Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 10.01.2001, Az.: 6 A 61/00

Einreise; Einreiseweg; Luftweg; Syrien

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
10.01.2001
Aktenzeichen
6 A 61/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 39239
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann eine Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe des festgesetzten Vollstreckungsbetrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand:

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Der am 05. Juli 1983 geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger. Er reiste nach seinen eigenen Angaben am 25. November 1998 von Istanbul auf dem Luftweg nach Hannover in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 22. Dezember 1998 seine Anerkennung als Asylberechtigter, nachdem durch Beschluss des Amtsgerichts Wolfenbüttel vom 08. Dezember 1998 sein in Deutschland lebender älterer Bruder zum Vormund bestellt worden war.

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Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 19. Januar 1999 trug der Kläger u.a. vor:

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Er habe Syrien am 25. Oktober 1998 verlassen, nachdem er aufgrund seiner yezidischen Religionszugehörigkeit mit arabischen Nachbarn Probleme bekommen habe. Die Araber hätten ihnen ihr Land streitig gemacht und sie ständig bedroht. Zunächst habe sein älterer Bruder das Land verlassen, dann sei im Zuge der Auseinandersetzungen sein Vater erschossen worden. Er selbst sei ebenfalls bei einem nächtlichen Überfall beschossen und dabei verletzt worden. Nachdem er zu Fuß über die Grenze in die Türkei gekommen sei, habe er dort bis zum 20. November 1998 in Viransehir gelebt. Am 25. November 1998 sei er mit der Fluggesellschaft Türk Hava Yollari von Istanbul nach Hannover geflogen und dort um 12.45 Uhr angekommen. Die Flugunterlagen seien vom Schleuser einbehalten worden. Auch den Pass habe er nie in den Händen gehabt. Das Flugzeug habe er durch eine Art Schlauch am Flughafen in Hannover verlassen. Danach habe in einem Warteraum eine Kontrolle stattgefunden. Die Passagiere hätten sich vor drei Kontrollschaltern anstellen müssen. Der Schleuser, der ihn bei der Einreise begleitet habe, habe den Beamten seinen Pass zur Kontrolle überreicht. Nach der Kontrolle hätten sie weitergehen können.

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Mit Bescheid vom 10. März 1999 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag des Klägers als unbegründet ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich Syrien gegeben seien.

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Gegen den am 17. März 1999 zugestellten Bescheid hat der Kläger am 19. März 1999 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor:

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Die Ablehnung des Asylantrags mit der Begründung, dass die Einreise auf dem Luftweg nicht nachgewiesen sei, sei nicht gerechtfertigt. Sein älterer Bruder habe ihn vom Flughafen in Hannover abgeholt. Der Schlepper habe ihm dort den gefälschten Pass und das Flugticket abgenommen und gesagt, er müsse diese Unterlagen noch abstempeln lassen. Hierfür habe er ihm noch 200 Dollar abgenommen. Mit dem Schlepper sei abgesprochen gewesen, dass dieser ihn zu seinem Bruder nach Wolfenbüttel bringe. Stattdessen sei der Schlepper nicht mehr zu ihm zurückgekehrt und habe etwa gegen 13.00 Uhr seinen Bruder telefonisch benachrichtigt, dass er am Flughafen Hannover warten würde. Sein Bruder sei dann mit einem Cousin gegen 14.00 Uhr am Flughafen Hannover eingetroffen und habe ihn in der Wartehalle abgeholt.

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Der Kläger beantragt,

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die Beklagte zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, und den Bescheid des Bundesamtes vom 10. März 1999 insoweit aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid,

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die Klage abzuweisen.

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Mit Verfügung des Gerichts vom 15. April 1999 ist die Grenzschutzstelle des Flughafens Hannover um eine amtliche Auskunft darüber ersucht worden, ob am 25. November 1998 gegen 12.45 Uhr ein Flugzeug der türkischen Gesellschaft Türk Hava Yollari in Hannover gelandet sei, das gegen 10.00 Uhr zu diesem Flug gestartet sei. Das Bundesgrenzschutzamt Hannover teilte unter dem 29. April 1999 mit, dass nach einer Durchsicht der Flugplandokumentation des Flughafens Hannover am 25. November 1998 kein Luftfahrzeug einer türkischen Luftverkehrsgesellschaft den Flughafen Hannover angeflogen habe. Der Vormund des Klägers teilte daraufhin unter Bezugnahme auf seine Angaben beim Jugendamt des Landkreises Wolfenbüttel mit, dass die Einreise am Freitag, dem 27. November 1998, stattgefunden habe und dieses Datum bereits bei der Anhörung vor dem Bundesamt genannt worden sei. Auf eine erneute Anfrage beim Bundesgrenzschutzamt Hannover teilte die Behörde mit, dass am 27. November 1998 ein Flugzeug der genannten Fluggesellschaft um 12.51 Uhr aus Istanbul angekommen sei.

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In der mündlichen Verhandlung ist der Kläger zu seinem Asylvorbringen informatorisch ergänzend angehört worden; hinsichtlich seiner Angaben wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie auf die den Beteiligten bekannte Liste der Erkenntnismittel zu Asylverfahren syrischer Staatsangehöriger verwiesen. Diese Unterlagen waren ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand des Verfahrens.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter. Der Bescheid des Bundesamtes vom 10. März 1999 ist auch insoweit rechtmäßig, als darin der Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter abgelehnt worden ist.

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Das Gericht folgt den Ausführungen des Bundesamtes im Bescheid vom 10. März 1999 darin, dass das Vorbringen des Klägers die Annahme einer politischen Verfolgung begründet und damit die Voraussetzungen eines Abschiebungsschutzes nach § 51 Abs. 1 AuslG erfüllt. Diese in dem angefochtenen Bescheid getroffene Feststellung ist bestandskräftig geworden und nicht Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung. Da die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG, soweit es die Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale betrifft, denen des Art. 16a Abs. 1 GG gleich sind, besteht für den Kläger außerdem ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter, sofern er nicht auf dem Landweg, sondern - ohne die Möglichkeit der Unterbrechung der Reise in einem "sicheren Drittstaat" i.S.d. § 26a Abs. 2 AsylVfG - auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Hiervon geht das Gericht nach den vom Kläger gemachten Angaben zu den Einzelheiten seines Reisewegs jedoch nicht aus.

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Nach den §§ 15 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 25 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG ist der Asylbewerber gehalten, die erforderlichen Angaben über seinen Reiseweg zu machen und seinen Pass vorzulegen (§ 15 Abs. 2 Nr. 4 AsylVfG). Bei einer Einreise auf dem Luftweg hat er seinen Flugschein und etwaige sonstige Unterlagen über seinen Reiseweg nach Deutschland vorzulegen (§ 15 Abs. 2 Nr. 5, Abs. 3 Nr. 3 und 4 AsylVfG). Sofern der Ausländer nicht im Besitz der erforderlichen Reisepapiere ist, hat er an der Grenze oder bei der Grenzbehörde auf dem Flughafen um Asyl nachzusuchen (§§ 13 Abs. 3 Satz 1, 18 f. AsylVfG). Kommt der Asylbewerber diesen Mitwirkungspflichten nicht oder nur teilweise nach und steht die behauptete Einreise auf dem Luftweg deshalb nicht eindeutig fest, ist es Sache des Gerichts, erforderlichenfalls den Sachverhalt von Amts wegen weiter aufzuklären und im Rahmen seiner Überzeugungsbildung alle Umstände zu würdigen (§§ 86 Abs. 1, 108 Abs. 1 VwGO). Dabei hat das Gericht auch zu berücksichtigen, dass und aus welchen Gründen die gesetzlich vorgesehene Mitwirkung des Asylbewerbers bei der Feststellung seines Reisewegs unterblieben ist (vgl. hierzu: BVerwG, Urt. vom 29.06.1999, AuAS 1999, 260).

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Die gerichtliche Aufklärungspflicht findet allerdings dort ihre Grenze, wo das Vorbringen des Ausländers keinen tatsächlichen Anlass zu weiterer Sachaufklärung bietet. Dies ist generell dann der Fall, wenn der Asylbewerber unter Verletzung der ihn treffenden Mitwirkungspflichten seine Gründe für eine ihm drohende politische Verfolgung nicht unter Angabe genauer Einzelheiten schlüssig schildert. Ob bei einer vom Asylbewerber behaupteten, aber nicht belegten Einreise auf dem Luftweg weitere Ermittlung durch das Gericht anzustellen sind, ist eine Frage der Ausübung tatrichterlichen Ermessens im Einzelfall. Ein Anlass zu weiterer Aufklärung ist beispielsweise dann zu verneinen, wenn der Asylbewerber keine nachprüfbaren Angaben zu seiner Einreise gemacht hat und es damit an einem Ansatzpunkt für weitere Ermittlungen fehlt. Macht der Asylbewerber dagegen hierzu einzelne Angaben, so hat das Gericht diese zu berücksichtigen. Es kann in diesem Zusammenhang frei würdigen, dass und aus welchen Gründen der Asylbewerber mit falschen Papieren nach Deutschland eingereist ist, dass und warum er Reiseunterlagen, die für die Feststellung seines Reisewegs bedeutsam sind, nach seiner Ankunft in Deutschland aus der Hand gegeben hat und schließlich, dass und weshalb er den Asylantrag nicht bei seiner Einreise an der Grenze, sondern Tage oder Wochen später an einem anderen Ort gestellt hat (BVerwG, Urt. vom 29.06.1999, aaO.).

18

Im Rahmen der Überzeugungsbildung ist das Gericht aus Rechtsgründen nicht daran gehindert, die Angaben des Asylbewerbers auch ohne Beweisaufnahme als wahr anzusehen. In den Fällen, in denen der Asylbewerber die Weggabe wichtiger Beweismittel behauptet und damit ein Fall einer selbst geschaffenen Beweisnot vorliegt, ist das Vorbringen allerdings besonders kritisch und sorgfältig zu prüfen. Den Asylsuchenden trifft insoweit zwar keine Beweisführungspflicht; das Gericht kann jedoch bei der Feststellung des Reisewegs die behauptete Weggabe von Beweismitteln wie bei einer Beweisvereitelung zu Lasten des Asylbewerbers würdigen. Eine solche Würdigung liegt umso näher, je weniger plausibel die Gründe erscheinen, die für das beweiserschwerende Verhalten angeführt werden. Insbesondere der pauschale Vortrag der Weggabe von Flugunterlagen kann danach ebenso wie eine Weigerung oder das Unvermögen, mit der Flugreise in Zusammenhang stehende Fragen (z.B. nach den Namen in den benutzten gefälschten Pässen) zu beantworten, den Schluss rechtfertigen, dass die Einreise über einen Flughafen nur vorgespiegelt wird. Bei nicht ausräumbaren Zweifeln an der behaupteten Einreise auf dem Luftweg scheidet eine Anerkennung als Asylberechtigter aufgrund der Drittstaatenregelung aus. Ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass der Asylbewerber auf dem Luftweg eingereist ist, kann es gleichzeitig aber auch nicht die Überzeugung von einer Einreise auf dem Landweg gewinnen, ist die Nichterweislichkeit der behaupteten Einreise auf dem Luftweg festzustellen und eine Beweislastentscheidung zu treffen. Bleibt in einem solchen Fall der Einreiseweg unaufklärbar, trägt der Asylbewerber die materielle Beweislast für seine Behauptung, ohne Berührung eines sicheren Drittstaats nach Art. 16a Abs. 2 GG, § 26a AsylVfG auf dem Luft- oder Seeweg nach Deutschland eingereist zu sein (BVerwG, Urt. vom 29.06.1999, aaO., m.w.N.).

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Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat das Gericht nicht die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Der Kläger hat bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung wesentliche Einzelheiten über den Ablauf der Ankunftskontrollen und die Ortsverhältnisse unzutreffend geschildert. Bereits bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt hatte er zu den Flugdaten Angaben gemacht, die vom Bundesgrenzschutzamt nach einer Einsichtnahme in die Flugpläne des Flughafens Hannover als unzutreffend festgestellt wurden. Der Kläger hat daraufhin zwar diese Angaben dahin geändert, dass sie für einen Flug der vom Kläger benannten Fluggesellschaft zutrafen; über die Abläufe nach einem Flug aus Istanbul innerhalb des nur für Flugpassagiere zugänglichen Teils des Flughafens Hannover ist der Kläger aber offenkundig nicht aus eigener Kenntnis informiert. Die hierzu gemachten Angaben des Klägers haben sich nicht lediglich als lückenhaft erwiesen, sondern als eindeutig falsch. Nach alledem geht das Gericht nicht davon aus, dass der Kläger tatsächlich - wie von ihm behauptet - unter Verwendung von gefälschten Unterlagen, die er nach seiner Ankunft aus der Hand gegeben hat, auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland gelangt ist.

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Die Klage ist deshalb mit der Kostenfolge aus den §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylVfG abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.