beweise angemessen zu berücksichtigen ist (BVerwG, Urt. vom 12.11.1985, EZAR 630 Nr. 13).
Dies setzt voraus, dass der Asylbewerber die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorträgt. Hierzu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung eine politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (BVerwG, Beschl. vom 18.09.1989, InfAuslR 1989, 350 [BVerwG 18.09.1989 - BVerwG 9 B 308.89] m.w.N.). Dazu gehört, dass der Asylbewerber zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Asylanspruch lückenlos zu tragen. Ein im Laufe des Asylverfahrens sich widersprechendes oder sich steigerndes Vorbringen kann die Glaubwürdigkeit des Asylsuchenden in Frage stellen. Ändert der Asylsuchende in seinem späteren Vortrag sein früheres Vorbringen, so muss er überzeugende Gründe darlegen, weshalb sein früheres Vorbringen falsch gewesen ist, will er nicht den Eindruck der Unglaubwürdigkeit erwecken (BVerwG, Beschl. vom 26.10.1989, InfAuslR 1990, 38 [BVerwG 26.10.1989 - BVerwG 9 B 405.89]; Beschl. vom 21.07.1989, Buchholz 402.24 § 1 AsylVfG Nr. 113). Zwar spricht nicht jede Widersprüchlichkeit im Vortrag eines Asylbewerbers zugleich auch gegen seine Glaubwürdigkeit; vielmehr ist bei der Wertung seiner Aussage zu berücksichtigen, dass sich Missverständnisse aus Verständigungsproblemen ergeben haben können und dass zwischen Asylantragstellung, der Anhörung im Verwaltungsverfahren, der schriftlichen Klagebegründung sowie ggf. der persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor Gericht jeweils größere Zeiträume liegen können. Auch dürfen die besonderen Schwierigkeiten, denen Asylbewerber aus anderen Kulturkreisen bei der Darstellung ihrer Verfolgungsgründe besonders dann ausgesetzt sind, wenn sie über einen geringen Bildungsstand verfügen, nicht außer Acht gelassen werden. Grundlegende, für das Verlassen des Heimatlandes und den Asylantrag maßgebende Umstände im individuellen Lebensweg des Asylbewerbers bleiben jedoch im Normalfall zumindest in ihren wesentlichen Einzelheiten in Erinnerung. Widersprüche und Ungereimtheiten, die sich hierauf beziehen, machen das Vorbringen des Asylbewerbers zu seinem persönlichen Verfolgungsschicksal in der Regel insgesamt unglaubwürdig. Vor allem für diejenigen Umstände, die den eigenen Lebensbereich des Asylbewerbers betreffen, ist ein substantiierter, im Wesentlichen widerspruchsfreier Tatsachenvortrag zu fordern. Dabei ist die wahrheitsgemäße Schilderung einer realen Verfolgung erfahrungsgemäß gekennzeichnet durch Konkretheit, Anschaulichkeit und Detailreichtum.
Nach diesen Kriterien hat die Beigeladene eine individuelle Vorverfolgung nicht glaubhaft gemacht. Der Beigeladenen droht nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine politisch motivierte Verfolgung unter dem Gesichtspunkt einer "Sippenhaft". Nach der dem Gericht vorliegenden Auskunftslage kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine generelle Sippenhaft oder eine Erstreckung politischer Verdächtigungen auf engste Angehörige in Syrien regelmäßige praktiziert wird. Sippenhaft oder sippenhaftähnliche Maßnahmen drohen vielmehr nahen Angehörigen solcher Personen, die als gefährliche Regimegegner eingestuft werden, nur im Einzelfall (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Syrien vom 13.01.1999 und vom 24.01.2000; Auskünfte vom 18.10.1999 an das VG Mainz, vom 08.05.1996 an das VG Ansbach, vom 08.11.1995 an das VG Koblenz, vom 02.01.1995 an das VG Stuttgart und vom 28.05.1993 an das VG Schleswig; Deutsches Orient-Institut, Auskünfte vom 26.02.1999 an das VG Freiburg und vom 14.04.1993 an das VG Schleswig; Perthes, Stellungnahme vom 07.03.1993 an das VG Schleswig; in diesem Sinne bereits OVG Münster, Beschl. vom 16.03.2000, 9 A 1220/00.A; OVG Lüneburg, Urt. vom 22.06.1999 - 2 L 670/98 -, Beschl. vom 23.12.1998 - 2 L 5599/98; VGH Mannheim, Urt. vom 19.05.1998 - A 2 S 28/98 -; VG Braunschweig, Urt. vom 17.06.1999 - 4 A 4057/96; Urt. vom 06.12.1999 - 4 A 4258/97, jew. m.w.Nw.).
Die Auskünfte von amnesty international (vom 25.11.1998 an das VG Bayreuth, vom 24.06.1996 an das VG Koblenz, Bericht vom 11.03.1996), von Link (November 1996) und die im September 1996 und Dezember 1995 vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V. herausgegebenen Dokumentationen rechtfertigen eine andere Einschätzung der Situation nicht. In diesen Erkenntnismitteln heißt es zwar, dass in Syrien Sippenhaft systematisch praktiziert werde. Die genannten Erkenntnismittel enthalten jedoch keine hinreichend bestimmten Angaben zu einer generellen Praxis der Sippenhaft des syrischen Staates. In ihnen sind auch keine Referenzfälle für eine aktuelle generelle Praxis der Sippenhaft angeführt (vgl. ebenso VGH Mannheim, Urt. vom 19.05.1998, aaO., UA S. 25; OVG Lüneburg, Beschl. vom 23.12.1998, aaO.; Urt. vom 22.06.1999, aaO.).
Im vorliegenden Fall ist nicht zu erwarten, dass die Beigeladene wegen der Aktivitäten ihres Ehemannes als kurdischer Sänger bei einer Rückkehr nach Syrien in besonderem Maße gefährdet und politisch motivierten Repressalien ausgesetzt wäre. Dies wird darin deutlich, dass die Beigeladene nach ihren eigenen Bekundungen ihren späteren Ehemann bereits seit vier Jahren vor der Ausreise gekannt hat und als mit ihm befreundet bekannt geworden ist, gleichwohl nach dem Untertauchen ihres späteren Ehemannes im Zuge der Nachforschungen von den syrischen Behörden nicht ernsthaft als Auskunftsperson in Betracht gezogen wurde. Wie der Kläger zu Recht hervorhebt, führt die Beigeladene überdies einen anderen Familiennamen und wurde die Ehe im Ausland geschlossen. Selbst wenn aufgrund der vorgeblich erfolgten Anzeige eines Entführungsfalles durch ihre Familie bei der Polizei eine Verbindung zu ihrem jetzigen Ehemann bekannt geworden sein sollte, dürfte dieser im Ausland erfolgte Vorgang die Beigeladene nicht derart in das Blickfeld der syrischen Sicherheitskräfte gerückt haben, dass daraus für sie die Gefahr sippenhaftähnlicher Maßnahmen hergeleitet werden könnte.
Schließlich ist die Beigeladene auch nicht wegen ihrer Eigenschaft als Kurdin Verfolgungsmaßnahmen des syrischen Staates ausgesetzt.. Nach der Auskunftslage ist ohnehin davon auszugehen, dass die ethnische Minderheit der Kurden als solche in Syrien einer staatlichen Verfolgung nicht unterworfen ist. Fälle politischer Verfolgung allein wegen der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden sind nicht bekannt. Die in den 60-iger Jahren von der damals regierenden syrischen Führung begonnene und von Präsident Assad bis 1976 zunächst noch fortgeführte Politik der "Arabisierung" der kurdischen Siedlungsgebiete Syriens ist noch im Jahre 1976 von der Assad-Regierung eingestellt worden (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 10.01.1990). Zwar betont die Ideologie der Baath-Partei den arabischen Charakter Syriens. Seit Ende der 70-iger Jahre sind jedoch Bestrebungen zur Zwangsarabisierung ethnischer Minderheiten oder staatliche Repressionen gegen nichtarabische Minderheiten allein aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit nicht mehr feststellbar (vgl. den o.g. Lagebericht des Auswärtigen Amtes).
Anhaltspunkte für Nachfluchtgründe liegen ebenfalls nicht vor. Es gibt keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die unverfolgt ausgereiste Beigeladene bei ihrer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer politischen Verfolgung droht. Die Tatsache, dass die Beigeladene in Deutschland um Asyl nachgesucht hat, ist kein Umstand, dessentwegen eine solche Befürchtung begründet wäre. Die Asylantragstellung als solche hat keine Maßnahmen syrischer Stellung zur Folge (vgl. den o.g. Lagebericht sowie das Urteil des OVG Lüneburg vom 04.08.1993, Az.: 2 L 5341/92, S. 25 f.). Nichts anderes gilt auch für den mit der Dauer des Asylverfahrens zusammenhängenden Auslandsaufenthalt. Dieser wird von den syrischen Behörden ganz regelmäßig nicht zum Anlass für Verfolgungsmaßnahmen genommen (vgl. OVG Lüneburg, aaO.; sowie die Urteile des OVG Münster vom 22.08.1990, Az.: 16 A 10109/90 und 16 A 10362/89). Soweit die Beigeladene damit rechnen muss, bei ihrer Rückkehr nach Syrien durch die dortigen Sicherheitsbehörden befragt zu werden, liegt darin keine politische Verfolgungsmaßnahme im Sinne des Asylrechts (OVG Lüneburg, Urt. vom 04.08.1993, aaO.). Ein hinreichender Anlass für die Annahme, die Beigeladene könnte während des Verhörs in den Verdacht geraten, oppositionell tätig gewesen zu sein, ist nicht ersichtlich. Weitergehenden Schutz vor zufälliger Beeinträchtigung infolge der Rückkehr nach Syrien bietet das Asylgrundrecht nicht (so ausdrücklich das OVG Lüneburg in der o.g. Entscheidung, S. 26). Dieser Auffassung schließt sich das Gericht an.
Soweit die Beigeladene Repressalien durch ihre Familienmitglieder befürchtet, weil sie gegen die arabischen Traditionen verstoßen hat, kann sie im Rahmen dieses Verfahrens, in dem es lediglich um die Feststellung eines Abschiebungsschutzes wegen politischer Verfolgung nach Maßgabe des § 51 Abs. 1 AuslG geht, kein rechtliches Gehör finden. Eine solche Frage wäre allenfalls nach Maßgabe des § 53 Abs. 6 AuslG zu beurteilen; dies ist jedoch nicht Gegenstand der rechtlichen Prüfung, die sich mit der vom Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten erhobenen Klage gegen den Bescheid vom 30. Oktober 2000 auf eine Prüfung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG beschränkt. Im Übrigen wäre nach der Auffassung des Gerichts eine von der Beigeladenen befürchtete Tötung durch ihre Familie nicht ernsthaft zu befürchten. Dies zeigt schon der Umstand, dass ihr Verhalten und das ihres Ehemannes lediglich dazu geführt haben, dass ihre Familien "nicht mehr miteinander reden". Da die Beigeladene mit der Heirat in den Familienverband des Ehemannes aufgenommen worden ist, ist außerdem weder zu erwarten, dass sie dort keinen Schutz erhielte noch dass der syrische Staat sich untätig verhielte, wenn die Familienangehörigen der Beigeladenen nach dem Leben trachteten.
Der Klage des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 155 Abs. 1 Satz 1, 162 Abs. 3 VwGO und § 83b Abs. 1 AsylVfG zu entsprechen. Die Nebenentscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.